Johannes Calvin: Die echte und die falsche Prädestination.
- Diskurs 100
Im Auftrag des Reformierten Bundes in Deutschland / JOHANNES A LASCO BIBLIOTHEK
Emden und auf der Grundlage einer Scan-Texterfassung des Instituts für Reformationsforschung der
Universität Apeldoorn für die Edition im Internet vorbereitet von Matthias Freudenberg.
https://www.calvin-institutio.de/display_dokument.php?elementId=2
Die Lehre Calvins – Buch I: Von der Erkenntnis Gottes des Schöpfers
Die Lehre Calvins – Buch II: Von der Erkenntnis Gottes als des Erlösers in Jesus Christus
Die Lehre Calvins – Buch III: Auf welche Weise wir der Gnade Christi teilhaftig werden, was für Früchte uns daraus erwachsen und was für Wirkungen sich daraus ergeben
Die Lehre Calvins – Buch IV: Von den äußeren Mitteln oder Beihilfen, mit denen uns Gott zu der Gemeinschaft mit Christus einlädt und in ihr erhält
Die ursprünglich dreibändige Ausgabe der Übersetzung Otto Webers erschien in den
Jahren 1936-1938. Für die vorliegende Internet-Edition schienen uns die von Weber notierten
inhaltlichen Hinweise am Textrand verzichtbar. Ebenfalls wurden die wenigen Anmerkungen, die zumeist
keine Sacherklärungen bieten, nicht aufgenommen. Die alte Rechtschreibung wurde beibehalten.
Offensichtliche Druckfehler, Ungenauigkeiten bei der Angabe von Bibelstellen und anderer Literatur
sowie unübliche Darstellungsformen im Drucksatz wurden berichtigt.
Editionsplan
Buch I Juli 2006
Buch II August 2006
Buch III Dezember 2006
Buch IV März 2007
Übersicht
Kapitel 1-5 Gotteserkenntnis
Kapitel 6-10 Heilige Schrift
Kapitel 11-12 Bilder
Kapitel 13 Dreieinigkeit Gottes
Kapitel 14 Engel
Kapitel 15 Erschaffung des Menschen
Kapitel 16-18 Vorsehung Gottes
Erstes Kapitel
Die Erkenntnis Gottes und die Selbsterkenntnis stehen in Beziehung zueinander; das Wesen dieses
Zusammenhangs soll hier gezeigt werden
1. Ohne Selbsterkenntnis keine Gotteserkenntnis
2. Ohne Gotteserkenntnis keine Selbsterkenntnis
3. Der Mensch vor Gottes Majestät
Zweites Kapitel
Wesen und Aufgabe der Gotteserkenntnis
1. Gotteserkenntnis ist praktische Ehrfurcht
2. Gotteserkenntnis ist kein Gedankenspiel
Drittes Kapitel
Die Gotteserkenntnis ist dem Menschen innerlich von Natur eingepflanzt
1. Das Wesen dieser natürlichen Anlage
2. Religion ist keine willkürliche Erfindung
3. Wirkliche Gottlosigkeit ist eigentlich unmöglich
Viertes Kapitel
Die Kunde von Gott wird durch Unwissenheit und Bosheit unterdrückt und verderbt
1. Der Aberglaube
2. Die bewußte Abkehr von Gott
3. Wir können uns Gott nicht nach eigener Willkür denken
4. Die Heuchelei
Fünftes Kapitel
Aus der Erschaffung und fortdauernden Regierung der Welt strahlt uns eine Kunde von Gott entgegen
1. Die Klarheit der Selbstbezeugung Gottes nimmt uns jede Entschuldigung
2. Gottes Weisheit bleibt niemandem verborgen
3. Der Mensch als herrlichster Erweis göttlicher Weisheit
4. Gerade der Mensch aber kehrt sich undankbar gegen Gott
5. Die Verwechslung des Geschöpfs mit dem Schöpfer
6. Der Schöpfer offenbart seine Herrschaft über die Schöpfung
7. Gottes Regierung und Richterschaft
8. Gottes freies, überlegenes Walten im Leben des Menschen
9. Wir sollen Gott nicht ergrübeln, sondern ihn in seinen Werken betrachten
10. Der Zweck dieses Wissens um Gott
11. Die Runde von Gott, die wir aus der Schöpfung gewinnen, erreicht bei uns
nicht ihr Ziel
12. Die Kunde von Gott erstickt im menschlichen Aberglauben und Irrtum
13. Wir sind alle von Gott abgefallen
14. Wir sind aus uns selbst zur rechten Gotteserkenntnis nicht fähig
15. Unser Unvermögen ist Schuld
Sechstes Kapitel
Wer zu Gott, dem Schöpfer, gelangen will, der muß die Schrift zum Leiter und Lehrer haben
1. Wirkliche Gotteserkenntnis schenkt uns Gott nur in seinem Wort
2. Das Wort Gottes als Heilige Schrift
3. Ohne die Schrift gehen wir in die Irre
4. Die Schrift vermag, was die Offenbarung in den Werken bei uns nicht
ausrichten konnte
Siebentes Kapitel
Das Ansehen der Schrift beruht auf dem Zeugnis des Geistes. Dadurch allein gewinnt sie
unzweifelhafte Autorität, und es ist eine gotteslästerliche Menschensatzung, daß ihre
Glaubwürdigkeit vom Urteil der Kirche abhänge
1. Die Schrift hat ihre Autorität von Gott, nicht von der Kirche
2. Die Kirche ist selbst auf die Schrift gegründet
3. Auch Augustin kann nicht zum Gegenbeweis angeführt werden
4. Das Zeugnis des Heiligen Geistes. Das Zeugnis des Geistes ist stärker als
alle "Beweise"
5. Die Schrift trägt ihre Beglaubigung in sich selbst
Achtes Kapitel
Soweit die menschliche Vernunft reicht, gibt es hinreichend sichere Beweise, um die Glaubwürdigkeit
der Schrift zu bestätigen
1. Die Schrift ist aller Menschenweisheit überlegen
2. Nicht die Sprache entscheidet, sondern die Sache
3. Das hohe Alter der Schrift
4. Die Wahrhaftigkeit der Schrift, am Beispiel Moses gezeigt
5. Wunder bekräftigen die Autorität des Boten Gottes
6. Die Wunder des Mose sind unbestreitbar
7. Weissagungen, die sich gegen alle menschliche Voraussicht erfüllten
8. Gott hat das Wort der Propheten bestätigt
9. Die Überlieferung des Gesetzes ist zuverlässig
10. Gott hat Gesetz und Propheten wunderbar erhalten
11. Von der inneren Gewalt des Neuen Testaments
12. Stets hat sich die Schrift gegen allen Widerstand durchgefetzt
13. Auch das Blut der Märtyrer bekräftigt die Autorität der Schrift. Alle
angeführten Beweise können das Zeugnis des Geistes nicht ersetzen
Neuntes Kapitel
Die Schwärmer, welche die Schrift fahrenlassen und nur zu unmittelbarer Offenbarung kommen wollen,
zerstören alle Grundfesten der Frömmigkeit
1. Die Schwärmer berufen sich zu Unrecht auf den Heiligen Geist
2. Der Heilige Geist wird an seiner Übereinstimmung mit der Schrift erkannt
3. Wort und Geist gehören unzertrennlich zusammen
Zehntes Kapitel
Die Schrift fetzt zur Abwehr alles Aberglaubens den wahren Gott allen Göttern der Heiden stracks
entgegen
1. Die Lehre der Schrift von Gott, dem Schöpfer
2. Gottes Eigenschaften nach der Schrift
3. Auch den Heiden war die Einheit Gottes nicht unbekannt; um so
unentschuldbarer ist ihr Götzendienst
Elftes Kapitel
Es ist Sünde, Gott sichtbare Gestalt beizulegen; völliger Abfall vom wahren Gott ist es, wenn man
sich Götzenbilder macht
1. Jede bildhafte Darstellung Gottes ist uns verwehrt
2. Jede bildliche Darstellung Gottes widerspricht seinem Wesen
3. Die mancherlei unmittelbaren Offenbarungen Gottes geben kein Recht zur
Herstellung von Bildern
4. Die Schriftwidrigkeit der Bilder. Die Bilder – "der Laien
Bücher"?
5. Die Schrift urteilt anders
6. Die Kirchenlehrer haben zum Teil auch anders geurteilt
7. Die Bilder der Papisten sind auch gänzlich ungeeignet. Es gäbe gar keine
"Laien", wenn die Kirche ihre Pflicht getan hätte!
8. Der Ursprung der Bilder
9. Von der Aufrichtung der Bilder zum Bilderdienst
10. Bilderdienst in der Kirche
11. Sinnlose Ausflüchte der Papisten
12. Keine Verwerfung der Kunst überhaupt
13. Die Kirche hat, solange die Lehre in ihr noch rein und kräftig war, die
Bilder abgelehnt
14-16. Das bilderfreundliche Konzil zu Nicäa ist selbst ein Beweis
schrecklicher Verdrehung der Lehre
Zwölftes Kapitel
Gott wird von den Götzen unterschieden, damit er einzig und allein geehrt werde
1. Wahre Religion bindet uns an Gott als den Einen und Einzigen
2. "Dienst" und "Verehrung" sind dasselbe
3. Götzendienst ist jeder Versuch, Gott das Seine zu rauben und es der
Kreatur anzueignen
Dreizehntes Kapitel
Die Schrift lehrt uns schon aus der Schöpfung erkennen, daß ein einiges göttliches Wesen in drei
Personen sei
1. Gottes Wesen ist unermeßlich und geistlich
2. Die drei "Personen" in Gott
3. Die Ausdrücke "Dreieinigkeit" und "Person" dienen der
Auslegung der Schrift und sind darum zulässig
4. Ausdrücke wie "Dreieinigkeit", "Person" usw. hat die
Kirche nötig gehabt, um die falsche Lehrer zu entlarven
5. Grenzen und Notwendigkeit der dogmatischen Ausdrücke
6. Der Sinn der wichtigsten Begriffe
7. Die Gottheit des "Wortes"
8. Die Ewigkeit des "Wortes"
9.-10. Die Gottheit Christi im Alten Testament
11. Die Gottheit Christi im Zeugnis der Apostel
12. Die Gottheit Christi erweist sich in seinen Werken
13. Die Gottheit Christi bezeugen seine Wunder
14. Die Gottheit des Geistes erweist sich in seinem Werk
15. Ausdrückliche Zeugnisse für die Gottheit des Geistes
16. Die Einheit
17. Die Dreiheit
18. Die Verschiedenheit von Vater, Sohn und Geist
19. Das Verhältnis zwischen Vater, Sohn und Geist
20. Der dreieinige Gott
21. Der Grund aller Irrlehren – eine Warnung an alle!
22. Servets Bestreitung der Dreieinigkeit
23. Der Sohn ist Gott wie der Vater
24. Der Name "Gott" bezieht sich in der Schrift nicht allein auf
den Vater
25. Das göttliche Wesen ist allen drei Personen gemeinsam
26. Die Unterordnung des fleischgewordenen Wortes unter den Vater ist kein
Gegenbeweis
27. Die Gegner berufen sich fälschlich auf Irenäus
28. Auch die Berufung auf Tertullian verfängt nicht
29. Alle anerkannten Kirchenlehrer bestätigen die Dreieinigkeitslehre
Vierzehntes Kapitel
Schon an der Erschaffung der Welt und aller Dinge unterscheidet sich nach der Schrift der wahre Gott
durch deutliche Kennzeichen von den Götzen
1. Wir können und sollen mit unseren Gedanken nicht hinter Gottes
Schöpfungstat zurückgehen
2. Das Sechstagewerk zeigt Gottes Güte gegen den Menschen
3. Gott ist der Herr über alles!
4. Auch über die Engel sollen wir nicht Spekulationen anstellen, sondern das
Zeugnis der Schrift erforschen
5. Die Bezeichnung der Engel in der Schrift
6. Die Engel als Schützer und Helfer der Gläubigen
7. Schutzengel?
8. Über Rangordnung, Zahl und Gestalt der Engel
9. Die Engel sind nicht Gedanken, sondern Wirklichkeit
10. Göttliche Ehre steht den Engeln nicht zu
11. Gott bedient sich der Engel nicht um seinetwillen, sondern um
unsertwillen
12. Die Engel dürfen uns nicht davon abbringen, unseren Blick allein auf den
Herrn zu richten
13. Die Gefährlichkeit des Feindes
14. Das Reich der Bosheit!
15. Unversöhnlicher Kampf!
16. Der Teufel ist ein entartetes Geschöpf Gottes
17. Der Teufel steht unter Gottes Gewalt
18. Siegesgewissheit!
19. Die Teufel sind nicht Gedanken, sondern Wirklichkeit
20. Größe und Reichtum der Schöpfung
21. Wie sollen wir Gottes Werke betrachten?
22. Die Betrachtung der Güte Gottes in seiner Schöpfung soll uns zu
Dankbarkeit und Vertrauen führen
Fünfzehntes Kapitel
Von der Erschaffung des Menschen, den Fähigkeiten seiner Seele, vom Ebenbilde Gottes, dem freien
willen und der ursprünglichen Reinheit der menschlichen Natur
1. Der Mensch ist makellos aus Gottes Hand hervorgegangen; deshalb darf er die
Schuld für seine Sünde nicht auf den Schöpfer schieben
2. Leib und Seele in ihrer Verschiedenheit
3. Vom Ebenbilde Gottes im Menschen
4. Das eigentliche Wesen des Ebenbildes Gottes ist aus dem zu entnehmen, was
die Schrift von seiner Erneuerung durch Christus sagt
5. Die Menschenseele ist von Gott geschaffen, aber nicht etwa Ausfluß seines
Wesens
6. Die Seele und ihre Fähigkeiten
7. Verstand und Wille als die eigentlichen Grundkräfte
8. Vom freien Willen
Sechzehntes Kapitel
Gott erhält und schützt die von ihm erschaffene Welt und regiert sie bis ins einzelne mit seiner
Vorsehung
1. Schöpfung und Vorsehung
2. Es gibt keinen Zufall
3. Gottes Vorsehung folgt aus seiner Allmacht
4. Das Wesen der Vorsehung. "Allgemeine" und "besondere"
Vorsehung
5. Gottes Vorsehung lenkt auch das einzelne
6. Gottes Vorsehung gilt besonders dem Menschen
7. Gottes Vorsehung regiert auch die "natürlichen" Geschehnisse
8. Die Lehre von der Vorsehung ist kein stoischer Schicksalsglaube
9. Uns sind die wahren Ursachen des Geschehens verborgen
Siebzehntes Kapitel
In welcher Richtung und unter welchem Gesichtspunkt diese Lehre anzuwenden sei, damit man ihres
Segens gewiß werde
1. Der Sinn der Wege Gottes
2. Gottes Walten will mit Ehrfurcht betrachtet sein
3. Gottes Vorsehung nimmt uns die Verantwortung nicht ab
4. Gottes Vorsehung enthebt uns nicht der eigenen Vorsicht
5. Gottes Vorsehung entschuldigt unsere Bosheit nicht
6.-7. Gottes Vorsehung als Trost der Gläubigen
8. Die Gewißheit um Gottes Vorsehung hilft uns in allen Widerwärtigkeiten
9. Keine Geringschätzung der "Mittelursachen"!
10. Ohne die Gewißheit um Gottes Vorsehung wäre das Leben unerträglich
11. Die Gewißheit um Gottes Vorsehung gibt uns fröhliches Gottvertrauen ins
Herz
12. Von der "Reue" Gottes
13. Die Schrift spricht von der "Reue Gottes" in Anpassung an unser
Verständnis
14. Gott führt unentwegt seinen Plan aus
Achtzehntes Kapitel
Gott bedient sich auch der Taten der Gottlosen und lenkt ihre Gedanken, um seine Gerichte zu
vollstrecken; aber er selbst bleibt dabei von jeglichem Vorwurf frei
1. Keine bloße "Zulassung"
2. Wie geschieht Gottes Antrieb im Menschen?
3. Gottes Wille ist einheitlich
4. Wenn Gott auch die Taten der Gottlosen zu seinen Plänen benutzt, so trifft
ihn doch kein Vorwurf
Die Erkenntnis Gottes und die Selbsterkenntnis stehen in Beziehung zueinander; das
Wesen dieses Zusammenhangs soll hier gezeigt werden.
I,1,1 All unsere Weisheit, sofern sie wirklich den Namen Weisheit verdient und wahr
und zuverlässig ist, umfaßt im Grunde eigentlich zweierlei: die Erkenntnis Gottes und unsere
Selbsterkenntnis. Diese beiden aber hängen vielfältig zusammen, und darum ist es nun doch nicht so
einfach zu sagen, welche denn an erster Stelle steht und die andere aus sich heraus bewirkt. Es kann
nämlich erstens kein Mensch sich selbst betrachten, ohne sogleich seine Sinne darauf zu richten,
Gott anzuschauen, in dem er doch "lebt und webt" (Apg. 17,28). Denn all die Gaben, die
unseren Besitz ausmachen, haben wir ja offenkundig gar nicht von uns selber. Ja, selbst unser Dasein
als Menschen besteht doch nur darin, daß wir unser Wesen in dem einigen Gott haben (nihil aliud ...
quam in uno Deo subsistentia)! Und zweitens kommen ja diese Gaben wie Regentropfen vom Himmel zu uns
hernieder, und sie leiten uns wie Bächlein zur Quelle hin. Noch viel deutlicher aber wird gerade in
unserer Armut der unermeßliche Reichtum aller Güter erkennbar, der in Gott wohnt. Besonders zwingt
uns der jämmerliche Zerfall, in den uns der Abfall des ersten Menschen hineingestürzt hat, unsere
Augen emporzurichten: hungrig und verschmachtend sollen wir von Gott erflehen, was uns fehlt, aber
zugleich auch in Furcht und Erschrecken lernen, demütig zu sein. Denn der Mensch birgt ja in jeder
Hinsicht eine Welt von Elend in sich, und seitdem wir der göttlichen Zier verlustig gegangen sind,
macht eine beschämende Blöße unendlich viel Schande offenbar. Ist es aber so, dann muß ja
notwendig jeder Mensch vom Bewußtsein seines heillosen Zustandes wenigstens zu irgendeinem Wissen
um Gott getrieben werden: Wir empfinden unsere Unwissenheit, Eitelkeit, Armut, Schwachheit, unsere
Bosheit und Verderbnis – und so kommen wir zu der Erkenntnis, daß nur in dem Herrn das wahre Licht
der Weisheit, wirkliche Kraft und Tugend, unermeßlicher Reichtum an allem Gut und reine
Gerechtigkeit zu finden ist. So bringt uns gerade unser Elend dahin, Gottes Güter zu betrachten,
und wir kommen erst dann dazu, uns ernstlich nach ihm auszustrecken, wenn wir angefangen haben, uns
selber zu mißfallen. Denn (von Natur) hat jeder Mensch viel mehr Freude daran, sich auf sich selber
zu verlassen, und das gelingt ihm auch durchaus – solange er sich selber noch nicht kennt, also mit
seinen Fähigkeiten zufrieden ist und nichts von seinem Elende weiß oder wissen will. Wer sich also
selbst erkennt, der wird dadurch nicht nur angeregt, Gott zu suchen, sondern gewissermaßen mit der
Hand geleitet, ihn zu finden.
I,1,2 Aber andererseits kann der Mensch auf keinen Fall dazu kommen, sich selbst
wahrhaft zu erkennen, wenn er nicht zuvor Gottes Angesicht geschaut hat und dann von dieser Schau
aus dazu übergeht, sich selbst anzusehen. Denn uns ist ja ein mächtiger Hochmut geradezu
angeboren, und darum kommen wir uns stets durchaus untadelig, weise und heilig vor, wenn uns nicht
handgreifliche Beweise unsere Ungerechtigkeit, Beflecktheit, Torheit und Unreinheit vor Augen halten
und uns so überführen. Dazu kommt es aber gar nicht, wenn wir bloß auf uns selber sehen und nicht
zugleich auf den Herrn; denn er ist doch die einzige Richtschnur, nach der solch ein Urteil(über
uns selbst) erfolgen kann. Wir sind ja von Natur alle zur Heuchelei geneigt, und so befriedigt uns
schon irgendein leerer Schein von Gerechtigkeit ebensosehr, wie es die Gerechtigkeit selber nur
könnte. Und weil unter uns und um uns rein nichts zu erblicken ist, das nicht mit schrecklichster
Unreinigkeit befleckt wäre, so begeistert uns, solange wir über die Grenzen menschlicher
Unreinheit nicht hinausblicken, schon das, was bloß ein bißchen weniger besudelt ist, weil wir es
bereits für ganz rein halten. Es geht wie bei einem Auge, das ausschließlich an den Anblick
schwarzer Farbe gewöhnt ist – und das dann schon für schneeweiß hält, was vielleicht grau oder
geschwärztes Weiß ist. Überhaupt können wir uns an dem leiblichen Sinnesorgan (dem Auge!) ein
Beispiel nehmen, wie sehr wir in der Beurteilung unserer inneren Tüchtigkeit Trugbildern erliegen.
Denn wenn wir am lichten Tage die Erde anschauen oder das, was uns umgibt, so wähnen wir wohl, ein
starkes und durchdringendes Sehvermögen zu besitzen. Sobald wir aber die Sonne mit offenem Auge
stracks anblicken wollen, so wird jene Sehkraft, die den Dingen dieser Erde gegenüber völlig
ausreichte, ganz überwältigt und geblendet, so daß wir bekennen müssen, daß diese Sehkraft, so
scharf sie im Irdischen war, gegen die Sonne geradezu Schwachsichtigkeit ist! Genau so ist es bei
der Betrachtung unseres geistlichen Besitzes. Lenken wir den Blick nicht über die Erde hinaus, so
sind wir mit der eigenen Gerechtigkeit, Weisheit und Tugend reichlich zufrieden und schmeicheln uns
mächtig – es fehlte, daß wir uns für Halbgötter hielten! Aber wenn wir einmal anfangen, unsere
Gedanken auf Gott emporzurichten, wenn wir bedenken, was er für ein Gott sei, wenn wir die strenge
Vollkommenheit seiner Gerechtigkeit, Weisheit und Tugend erwägen, der wir doch gleichförmig sein
sollten – so wird uns das, was uns zuvor unter dem trügerischen Gewand der Gerechtigkeit
anglänzte, zur fürchterlichsten Ungerechtigkeit; was uns als Weisheit wundersam Eindruck machte,
wird grausig als schlimmste Narrheit offenbar, was die Maske der Tugend an sich trug, wird als
jämmerlichste Untüchtigkeit erfunden! So wenig kann vor Gottes Reinheit bestehen, was unter uns
noch das Vollkommenste zu sein schien.
I,1,3 Daher kommt es, daß nach vielfach wiederholten Berichten der Schrift die
Heiligen von Furcht und Entsetzen durchrüttelt und zu Boden geworfen wurden, sooft ihnen Gottes
Gegenwart widerfuhr. Menschen, die zuvor, ohne seine Gegenwart, sicher und stark dastanden –
jetzt, da er seine Majestät offenbart, sehen wir sie derart in Schrecken und Entsetzen gejagt, daß
sie geradezu in Todesangst niederfallen, ja vor Schrecken vergehen und fast zunichte werden! Daran
merken wir, daß den Menschen erst dann die Erkenntnis seiner Niedrigkeit recht ergreift, wenn er
sich an Gottes Majestät gemessen hat. Beispiele solcher Erschütterung haben wir im Richterbuche
wie auch bei den Propheten. Es ging soweit, daß im Volke Gottes die Redewendung in Gebrauch kam:
"Wir müssen sterben; denn wir haben den Herrn gesehen" (Ri. 13,22; Jes. 6,5; Ez. 1,28;
u.a.). Und wenn das Buch Hiob (z. B. Kap. 38ff.) den Menschen durch das Bewußtsein seiner Torheit,
Ohnmacht und Beflecktheit zu Boden werfen will, so dienen ihm stets die Beschreibungen von Gottes
Weisheit, Kraft und Reinheit zum Beweise. Das ist berechtigt: wir sehen, wie auch Abraham, nachdem
er einmal von nahem des Herrn Herrlichkeit erschaut hat, um so besser erkennt, daß er "Erde
und Asche" ist (Gen. 18,27). Elia vermag Sein Nahen nicht mit unverdecktem Antlitz zu ertragen
(1. Kön. 19,13). Solcher Schrecken liegt in seinem Anblick! Was soll auch der Mensch tun, der doch
Staub ist und ein Wurm, wenn selbst die Cherubim in heiliger Scheu ihr Angesicht verhüllen müssen!
(Jes. 6,2). Eben dies spricht Jesaja aus: "Der Mond wird sich schämen und die Sonne mit
Schanden bestehen, wenn der Herr der Heerscharen König sein wird" (Jes. 24,23). Das heißt:
wenn er seine Herrlichkeit in voller Nähe offenbaren wird, dann versinkt auch das sonst
Leuchtendste in Finsternis. Gewiß: Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis sind fest miteinander
verknüpft. Aber die rechte Ordnung in der Lehre verlangt, daß wir zunächst die Gotteserkenntnis
und dann die Selbsterkenntnis behandeln.
Wesen und Aufgabe der Gotteserkenntnis.
I,2,1 Erkenntnis Gottes ist nun für mein Verständnis nicht allein darin
beschlossen, daß wir wissen: es ist ein Gott. Wir sollen auch festhalten, was uns von ihm zu wissen
nottut, was zu seiner Ehre dient, was uns zuträglich ist. Denn es kann von einem eigentlichen
Erkennen Gottes keine Rede sein, wo Ehrfurcht (religio) und Frömmigkeit fehlt. Und dabei denke ich
noch nicht einmal an jene Weise der Erkenntnis Gottes, durch welche in sich verlorene und verdammte
Menschen in Christus, dem Mittler, Gott als Erlöser ergreifen. Hier ist bloß von jener
ursprünglichen und einfachen Erkenntnisweise die Rede, zu welcher schon die Ordnung der Natur
führen würde, wenn Adam nicht gefallen wäre. Es kann zwar gewiß in dieser Verderbnis der
Menschheit kein Mensch Gott als den Vater, den Urheber seines Heils, noch irgendwie als den
gnädigen Gott erkennen, ehe denn Christus ins Mittel tritt, um uns den Frieden mit Gott zu
erringen. Gleichwohl ist es etwas anderes, Gott zu erkennen als den Schöpfer, der uns mit seiner
Macht trägt, mit seiner Vorsehung leitet, seiner Güte pflegt, mit der Fülle seiner Segnungen
begleitet, und wiederum etwas anderes, die Gnade der Versöhnung zu ergreifen, die uns in Christus
zukommt. Weil uns nun der Herr erstlich einfach als der Schöpfer entgegentritt – in seinem Werke,
der Welt, wie auch der allgemeinen Lehre der Schrift – und dann fernerhin im Angesicht Christi als
der Erlöser, so ergibt sich eine zwiefache Erkenntnis Gottes. Hier ist von der erstbezeichneten
Erkenntnis die Rede. Es folgt dann die zweite nach ihrer Ordnung. Obwohl man nun Gott innerlich
nicht erfassen kann, ohne ihm zugleich irgendeine Verehrung zu erweisen, so genügt es doch nicht,
einfach festzuhalten, er sei der Einige, der von allen angebetet und verehrt werden müsse. Wir
müssen vielmehr auch überzeugt sein, daß er der Brunnquell aller Güter ist, damit wir nichts
Gutes suchen außer in ihm. Dies meine ich, weil er die Welt, wie er sie einst schuf, so noch stets
mit unendlicher Macht trägt, mit seiner Weisheit ordnet, mit seiner Güte erhält, weil er
insbesondere die Menschheit mit Gerechtigkeit und Gericht regiert, mit Barmherzigkeit gewähren
läßt, mit seiner Wehr schützt und überhaupt weil nirgendwo ein Tröpflein Weisheit oder Licht,
oder Gerechtigkeit, oder Kraft, oder Heiligkeit, oder gewisser Wahrheit sich findet, das nicht von
ihm her flösse und dessen Ursprung nicht er wäre! Auf diese Weise lernen wir, alles von ihm zu
erwarten und zu erbitten und mit Danksagung alles als seine Gabe anzuerkennen. Denn diese
Wahrnehmung der Macht und Güte Gottes ist für uns der rechte Lehrmeister der Frömmigkeit, aus der
die Religion entsteht. Frömmigkeit nenne ich die mit Liebe verbundene Ehrfurcht vor Gott, welche
aus der Erkenntnis seiner Wohltaten herkommt. Solange aber der Mensch nicht empfindet, daß er Gott
alles verdankt, daß Gott ihn durch seine väterliche Fürsorge umfängt und alle seine Güter über
ihn ausschüttet, so daß nichts außer ihm zu suchen ist – solange unterwirft er sich ihm niemals
in freiwilliger Dienstbereitschaft. Ja, wo er nicht all sein Heil auf ihn gründet, da wird er sich
ihm nimmermehr wahrhaftig und von Herzen ganz übergeben.
I,2,2 Deshalb ist es unnützes Gedankenspiel, wenn einige sich eifrig um die Frage
nach Gottes "Sein" und "Wesen" mühen. Uns liegt mehr daran, zu wissen, was für
ein Gott er ist und was seiner Art gemäß ist. Denn wozu soll es dienen, mit Epikur einen Gott zu
bekennen, der die Fürsorge um die Welt von sich wirft und nur in der Muße seine Ergötzung findet?
Was hilft es auch, einen Gott zu erkennen, mit dem wir nichts zu schaffen haben? Zweck und Ziel der
Gotteserkenntnis soll doch vielmehr sein, daß wir lernen, Gott zu fürchten und zu ehren, ferner:
daß wir unter ihrer Leitung alles von ihm erbitten und ihm alles in Dankbarkeit zuschreiben lernen.
Wie sollte denn der Gedanke an Gott anders in deinem Herzen Raum gewinnen, als daß du sogleich
bedächtest: Du bist sein Gebild und kraft Rechts der Erschaffung seinem Befehl unterstellt und
hörig; dein Leben verdankst du ihm, all dein Tun und Planen soll sich nach ihm ausrichten? Wenn das
so ist, dann ergibt sich sofort weiter, daß dein Leben schändlich verdorben ist, wenn es nicht zu
seinem Dienste da ist! Denn sein Wille muß das Gesetz unseres Lebens sein. Andererseits aber
gewinnst du nur dazu eine klare Anschauung Gottes, daß du ihn als Brunnquell und Ursprung alles
Guten erkennst. Daraus müßte dann das Begehren entstehen, ihm anzuhangen, Vertrauen und Zuversicht
auf ihn zu setzen – wenn den menschlichen Verstand nicht die eigene Verkehrtheit vom rechten
Suchen abbrächte. Denn zunächst erträumt sich ein frommer Sinn nicht irgendeinen Gott, sondern
richtet sein Gemerk auf den Einigen und Wahren. Er dichtet ihm auch nicht an, was ihm in den Sinn
kommt, sondern ist zufrieden, ihn so anzunehmen, wie er sich selber offenbart und erweist, hütet
sich auch immerzu mit höchstem Fleiß, daß er nicht in verwegenem Leichtsinn weiter gehe, als
Gottes Wille reicht, und freventlich herumstreife. Da er ihn so erkannt hat als den, der alles
ordnet, so vertraut er sich ihm an als dem Hüter und Hort und überläßt sich ganz seiner Treue.
Denn er weiß ja, daß Gott der Urheber alles Guten ist, und darum flüchtet er unter seinen Schutz
und erwartet seine Hilfe, wo etwas drückt oder mangelt. Er ist überzeugt von seiner Güte und
Barmherzigkeit, und darum vertraut er sich ihm fest an und zweifelt nicht, daß gegen all sein
Unglück Gottes Güte ein Heilmittel haben werde. Er kennt ihn als den Herrn und Vater, und deshalb
hält er ihn auch für wert, in allen Stücken auf seinen Befehl zu achten, seine Majestät zu
ehren, seine Ehre auszubreiten und seinen Geboten zu gehorchen. Er sieht, daß Gott ein gerechter
Richter ist, gewaffnet mit seiner Unerbittlichkeit, alle Laster zu strafen, und darum hat er seinen
Richtstuhl allezeit vor Augen, und die Furcht Gottes hindert ihn, seinen Zorn zu reizen. Indessen
schreckt ihn der Gedanke an das Gericht doch nicht so sehr, daß er etwa fliehen möchte, auch wenn
es ihm möglich wäre. Denn er kennt ihn ebensosehr als den Vergelter für die Bösen, wie als den
Wohltäter gegen die Gottesfürchtigen – gehört es doch für ihn nicht weniger zu Gottes Ehre,
daß für die Gottlosen und Gesetzlosen Strafe, als daß für die Gerechten der Lohn des ewigen
Lebens bei ihm aufgehoben ist! Zudem hält er sich nicht etwa bloß aus Angst vor dem Gericht von
der Sünde zurück, sondern weil er Gott als Vater liebt und verehrt, ihm als dem Herrn Gehorsam und
Dienst erweist – gäbe es auch keine Hölle, so scheute er sich doch, ihn zu kränken. Das ist
reine und unverfälschte Religion: Glaube und ernste Gottesfurcht miteinander verbunden! So
schließt die Furcht freiwillige Verehrung Gottes in sich und bringt den rechten Gottesdienst mit
sich, wie ihn das Gesetz verordnet. Das letztere muß besonders bemerkt werden; denn alle Menschen
miteinander verehren Gott, aber nur wenige erweisen ihm die rechte Ehrfurcht. Denn überall ist ein
großes Gepränge der Zeremonien, aber selten ist die Aufrichtigkeit des Herzens.
Die Gotteserkenntnis ist dem Menschen innerlich von Natur eingepflanzt.
I,3,1 Daß der menschliche Geist durch natürliches Ahnvermögen eine Art Empfindung
für die Gottheit besitzt, steht für uns außer allem Streit. Denn Gott selbst hat allen Menschen
eine Kenntnis seiner Gottheit zu eigen gemacht, damit ja niemand den Vorwand der Unwissenheit als
Entschuldigung anführe. Diese Kenntnis frischt er stets auf und benetzt sie mit neuen Tröpflein.
Und wenn die Menschen doch alle miteinander darum wissen, daß ein Gott sei und daß er ihr
Schöpfer ist, so sollen sie sich durch ihr eigenes Zeugnis verdammen, weil sie ihm keinen Dienst
erweisen und seinem Willen ihr Leben nicht zum Opfer darbringen. Sollte irgendwo solches Wissen um
Gott nicht vorhanden sein, so könnte das am ehesten noch unter den wildesten Völkern vorkommen,
die von der menschlichen Gesittung am weitesten entfernt sind. Aber, wie schon ein heidnischer
Denker sagt: kein Volk ist so barbarisch, kein Stamm so verwildert, daß nicht die Überzeugung fest
eingewurzelt wäre: es ist ein Gott. (Cicero, De natura Deorum, I,16,43). Völker, die sich in ihrem
sonstigen Lebensstande kaum von den Tieren abzuheben scheinen, behalten doch stets wenigstens eine
Art Keim der Religion (semen religionis). So sehr hat jene gemeinsame Ahnung alle Herzen
durchdrungen, so fest wurzelt sie in allen Gemütern. Da also feit Anbeginn der Welt kein Gebiet,
keine Stadt, ja nicht ein Haus war, das der Religion entbehren konnte, so liegt in dieser Tatsache
ein stillschweigendes Eingeständnis, daß in alle Herzen ein Empfinden um die Gottheit
eingeschrieben ist. Selbst der Götzendienst ist ein vielsagender Beweis für die damit empfangene
Anlage (conceptio). Wir wissen nämlich, wie ungern sich der Mensch erniedrigt und andere Geschöpfe
über sich stellt. Wenn er nun aber lieber ein Stück Holz oder einen Stein anbetet, als den
Anschein zu erwecken, er habe keinen Gott, so ist offenbar der Eindruck vom Dasein der Gottheit von
derartiger Wucht, daß es leichter ist, den natürlichen Trieb zu brechen, als diesen Eindruck aus
der Seele zu reißen. Es kommt ja tatsächlich vor, daß der natürliche Trieb zerbricht, nämlich
wenn ein Mensch sich von seinem angeborenen Hochmut freiwillig unter widerwärtigste Dinge
erniedrigt, nur um einen Gott zu verehren.
I,3,2 Darum ist es das denkbar hohlste Gerede, einige wenige Menschen hätten in
Arglist und Spitzfindigkeit die Religion erdacht, um das einfältige Volk in Zucht zu halten,
während sie doch zwar andere zur Gottesverehrung gebracht, aber selbst nicht von ferne daran
gedacht hätten, an das Dasein eines Gottes zu glauben. Nun gebe ich zwar zu, daß verschlagene
Menschen sehr viel Religiöses ersonnen haben, um das unwissende Volk in Furcht und Schrecken zu
jagen und es dadurch gefügiger zu machen. Aber das hätten sie gar nicht fertiggebracht, wenn nicht
zuvor die Menschenherzen von jener Überzeugung vom Dasein Gottes ergriffen gewesen wären, aus der
wie aus einem Keim der Hang zur Religion hervorkommt. Es kommt mir aber auch nicht glaubhaft vor,
daß diese Betrüger, die unter der Maske der Religion das Volk hinterlistig anführten, wirklich
gar keine Kenntnis von Gott gehabt hätten. Gewiß hat es früher einige Menschen gegeben, die
Gottes Dasein leugneten; und heute treten wieder nicht wenige auf, die das tun. Aber ob sie wollen
oder nicht: was sie so gerne nicht wissen möchten, das drängt sich ihnen doch auf! Es hat wohl nie
ein Mensch die Verachtung der Gottheit verwegener und gehässiger getrieben als Cajus Caligula. Aber
keiner geriet auch jämmerlicher ans Zittern, wenn irgendein Anzeichen göttlichen Zorns auftrat. So
hatte er gegen seinen Willen Angst vor dem Gott, den er doch mit entschlossenem Vorsatz verachten
wollte! So geschieht es allen seinesgleichen: mag einer noch so ein verwegener Verächter Gottes
sein – umso mehr schreckt ihn das Rascheln eines niederfallenden Blattes! Was ist das anders als
Vergeltungstat göttlicher Majestät, die das Gewissen solcher Menschen um so heftiger erschüttert,
je mehr sie ihr zu entgehen suchen? Nach allen Schlupfwinkeln sehen sie sich um, nur um der
Gegenwart des Herrn zu entfliehen und sie aus ihrem Herzen zu tilgen. Aber mögen sie wollen oder
nicht: sie bleiben stets wie in einem Netz verstrickt. Mag auch das Wissen um Gott eine Zeitlang
verschwunden scheinen – bald bricht es doch wieder auf und überfallt sie mit neuer Wucht! Kommt
es einmal zu einem Schweigen der Gewissensangst, so ähnelt doch dieser Zustand dem Schlaf von
Trunkenen oder Geistesgestörten, die nicht einmal im Schlafe Frieden finden können, weil sie
immerzu von grausigen und schreckhaften Träumen gequält werden. So sind auch die Gottlosen ein
Beispiel und Zeugnis dafür, daß stets im Herzen der Menschen etwas wie ein Wissen um Gott (aliqua
Dei notio) kräftig ist.
I,3,3 Es werden also alle, die recht urteilen, stets darin einig sein: es ist
wirklich im Herzen des Menschen ein Empfinden für die Gottheit gleichsam eingemeißelt, das
unzerstörbar ist. Ja gerade der hartnäckige Widerspruch der Gottlosen, die sich trotz ihres
heftigen Widerstrebens der Furcht Gottes nicht entwinden können, ist ein Beweis dafür, daß jene
Überzeugung vom Dasein eines Gottes allen Menschen angeboren und geradezu in ihrem Innersten fest
verwurzelt ist. Mögen nun Diagoras und seinesgleichen ihren Spott über alles ausgießen, was alle
Jahrhunderte geglaubt haben, mag Dionysius das himmlische Gericht lästern – es ist doch nur das
bittere Lachen der Verzweiflung; denn in ihnen nagt der Wurm des Gewissens, beißender als alle
Brandmale. Ich sage nicht mit Cicero (De natura deorum, II,2,5), die Irrtümer würden mit der Zeit
verschwinden, die Religion aber je mehr und mehr zunehmen und vollkommener werden. Denn die Welt
versucht, wie wir noch weiter unten sehen werden, alles Wissen um Gott nach Kräften auszulöschen
und die Verehrung Gottes auf allerlei Weise zu verderben. Aber das behaupte ich doch: mag auch die
törichte Verhärtung, wie sie die Gottlosen zur Verachtung Gottes so gerne in sich aufkommen
lassen, in ihrem Herzen noch so sehr ihr zersetzendes Dasein führen, so ist doch jenes Empfinden um
die Gottheit, das sie so gerne ganz ausgelöscht hätten, auch in ihnen noch bei Kräften und bricht
neu hervor. Daraus wird ganz deutlich: es handelt sich hier nicht um eine Lehre, die man erst in der
Schule lernen müßte; sondern jeder ist hierin von Geburt an sein eigener Lehrmeister, und die
Natur selbst verhindert das Vergessen, so sehr auch viele Menschen alle Kräfte anspannen, um von
dieser Lehre loszukommen. Aber, weiter: wir sind doch alle dazu geboren und leben, um Gott zu
erkennen. Wenn das Wissen um Gott (Dei notitia) nicht soweit dringt, so ist es eitel und flüchtig.
Deshalb sind offenbar alle Menschen aus dem Gesetz ihrer Schöpfung herausgefallen, die nicht auf
dieses Ziel all ihre Gedanken und all ihr Tun ausrichten. Das war auch den Philosophen wohlbekannt.
Denn das eben wollte Platon (Phaedon 107 C, Theaetet 176 B) mit seiner wiederholten Äußerung
sagen, das höchste Gut der Seele sei die Ähnlichkeit mit Gott; sei sie seiner Erkenntnis
teilhaftig geworden, so werde sie ihm ganz gleichförmig. Durchaus scharfsinnig urteilt auch Gryllus
bei Plutarch, der behauptet, der Mensch ohne alle Religion sei nicht nur ohne jeden Vorzug
gegenüber den unvernünftigen Tieren, sondern stehe in mancherlei Beziehung gar noch tiefer als
sie, da er, so vielerlei Unglück unterworfen, stets in Unruhe und Rastlosigkeit dahinleben müsse.
Denn nur der Dienst Gottes gebe dem Menschen seinen Vorrang, er allein führe ihn zur
Unsterblichkeit.
Die Kunde von Gott wird durch Unwissenheit und Bosheit unterdrückt und verderbt.
I,4,1 Die Erfahrung bezeugt, daß Gott in alle Herzen den Keim der Religion
hineingelegt hat. Aber es ist doch unter hundert kaum einer, der da hegt und pflegt, was er
empfangen hat, nicht ein einziger, in dem es zur Reife käme, geschweige denn Frucht brächte zu
seiner Zeit. Die einen verlieren sich im Aberglauben, die anderen werden mit Absicht und bösem
Vorsatz von Gott abtrünnig – aber alle weichen sie von der wahren Gotteserkenntnis ab. Auf diese
Weise bleibt keinerlei wahre Frömmigkeit in der Welt bestehen. Wenn ich davon sprach, daß einige
aus Irrtum in Aberglauben versinken, so ist meine Auffassung nicht etwa, ihre Torheit spräche sie
von ihrem Vergehen frei. Denn mit ihrer Blindheit geht fast immer stolze Eitelkeit und Trotz
zusammen. Solche Eitelkeit und Hoffart zeigt sich darin, daß die elenden Menschen, wenn sie Gott
suchen, nicht über sich hinaus denken, wie es sein müßte, sondern ihn nach dem Maße ihres
fleischlichen Wahnwitzes messen, alle gründliche Nachforschung unterlassen und in eitles
Gedankenspiel sich verlaufen. So ergreifen sie ihn nicht, wie er sich offenbart, sondern bilden sich
ihn ein, wie sie ihn in ihrer Vermessenheit ersonnen haben. Ist aber dieser Abgrund erst
aufgerissen, so müssen sie, wohin sie auch den Fuß setzen, immer neu ins Verderben stürzen. Wie
sehr sie sich auch dann um Gottesdienst und Gehorsam mühen – sie vermögen Gott nichts Rechtes
darzubringen; denn sie dienen ja gar nicht Gott selbst, sondern an seiner Statt dem Gebild und Traum
ihres Herzens! Diese Verkehrtheit rügt Paulus klar und deutlich, wenn er sagt: "Da sie sich
für weise hielten, sind sie zu Narren geworden" (Röm. 1,22). Vorher spricht er davon, wie sie
"eitel geworden sind in ihrem Denken"; aber damit keiner sie etwa für unschuldig
erkläre, fügt er hinzu, sie würden mit Recht verfinstert, weil sie sich ja nicht in den Schranken
der Nüchternheit hielten und in unrechter Anmaßung selbst die Finsternis herbeigeholt und sich gar
in wahnsinnigem und verkehrtem Übermut mutwillig verblendet haben. Daraus ergibt sich, daß ihre
Torheit unentschuldbar ist; denn sie entstammt nicht nur eitler Neugierde, sondern der bösen Lust,
mehr zu wissen, als dem Menschen verstattet ist, und dem falschen Selbstvertrauen.
I,4,2 Wenn nun David von den Gottlosen und Toren sagt, daß sie "in ihrem
Herzen sprechen: Es ist kein Gott" (Ps. 14,1), so bezieht sich das in erster Linie auf die,
welche das Licht der Natur auslöschen und sich mutwillig selbst betäuben, wie wir späterhin sehen
werden. So sehen wir viele, die durch freche und zur Gewohnheit gewordene Sünde verhärtet sind,
wie sie wütend jeden Gedanken an Gott von sich stoßen, der sich ihnen doch von Natur ungewollt
aufdrängt. Um solche ihre Wut desto abscheulicher hervortreten zu lassen, stellt David derartige
Leute als Gottesleugner dar, nicht weil sie Gattes Dasein schlankweg bestreiten, sondern weil sie
ihm Richtergewalt und Vorsehung absprechen und ihn als müßiges Wesen in den Himmel eingeschlossen
denken. Denn nichts steht mit Gottes Wesen weniger im Einklang, als wenn man behauptet, er habe die
Weltregierung niedergelegt und dem blinden Zufall anheimgegeben, sei deshalb blind gegen die
Übeltaten der Menschen, so daß sie ungestraft sündigen könnten! Wer also unbekümmert um das
himmlische Gericht seinen Lüsten lebt, der leugnet tatsächlich das Dasein Gottes. Und das ist
Gottes gerechte Vergeltung, daß er die Herzen unempfindlich macht, so daß die Gottlosen, nachdem
sie zuerst die Augen geschlossen haben, nun auch mit offenen Augen nicht mehr sehen. David
erläutert selbst an einer anderen Stelle aufs beste seinen Spruch, wenn er sagt: "Es ist keine
Gottesfurcht vor ihren Augen" (Ps. 36,2), oder wenn erzeigt, wie sie sich in ihren Missetaten
recht gefallen, weil sie sich einreden: "Gott hat’s vergessen, er wird’s nimmermehr sehen"
(Ps. 10,11). Obwohl sie also nicht daran vorbeikommen, irgendeinen Gott anzuerkennen, machen sie
doch seinen Ruhm zunichte, indem sie seine Macht bestreiten, wie nämlich nach dem Zeugnis des
Paulus Gott sich selbst nicht verleugnen kann (2. Tim. 2,13), weil er sich ja stets gleichbleibt, so
trifft jene Menschen mit Recht das Urteil, Leugner Gottes zu sein, wenn sie aus ihm einen toten und
eitlen Götzen machen. Es ist aber auch noch dies zu bedenken: Gewiß kämpfen sie gegen ihr eigenes
Empfinden und möchten gern Gott aus ihm hinausdrängen und ihn auch im Himmel abschaffen; aber sie
können doch mit ihrem ganzen Trotz nicht hindern, daß er sie zu Zeiten vor sein Gericht zieht.
Trotzdem lassen sie sich von keiner Furcht in ihrem rasenden Ansturm gegen Gott hemmen, und deshalb
herrscht in ihnen offenbar, solange dieser blinde Trotz sie fortreißt, ein geradezu viehisches
Vergessen Gottes.
I,4,3 So verschwindet auch die eitle Beschönigung, die einige Menschen ihrem
Aberglauben zu gewähren pflegen. Sie bilden sich nämlich ein, es sei schon genug, wenn der Mensch
sich irgendwie um die Religion bemühe, auch wenn dieses Bemühen noch so unsinnig sei. Dabei
bedenken sie nicht, daß die wahre Religion dem Willen und Wink Gottes als einer unwandelbaren
Richtschnur angemessen sein muß! Denn Gott bleibt sich immer gleich. Er ist doch kein Gespenst,
kein Phantasiegebilde, das sich jeder nach eigenem Dünken gestalten könnte: Und es ist ja auch
augenfällig, mit was für lügnerischen Trugbildern der Aberglaube Gottes spottet, gerade wenn er
ihm am eifrigsten dienen will. Denn er nimmt das auf, woran Gott nach seinem eigenen Zeugnis gar
nichts liegt; was er aber verordnet hat und was ihm wohlgefällt, das verachtet er oder verwirft es
gar unzweideutig. Denn wer einen selbstersonnenen Gottesdienst einrichtet, der treibt Dienst und
Anbetung seines eigenen Hirngespinstes. Er würde nämlich gar nicht wagen, mit Gott auf solche
Weise Possen zu treiben, wenn er nicht zuvor einen Gott erdacht hätte, der seiner freventlichen
Narretei entspräche! Deshalb erklärt der Apostel eine solche schwankende und irrige Meinung von
Gott für Unkenntnis Gottes: "Zu der Zeit, da ihr Gott nicht erkanntet, dientet ihr denen, die
von Natur nicht Götter sind" (Gal. 4,8); oder an anderer Stelle sagt er von den Ephesern, sie
seien zu der Zeit, wo sie abseits von der rechten Gotteserkenntnis gelebt hätten, "ohne
Gott" gewesen (Eph. 2,12). Bei solchem Zustande verschlägt es nun wenig, ob man sich bloß
einen einzigen Gott erdichtet oder mehrere. Denn die Entfernung und der Abfall von Gott sind
Tatsache, und wenn man ihn verlassen hat, so bleibt nichts übrig als ein greuliches Götzenbild.
Wir können zum Schluß nur mit Lactantius feststellen: keine Religion ist die rechte, die nicht mit
der Wahrheit im Bunde steht.
I,4,4 Dazu kommt nun noch eine weitere Sünde: Man macht sich nur noch unter Zwang
Gedanken über Gott, sucht seine Nähe nur widerstrebend, genötigt. Und auch dann kommt es nicht zu
freiwilliger Gottesfurcht, wie sie die Achtung vor Gottes Majestät mit sich bringt, sondern bloß
zu knechtischer, erzwungener Angst vor Gottes Gericht: dem kann man nicht entgehen, erschrickt aber
vor ihm und will nichts mit ihm zu tun haben. So paßt auf die Gottlosigkeit, und auf diese allein,
der Ausspruch des Statius, die Furcht habe zuerst in der Welt Götter gemacht. Wer sein Herz von der
Gerechtigkeit Gottes abwendet, der weiß zwar, daß ein Gericht besteht, die Gesetzesübertretung zu
ahnden, aber er wünscht um so mehr, dies Gericht möchte zunichte werden. Das ist die Gesinnung,
aus der man gegen Gott Krieg führt, der doch ohne Gericht nicht sein kann. Da man aber doch
gewahrt, daß Gottes Macht unabwendbar droht – denn man kann sie nicht beiseiteschieben noch ihr
entlaufen! – , so gerät man vor ihr ins Zittern. Man möchte nun gewiß nicht den Anschein
erwecken, als ob man Gott verachte, dessen Majestät einen doch bedrängt, und deshalb verrichtet
man äußerlich allerlei religiöses Scheinwerk, hört aber unterdessen keineswegs auf,sich mit
allen Lastern zu beflecken, Schande auf Schande zu wälzen, bis man das heilige Gesetz des Herrn in
jeder Beziehung verletzt und seine Gerechtigkeit gänzlich aufgelöst hat. Jedenfalls bietet jene
vorgetäuschte Gottesfurcht keinerlei Hemmnis dagegen, daß man sich in seinen Sünden richtig
wohlfühlt, sich in ihnen gefällt und lieber der Zügellosigkeit des eigenen Fleisches sich
hingibt, als der Zucht des Heiligen Geistes zu gehorchen! Aber dies ist ja alles ein leerer und
verlogener Schein der Religion, kaum gar des Namens "Schein" würdig; und so kann man
gerade hier wiederum leicht wahrnehmen, wie sehr sich die Frömmigkeit, die allein im Herzen der
Gläubigen wohnt und aus der erst die wahre Religion geboren wird, von diesem wirren Wissen um Gott
unterscheidet. Und doch wollen solche Heuchler auf Schleichwegen erreichen, daß sie Gott, vor dem
sie doch auf der Flucht sind, nahe scheinen. Ihr ganzes Leben lang sollten sie ihm ohne Unterlaß
gehorsam sein; aber statt dessen trotzen sie ihm unerschrocken fast in all ihrem Tun und versuchen
ihn nur durch ein paar Opfer zu versöhnen! In Heiligkeit des Lebens und Reinheit des Herzens
sollten sie ihm dienen; aber statt dessen erdichten sie sich läppisches Possenzeug und nichtige
Dienstlein, mit denen sie sein Wohlgefallen erwerben möchten! Ja sie versenken sich um so kecker in
ihren Schlamm, weil sie wähnen, mit lächerlichen Bußübungen mit Gott ins reine zu kommen.
Endlich: all ihr Vertrauen sollten sie auf ihn richten, und statt dessen setzen sie ihn beiseite und
gründen ihr Vertrauen auf sich selbst oder die Kreaturen! Zum Schluß verwickeln sie sich dermaßen
in allerlei Irrtum, daß ihre finstere Bosheit jene Funken auslöscht und gar erstickt, die zur
Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes aufleuchteten. Und trotzdem lebt jener Keim, der auf keine Weise
gänzlich auszurotten ist, jene Ahnung, es sei irgendein göttliches Wesen. Aber dieser Keim ist
selbst so verderbt, daß er nur die schlechtesten Früchte erzeugt. So erweist sich nur desto klarer
die Richtigkeit meiner Behauptung, es sei von Natur dem Menschenherzen ein Empfinden von Gott
eingemeißelt. Erzwingt doch die Notwendigkeit auch von den Gottlosen deren Anerkennung! Im
ungestörten Glück spotten sie Gottes, sind Kläffer und Schwätzer, um seine Macht zu verkleinern.
Aber wenn die Verzweiflung sie quält, dann drängt sie sie, Gott zu suchen, und gibt ihnen
Stoßgebete ein – woraus dann deutlich wird, daß sie gar nicht gänzlich ohne Kunde von Gott
sind, daß sie aber in Bosheit unterdrückt haben, was längst in ihnen hätte emporkommen sollen!
Aus der Erschaffung und fortdauernden Regierung der Welt strahlt uns eine Kunde von
Gott entgegen.
I,5,1 Höchstes Ziel des seligen Lebens ist nun die Erkenntnis Gottes. Niemandem
sollte der Zugang zur Seligkeit verschlossen bleiben; deshalb hat Gott nicht nur dem Menschenherzen
das geschenkt, was wir den Keim der Religion nannten. Er hat sich auch derart im ganzen Bau der Welt
offenbart und tut es noch heute, daß die Menschen ihre Augen nicht aufmachen können, ohne ihn
notwendig zu erblicken. Sein Wesen zwar ist unbegreiflich, so daß seine Gottheit allem Verstehen
der Menschen völlig unerreichbar ist. Aber er hat den einzelnen Werken zuverlässige Kennzeichen
seiner Herrlichkeit eingeprägt, und diese sind so deutlich und eindrücklich, daß auch den
unkundigsten und unverständigsten Menschen jede Entschuldigung mit Unwissenheit unmöglich gemacht
ist. So ruft der Prophet mit vollem Rechte aus, Gott sei mit Licht wie mit einem Kleide angetan (Ps.
104,2), als wollte er sagen: Erst da fing er an, herrlich in sichtbarem Schmuck hervorzutreten, als
er in der Schöpfung der Welt seine herrlichen Kennzeichen offenbarte, in deren Schmuck er uns jetzt
erscheint, wohin wir auch unsere Augen wenden. An derselben Stelle vergleicht der Prophet sehr
treffend den ausgespannten Himmel mit Gottes Königszelt und sagt von ihm: "Er wölbt sein
Gemach in den Wassern, Wolken sind sein Gefährt, er reitet auf Flügeln des Windes, Winde und
Blitze sind seine schnellen Boten" (Ps. 104,3.4, etwas ungenau). Und weil in der Höhe der
Glanz seiner Macht und Weisheit am herrlichsten strahlt, so heißt der Himmel öfters sein Palast.
Überhaupt: wohin man die Augen blicken läßt, es ist ringsum kein Teilchen der Welt, in dem nicht
wenigstens irgendwelche Fünklein seiner Herrlichkeit zu sehen wären! Man kann dieses gewaltige,
wundervolle Gebäude, das ringsum daliegt, gar nicht mit einem Blick erschauen, ohne unter der
Gewalt dieses unermesslichen Glanzes zusammenzusinken. Deshalb nennt der Verfasser des
Hebräerbriefs die Welt sehr schön ein Sichtbarwerden der unsichtbaren Dinge (Hebr. 11,3); denn die
schöne Ordnung der Welt dient uns als Spiegel, in dem wir allenthalben den unsichtbaren Gott
erschauen können. Darum schreibt der Prophet (Ps. 19,1) den Himmelskörpern eine Sprache zu, die
keinem Volk unbekannt ist; denn da besteht eine allzudeutliche Bezeugung Gottes, als daß sie
irgendeinem Volke, und sei es auch das roheste, entgehen könnte. Und der Apostel drückt das noch
deutlicher aus, wenn er sagt, es sei den Menschen offenbart, was man von Gott wissen soll, denn sein
unsichtbares Wesen, ja seine ewige Kraft und Gottheit werde aus der Anschauung der Weltschöpfung
von jedermann ersehen (Röm. 1,19).
I,5,2 Im Himmel und auf Erden sind unzählige Zeugnisse, die seine wunderbare
Weisheit beweisen. Ich denke nicht bloß an verborgenere Dinge, deren näherer Erforschung die
Sternkunde, die Medizin und die gesamte Naturwissenschaft dient. Vielmehr habe ich solche Zeugnisse
im Auge, die sich dem Blick auch des Unkundigsten aufdrängen, so daß sich die Augen nicht auftun
können, ohne notwendig Zeugen dafür zu sein. Freilich: wer jene Wissenschaften recht in sich
aufgenommen oder auch bloß flüchtig kennengelernt hat, der kann mit ihrer Hilfe noch tiefer in die
Betrachtung der Geheimnisse göttlicher Weisheit eindringen. Aber wer sie nicht kennt, wird durch
solche Unkenntnis keineswegs gehindert, in Gottes Werken Kunst und Weisheit übrig genug zu sehen,
um dann zur Bewunderung des Schöpfers zu kommen. Es bedarf natürlich der Wissenschaft und genauer
Arbeit, um die Bewegungen, Stellungen, Entfernungen und Eigenschaften der Gestirne festzustellen;
und wie bei solcher Forschung Gottes Vorsehung klarer hervortritt, so ist es dabei auch um so mehr
angemessen, den Geistemporzurichten, um seine Herrlichkeit zu schauen. Aber auch der Ungebildete und
Unwissende, der nur Augen hat zu sehen, der muß ja die Größe göttlicher Kunst und Weisheit
erschauen, die sich ganz von selbst in der unendlichen Mannigfaltigkeit des Heeres der Himmel, die
doch so wohlgeordnet ist, ihm entgegenstellt. Da ist also niemand, dem der Herr seine Weisheit nicht
reichlich offenbarte! Ebenso erfordert es ausgezeichneten Scharfsinn, die innere Einheit, das
Ebenmaß, die Schönheit und die Aufgabe der Organe des menschlichen Körpers mit der Genauigkeit
eines Galenus festzustellen. Aber es stimmen alle Betrachter in dem Bekenntnis überein, daß der
menschliche Körper einen so sinnreichen Aufbau zeigt, daß der Schöpfer deswegen mit Recht
wunderbar genannt wird.
I,5,3 Nicht ohne Grund hat deshalb einst ein Philosoph den Menschen einen
"Mikrokosmos" (eine Welt im Kleinen) genannt, weil er ein ausnehmender Beweis der Macht,
Güte und Weisheit Gottes sei und unseren Geist mit soviel Wundern fesseln müßte, wenn wir nicht
zu träge zum Aufmerken wären. Aus diesem Grunde fügt Paulus der Feststellung, daß Gott auch von
Blinden zu greifen sei, alsbald hinzu, mau brauche ihn nicht in der Ferne zu suchen (Apg. 17,27),
weil doch jeder einzelne die himmlische Gnade, von der er lebt, innerlich ohne Zweifel empfindet.
Ist es aber, damit wir Gott ergreifen, gar nicht nötig, aus uns selbst hinauszugehen, wie soll dann
die Faulheit solcher Leute beschönigt werden, die sich nicht einmal die Mühe machen, in sich
selbst hineinzuschauen, um Gott zu suchen? Das ist der Grund, weshalb David, nachdem er in Kürze
Gottes herrlichen Namen und seine überall uns entgegenstrahlende Größe gepriesen hat, gleich
ausruft: "Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest?" (Ps. 8,5) und: "Aus dem Munde
der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet!" (Ps. 8,3). Damit spricht er
aus: es besteht nicht nur sonst im Menschengeschlecht ein klarer Spiegel der Werke Gottes, sondern
selbst die Kindlein, die an der Mutter Brust hängen, haben geschickte Zungen, seinen Ruhm zu
verkünden, so daß es anderer Redner nicht bedarf! So führt er ohne Zögern selbst der Kindlein
Mund in den Kampf, als sattsam gerüstet, um deren Unsinnigkeit zu bestreiten, die in ihrer
teuflischen Hoffart Gottes Namen auslöschen möchten! Daher auch jenes Wort, das Paulus aus Aratus
zitiert: "Wir sind seines Geschlechts" (Apg. 17,28); denn wenn Gott uns mit solchen
Vorzügen ziert, so hat er sich damit als unser Vater bezeugt. Aus dem allgemeinen Empfinden und
gleichsam auf Eingebung der Erfahrung haben so auch heidnische Dichter Gott den "Vater der
Menschen" genannt. Und es wird sich niemand Gott aus freien Stücken und willig in Gehorsam
unterwerfen, der nicht seine väterliche Liebe geschmeckt hat und dadurch gereizt wurde, ihn zu
lieben und ihm zu dienen.
I,5,4 Aber hier wird die schmähliche Undankbarkeit der Menschen offenbar. Eine
Werkstatt tragen sie in sich, mit unzähligen Werken Gottes geschmückt, eine Schatzkammer, erfüllt
mit unschätzbaren Gütern – aber anstatt nun in Lobpreis auszubrechen, blähen sie sich nur in um
so größerer Aufgeblasenheit und stemmen sich im Trotz! Sie fühlen, wie wunderbar Gott an ihnen
wirkt; welche Fülle von Gaben sie dank seiner Freigebigkeit besitzen, das lehrt sie die Erfahrung
selbst. Daß dies Zeichen der Gottheit sind, das müssen sie wohl oder übel erkennen – aber
innerlich kämpfen sie dagegen an. Es ist ja gar nicht nötig, daß sie aus sich hinausgehen. Nur
sollten sie sich nicht stolz selbst zuschreiben, was ihnen vom Himmel herab gegeben ist, und so in
der Erde vergraben, was ihrem Herzen zu klarer Erkenntnis Gottes vorleuchtet. Ja, heute trägt die
Erde viele wüste Geister, die sich nicht scheuen, den ganzen Samen der Gottheit, der in die
menschliche Natur gestreut worden ist, zur Vertilgung des Namens Gottes zu benutzen. Was für ein
fürchterlicher Wahnwitz ist es doch, wenn der Mensch, der in seinem Leib und seiner Seele
hundertfach Gott findet, eben diesen Vorzug als Anlaß nimmt, Gottes Dasein zu leugnen! Man wird
dabei nicht sagen, der Mensch unterscheide sich bloß durch Zufall von den unvernünftigen Tieren,
nur wird man alles unter dem Schleier der "Natur" verdecken: sie ist dann Schöpfer aller
Dinge – aber Gott wird seiner Schöpferherrlichkeit beraubt! Man sieht dieses ausgezeichnete
Kunstwerk in seinen einzelnen Gliedern – von Mund und Augen bis zu den Zehen. Aber auch hier setzt
man die "Natur" an die Stelle Gottes. Insbesondere zeigen die geschwinden Regungen der
Seele, ihre herrlichen Fähigkeiten, ihre einzigartigen Gaben Gottes Spuren schwer verkennbar an –
wenn nur nicht diese Epikuräer gleich Zyklopen gerade von dieser Höhe aus den Krieg wider Gott um
so heftiger führen wollten! Wirken aber alle Schätze der himmlischen Weisheit zusammen, um einen
Wurm von fünf Fuß Höhe zu regieren, soll dann das ganze Weltall dieses Vorzugs ermangeln? Da
behauptet man zunächst, es seien in der Seele organische Fähigkeiten vorhanden, die zur Wirkung in
den einzelnen Körperteilen diesen angepaßt wären – aber das vermag doch so wenig die
Herrlichkeit Gottes zu verfinstern, daß es sie geradezu Heller strahlen läßt! Epikur soll doch
einmal mitteilen, wie das Gemisch von Atomen wohl aussähe, das Speis und Trank verdauen könnte,
den einen Teil in den Kot, den anderen ins Blut übergehen ließe, oder das auch in den einzelnen
Gliedern eine so kräftige und zweckmäßige Wirkung erzielte, als ob ebensoviel Seelen (wie
Glieder) nach gemeinsamem Plan den Leib regierten!
I,5,5 Aber mit diesem Schweinestall habe ich hier nichts weiter zu schaffen. Lieber
will ich jetzt mit denen streiten, die in abwegiger Spitzfindigkeit jenen dürren Ausspruch des
Aristoteles gern so lange drehen und wenden möchten, bis er ihnen zur Leugnung der Unsterblichkeit
der Seele wie zur Bestreitung des Anrechts Gottes dienlich wäre. Da nämlich die Kräfte der Seele
organisch sind, so binden sie die Seele an den Leib, so daß sie ohne ihn nicht bestehen könnte.
Durch große Lobpreisungen der Natur unterdrücken sie dann, soviel sie vermögen, den Namen Gottes.
Aber es kann doch keine Rede davon sein, daß die Vermögen der Seele in den Wirkungsweisen, welche
dem Leibe dienen, sich erschöpften. Was hat denn der Körper damit zu tun, daß man den Himmel
mißt, die Gestirne zählt, ihre Größe feststellt, ihre Abstände erforscht, die größere oder
geringere Geschwindigkeit ihres Laufs beobachtet oder die Grade der Abweichungen von der Bahn
bestimmt? Ich gebe zu, daß die Sternkunde einen Nutzen hat. Hier will ich nur zeigen, daß in solch
schwieriger Erforschung der Himmelserscheinungen Körper und Seele nicht in einfacher Entsprechung
zueinander stehen, sondern daß die Wirkung der Seele vom Körper gesondert ist. Ich habe nur ein
einziges Beispiel gebracht, nach welchem sich leicht weitere bilden lassen. Die mannigfaltige
Beweglichkeit der Seele, mit der sie Himmel und Erde durchforscht, Vergangenes und Zukünftiges
verbindet, früher Vernommenes im Gedächtnis behält, sich vorstellt, was sie will, diese
Erfindungsgabe, mit der sie unglaubliche Dinge ausdenkt und die die Mutter so vieler wundersamer
Fertigkeiten ist – das alles sind sicherlich Spuren Gottes im Menschen. Was soll man dazu sagen,
daß sie selbst im Schlafe regsam und beweglich ist und gar noch viel nützliche Dinge erfindet,
über vieles nachdenkt, ja Künftiges erahnt? Kann man darauf eine andere Antwort finden, als daß
die Spuren der Unsterblichkeit, die dem Menschen eingeprägt sind, nicht zerstört werden können?
Wie sinnlos wäre es aber, wenn der Mensch selbst göttlich (divinus) wäre und doch seinen
Schöpfer nicht anerkennte? Wir sollten mit eigener Urteilskraft unterscheiden zwischen Recht und
Unrecht – und im Himmel sollte kein Richter sein? Uns sollte doch selbst im Schlafe ein Rest der
Denkkraft verbleiben – und kein Gott sollte über der Welt wachen und walten? Wir sollen als
Erfinder von soviel nützlichen Künsten und Dingen gelten – damit Gott seines Ruhmes beraubt
werde? Und dabei lehrt doch schon die Erfahrung, daß wir unseren Besitz auf ganz andere Art,
anderswoher empfangen! Was nun einige Leute über eine geheime Beseelung schwatzen, welche die ganze
Welt am Leben erhielte, das ist abgeschmackt und geradezu gottlos. Ihnen macht denn Vergils
berühmter Ausspruch Freude:
"Erst den Himmel umher und Land und weite Gefilde, Auch die leuchtende
Kugel des Monds und die strahlende Sonne Nährt von innen ein Geist; und ganz die Glieder
durchströmend Reget Seele das All, dem großen Leibe vereinigt. Dorther Menschengeschlecht und
Tiere und rasches Geflügel, Auch soviel Meerwunder, die wogende Tiefe durchtaumeln: Alle durchwebt
sie lebendige Kraft und himmlischer Ursprung." Bei solcher Denkweise soll die Welt, die doch
als Spiegel Gottes erschaffen ist, ihr eigener Schöpfer sein. Diese Anschauung, die sich bei
Griechen und Lateinern findet, hat Vergil auch noch an anderer Stelle ausgesprochen: "Daß in
den Bienen ein Teil göttlichen Geistes wohne und ätherischer Hauch. Denn die Gottheit gehe durch
alle Länder dahin und Räume des Meeres und Tiefen des Himmels. Schafe daher und Rinder, der Mensch
und des Wildes Geschlechter, Jedes bei seiner Geburt sich hole vom Hauche des Lebens. Siehe, auch
dorthin kehre dereinst, der Verwesung entronnen, Alles zurück, und nirgends sei Tod, es schwinge
sich lebend Unter die Zahl des Gestirns und leuchte am erhabenen Himmel."
Was soll nun aber dieses dürre Gedankenspiel von dem "allgemeinen Geiste"
(Weltseele), der die Welt beseelt und trägt, für Frucht tragen zur Entstehung und Erhaltung der
Frömmigkeit im Menschenherzen? Das kann man am besten aus den Frevelreden des schmutzigen Hundes
Lucretius ersehen, die diesem Ursprung entstammen! Es ist nichts anderes, als daß man sich einen
Schattengötzen macht, um nur ja den wahren Gott, den wir fürchten und dem wir dienen sollen,
möglichst gründlich loszuwerden. Ich gebe zu: man kann auch in rechter Gesinnung sagen, die
"Natur" sei Gott – wenn es nur aus einem frommen Herzen kommt. Aber es ist doch eine
undurchdachte und unangebrachte Redeweise; denn die Natur ist doch vielmehr die von Gott gesetzte
Ordnung, und deshalb ist es bei einer so wichtigen Sache, der doch besondere Ehrfurcht gebührt,
schädlich, wenn man Gott unklar mit dem ihm untergeordneten Geschehen in seinen Werken vermischt.
I,5,6 Wir wollen also, sooft wir unsere Natur betrachten, stets bedenken: es ist ein
einiger Gott, der alle Wesen mit der Absicht lenkt und leitet, daß wir auf ihn blicken, unser
Vertrauen auf ihn setzen, ihn ehren und ihn anrufen. Denn es ist nichts sinnloser, als die
herrlichen Gaben zu genießen, die in uns als Spuren der Gottheit vorhanden sind – und den
Schöpfer zu vergessen, der uns das alles aus Gnaden darreicht! Muß uns nicht seine Macht in ihren
herrlichen Erweisungen zu bewundernder Betrachtung hinreißen? Es kann uns doch nicht verborgen
bleiben, wie unermeßlich seine Kraft sein muß, wenn er es vermag, die unmeßbare Last Himmels und
der Erden mit seinem Wort zu tragen, durch einen bloßen Wink jetzt mit dem Krachen des Donners den
Himmel zu erschüttern, mit sengenden Blitzen die Luft zu erfüllen, jetzt die Wetter durcheinander
toben zu lassen und gleich darauf nach seinem Belieben plötzlich wieder alles aufzuheitern, das
Meer, das fortwährend mit seinen Wassermassen das Land zu überfluten droht, zusammenzuhalten, als
wäre es in der Luft aufgehängt, es bald im Sturmwind fürchterlich emporwallen zu lassen und bald
wieder die Wogen zu glätten und Ruhe zu schaffen. Hierher gehören in der Schrift die vielen
Lobpreise Gottes aus dem Zeugnis der Natur, vor allem im Buche Hiob und bei Jesaja. Ich übergehe
sie hier, weil sie weiter unten besser zur Geltung kommen, wenn ich auf Grund der Schrift von der
Weltschöpfung spreche. Hier wollte ich nur zeigen, wie die Fremden und die Hausgenossen Gottes auf
diesem gemeinsamenWege Gott suchen können: Es gilt nur, auf die Umrisse zu achten, die droben und
hienieden sein Antlitz lebendig andeuten. Schon seine Macht lehrt uns weiterhin seine Ewigkeit
bedenken. Denn der Ursprung aller Dinge muß ja notwendig ewig sein und in sich selber allein
gründen. Wenn man ferner fragt, was ihn denn veranlaßt hat, dies alles einst zu schaffen und heute
noch zu erhalten, so ist der Grund einzig in seiner Güte zu finden. Wäre das auch das einzige, so
müßte es schon mehr als hinreichend sein, uns zur Liebe zu reizen; gibt es doch nach dem Wort des
Propheten keine Kreatur, in die sich seine Barmherzigkeit nicht ausgegossen hätte! (Ps. 145,9).
I,5,7 Ebenso klare Erweisungen seiner Kraft und Güte treten uns auch noch bei einem
anderen Teil seiner Werke entgegen, nämlich bei denen, die sich außerhalb des gewöhnlichen Laufs
der Natur ereignen. Denn bei der Regierung des Menschengeschlechts bewährt er seine Vorsehung
dergestalt, daß er zwar gegen alle Menschen auf allerlei Weise gnädig und gütig ist, aber doch
durch tägliche und offenbare Zeichen den Frommen seine Barmherzigkeit, den Gottlosen und
Übertretern seine Strenge zu fühlen gibt. Unverborgen ist seine Vergeltung, mit der er das
Verbrechen ahndet. Ebenso erweist er sich deutlich als Schützer wie als Rächer der Unschuld;
krönt er doch das Leben der Frommen mit seinem Segen, hilft ihnen in der Not, lindert den Schmerz
und macht ihn mit seinem Trost erträglicher, erleichtert ihnen das Herz im Kummer und tut alles zu
ihrem Heil! An der ewigen Regel seiner Gerechtigkeit darf es uns auch nicht irremachen, daß er
Übertreter und Übeltäter eine Zeitlang ungestraft frohlocken, die Frommen aber unverdient im
Unglück liegen läßt oder gar zugibt, daß sie von den Gottlosen boshaft und ungerecht gepeinigt
werden. Hier ist vielmehr eine ganz andere Beurteilung erforderlich: wenn Gott ein einziges Laster
mit allen Kennzeichen seines Zorns straft, so trifft sein Haß alle miteinander, und wenn er manches
ungestraft durchgehen läßt, so steht doch ein anderes Gericht bevor, auf das er die Bestrafung
verschiebt. Wieviel Anlaß gibt er uns aber auch, seine Barmherzigkeit zu bedenken, wenn er öfters
elende Sünder trotz allem mit unermüdlicher Güte verfolgt, bis er ihre Bosheit dadurch gebrochen
hat, daß er ihnen immer wieder wohltut und sie mit mehr als väterlicher Langmut zu sich
zurückruft!
I,5,8 So zählt der Prophet (Ps. 107) auf, wie oft Gott in verzweifelter Lage
unerwartet, wunderbar, gegen alle Hoffnung unglücklichen und fast verlorenen Leuten Hilfe verleiht,
wie er Wüstenwanderer vor den wilden Tieren bewahrt und sie auf den rechten Weg zurückbringt,
Darbenden und Hungernden Nahrung schenkt, Gefangene aus finsterem Gelaß und eisernen Ketten in die
Freiheit führt, Schiffbrüchige unversehrt in den Hafen bringt, Halbtote aus Krankheit erlöst,
wiederum Länder mit Hitze und Trockenheit ausdörrt, andere wieder mit gnädigem Regen wunderbar
erquickt, die Verachtetsten aus dem Volke erhebt und die Vornehmen aus ihrer Würde verstößt. An
solchen Beispielen zeigt er auf: was zufälliges Schicksal zu sein scheint, das ist alles Zeichen
himmlischer Vorsehung, insbesondere aber väterlicher Güte. Und er läßt uns merken, wie die
Frommen hier allen Anlaß zur Freude haben, den Gottlosen und Übeltätern aber das Maul gestopft
wird (V. 42). Aber weil der größere Teil der Menschheit in seine Irrtümer verstrickt ist und
solchem erhabenen Schauspiel blind gegenübersteht, so ruft der Prophet aus, es sei eine seltene und
besondere Weisheit, solche Werke Gottes klüglich zu bedenken (V. 43), deren Anschauen selbst denen
nichts nützt, die sonst die Klarblickendsten zu sein scheinen. Und es ist ja auch so: Gottes
Herrlichkeit mag noch so hell erstrahlen – ist es doch unter hundert kaum einer, der sie recht
erkennt! Ebensowenig bleibt Gottes Macht und Weisheit verborgen. Seine Macht kommt klar zum
Vorschein, wenn der Übermut der Gottlosen, der allen Leuten unüberwindlich scheint, mit einem
Schlage zu Boden geworfen wird, wenn ihre Hoffart gedemütigt wird, ihre sichersten Trutzfesten
zerbrochen, ihre Waffen und Geschosse zertrümmert, ihre Kräfte zunichte gemacht, ihre Anschläge
vereitelt werden und unter der eigenen Last zu Boden stürzen, wenn ihre Vermessenheit, die sich bis
über den Himmel erhob, nun ins Innerste der Erde hinabgeworfen wird, wenn anderseits die Niedrigen
aus dem Staube erhöht und die Armen aus dem Kot emporgehoben werden (Ps. 113,7), wenn die
Bedrängten und Unterdrückten aus der äußersten Angst gerissen, Verzweifelnde zur Hoffnung
erhoben werden, wenn Wehrlose über Gewappnete, wenige über viele, Schwache über Starke den Sieg
davontragen! Seine Weisheit wird daran offenkundig, daß er alles zum Besten lenkt, die
Spitzfindigkeit der Welt zuschanden macht, die Klugen in ihrer Klugheit erhascht (1. Kor. 3,19),
kurz, alles aufs beste regieret.
I,5,9 Es bedarf, wie wir sahen, keiner umständlichen Beweisführung, um all die
Zeugnisse aufzuzeigen, die Gottes Majestät hell ans Licht bringen. Aus dem wenigen, das wir
betrachtet haben, ergab sich ja schon allenthalben, daß sie uns dermaßen klar entgegentreten und
in die Augen fallen, daß man sie leicht erblicken, ja mit Fingern auf sie weisen kann. Hier muß
nun wieder darauf hingewiesen werden: wir sind zu einem solchen Wissen um Gott berufen, das nicht,
mit eitlem Gedankenspiel zufrieden, bloß im Gehirn herumflattert, sondern das bleibend und
fruchtbringend sein soll, wo es nur recht von uns aufgenommen wird und Wurzel im Herzen schlägt.
Denn Gott offenbart sich in seinen Kräften, und weil wir deren Gewalt an uns verspüren und seine
Wohltaten genießen, so werden wir durch solche Erkenntnis notwendig viel tiefer ergriffen, als wenn
wir uns einen Gott einbildeten, von dem keine Empfindung zu uns gelangte! So sehen wir, wie man Gott
in rechter Weise suchen soll: Nicht sollen wir in vermessener Neugier den zudringlichen Versuch
machen, sein "Sein" und "Wesen" zu erforschen, das wir anbeten, nicht aber
ergrübeln sollen. Nein, wir sollen ihn in seinen Werken anschauen, in denen er uns nahe kommt, sich
uns vertraut macht und gewissermaßen mitteilt. Das hatte der Apostel im Auge, als er sagte, er sei
nicht ferne zu suchen, da er doch durch gegenwärtigste Kraft in jeglichem unter uns wohnt (Apg.
17,27). So muß auch David bekennen, daß Gottes Größe unaussprechlich ist. Kurz darauf aber kommt
er auf Gottes Werke zu sprechen, und da kann er sich dann doch vorsetzen, des Herrn Größe zu
verkünden (Ps. 145,3.5). So sollen auch wir Gott so zu erforschen suchen, daß wir mit unserem
Verstand zur Bewunderung seiner Herrlichkeit kommen – dann wird auch unser Herz gewaltig bewegt!
So lehrt es auch Augustin: da wir ihn nicht fassen können, weil er uns zu groß ist, so sollen wir
auf seine Werke schauen, um von seiner Güte erquickt zu werden.
I,5,10 Ein solches Wissen um Gott muß uns zur Verehrung Gottes reizen und zugleich
auch die Hoffnung auf ein ewiges Leben in uns erwecken und aufrichten. Kann es uns doch nicht
entgehen, daß die Zeichen, die uns der Herr von seiner Gnade wie von seiner Strenge gibt, nur
Beginn und Anfang sind. Sie sind eben ohne Zweifel bloß als Vorspiel zu größeren zu betrachten,
deren Offenbarung und volle Enthüllung auf ein anderes Leben verschoben ist. Wir sehen ja auch auf
der anderen Seite, wie die Frommen von den Gottlosen gedrückt, gekränkt, verlästert und mit
Schande und Schmach überschüttet werden, während die Übeltäter blühen und gedeihen, Ruhe und
Ehre genießen, ungestraft! Es muß also ein anderes Leben geben, in welchem das Unrecht Vergeltung
und die Gerechtigkeit ihren Lohn findet. Wenn wir dazu noch beachten, wie oftmals die Gerechten mit
des Herrn Ruten geschlagen werden, so ist mit Gewißheit zu folgern, daß noch viel weniger die
Gottlosen einst seiner Geißel entgehen werden. Augustin macht die feine Bemerkung: "Wenn jetzt
jede Sünde mit offenbarer Strafe geahndet würde, so sollte man meinen, es bliebe dem letzten
Gericht nichts mehr übrig. Wenn Gott jetzt anderseits keine Sünde öffentlich bestrafte, so
könnte man glauben, es gäbe keine göttliche Vorsehung" (Vom Gottesstaat, I,8). Wir müssen
also gestehen, daß in allen Werken Gottes, zumal wenn man sie in ihrer Gesamtheit faßt, wie in
einem Gemälde Gottes Kraft undGüte abgebildet ist. Dadurch sollen wir alle zu seiner Erkenntnis
und von da aus wiederum zu wahrem und völligem Glück eingeladen und gereizt werden. So leuchtend
sie nun aber auch vor uns stehen – wir werden erst dann verstehen, wozu sie letztlich bestimmt
sind, wie groß ihre Kraft ist und wozu wir sie betrachten sollen, wenn wir in uns selbst gehen und
zusehen, auf wievielerlei Weise der Herr in uns sein Leben, seine Weisheit, seine Kraft zur Geltung
bringt, wie er an uns seine Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit erweist. Gewiß beklagt David
mit Recht, daß die Ungläubigen töricht handeln, weil sie die unerforschlichen Ratschlüsse Gottes
in der Regierung des Menschengeschlechts nicht beachten (Ps. 92,7). Aber es bleibt doch auch erst
recht wahr, wenn er an anderer Stelle sagt, Gottes wundersame Weisheit in diesem Stück sei
unzählbarer als die Haare auf unserem Haupte (vgl. Ps. 40,13). Aber über dieses Stück muß
entsprechend der Ordnung noch später ausführlicher gesprochen werden. Ich will es daher hier
verlassen (vgl. Kap. 16,6-9).
I,5,11 Jedoch wie hell und klar uns auch der Herr sich selbst und sein ewiges Reich
im Spiegel seiner Werke vor Augen stellt – wir bleiben doch in unserem großen Stumpfsinn stets
blind gegen so deutliche Bezeugungen, so daß sie in uns ohne Frucht bleiben! Denn was die
Schöpfung und die feine Ordnung der Welt anlangt – wer unter uns denkt denn wirklich, wenn er die
Augen zum Himmel erhebt oder auf Erden umherschweifen läßt, in seinem Herzen an den Schöpfer? Wer
bleibt nicht vielmehr bei der Betrachtung der Werke stehen und vergißt den Wirker? Und was jene
anderen Werke anlangt, die außerhalb des geordneten Naturlaufs alle Tage geschehen – wer denkt
nicht, die Menschen würden vom blinden Ungefähr des Glücks gedreht und umgetrieben, und nicht
eben von Gottes Vorsehung geleitet? Wenn wir aber je durch Handweisung und Anleitung solcher
Geschehnisse zur Betrachtung Gottes kommen – was bei allen notwendig eintritt – , so versinken
wir doch, wenn wir kaum flüchtig ein Empfinden für etwas wie die Gottheit haben, in die Raserei
und die bösen Gedanken unseres Fleisches und verderben mit unserer Eitelkeit die reine Wahrheit
Gottes. Nur darin find wir ungleich untereinander, daß jeder sich für seine eigene Person seinen
eigenen Irrtum erschafft. Aber darin sind wir alle miteinander völlig gleich, daß wir alle von dem
einen wahren Gott abgefallen sind und uns wunderlichen Kindereien zugewendet haben! Das ist nicht
nur die Krankheit ungebildeter und stumpfsinniger Menschen, sondern auch die bedeutendsten und sonst
mit einzigartigem Scharfsinn begabten Geister sind ihr verfallen. Wie reichlich hat hierin das ganze
Volk der Philosophen seine Torheit und Abgeschmacktheit an den Tag gelegt! Selbst Platon, der
frömmste und besonnenste von allen – wir wollen andere schonen, die noch größere
Sinnlosigkeiten ausgedacht haben! – , selbst er versteigt sich in den Gedanken von der Kugelgestalt
des All (in der die göttliche "Idee" sich auswirkt). Was soll dann erst aus den anderen
werden, wenn selbst solche, die am ansehnlichsten sind und anderen voranleuchten sollten, derart
phantasieren und stolpern! Doch weiter: die Regierung der menschlichen Geschicke zeigt Gottes
Vorsehung zu klar, als daß man sie leugnen könnte – aber es kommt doch nicht mehr dabei heraus,
als daß man glaubt, es werde vom blinden Schicksal alles droben und hienieden gelenkt: so groß ist
unser Hang zu Eitelkeit und Irrtum. Dabei rede ich stets bloß von den Vorzüglichsten, nicht von
jenen unbedeutenden Geistern, deren Wahnwitz zur Entweihung der göttlichen Wahrheit ins Ungemessene
geht.
I,5,12 Daher kommt auch der ungeheure Schlamm von Irrtümern, der die ganze Welt
bedeckt und erfüllt. Denn einem jeglichen ist sein Verstand wie ein Labyrinth, und es ist deshalb
kein Wunder, daß die einzelnen Völker je in ihre besonderen Irrtümer verfallen sind, ja daß es
dabei nicht bleibt, sondern gar einzelne Menschen sich ihre eigenen Götter gemacht haben. Es
gesellte sich ja zur Unwissenheit und Verfinsterung die Keckheit und der Mutwille, und deshalb ist
kaum einer zu finden, der sich nicht anStelle Gottes ein Götzenbild oder ein Gespenst gemacht
hätte! Wie aus einer großen und weiten Quelle die Wasser hervorbrechen, so fließt auch die
unmeßbare Menge der Götter aus dem Menschenherzen hervor, indem jeder in seiner Ausschweifung bald
dies, bald jenes Gott freventlich andichtet. Trotzdem ist es hier überflüssig, all die Torheiten
aufzuzählen, deren die Welt voll ist. Es wäre ja doch an kein Ende zu kommen, und es ist ja bei
soviel Verderbnis auch ohne Worte die Blindheit des Menschenherzens in ihrer ganzen Furchtbarkeit
deutlich. Dabei übergehe ich die ungebildeten und ungelehrten Leute. Aber was für eine
beschämende Verwirrung herrscht selbst unter den Philosophen, die sich mit ihrer Weisheit und
Vernunft bis in den Himmel zu schwingen unterstanden! Je mehr Verstand einer besaß, je mehr ihn
Kunst und Wissenschaft gebildet hatten, desto mehr wußte er mit schönen Farben seine Meinung
auszuschmücken. Sieht man sich aber all diese Farben an, so sind sie bloß Schminke, ohne Bestand.
Die Stoiker kamen sich scharfsinnig vor mit ihrer Auffassung, man könnte aus den einzelnen Teilen
der Natur verschiedene Namen Gottes herauslesen, und Gottes Einheit würde dadurch doch nicht
zerrissen! Als ob wir nicht ohnehin übrig genug zum Wahn geneigt wären und es noch einer Menge
Götter bedürfte, um uns tiefer in den Irrtum zu verflechten! Auch die Geheimtheologie der Ägypter
zeigt, wie sie sich alle die größte Mühe geben, um den Anschein zu vermeiden, als ob sie ohne
Grund unsinnig wären! Gewiß möchte manches den Einfältigen und Gedankenlosen auf den ersten
Blick wahrscheinlich vorkommen und sie täuschen. Aber kein Sterblicher hat je etwas ausgedacht,
wodurch die Verehrung Gottes nicht schändlich verderbt worden wäre. Dieses verwirrte Durcheinander
der Meinungen gab dann den Epikuräern und anderen groben Verächtern der Religion willkommenen
Anlaß, jedes Gefühl für Gott frech von sich zu werfen. Sie gewahrten, wie alle, auch die
klügsten, zu völlig entgegengesetzten Meinungen kamen, und so zogen sie aus deren Streitereien und
auch aus der leichtsinnigen und abgeschmackten Lehre jedes einzelnen alsbald den Schluß, der Mensch
bereite sich nur unnütze Qual, wenn er sich auf die Suche nach Gott begebe, der doch gar nicht
existiere. Und sie glaubten das auch ungestraft tun zu können, weil es doch besser sei, Gottes
Dasein kurzerhand zu leugnen, als sich ungewisse Götter auszudenken und sich damit in endlose
Zankerei zu verwickeln. Aber diese Leute urteilen doch reichlich töricht, ja vielmehr: sie suchen
ihre Gottlosigkeit mit dem Hinweis auf die menschliche Unwissenheit zu vernebeln – wo doch Gott
durch solche Unwissenheit wahrhaftig nichts abgehen darf! Wenn man allgemein zugibt, daß die
Gelehrten wie die Ungelehrten über nichts mehr im Zwiespalt sind als über diese Fragen, so ziehen
wir daraus den Schluß: des Menschen Geist, der beim Suchen Gottes derart in die Irre gerät, ist
den göttlichen Geheimnissen gegenüber mehr als schwachsichtig und blind! Freilich lobt man die
Antwort, die Simonides dem Tyrannen Hiero gab. Als dieser ihn fragte, was Gott sei, da erbat er sich
zuerst einen Tag Zeit zum Nachdenken. Als am anderen Tag der Tyrann seine Frage wiederholte, da
erbat er sich zwei Tage, und so mit jedem weiteren Tag stets die doppelte Anzahl Tage als Zeit zum
Überlegen. Schließlich gab er dann doch eine Antwort: "Je länger ich über diese Frage
nachdenke, desto dunkler erscheint sie mir." Es war klug gehandelt, daß der Mann die Antwort
auf eine ihm selbst dunkle Frage aufschob. Aber es wird eben dies deutlich dabei: wenn der Mensch
bloß seiner natürlichen Erkenntnis folgt, so kommt nichts Gewisses, nichts Festes, nichts
Deutliches dabei heraus, sondern er ist in verworrenen Begriffen befangen, so daß er einen
unbekannten Gott anbetet.
I,5,13 Hierbei müssen wir nun auch festhalten, daß alle die, welche die reine
Gottesverehrung (religio) verfälschen – und das widerfährt notwendig allen, die ihrer eigenen
Meinung folgen! – von Gott abfallen. Sie werden einwerfen, ganz etwas anderes zu wollen. Aber was
sie beabsichtigen und was sie im Sinn haben, das tut nicht viel zur Sache; denn der Heilige Geist
erklärt alle für Abtrünnige, die in der Verfinsterung ihres Herzens Götzen (Dämonen) an Gottes
Stelle setzen. Deshalb erklärt Paulus, die Epheser seien ohne Gott gewesen, bis sie aus dem
Evangelium gelernt hätten, was es hieße, den wahren Gott zu verehren (Eph. 2,12). Dies kann man
aber nicht auf ein einziges Volk beschränken; denn an anderer Stelle spricht der Apostel ganz
allgemein das Urteil aus, alle Menschen seien eitel geworden in ihren Gedanken (Röm. 1,21), nachdem
ihnen doch des Schöpfers Majestät in der Schöpfung der Welt offenbart sei! Um dem wahren und
einzigen Gott Raum zu geben, beschuldigt die Heilige Schrift alles, was sonst als Gottheit unter den
Völkern verehrt wurde, der Falschheit und Lüge, und dabei bleibt keine Gottheit übrig als allein
der Gott, der auf dem Berge Zion angebetet wurde, wo eine einzigartige Erkenntnis Gottes wohnte
(Hab. 2,18.20). So scheinen zu Christi Zeit unter den Heiden vor allem die Samariter ganz nahe an
die wahre Frömmigkeit herangekommen zu sein, und doch hören wir aus Christi Munde, sie wüßten
nicht, was sie anbeteten (Joh. 4,22). Also waren auch sie von eitlem Irrtum getäuscht. Obwohl nicht
alle Menschen in die schrecklichsten Laster verfallen oder dem offenbaren Götzendienst ergeben
waren, so hat es doch nie eine reine und bewährte Religion gegeben, die bloß auf die allgemeine
Einsicht (communis sensus) gegründet gewesen wäre. Mögen auch einige an dem Wahnwitz der Menge
unbeteiligt gewesen sein – es bleibt doch die Lehre des Paulus bestehen, daß die Obersten dieser
Welt die Weisheit Gottes nicht erkannt haben (1. Kor. 2,8). Wenn gar die Vortrefflichsten derart im
Finstern getappt haben – was soll man dann erst von den Ungelehrten und Unklugen sagen? Deshalb
kann es nicht wundernehmen, daß der Heilige Geist alle vom menschlichen Wollen erdachten
Religionsübungen als entartet verwirft. Denn gegenüber den himmlischen Geheimnissen ist die vom
Menschen ausgehende Meinung, auch wenn sie nicht immer eine Menge von Irrtümern gebiert, doch die
Mutter des Irrtums. Und wenn auch nichts Schlimmeres dazukommt, so ist es schon ein nicht geringer
Fehler, aufs Geratewohl einen unbekannten Gott anzubeten – und das tun nach Christi Wort (Joh.
4,22) alle, die nicht aus dem Gesetze wissen, welcher Gott wirklich zu verehren ist! Selbst die
besten Gesetzgeber wollten nicht mehr, als daß die Religion in der Gesamtmeinung des Volkes sich
begründe. Ja, selbst Sokrates lobt bei Xenophon das Orakel des Apollo, es solle jeder nach
väterlicher Weise und dem Brauch seiner Heimatstadt die Götter anbeten! Woher haben denn
sterbliche Menschen das Recht, mit ihrer Autorität festzulegen, was doch höher ist als alle Welt?
Und wer kann sich bei den Satzungen der Vorfahren oder der Meinung des Volkes derart beruhigen, daß
er ohne Bedenken einen ihm menschlicherweise überlieferten Gott annimmt? Es wird doch ein jeder
lieber nach dem eigenen Urteil verfahren, als sich fremder Willkür zu unterwerfen! Weil es also ein
allzu schwaches und gebrechliches Band der Religion ist, der Gewohnheit der Stadt oder der alten
Überlieferung in Sachen der Verehrung Gottes zu folgen, so bleibt nur übrig, daß Gott selber vom
Himmel her über sich Zeugnis gebe.
I,5,14 All die brennenden Fackeln im Gebäu der Welt, bestellt zur Verherrlichung
des Schöpfers, leuchten uns also vergebens, von allen Seiten überstrahlen sie uns mit ihrem Licht
– und können uns aus sich doch nicht auf den rechten Weg führen! Gewiß erwecken sie einige
Fünklein. Aber die sind schon erloschen, ehe sie stärkeren Schein geben könnten. Deshalb fügt
der Apostel an derselben Stelle, wo er die Welt das Sichtbarwerden der unsichtbaren Dinge nennt,
hinzu: "Durch den Glauben erkennen wir, daß die Welt durch Gottes Wort fertig ist" (Hebr.
11,3). Dadurch zeigt er an: die unsichtbare Gottheit wird zwar durch solche sichtbaren Dinge zur
Schau gestellt, aber uns fehlen die Augen, sie zu sehen, wenn wir nicht durch Gottes innere
Offenbarung erleuchtet werden. Auch Paulus meint, wenn er sagt, es sei aus der Schöpfung der Welt
offenbar, was man von Gott wissen kann (Röm. 1,19), nicht etwa eine Offenbarung, die durch
Menschenscharfsinn erfaßt werden könnte. Er zeigtvielmehr, daß sie nicht mehr erreicht, als daß
wir ohne Entschuldigung sind. Und wenn er an der einen Stelle sagt, Gott sei nicht in der Ferne zu
suchen, da er ja in uns wohne (Apg. 17,27), so zeigt er doch an der anderen, was es mit solcher
Gegenwart Gottes für eine Bewandtnis hat. "Er hat in den vergangenen Zeiten lassen alle Heiden
ihre eigenen Wege wandeln; und doch hat er sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat uns viel Gutes
getan und vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, unsre Herzen mit Speise und Freude
erfüllt" (Apg. 14,16.17). So sind Gottes Zeugnisse immer vorhanden, indem er die Menschen mit
reicher und mannigfaltiger Güte freundlich zu seiner Erkenntnis reizt. Aber die Menschen hören
deshalb nicht auf, ihren eigenen Wegen, ihren verderblichen Irrtümern zu folgen.
I,5,15 Obgleich wir nun von Natur nicht die Fähigkeit haben, zur reinen und
lauteren Erkenntnis Gottes zu gelangen, so ist dies Unvermögen doch unser eigener Fehler, und
deshalb ist uns alle Entschuldigung abgeschnitten, wir können nicht Unwissenheit vorschützen; denn
unser Gewissen selbst überführt uns stets unserer Trägheit und Undankbarkeit. Das wäre wahrlich
eine feine Entschuldigung, wenn der Mensch behaupten wollte, ihm fehlte das Ohr, um die Wahrheit zu
vernehmen – welche doch die stumme Kreatur mit mehr denn helltönenden Stimmen verkündet, wenn er
einwenden wollte, er könne nicht mit Augen sehen – was doch alle Kreatur, ohne selbst sehen zu
können, so deutlich zeigt, wenn er sich mit Schwachheit seines Geistes entschuldigen wollte, wo
alle vernunftlosen Geschöpfe als Lehrer auftreten! Wir haben wirklich nicht das mindeste Recht zur
Entschuldigung, wenn wir irrend und schweifend das Ziel verfehlen – wo doch alles den rechten Weg
zeigt! Freilich, so sehr es Schuld des Menschen ist, wenn er das Samenkorn des Wissens um Gott, wie
es durch den wundersamen Bau der Natur in ihm gesät ist, so bald verdirbt, daß es nicht zu rechter
und lauterer Frucht kommen kann, so ist es doch auch andererseits richtig, daß wir durch jene
bloße und schlichte Bezeugung, welche Gottes Majestät von Seiten der Kreatur so reichlich
erfährt, niemals ausreichend unterwiesen werden. Denn kaum haben wir aus der Betrachtung der Welt
einigermaßen ein Empfinden für die Gottheit erlangt, da verlassen wir den wahren Gott und setzen
an seine Statt die Träume und Gespinste unseres eigenen Hirns und leiten das Lob der Gerechtigkeit,
Weisheit, Güte und Macht von der eigentlichen Quelle ab – bald dahin, bald dorthin! Alle Tage tut
Gott sein Werk – aber wir verdunkeln oder verdrehen es durch unbilliges Urteil und rauben so dem
Werk seine Ehre und dem Wirker den gebührenden Lobpreis.
Wer zu Gott, dem Schöpfer, gelangen will, der muß die Schrift zum Leiter und
Lehrer haben.
I,6,1 Gewiß verliert also die menschliche Undankbarkeit jede Möglichkeit der
Entschuldigung um des Glanzes willen, der im Himmel und auf Erden in aller Augen fällt – wie denn
Gott, um alle Menschen gleichermaßen schuldig zu machen, allen ohne Ausnahme die Umrisse seines
Wesens in der Kreatur vor Augen stellt. Aber es bedarf eines anderen und besseren Mittels, das uns
zuverlässig zum Schöpfer der Welt selber weise. Deshalb hat Gott mit gutem Grunde das Licht seines
Wortes hinzugegeben, um sich uns dadurch zu unserem Heil kundzumachen. Dieses Vorzugs hat er
diejenigen gewürdigt, die er in seine nähere und vertrautere Gemeinschaft ziehen wollte. Aller
Menschen Gemüter sah er durch schweifende und unbeständige Gedanken umgetrieben. Als er nun die
Israeliten zu seiner besonderen Herde erwählt hatte, da umgab er sie deshalb mit Schranken, damit
sie nicht nach der Weise der andern in Eitelkeit verfielen. Aus demselben guten Grunde setzt er auch
uns Schranken, um uns bei der reinen Gotteserkenntnis zu halten; wie bald würden sich sonst auch
die verlaufen, welche fester zu stehen scheinen als andere! Denn so wie alte Leute, Schwachsichtige
und Augenkranke, wenn man ihnen auch den schönsten Band vor die Augen hält, zwar merken, daß da
etwas geschrieben steht, aber kaum zwei Worte zusammensetzen können, dann aber mit Hilfe einer
Brille deutlich zu lesen anfangen – so bringt die Schrift unser sonst so verworrenes Wissen um
Gott in die richtige Ordnung, zerstreut das Dunkel und zeigt uns deutlich den wahren Gott. Das ist
gewißlich ein einzigartiges Geschenk Gottes: er braucht zur Unterweisung seiner Kirche nicht bloß
stumme Lehrmeister, sondern öffnet selbst seinen heiligen Mund! Und dabei gibt er nicht bloß die
Anweisung, es sei irgendein Gott zu verehren, sondern er zeigt sich selbst als den, der verehrt
werden will! Er lehrt seine Auserwählten nicht nur, auf Gott zu schauen, nein, er tritt ihnen
selbst gegenüber als der, auf den sie schauen sollen! Diese Ordnung hat er von Anfang an in seiner
Kirche gehalten, daß er neben jener allgemeinen Bezeugung (praeter communia illa documenta) auch
sein Wort gegeben hat, das ein klareres und gewisseres Mittel ist, ihn zu erkennen. Durch dies
Mittel sind ohne Zweifel Adam, Noah, Abraham und die anderen Väter zu vertrauter Gotteserkenntnis
gelangt, die sie von den Ungläubigen unterschied. Dabei rede ich noch nicht von der eigentlichen
Lehre des Glaubens, die in ihnen die Hoffnung auf ein ewiges Leben aufleuchten ließ. Um nämlich
vom Tode zum Leben durchzudringen, war nicht nur die Erkenntnis Gottes als des Schöpfers
erforderlich, sondern auch die des Erlösers, und beides wurde ihnen offenbar durch das Wort zuteil.
Denn nach der Ordnung ging jene (Weise der) Erkenntnis voran, welche die Gewißheit schenkte, wer
denn eigentlich jener Gott sei, der die Welt geschaffen hat und noch regiert. Dann folgt jene
andere, innerliche Erkenntnis, die allein tote Seelen lebendig macht, nämlich daß Gott nicht
allein der Schöpfer der Welt ist und der einzige Urheber und Richter alles Geschehens, sondern auch
der Erlöser in der Person des Mittlers. Da wir indessen vom Fall der Welt und der Verderbnis der
Natur noch nicht gesprochen haben, so muß ich mir hier auch versagen, von dem dafür verordneten
Heilmittel zu reden. Der Leser möge also im Auge behalten, daß ich noch nicht von dem Bund handle,
in dem Gott die Söhne Abrahams als seine Kinder annahm, und von jenem Teil der Lehre, der stets den
eigentlichen Unterschied zwischen den Gläubigen und den ungläubigen Heiden ausmachte. Denn dieser
Teil war in Christus begründet. Hier ist nur davon die Rede, wie wir aus der Schrift lernen sollen,
daß Gott, der der Schöpfer der Welt ist, sich durch klare Kennzeichen von dem ganzen ersonnenen
Götterschwarm unterscheidet. Die Reihenfolge der Darstellung führt uns dann von selbst zur Lehre
von der Erlösung hinüber. Müssen wir nun auch viele Zeugnisse aus dem Neuen Testament anführen,
auch andere aus dem Gesetz und den Propheten, die doch auch deutlich von Christus Erwähnung tun:
sie alle haben den Zweck, zu zeigen, daß sich Gott als Schöpfer der Welt in der Schrift offenbart,
und daß uns darin dargelegt wird, was man von ihm zu denken hat, damit wir nicht auf unseren
Irrwegen irgendeine Gottheit suchen.
I,6,2 Ob sich nun Gott den Vätern durch Orakel und Gesichte kundgetan oder ihnen
durch Vermittlung und Dienst von Menschen mitgeteilt hat, was sie den Nachfahren überliefern
sollten – auf keinen Fall läßt sich bezweifeln, daß in ihr Herz die Lehre mit solch
unerschütterlicher Gewißheit eingegraben war, daß sie fest überzeugt waren und klar sahen: was
sie erfahren hatten, das kam von Gott. Denn Gott hat zu allen Zeiten seinem Wort eine unzweifelhafte
Glaubwürdigkeit verliehen, die über alles menschliche Denken hinausgeht. Damit dann ferner die
Wahrheit der Lehre durch alle Jahrhunderte in dauerndem Fortschreiten erhalten bliebe, wollte Gott,
daß die nämlichen Offenbarungsworte (oracula), die er den Vätern geschenkt hatte, sozusagen auf
öffentlich ausgestellten Tafeln aufgezeichnet würden. Aus solchem Ratschluß hat Gott das Gesetz
gegeben, dem dann später als Ausleger die Propheten beigegeben wurden. Nun gab es zwar eine
vielfältige Anwendung des Gesetzes (multiplex legis usus), wie wir später noch näher sehen
werden. Aber Mose und alle Propheten hatten doch vor allem die Absicht, die Art der Versöhnung
zwischen Gott und dem Menschen zu lehren – deshalb nennt ja auch Paulus Christus des Gesetzes Ende
(Röm. 10,4). Trotzdem wiederhole ich hier: außer der eigentlichen Lehre von Glaube und Buße
(Bekehrung), die uns Christum als Mittler vor die Augen stellt, beschreibt und ziert die Schrift den
einen und wahren Gott, wie er die Welt geschaffen hat und noch regiert, mit sicheren Hinweisen und
Zeichen, um alle Vermischung mit dem falschen Götzenschwarm zu verhindern. So sehr also der Mensch
seine Augen der Betrachtung von Gottes Werken zuwenden soll – denn in diesem wunderherrlichen
Schauspiel hat er ja seinen Platz als Zuschauer – , so soll er doch vor allem das Wort Gottes zu
Ohren nehmen, um zu besserer Erkenntnis zu gelangen. Man darf sich nicht wundern, daß die Menschen,
die in der Finsternis geboren sind, mehr und mehr in Unempfänglichkeit sich verhärten. Denn nur
ganz wenige werden zu gelehrigen Schülern des Wortes Gottes und bleiben so in den gesetzten
Schranken; die meisten gehen vielmehr hochmütig in ihren eitlen Einbildungen einher. Soll uns aber
der Strahl wahrer Religion treffen, so müssen wir bei der himmlischen Lehre (caelestis doctrina)
den Anfang machen, und es kommt niemand auch nur zum geringsten Verständnis rechter und heilsamer
Lehre, wenn er nicht zuvor ein Schüler der Schrift wird. Da liegt der Ursprung wahren Erkennens:
wenn wir mit Ehrfurcht annehmen, was Gott hier von sich selber hat bezeugen wollen. Denn nicht bloß
ein echter und vollkommener Glaube, sondern alle rechte Gotteserkenntnis entsteht aus dem Gehorsam.
Und in diesem Stück hat Gott fürwahr für die Menschen aller Zeiten mit besonderer Vorsehung
gnädig gesorgt!
I,6,3 Wenn wir die starke Neigung des Menschen bedenken, Gott zu vergessen, wenn wir
seinen Hang zu allerlei Irrtümern sehen und wenn wir gewahr werden, wie gierig er sich immer neue,
falsche Religionen erdenkt, dann können wir ermessen, wie nötig solche schriftliche Aufzeichnung
der himmlischen Lehre war, damit sie nicht durch Vergessenheit entstellt, im Irrtum der Eitelkeit
preisgegeben oder durch menschliche Vermessenheit verdorben würde. Es läßt sich auch nicht
verkennen, daß Gott bei allen, die er fruchtbringend unterweisen wollte, das Mittel seines Wortes
angewandt hat, weil er sah, daß sein Bild, wie es in der herrlichen Gestalt der Welt sich
ausprägte, nicht kräftig genug sein werde. Deshalb kann es uns nur helfen, diesen geraden Weg zu
gehen, wenn wir im Ernste zu lauterer Betrachtung Gottes kommen wollen. An das Wort, sage ich,
müssen wir uns halten; denn da wird uns Gott recht und lebendig aus seinen Werken beschrieben,
indem nämlich diese Werke nicht nach unserem verkehrten Urteil, sondern nach der Regel der ewigen
Wahrheit eingeschätzt werden! Weichen wir vom Worte ab, so mögen wir, wie gesagt, immerhin mit
äußerster Schnelligkeit vorwärtsstreben, wir werden aber nie zum Ziel gelangen, weil wir eben auf
einem Abweg sind! Wir müssen bedenken: der Glanz von Gottes Angesicht, von dem auch der Apostel
sagt: "da niemand zukommen kann" (1. Tim. 6,16), ist uns wie ein auswegloses Labyrinth,
wenn uns nicht die Richtschnur des Wortes leitet. Es ist also besser, auf diesem Weg zu hinken, als
auf einem Abweg zu rennen! Wenn darum David ankündet, daß der Aberglaube aus der Welt verschwinden
wird, um der wahren Religion Platz zu machen, so stellt er uns Gott vor Augen, wie er sein
Königreich aufrichtet (Ps. 93; 96; 97; 99 und andere). Dabei versteht er aber unter Gottes
Königreich nicht sein Machtwirken, wie er es in der Regierung der ganzen Natur ausübt, sondern die
Lehre, in welcher er seine alleinige Herrschaft durchsetzt. Denn der Irrtum kann nicht aus dem
Menschenherzen gerissen werden, ehe wahre Gotteserkenntnis darin gepflanzt ist!
I,6,4 Derselbe Prophet (Ps. 19,1) sagt auch, daß die Himmel die Ehre Gottes
erzählen, das Firmament seiner Hände Werk verkündigt, der geordnete Lauf von Tag und Nacht seine
Majestät anzeigt; aber er spricht dann doch gleich darauf von Gottes Wort: "Das Gesetz des
Herrn ist vollkommen und erquickt die Seele, das Zeugnis des Herrn ist gewiß und macht die
Unverständigen weise, die Rechte des Herrn sind richtig und erfreuen das Herz, die Gebote des Herrn
sind lauter und erleuchten die Augen" (Ps. 19,8ff.). Obwohl nun der Prophet auch andere
Anwendungen des Gesetzes mit in Betracht zieht, so zeigt er doch allgemein: da Gott vergebens alle
Völker durch den Anblick Himmels und der Erden zu sich einlädt, ist dies die besondere Schule der
Kinder Gottes! Ähnlich ist auch die Absicht des 29. Psalms. Da redet der Prophet von der
furchtbaren Stimme Gottes, wie sie in Donner und Sturm, Platzregen und Unwetter die Erde erzittern
macht, die Berge erschüttert, die Zedern knickt. Und dann fügt er am Schluß hinzu: "In
seinem Tempel sagt ihm alles Ehre" – die Menschen sind ja gegen alle Stimmen Gottes, welche
in der Luft erschallen, taub und ungläubig! So schließt er auch einen anderen Psalm, in dem er die
schrecklichen Fluten des Meeres beschrieben hat: "Dein Wort ist eine rechte Lehre, Heiligkeit
ist die Zierde deines Hauses ewiglich" (Ps. 93,5). Daher konnte auch Christus zu dem
samaritischen Weibe sagen, ihr Volk und alle anderen wüßten nicht, was sie anbeteten, die Juden
allein aber beteten den wahren Gott an (Joh. 4,22). Denn da der Menschengeist in seiner Schwachheit
auf keine Weise zu Gott kommen kann, wo ihm Gottes Wort nicht aufhilft und ihn aufrichtet, so
befanden sich notwendig alle Menschen außer den Juden, weil sie Gott ohne das Wort suchten, in Wahn
und Irrtum.
Das Ansehen der Schrift beruht auf dem Zeugnis des Geistes. Dadurch allein gewinnt
sie unzweifelhafte Autorität, und es ist eine gotteslästerliche Menschensatzung, daß ihre
Glaubwürdigkeit vom Urteil der Kirche abhänge.
I,7,1 Bevor wir weitergehen, muß zunächst noch einiges über die Autorität der
Heiligen Schrift eingefügt werden. Diese Feststellungen sollen der Ehrfurcht vor der Schrift dienen
und auch jeden Zweifel beseitigen. Ist es einmal anerkannt, daß es sich um Gottes eigenes Wort
handelt, so wird keiner so vermessen, ja geradezu des Menschenverstandes und gar alles menschlichen
Sinnes beraubt sein, daß er dem, der da redet, den Glauben weigern möchte. Nun ergehen aber nicht
alle Tage Offenbarungsworte vom Himmel, und es hat Gott gefallen, allein in der Schrift seine
Wahrheit zu stetem Gedächtnis zu erhalten. Deshalb kann die Bibel nur dann den Gläubigen
gegenüber volle Autorität erlangen, wenn sie gewiß wissen, daß sie vom Himmel herab zu ihnen
kommt, als ob Gottes eigene Stimme hier lebendig vernommen würde. Die Sache ist wahrlich wert,
ausführlicher behandelt und genauer erwogen zu werden. Trotzdem müssen die Leser entschuldigen,
wenn ich mehr auf den Umfang der Behandlung achte, den die Aufgabe des vorliegenden Werkes erträgt,
als auf den, der durch die Bedeutung der Sache erfordert wäre. Indessen hat sich bei vielen der
verderbliche Irrtum eingeschlichen, die Schrift habe nur soviel Gewicht, als ihr das Gutdünken der
Kirche zugestehe. Als ob Gottes ewige und unverletzliche Wahrheit auf menschliche Meinung gegründet
wäre! Man spottet dabei des Heiligen Geistes und fragt: "Wer verbürgt uns, daß diese
Schriften von Gott stammen? Und wer versichert uns, daß sie heil und unversehrt bis in unsere Zeit
übergekommen sind? Wer soll uns überzeugen, daß das eine Buch in Ehrfurcht anzunehmen, das andere
auszuschließen sei? Wer – wenn nicht die Kirche für alle diese Dinge eine klare Regel
vorschriebe?" "Also" – so sagt man weiter – "hängt es von der kirchlichen
Bestimmung ab, welche Verehrung der Schrift zukommt und welche Bücher ihr überhaupt zuzurechnen
sind!" So machen sich diese Menschen, die Gott die Ehre rauben, bei ihrem Versuch, unter dem
Vorwand der Kirche zügellose Tyrannei einzuführen, gar keine Sorge darüber, in was für
Widersinnigkeit sie sich und andere verwickeln – wenn sie nur einfältigen Leuten die Meinung
aufdringen, die Kirche hätte Vollmacht zu allem! Was soll aber aus den armen Gewissen werden, die
eine feste Gewißheit des ewigen Lebens suchen, wenn alle Verheißungen, die darüber bestehen,
allein auf Menschenurteil beruhen? Werden sie über solcher Antwort etwa zu zittern aufhören? Wie
wird anderseits der Glaube dem Gespött der Gottlosen preisgegeben und bei allen verdächtig
gemacht, wenn man annimmt, er müsse seine Autorität vom Menschen leihen!
I,7,2 Aber solche Spitzfindigkeiten widerlegt ein einziges Wort des Apostels. Er
bezeugt, daß die Kirche erbaut ist auf dem Grunde der Propheten und Apostel (Eph. 2,20). Wenn nun
die Lehre der Propheten und Apostel das Fundament der Kirche ist, so muß sie schon eher Autorität
haben, als die Kirche überhaupt da ist. Nichtig ist auch der törichte Einwand, es sei, obwohl die
Kirche ihren Ausgang von dieser Lehre genommen habe, doch immer noch ungewiß, welche Schriften denn
nun den Propheten und Aposteln zuzuschreiben wären, wenn nicht hier das Urteil der Kirche eintrete.
Denn wenn die christliche Kirche im Anfang auf die Schriften der Propheten und die Botschaft der
Apostel gegründet wurde, so ging die Anerkennung dieser Lehre, ohne welche die Kirche nie
entstanden wäre, doch sicherlich dem Dasein der Kirche vorauf. Deshalb ist es leere
Menschensatzung, wenn man sagt, die Vollmacht zur Beurteilung der Schrift liege bei der Kirche, so
daß von ihrer Zustimmung die Gewißheit der Schrift abhinge. Denn wenn es zu solcher Anerkennung
(durch die Kirche) kommt, so bedeutet das nicht, daß die Kirche die Schrift, als wäre sie zuvor
zweifelhaft und strittig, erst glaubwürdig mache. Es geschieht doch im Gegenteil, weil die Kirche
hier die Wahrheit ihres Gottes erkennt und ihr deshalb, wie es Pflicht der Frömmigkeit ist,
unbedenklich Verehrung entgegenbringt! Wenn man daher fragt: "Woher sollen wir denn die
Überzeugung haben, die Schrift komme von Gott her zu uns, wenn wir nicht zum Urteil der Kirche
unsere Zuflucht nehmen?", so ist das genau so, als wenn jemand fragte: "Woher sollen wir
denn Licht und Finsternis, Weiß und Schwarz, Süß und Bitter unterscheiden lernen?" Denn die
Wahrheit der Schrift erweist sich ganz von selbst und ist darum nicht weniger deutlich als die Farbe
an einem weißen oder schwarzen, der Geschmack an einem süßen oder bitteren Ding!
I,7,3 Ich weiß wohl, daß man hier nun allgemein einen Ausspruch Augustins
anführt, der gesagt hat, er würde dem Evangelium nicht Glauben schenken, wenn ihn die Autorität
der Kirche nicht dazu bewegte. (Gegen den Grundbrief der Manichäer, Kap. 5). Es ist aber aus dem
Zusammenhang sehr leicht zu erweisen, wie verkehrt und trügerisch man diese Stelle auslegt, wenn
man ihr die oben ausgeführte Meinung unterschiebt. Augustin hatte es mit den Manichäern zu tun,
welche widerspruchslosen Glauben für sich verlangten, weil sie behaupteten, die Wahrheit zu
besitzen. Einen Beweis dafür blieben sie jedoch schuldig. Um ihrem Manichäus (Mani) die
Glaubwürdigkeit zu sichern, beriefen sie sich auf das Evangelium. Und deshalb fragt sie nun
Augustin, was sie denn machen wollten, wenn ihnen einmal jemand begegnete, der nicht einmal an das
Evangelium glaube, auf welche Art sie denn den zu ihrer Anschauung führen wollten! Und dann fährt
er fort: "Ich meinerseits würde dem Evangelium gar nicht glauben, wenn ...". Damit will
er sagen: als ich vom Glauben noch nichts wußte, konnte ich nur dadurch zur Anerkennung und Annahme
des Evangeliums als gewisser Wahrheit Gottes kommen, daß ich von der Autorität der Kirche
überwunden wurde! Was ist auch daran Verwunderliches, daß jemand, der Christus noch gar nicht
kennt, auf Menschen achtet? Deshalb lehrt Augustin hier nicht, der Glaube der Frommen sei auf die
Autorität der Kirche gegründet, er will auch nicht sagen, die Gewißheit des Evangeliums hänge
davon ab. Er behauptet bloß, daß die Ungläubigen nicht zur Gewißheit des Evangeliums kommen und
dadurch für Christus gewonnen würden, wenn sie nicht die einhellige Überzeugung der Kirche in
diese Richtung wiese. Das bestätigt er kurz darauf, wenn er sagt: "Wenn ich lobe, was ich
glaube, und verlache, was du glaubst, was ist dann über uns zu sagen, was sollen wir dann tun?
Bleibt uns etwas anderes, als die zu verlassen, die uns zuerst einladen, Gewisses zu erkennen –
und dann doch gebieten, Ungewisses zu glauben? Müssen wir uns nicht statt dessen denen zuwenden,
die uns zuerst einladen, zu glauben, was wir noch nicht zu schauen vermögen, damit wir, durch den
Glauben selbst kräftiger geworden, dann auch gewürdigt werden, zu erkennen, was wir glauben, da
wir es ja nun nicht mehr mit Menschen zu tun haben, sondern Gott selbst unsern Geist innerlich
festigt und erleuchtet?" (Im gleichen Buche, Kap. 14). Das sind tatsächlich Augustins Worte;
daraus kann sich nun jeder das Urteil bilden, daß der heilige Mann nicht die Absicht gehabt hat,
unseren Glauben gegenüber der Schrift von der Meinung und dem Gutdünken der Kirche abhängig zu
machen. Er wollte bloß zeigen, was auch wir als wahr anerkennen, nämlich daß die, welche vom
Geiste Gottes noch nicht erleuchtet sind, von der Achtung vor der Kirche zum Aufmerken bewogen
werden, um den Glauben an Christus aus dem Evangelium zu lernen. Die Autorität der Kirche ist
insofern eine Einführung, durch die wir zum Glauben an das Evangelium vorbereitet werden. Denn die
(eigentliche) Gewißheit der Frommen will, wie wir sahen,auf einem ganz anderen Fundament ruhen. Ich
leugne übrigens nicht, daß Augustin häufig den Manichaern mit dem einhelligen Zeugnis der Kirche
zusetzt. Das tut er dann, wenn er die Heilige Schrift, welche sie verwarfen, ihnen gegenüber
verteidigen will. Daher schilt er den Faustus, daß er sich der Wahrheit des Evangeliums (veritas
evangelica) nicht unterwirft, die doch so gegründet, so gefestigt, mit soviel Herrlichkeit gekrönt
sei und sich seit der Zeit der Apostel in fester Folge fortpflanze. Aber nirgendwo gibt er seinen
Worten den Sinn, als ob die Autorität, die wir der Schrift beimessen, von menschlicher Lehrsatzung
oder Bestimmung abhinge. Er führt nur, was in dieser Sache viel bedeutete, das einhellige Urteil
der Kirche an, mit welchem er den Gegnern überlegen war. Sucht jemand hierfür einen weiteren
Beweis, so möge er sein Buch "Vom Nutzen des Glaubens" lesen. Dort wird er finden, daß
er solcher Unterweisung durch Menschen nicht etwa die Möglichkeit zuschreibt, den Glauben zu
erleichtern, sondern in ihr bloß einen Zugang sieht, der uns bereitet ist, oder einen willkommenen
Anfang der Nachforschung, wie er sich selber ausdrückt. Nicht aber darf man es nach ihm bei der
bloßen Annahme bewenden lassen, sondern man muß sich auf gewisse und zuverlässige Wahrheit
stützen.
I,7,4 Wir wollen also festhalten, was ich oben ausführte: die Glaubwürdigkeit der
Lehre kann nicht eher Bestand gewinnen, als bis wir ohne Zweifel überzeugt sind, daß ihr Urheber
Gott ist. Deshalb wird durchweg die höchste Beglaubigung der Schrift darin gesehen, daß hier Gott
in Person redet. Die Propheten und Apostel führen nicht ihren Scharfsinn für sich an oder was
sonst den Rednern Glauben verschaffen mag, sie bestehen auch nicht auf Vernunftgründen, sondern sie
nennen Gottes heiligen Namen, durch den die ganze Welt zum Gehorsam genötigt wird. Jetzt wollen wir
zusehen, wie es nicht bloß mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, sondern mit lauterer Wahrheit
offenbar ist, daß ihre Berufung auf Gottes Namen weder Leichtsinn noch Trug war. Wollen wir nun dem
Gewissen aufs beste raten, um es davor zu bewahren, in stetem Zweifel zu schwanken oder zu wanken
oder bei den geringsten Anstößen hängenzubleiben, so muß solche Festigkeit der Überzeugung an
höherer Stelle begründet sein als in menschlichen Vernunftgründen, Urteilen oder Mutmaßungen,
nämlich im geheimen Zeugnis des Heiligen Geistes. Es ist freilich wahr: wollte man sich mit der
Beweisführung abgeben, so ließe sich gewiß vieles anführen, das leicht davon überzeugen
könnte, daß das Gesetz, die Propheten und das Evangelium von Gott ausgegangen sind – wenn
überhaupt ein Gott im Himmel ist. Mögen die gelehrtesten und urteilsfähigsten Männer dagegen
auftreten und all ihren Scharfsinn in diesem Streite aufbieten und entwickeln – sie müssen
dennoch, wenn sie sich nicht bis zum verderblichsten Eigensinn verstocken, notgedrungen zu dem
Eingeständnis kommen: es sind in der Schrift handgreifliche Zeichen zu sehen, daß da Gott redet,
und daraus ist deutlich, daß ihre Lehre vom Himmel ist. Wir werden auch bald sehen, daß alle
Bücher der Heiligen Schrift bei weitem höher stehen als alle anderen Bücher. Ja, wenn wir reine
Augen und lautere Sinne mitbringen, so wird uns Gottes Majestät alsbald entgegentreten, sie wird
uns allen verwegenen Widerstand unmöglich machen und uns Gehorsam abnötigen. Dennoch ist es
Torheit, wenn man meint, der Schrift auf dem Wege des Disputierens ihre Glaubwürdigkeit sichern zu
können. Wenn ich auch für meine Person nicht über eine besondere Gewandtheit und Beredsamkeit
verfüge, so würde ich mich wohl anheischig machen, selbst im Kampfe mit den verschlagensten
Gottesverächtern, die all ihren Fleiß und Witz aufböten, um das Ansehen der Schrift wankend zu
machen, ihr widerspenstiges Geschrei unschwer zum Schweigen zu bringen. Und wenn es der Mühe
verlohnte, ihre Witzeleien zu widerlegen, so würde ich ohne große Anstrengung ihr Geprahle, das
sie in ihren Winkeln treiben, zunichtemachen. Aber wenn einer auch das heilige Wort Gottes gegen die
Schmähungen derMenschen verteidigt, so wird er dadurch keineswegs bereits die Gewißheit in den
Herzen einpflanzen, welche die Frömmigkeit erfordert. Weil die gottlosen Menschen meinen, die
Religion bestehe auf Menschengedanken, so wünschen und verlangen sie, um den Schein törichter
Leichtgläubigkeit zu meiden, vernünftige Beweise dafür, daß Mose und die Propheten in Gottes
Auftrag geredet haben. Ich aber entgegne: das Zeugnis des Heiligen Geistes ist besser als alle
Beweise. Denn wie Gott selbst in seinem Wort der einzige vollgültige Zeuge von sich selber ist, so
wird auch dies Wort nicht eher im Menschenherzen Glauben finden, als bis es vom inneren Zeugnis des
Heiligen Geistes versiegelt worden ist. Denn derselbe Geist, der durch den Mund der Propheten
gesprochen hat, der muß in unser Herz dringen, um uns die Gewißheit zu schenken, daß sie treulich
verkündet haben, was ihnen von Gott aufgetragen war. Diese wechselseitige Verbindung drückt Jesaja
sehr gut folgendermaßen aus: "Mein Geist, der in dir ist, und die Worte, die ich dir in deinen
Mund gelegt habe, sollen von deinem Munde nicht weichen, noch von dem Munde deines Samens.... von
nun an bis in Ewigkeit" (Jes. 59,21; Calvin übersetzt etwas anders). Es bekümmert auch manche
Fromme, daß keine klare Beweisführung zur Hand ist, wenn die Gottlosen ungestraft gegen Gottes
Wort murren. Aber eben deshalb wird doch der Geist Siegel und Unterpfand zur Befestigung des
Glaubens genannt, weil das Herz von allerlei Zweifel umgetrieben wird, solange er es nicht
erleuchtet hat!
I,7,5 Dabei also soll es bleiben: wer innerlich vom Heiligen Geist gelehrt ist, der
verharrt fest bei der Schrift, und diese trägt ihre Beglaubigung in sich selbst; daher ist es nicht
angebracht, sie einer Beweisführung und Vernunftgründen zu unterwerfen. Die Gewißheit aber, die
sie uns gewinnt, die erlangen wir durch das Zeugnis des Geistes. Gewiß verschafft sich die Schrift
ganz von selbst durch ihre eigene Majestät Ehrfurcht, aber sie ergreift uns erst dann recht und
ernstlich, wenn sie durch den Geist in unserem Herzen versiegelt ist. Daß die Schrift von Gott
kommt, das glauben wir, weil die Kraft des Geistes uns erleuchtet, nicht aber auf Grund des eigenen
Urteils oder desjenigen anderer Leute. Es ist ja gerade, als ob wir Gottes eigene Majestät hier
erschauten; und deshalb ist unsere Gewißheit unerschütterlich fest, stärker, als sie uns
menschliches Urteil verleihen könnte. So halten wir dafür, daß die Schrift zwar durch den Dienst
von Menschen, aber tatsächlich doch aus Gottes eigenem Munde zu uns kommt. Nicht Beweisgründe,
nicht Wahrscheinlichkeiten suchen wir, um unser Urteil darauf zu gründen, sondern wir unterwerfen
unser Urteil und unser Denken dieser völlig aller Frage entzogenen Tatsache. Das geschieht freilich
nicht so, wie einige es machen, die zuweilen eine unbekannte Sache mit Eifer annehmen, die ihnen
dann doch bei näherer Kenntnis mißfällt, sondern es geschieht darum, weil wir voll und ganz
überzeugt sind, es mit der unbestreitbaren Wahrheit zu tun zu haben! Das hat auch nichts mit der
Art zu tun, wie elende Menschen dem Aberglauben ihren Geist gefangen geben, sondern wir kommen zu
dieser Gewißheit, weil wir empfinden, daß hier die unbezweifelbare Gewalt göttlicher Majestät
waltet und wirkt – und diese Kraft zieht und entzündet uns zum Gehorsam, mit Wissen und Willen,
aber viel lebendiger und stärker, als alles menschliche Wollen und Wissen! So ruft der Herr mit
vollem Rechte durch Jesaja aus (43,10), die Propheten samt dem Volke seien seine Zeugen; denn sie
waren ja durch Weissagungen belehrt und zweifelten nicht daran, daß Gott ohne Trug und
Zweideutigkeit zu ihnen geredet habe. Das ist eine Überzeugung, die der Gründe nicht bedarf, das
ist ein Wissen, das seinen Grund in sich selber trägt, ja, auf dem das Herz sicherer und
beständiger ruht als auf irgendwelchen Gründen; das ist ein Empfinden, das nur aus himmlischer
Offenbarung entstehen kann. Ich rede von dem, was jeder einzelne Gläubige bei sich selber erfährt
– freilich reichen meine Worte bei weitem nicht hin, um die Sache recht zu beschreiben! Ich
übergehe jetzt vieles, weil ich an anderer Stelle auf diese Dinge zurückkommen muß. Für jetzt
wollen wir uns dies merken, daß nur der Glaube der rechte ist, den der Heilige Geist in unseren
Herzen versiegelt. Der bescheidene Leser, der sich gern sagen läßt, wird sich mit einem Zeugnis
als Begründung zufrieden geben: nämlich mit der Verheißung des Jesaja, alle Söhne der erneuerten
Kirche würden von Gott gelehrt sein (Jes. 54,13). Da würdigt Gott seine Auserwählten allein eines
einzigartigen Vorrechtes und unterscheidet sie damit von dem ganzen Menschengeschlecht. Denn womit
soll die rechte Lehre bei uns ihren Anfang nehmen, als mit der bereitwilligen Freudigkeit, das Wort
Gottes zu hören? Gott aber fordert Gehör durch den Mund des Mose, wie geschrieben steht: "Du
sollst nicht sprechen in deinem Herzen: wer wird in den Himmel fahren ... oder wer wird hinabsteigen
in den Abgrund? . . Siehe, das Wort ist in deinem Munde ..." (5. Mose 30,12ff.; hier nur einige
Stücke daraus, etwas ungenau angeführt!). Wenn Gott einen solchen Schatz der Weisheit allein für
seine Kinder hat bereiten wollen, so ist es nicht verwunderlich oder widersinnig, wenn unter der
Masse der Menschen soviel Unwissenheit und Stumpfheit sich zeigt. Unter "Masse" verstehe
ich hier auch die hervorragendsten Menschen, ehe sie in den Leib der Kirche eingefügt sind! Jesaja
erklärt an einer Stelle, die prophetische Lehre werde nicht nur den Außenstehenden, sondern auch
den Juden, die für Hausgenossen gelten wollten, unverständlich sein, und dann fügt er gleich den
Grund dafür bei: "Denn nicht allen wird der Arm des Herrn offenbar" (Jes. 53,1). Sooft
uns die geringe Zahl der Gläubigen wankend machen will, sollen wir uns im Gegenteil vor Augen
halten, daß niemand die Geheimnisse Gottes begreifen kann – als die, welchen es gegeben ist.
Soweit die menschliche Vernunft reicht, gibt es hinreichend sichere Beweise, um die
Glaubwürdigkeit der Schrift zu bestätigen.
I,8,1 Wo nun diese Gewißheit nicht ist, die höher und stärker ist als jedes
menschliche Urteil, da wird man vergebens die Autorität der Schrift mit Beweisgründen zu sichern,
in der einhelligen Überzeugung der Kirche zu begründen oder mit allem anderen Schutz zu bewehren
versuchen. Denn wenn dies Fundament nicht gelegt ist, dann bleibt sie stets wankend. Aber
anderseits: wenn wir einmal die Schrift in ihrer Einzigartigkeit gegenüber anderen Büchern in
Ehrfurcht und ihrer Würde entsprechend angenommen haben, dann werden Erwägungen, die nicht
ausreichten, die Gewißheit um die Schrift in unserem Herzen einzupflanzen, sehr brauchbare,
geeignete Stützen (zur Bestätigung) sein! Wie wunderbar kann es doch zur Bekräftigung (der
Schriftautorität) dienen, wenn wir in eifriger Nachforschung erwägen, wie geordnet und kunstreich
hier die göttliche Weisheit uns dargeboten wird, wie die Lehre stets ihren himmlischen Ursprung an
sich trägt und nichts Irdisches verrät, wie sehr alle Teile untereinander übereinstimmen – und
vieles andere mehr, das geeignet ist, der Schrift überragende Herrlichkeit zu sichern. Noch
wirksamer aber kann unser Herz gefestigt werden, wenn wir bedenken, daß wir noch viel mehr durch
die Würde der Sache als durch die Worte zur Bewunderung hingerissen werden. Denn auch das ist nicht
ohne besondere Vorsehung Gottes geschehen, daß die höchsten Geheimnisse des Himmelreichs weithin
unter verächtlicher Niedrigkeit der Worte überliefert werden – denn wären sie mit größerem
Glanz der Beredsamkeit geziert, so würden die Gottlosen lästern, in dieser allein wohne ihre
Kraft! Wenn aber jene ungezierte und fast grobe Einfalt größere Ehrerbietung sich verschafft als
aller Wortreichtum der Redner, was geht daraus anders hervor, als daß die Schrift eine Gewalt der
Wahrheit besitzt, welche zu mächtig ist, um des Schmuckes der Worte zu bedürfen? Nicht ohne Grund
weist der Apostel darauf hin, daß der Glaube der Korinther nicht in menschlicher Weisheit, sondern
in Gottes Kraft begründet war, da ja seine Verkündigung unter ihnen nicht in klugen Worten
menschlicher Weisheit, sondern in Beweisung des Geistes und der Kraft geschehen war (1. Kor. 2,4).
Die Wahrheit ist über jeden Zweifel erhaben, wenn sie nicht auf fremden Stützen ruht, sondern
stark genug ist, sich in sich selber zu tragen. Wie sehr der Schrift diese Kraft eignet, das zeigt
sich daran, daß von allen menschlichen Schriften, wie kunstreich sie auch gefertigt sind, uns keine
so zu ergreifen vermag. Lies den Demosthenes oder den Cicero, lies Platon oder Aristoteles oder
welche du auch aus der ganzen Schar lesen magst. Sie werden dich – das gestehe ich – wundersam
anlocken, ergötzen, bewegen, hinreißen. Aber wenn du dann zur Heiligen Schrift kommst, so ergreift
sie dich – ob du willst oder nicht – so lebendig, dringt dir so tief ins Herz, setzt sich so im
Innersten fest, daß vor der Gewalt dieser Eindrücke die Kraft jener Redner und Philosophen fast
verschwindet. Man kann eben spüren, wie ein göttlicher Hauch die Schrift durchweht, wodurch sie
alle menschliche Kunst, alle menschlichen Gaben weit übertrifft.
I,8,2 Freilich findet sich bei einigen Propheten eine sehr feine und kunstreiche, ja
geradezu glänzende Darstellung, so daß ihre Beredsamkeit derjenigen weltlicher Schriftsteller
nichts nachgibt. Mit dergleichen Beispielen hat der Heilige Geist zeigen wollen, daß ihm auch die
Beredsamkeit zu Gebote steht – wenn er sich sonst auch wohl einer kunstlosen und groben Redeweise
bedient. Ob du nun David oder Jesaja oder ihresgleichen liesest, deren Rede sanft und lieblich
dahergeht, oder den Hirten Amos oder Jeremia oder Sacharja, deren rauhere Rede bäurisch klingt –
überall ist jene Majestät des Geistes offenbar, von der ich sprach. Ich weiß wohl, daß der
Satan, der ja in vielen Dingen Gott nachahmt, um in solcher trügerischen Ähnlichkeit (mit Gott) um
so leichter in die Herzen der Einfältigen einzudringen, auch jene gottlosen Irrtümer, mit denen er
arme Menschen täuschte, zuweilen listig in kunstloser und fast barbarischer Sprache ausgestreut,
oft auch ungebräuchliche Ausdrucksformen verwendet hat, um unter solcher Maske seine Betrügereien
zu verstecken. Aber wie eitel und abscheulich solches Streben ist, das spürt jeder einigermaßen
verständige Mensch. Mag nun der Vorwitz vieles an der Schrift annagen wollen – es steht
jedenfalls fest, daß sie voll ist von Aussprüchen, die aus menschlichem Verstand nie entsprungen
wären. Man sehe sich die einzelnen Propheten an: da ist nicht einer zu finden, der nicht weit über
alle Menschenweisheit hinausragte, und deshalb muß den Leuten, welche ihre Lehre für fade halten,
jeder Geschmack abgehen.
I,8,3 Diesen Gegenstand haben nun andere genauer behandelt, und deshalb genügt es
hier, nur einiges wenige zu überdenken, das für die hier zur Behandlung stehende Hauptsache von
besonderem wert ist. Außer dem, was ich schon erwähnte, ist von besonderem Gewicht auch das hohe
Alter der Schrift. Denn obwohl griechische Schriftsteller über die ägyptische Theologie viel
fabulieren, so besteht doch keine einzige Religionsurkunde, die nicht lange nach der Zeit des Mose
entstanden wäre. Und auch Mose redet ja nicht von einem neuen Gott, sondern bringt nur vor, was
wiederum in langer Zeitfolge die Israeliten als Lehre über den ewigen Gott von ihren Vätern, wie
von Hand zu Hand, empfangen hatten! Was tut denn Mose anders, als daß er sie zu dem Bunde
zurückruft, der einst mit Abraham geschlossen war? Hätte er ihnen etwas bis dahin Unerhörtes
verkündigt, er würde keinen Eingang gefunden haben. Aber die Befreiung aus der Sklaverei, in der
sie gehalten wurden, mußte eine längst allen bekannte Sache sein, so daß ihre Ankündigung
alsbald alle Herzen aufrichtete. Wahrscheinlich waren sie auch über die Zahl der vierhundert Jahre
unterrichtet. Wenn also nun Mose, der doch selbst soviel älter ist als alle anderen Schriftsteller,
seine Lehre aus so langer Überlieferungsreihe herleitet, wie ragt dann die Heilige Schrift an Alter
über alle anderen hinaus!
I,8,4 Oder man müßte den Ägyptern glauben, die schon bis zu sechstausend Jahren
vor Erschaffung der Welt dagewesen sein wollen! Aber dieses Geschwätz war schon weltlichen
Schriftstellern stets ein Gespött und verdient nicht die Mühe der Widerlegung. Dagegen bringt
Josephus gegen den Appion einige sehr denkwürdige Zeugnisse aus den ältesten Schriftstellern vor,
nach welchen die im Gesetz niedergelegte Lehre nach übereinstimmendem Zeugnis aller Völker schon
seit der ältesten Zeit hochberühmt gewesen sei, wenn man sie auch damals noch nicht gelesen oder
recht gekannt habe. Damit aber nun böse Menschen jeden Verdacht aufgeben müssen und die Gottlosen
jede Handhabe zu ihrer Lästerung verlieren, tritt Gott diesen beiden Gefahren mit den besten
Mitteln entgegen. Da berichtet Mose, wie Jakob aus himmlischer Eingebung schon dreihundert Jahre
zuvor über feine Nachfahren geweissagt hat; und wie verhilft er dabei seinem eigenen Stamm zu Adel
und Ansehen? Gar nicht, sondern er belegt ihn in der Person des Levi mit ewiger Schande, wenn er
sagt: "Simeon und Levi sind Gefäße des Frevels, in ihren Rat komme meine Seele nicht, noch in
ihr Geheimnis meine Zunge" (1. Mose 49,5.6). Sicherlich hätte er diese Schande verschweigen
können, um damit seinen Vorvater zu schonen und sich selbst nicht mit dem Anteil an dieser Schmach
zu beflecken. Wie könnte ein Mann verdächtig sein, der aus freien Stücken berichtet, wie der
erste Urheber seines eigenen Geschlechts durch Ausspruch des Heiligen Geistes als
verabscheuungswürdig dahingestellt wurde, und dabei weder sein eigenes Interesse wahrt, noch den
Haß seiner Landsleute zu vermeiden sucht, denen dergleichen ohne Zweifel zuwider war? Wenn er das
gottlose Murren seines leiblichen Bruders Aaron und seiner Schwester Mirjam erwähnt (Num. 12,1),
hat er dann aus fleischlichem Sinn geredet oder im Gehorsam gegen den Auftrag des Heiligen Geistes?
Weshalb hinterließ er bei der überragenden Autorität, die er genoß, eigentlich das Amt des
Hohenpriesters nicht seinen eigenen Söhnen, sondern weist ihnen den geringsten Platz an? Ich
berühre nur weniges, aber es begegnen im Gesetze selber fortwährend viele Beweise, aus welchen
Mose ohne Widerspruch als einer bezeugt wird, der wie ein Engel aus dem Himmel hervortrat.
I,8,5 Auch die vielen herrlichen Wunder, die Mose berichtet, sind lauter
Bestätigungen des von ihm kundgemachten Gesetzes und der von ihm verkündigten Lehre. Denn wenn er
von einer Wolke auf den Berg geführt wurde, wenn er dort bis zum vierzigsten Tage dem menschlichen
Umgang entzogen wurde (Ex. 24,18), wenn bei der Verkündigung des Gesetzes sein Antlitz wie von
Sonnenstrahlen erglänzte, wenn damals von allen Seiten Blitze zuckten, Donner und Krachen die Luft
erfüllte, wenn die Posaune unberührt vom menschlichen Munde ertönte (Ex. 19,16), wenn der Eingang
des Zeltes durch eine Wolke dem Anblick des Volkes entnommen wurde (Ex. 40,34), wenn seine
Autorität durch den schrecklichen Untergang des Korah, Dathan und Abiron und der ganzen gottlosen
Rotte so wunderbar bestätigt wurde (Num. 16,24), wenn der Fels, vom Stabe geschlagen, alsbald
Wasser hervorsprudelte (Num. 20,10), wenn auf sein Gebet Man vom Himmel fiel (Num. 11,9) – hat mit
alledem nicht Gott selber diesen Mann vom Himmel herab als einen wahrhaftigen Propheten beglaubigt?
Wenn nun jemand einwenden wollte, ich nähme als sicher an, was doch umstritten sei, so ist eine
solche Lästerung leicht zu widerlegen. Denn Mose hat dies alles in öffentlicher Rede bekannt
gemacht – und wie sollte er da etwas haben erfinden können, wo doch lauter Augenzeugen für das
Geschehene vor ihm standen? Es wäre doch wie unsinnig, wenn er aufgetreten wäre und das Volk der
Untreue, des Starrsinns und anderer Frevel beschuldigt hätte, um dann unter seinen Augen seine
Lehre durch solche Wunder für beglaubigt zu erklären, die es nie gesehen hätte!
I,8,6 Auch ist der Erwähnung wert, daß bei jeder Erzählung von Wundern zugleich
strafend solche Dinge mit berichtet werden, die das ganze Volk zum Einspruch (gegen die Wahrheit des
Berichtes) hätten aufstacheln müssen, wenn dazu der geringste Anlaß vorgelegen hätte! Daraus
erhellt, daß diese Menschen durch nichts anderes zur Zustimmung gebracht wurden als eben dadurch,
daß sie auf Grund eigener Erfahrung mehr als genug überzeugt waren. Weil übrigens die Sache zu
bekannt war, als daß weltliche Schriftsteller etwa hätten leugnen können, daß Mose Wunder getan
hat, so gab ihnen der Vater der Lüge die Verleumdung in den Sinn, sie magischen Künsten
zuzuschreiben (Ex. 7,11). Aber was für einen Anlaß haben sie, einen Mann als Zauberer
hinzustellen, der solchen Abscheu vor aller Zauberei hatte, daß er schon den zu steinigen befahl,
der bloß Zauberer und Wahrsager befragt hatte? (Lev. 20,6). Jeder Zauberer treibt sein Gaukelspiel,
um das Volk in Erstaunen zu setzen und sich auf diese Weise Ehre zu verschaffen. Was aber tut Mose?
Er ruft aus, daß er und sein Bruder Aaron nichts seien und nur Gottes Auftrag ausführten! (Ex.
16,7). Schon damit macht er jede falsche Deutung genugsam zunichte. Aber wenn man schon die
Geschehnisse selbst betrachtet: was für eine Zauberei konnte denn bewirken, daß das täglich vom
Himmel regnende Man zur Versorgung des Volkes hinreichte und daß der, der mehr aufbewahrte als das
rechte Maß, aus dessen Verwesung schon lernen mußte, wie sein Unglaube von Gott gestraft würde?
Auch hat Gott seinen Knecht (bei Lebzeiten) in so viele ernste Prüfungen hineingestellt, daß jetzt
die Gottlosen in ihrem Widerspruch nichts mehr erreichen können. Wie oft ist es vorgekommen, daß
sich bald das ganze Volk übermütig und vermessen erhob, bald einzelne eine Verschwörung
ausheckten, um den heiligen Knecht Gottes zu stürzen? Und wer hätte ihrer Wut mit Gaukelspiel
entgehen können? Das Ende solcher Unternehmungen zeigt ja auch klar, daß durch solche Durchhilfen
seine Lehre für alle Zeiten beglaubigt worden ist.
I,8,7 Man bedenke auch ferner, daß Mose dem Stamme Juda in der Person des Erzvaters
Jakob den Vorrang anweist (Gen. 49,10); wer will da leugnen, daß dies aus prophetischem Geiste
geschehen sei? Wir werden das vor allem zugestehen, wenn wir die Sache selbst, wie sie sich hernach
erwies, ins Auge fassen. Nimm selbst an, Mose sei der Urheber dieser Weissagung – so sind doch
seit der Zeit, da er diese niederschrieb, vierhundert Jahre vergangen, ohne daß ein Zepter in Juda
erwähnt wird! Nach der Einsetzung des Saul schien die königliche Gewalt beim Stamme Benjamin zu
liegen! (1. Sam. 11,15). Als dann David von Samuel gesalbt wird (1. Sam. 16,13), was erscheint da
für ein Grund, diese Würde auf ihn zu übertragen? Wer hätte erwartet, daß aus dem niedrigen
Hause eines gewöhnlichen Viehhirten ein König hervorgehen werde? Und da waren sieben Brüder –
wer hätte da gerade den jüngsten für diese Ehre ausersehen? Auf welche Weise gelangte er zur
Hoffnung auf die Königswürde? Wer wollte sagen, diese Salbung habe menschliche Kunst oder Klugheit
geleitet? Wer will hier etwas anderes sehen als die Erfüllung einer himmlischen Weissagung? Ebenso
ist das, was Mose von der Aufnahme der Heiden in Gottes Bund, wenn auch dunkel, vorhergesagt hat,
erst nach zweitausend Jahren eingetreten. Wird daraus nicht deutlich, daß er aus göttlichem
Antrieb geredet hat? Ich übergehe andere Weissagungen, die so deutlich Gottes Offenbarung verraten,
daß jeder vernünftige Mensch überzeugt ist (ut sanis hominibus constet): hier hat Gott geredet.
Kurz, schon allein das Lied Moses (Deut. 32) ist ein klarer Spiegel, in dem Gott deutlich erscheint.
I,8,8 Bei den übrigen Propheten läßt sich das noch deutlicher sehen. Ich will nur
wenig Beispiele auswählen, da es zu mühsam wäre, sie alle anzuführen. Als zur Zeit des Jesaja
das Reich Juda Frieden hatte und gar meinte, an den Chaldäern eine Stütze zu haben, da redete
Jesaja von der Zerstörung der Stadt und der Verbannung des Volkes. Geben wir zu, es sei noch kein
ausreichend klares Beispiel göttlicher Eingebung, daß er lange Zeit zuvor etwas vorhersagte, das
damals noch Fabel zu sein schien, sich nachher aber als wahr erwies. Daß er aber zugleich auch die
Rückkehr aus der Verbannung weissagte, woher soll das gekommen sein, außer von Gott? Er nennt den
Cyrus (Jes. 45,1), durch den die Chaldäer niedergeworfen werden sollten und das Volk wieder in
Freiheit kam. Es sind seit dieser Weissagung des Propheten mehr denn hundert Jahre vergangen, ehe
denn Cyrus geboren wurde; denn dieser kam erst etwa hundert Jahre nach Jesajas Tode zur Welt. Damals
konnte kein Mensch daran denken, es werde einst ein Cyrus mit den Babyloniern Krieg führen, der
dann dieses mächtige Reich überwältigen und die Verbannung des Volkes Israel beendigen würde.
Zeigt nicht diese nackte, schmucklose Erzählung, daß Jesaja Gottes unzweifelhafte Offenbarungen,
nicht aber menschliche Vermutungen ausspricht? Auch Jeremia hat kurze Zeit vor der Wegführung des
Volkes angekündigt, die Zeit der Gefangenschaft werde in siebzig Jahren enden, und das Volk werde
zurückkehren und frei sein (Jer. 25,11.12). Mußte da nicht seine Zunge vom Geiste Gottes geleitet
sein? Wie unverschämt wäre es, wenn man leugnen wollte, daß durch derartige Beweise die
Autorität der Propheten bekräftigt und auf diese Weise erfüllt worden wäre, was sie selber
anführen, um ihren Reden Glaubwürdigkeit zu sichern! "Siehe, was ich zuvor habe verkündigt,
das ist gekommen; so verkündige ich euch Neues; ehe denn es aufgeht, lasse ich’s euch
hören" (Jes. 42,9). Ich gehe nicht weiter darauf ein, wie Jeremia und Ezechiel, obwohl sie
räumlich so weit voneinander entfernt lebten, bei ihren gleichzeitigen Prophetien in allen
Aussprüchen voll und ganz übereinstimmten, als ob sie sie einander diktiert hätten! Und hat nicht
Daniel in seinen Weissagungen auf sechshundert Jahre hin die Zukunft so klar geschaut, als ob er
eine Geschichte von vergangenen und durchweg wohlbekannten Tatsachen aufzeichnete? Wenn die
Gottesfürchtigen das einigermaßen festhalten, so sind sie ausreichend kundig, um das Gebell der
Gottlosen zum Schweigen zu bringen; denn gegen die Klarheit solcher Beweise kommt keine Ausflucht
an.
I,8,9 Ich weiß nun wohl, was die Narren in ihren Winkeln schwatzen, um in der
Bestreitung der Wahrheit ihren Scharfsinn zu zeigen. Sie fragen nämlich, wer uns denn beweisen
könne, daß die Schriften, die unter dem Namen des Mose und der Propheten gehen, auch wirklich von
ihnen stammten. Ja, sie wagen gar die Frage zu stellen, ob denn Mose je gelebt habe. Wollte jemand
in Zweifel ziehen, ob Platon oder Aristoteles oder Cicero je gelebt hätten – wer würde nicht
sagen, daß solcher Wahnsinn die Züchtigung mit Peitsche und Rute verdiene? Das Gesetz Moses ist
mehr mit göttlicher Vorsehung als mit menschlicher Mühe wunderbar erhalten geblieben. Und ob es
auch infolge der Nachlässigkeit der Priester einige Zeit vergraben dalag, so ist es doch seit der
Zeit, da der fromme König Josia es wiederfand, durch alle Zeiten hin in den Händen der Menschen
geblieben. Und Josia zog es nicht als eine unbekannte und neue Sache hervor, sondern als etwas, das
stets im Schwange geblieben und dessen Andenken auch damals noch mit Ruhm geschmückt war. Im Tempel
war die Urschrift niedergelegt, in den königlichen Archiven befand sich eine Abschrift. Nur die
Priester hatten aufgehört, das Gesetz selbst nach feierlichem Brauch zu verlesen, und auch das Volk
hatte das gewohnte Lesen vernachlässigt. Ist wohl ein einziges Jahrhundert vergangen, wo das Gesetz
nicht aufs neue bestätigt und bekräftigt worden wäre? War wohl Mose denen unbekannt, die David
lasen? Jedoch, um von allen zugleich zu reden: ihre Schriften sind ganz sicher sozusagen von einer
Hand zur anderen in ununterbrochener Reihe der Jahre von den Vätern her überliefert worden und so
zu den Nachkommen gelangt. Die Väter aber hatten teils die Redenden selbst noch gehört, teils
hatten sie aus frischem Gedächtnis von solchen, die sie gehört hatten, die Richtigkeit der
Überlieferung erfahren.
I,8,10 Was man nun aus der Geschichte der Makkabäer anführt, um die
Glaubwürdigkeit der Schrift zu bestreiten, das verhält sich so, daß nichts Geschickteres hätte
erdacht werden können, um sie zu bestätigen! Wir wollen aber zuerst die Farbe wegstreichen, die
man angemalt hat, dann wollen wir die Waffen der Gegner gegen sie selber wenden. Wenn Antiochus, so
sagt man, alle Bücher verbrennen ließ, woher kommen dann unsere Exemplare? (vgl. 1. Makk. 1,59).
Ich stelle aber die Gegenfrage: In welcher Werkstatt hat man sie aber dann so schnell
wiederherstellen können? Denn es steht fest, daß es gleich, nachdem das Wüten sich gelegt hatte,
wieder Handschriften gab und daß diese von den Frommen, welche in ihrer Lehre unterrichtet waren
und sie deshalb sehr genau kannten, ohne Widerspruch anerkannt waren. Obgleich nun aber alle
Gottlosen so wütende Angriffe gegen die Juden richteten, als hätten sie sich miteinander
verschworen, hat ihnen doch keiner je den Vorwurf zu machen gewagt, sie hätten Bücher fälschlich
untergeschoben. Wie man nämlich auch von der jüdischen Religion denken mochte, so erkannte man
doch allgemein Mose als ihren Stifter an. Was tun nun also jene Schwätzer anders, als daß sie ihre
mehr als hündische Dreistigkeit verraten, wenn sie diese Bücher für untergeschoben erklären,
deren hohes Alter die einhellige Überzeugung aller Geschichte beweist? Aber ich will nicht noch
mehr überflüssige Arbeit an die Widerlegung so schamloser Verleumdungen wenden. Wir wollen besser
beachten, wie sehr der Herr für die Erhaltung seines Wortes gesorgt hat, wenn er es der Lücke
eines wütenden Tyrannen entriß – gleichwie einen Brand aus dem Feuer heraus, wider alle
Erwartung! Fromme Priester und andere Menschen erfüllte er mit solcher Beständigkeit, daß sie
ohne Zaudern bereit waren, für diesen Schatz nötigenfalls ihr Leben einzusetzen und ihn so den
Nachkommen zu erhalten. Dadurch machte er die schärfste Nachforschung so vieler Hauptleute und
ihrer Trabanten zunichte. Wer erkennt darin nicht Gottes herrliches und wunderbares Werk, daß jene
heiligen Urkunden, welche die Gottlosen schon vernichtet glaubten, alsbald heimkehrten, ihr
Heimatrecht wieder behaupteten und sogar noch höhere Würde erhielten? Folgte doch damals die
griechische Übersetzung, welche diese Schriften in der ganzen (damaligen) Welt verbreitete. Aber
die Bewahrung der Tafeln seines Bundes vor den Blutedikten des Antiochus war nicht das einzige
Wunder Gottes. Es kommt vor allem dazu, daß jene Tafeln in den mancherlei Bedrängnissen des
jüdischen Volkes, in denen es so oft zerschunden und zerschlagen, ja schließlich beinahe
aufgerieben wurde, dennoch heil und unversehrt blieben. Die hebräische Sprache war verachtet und
auch fast unbekannt geworden, und sie wäre gewiß ganz untergegangen, wenn Gott sich nicht der
Religion hätte annehmen wollen. Wieweit die Juden seit ihrer Rückkehr aus der babylonischen
Gefangenschaft den ursprünglichen Gebrauch ihrer Muttersprache verloren hatten, das sieht man an
den Propheten dieser Zeit. Das ist um so wichtiger zu bemerken, weil aus dieser Vergleichung das
hohe Alter des Gesetzes und der Propheten desto klarer erhellt. Und wen hat Gott benutzt, um die in
Gesetz und Propheten beschlossene Heilslehre uns zu bewahren, damit Christus zu seiner Zeit offenbar
würde? Die bittersten Feinde Christi, die Juden, die Augustin aus diesem Grunde mit Recht die
Bibliothekare der christlichen Kirche nennt, weil sie uns Bücher zu lesen gaben, die sie selbst
nicht zu gebrauchen wußten!
I,8,11 Wie sicher ist nun vollends die Wahrheit des Neuen Testaments begründet! In
schlichter und unscheinbarer Redeweise erzählen die drei (ersten) Evangelisten die Geschichte
(Jesu). Manche hochmütigen Leute verdrießt diese Einfachheit, weil sie nämlich auf die
Hauptstücke der Lehre nicht achthaben – denn aus diesen wäre leicht zu erkennen, daß die
Evangelisten von himmlischen Geheimnissen reden und daß dies Reden über alle Vernunft geht. Wer
auch nur einen Tropfen edler Scham in sich trägt, der wird erröten, wenn er das erste Kapitel des
Lukasevangeliums gelesen hat. Und nun erst die Reden Jesu, deren Hauptinhalt die drei (ersten)
Evangelisten wiedergeben! Sie erheben diese Schriften leicht über alle Geringschätzung! Dann redet
Johannes mit erhabener Donnerstimme; er muß uns ja geradezu zum Gehorsam des Glaubens bringen –
oder aber er wirft den Starrsinn des Widerstrebenden stärker als mit Blitzesgewalt darnieder! Es
sollen doch all die naseweisen Richter herkommen, deren höchstes Vergnügen es ist, die Ehrfurcht
vor der Schrift sich und anderen aus dem Herzen zu reißen! Sie sollen das Johannesevangelium lesen:
da werden sie, ob sie wollen oder nicht, tausend Sprüche finden, welche sie aus ihrer Trägheit
aufreißen, ja ihrem Gewissen ein Brandmal eindrücken, um ihrem Gelächter ein Ende zu machen!
Ebenso verhält es sich mit Paulus und Petrus. Mögen viele Menschen für ihre Schriften blind sein,
so wirkt doch darin die himmlische Majestät selber und hält alle Leser gebunden und gefangen!
Allein dies Eine erhebt ihre Lehre hinlänglich über alle Welt, daß Matthäus, zuvor an sein
Zollhaus gebunden, und Petrus und Johannes, zuvor in ihren Fischerbooten beschäftigt, lauter
völlig ungelehrte Leute waren und in der Menschen Schule nichts erfahren hatten, das sie anderen
hätten weitergeben können. Paulus aber, der aus einem erklärten Feinde, ja aus einem wütenden
und blutdürstigen Verfolger zu einem neuen Menschen bekehrt wurde, der zeigt sich in plötzlicher
und unerwarteter Veränderung auf einmal von himmlischem Befehl getrieben, die Lehre zu vertreten,
die er zuvor bekämpft hatte! Mögen jene Hunde leugnen, daß der Heilige Geist auf die Apostel
gekommen sei, mögen sie der Geschichte gar die Glaubwürdigkeit absprechen – die Sache selbst
verkündet laut genug, daß Menschen, die zuvor im Volke gering und verachtet waren und nun
plötzlich über die himmlischen Geheimnisse so großartig zu reden anfingen, vom Heiligen Geist
gelehrt sein mußten!
I,8,12 Aber es gibt auch sonst noch gute Gründe, weshalb die übereinstimmende
Lehre der Kirche ihr gutes Gewicht hat. Es ist nämlich auch nicht geringzuachten, daß seit der
Abfassung und Kundmachung der Schrift so viele Völker durch so viele Jahrhunderte sich ihr
beständig im Gehorsam unterworfen haben, und daß die Schrift, obwohl der Satan und die ganze Welt
sie mit allerhand Praktiken zu unterdrücken, zu verkehren, gar zu tilgen und aus dem Gedächtnis
der Menschen auszureißen versucht haben, sich stets wie eine Palme wieder aufgerichtet hat und
siegreich geblieben ist. Es war ja kaum ein Sophist, kein Redner von bedeutenderer geistiger
Fähigkeit, der nicht seine Kraft gegen sie gerichtet hätte; aber sie haben doch alle nichts
erreicht. Die Macht der ganzen Erde wurde aufgeboten, sie zu vernichten – aber alle Anschläge
wurden zu Rauch! Wie sollte dieses Buch, so kräftig von allen Seiten angegriffen, widerstehen
können, wenn es bloß von Menschen geschützt würde? Ja, dadurch erweist die Schrift ihre Herkunft
von Gott noch klarer, daß sie sich gegen alle widerstrebenden Anstrengungen der Menschen aus
eigener Kraft erhoben hat! Dazu kommt, daß nicht bloß eine Stadt, ein Volk sich verband, die
Schrift anzunehmen. Nein, soweit die Erde geht, da haben sich Völker, die sonst nichts Gemeinsames
haben, in heiligem Bunde ihrer Autorität gebeugt. Solch gemeinsames Tun so verschiedener Geister,
die in allen anderen Dingen einander völlig ungleich sind, muß uns gewiß aufs höchste ergreifen:
denn es ist offenbar nur durch himmlische Kraft zustandegebracht. Aber diese Erwägung gewinnt noch
an Gewicht, wenn wir auf die Frömmigkeit derer achten, die sich so zusammentaten, freilich nicht
aller, sondern derjenigen, durch welche des Herrn Kirche nach seinem Willen wie aus Lichtern
erstrahlen sollte.
I,8,13 Mit welcher Gewißheit dürfen wir einer Lehre ergeben sein, die wir durch
das Blut so vieler heiliger Männer bestätigt und bezeugt sehen! Diese sind für diese Lehre,
nachdem sie sie angenommen hatten, ohne Zögern mutig und unerschrocken, ja mit großer Freudigkeit
in den Tod gegangen. Wie sollten da wir, was uns mit solchem Pfand überliefert ist, nicht mit
gewisser und unerschütterlicher Überzeugung annehmen? Es ist also keine geringe Bekräftigung der
Schrift, daß sie im Blute so vieler Zeugen versiegelt ist, vor allem wenn wir in Betracht ziehen,
daß diese in den Tod gegangen sind, um Zeugnis abzulegen, nicht in schwärmerischem Ungestüm, wie
das zuweilen irrende Geister tun, sondern mit festem und beharrlichem, aber besonnenem Eifer für
Gott. Es gibt noch andere Gründe, die weder an Zahl noch an Beweiskraft gering sind, durch welche
die Würde und Majestät der Schrift gottesfürchtigen Menschen gegenüber bestätigt und erst recht
gegen die Künste der Lästerer ausgezeichnet verteidigt werden könnte. Aber all diese Gründe
vermögen doch nicht aus sich, der Schrift festen Glauben zu erwirken, ehe nicht der himmlische
Vater selbst durch Offenbarung seiner Macht und Gottheit in ihr allem Streit ein Ende setzt. Deshalb
wird die Schrift erst dann wirklich zu heilsamer Erkenntnis Gottes genügen, wenn die an ihr
entstehende Gewißheit im inneren Zeugnis des Heiligen Geistes begründet ist. All die menschlichen
Zeugnisse, die zur Bekräftigung ihrer Wahrheit dienen können, werden dann nicht wirkungslos sein,
wenn sie jener wichtigsten und höchsten Begründung sozusagen als Hilfsstützen für unsere
Schwachheit nachfolgen. Töricht handelt aber, wer den Ungläubigen beweisen will, die Schrift sei
Gottes Wort. Denn das kann ohne den Glauben nicht erkannt werden! Deshalb stellt Augustin mit Recht
fest, daß Frömmigkeit und Friede der Seele voraufgehen muß, wenn der Mensch von solchen Sachen
etwas verstehen soll (Vom Nutzen des Glaubens, 18).
Die Schwärmer, welche die Schrift fahren lassen und nur zu unmittelbarer
Offenbarung kommen wollen, zerstören alle Grundfesten der Frömmigkeit.
I,9,1 Wer die Schrift verwirft und sich dann irgendeinen Weg erträumt, um zu Gott
zu kommen, der ist nicht eigentlich dem Irrtum, sondern der Raserei verfallen. So sind neuerdings
einige Schwindelköpfe aufgetreten, die sich hochmütig für geisterfüllte Lehrer ausgeben – aber
sie verachten alles Lesen der Schrift und machen sich über die Einfalt derer lustig, die nach ihrer
Meinung an toten und tötenden Buchstaben hangen. Ich möchte nur fragen, was das denn für ein
Geist sei, durch dessen Wehen sie so hoch daherfahren, daß sie die Lehre der Schrift als kindisch
und unwesentlich zu verachten sich erkühnen! Sollten sie antworten, das sei Christi Geist, so ist
das lächerliche Verblendung. Denn sie werden ja dann doch wohl zugeben, daß die Apostel Christi
und die anderen Gläubigen in der Urkirche von keinem anderen Geiste erleuchtet gewesen sind. Aber
dieser Geist hat keinen von ihnen die Verachtung des Wortes Gottes gelehrt, sondern sie haben nur
größere Verehrung gelernt, wie ihre Schriften deutlichst bezeugen. So war es schon vom Propheten
Jesaja vorhergesagt. Wenn er nämlich ausspricht: "Mein Geist, der in dir ist, und meine Worte,
die ich in deinen Mund gelegt habe, sollen nicht von deinem Munde weichen noch von dem Mund deines
Samens ewiglich" (Jes. 59,21), so bindet er das Volk des Alten Bundes nicht an eine
äußerliche Lehre, als ob es noch in den Anfangsgründen steckte, nein, er lehrt, das werde das
rechte und volle Heil der neuen Gemeinde unter der Herrschaft Christi sein, daß sie nicht weniger
durch das Wort Gottes als durch den Geist regiert würde! Hier wird deutlich, daß jene Windbeutel
in schändlichem Frevel auseinanderreißen, was der Prophet zu unverletzlicher Einheit verbunden
hat. Man muß hierzu noch beachten, daß Paulus, der doch bis in den dritten Himmel entzückt worden
ist, nicht aufhörte, in der Lehre des Gesetzes und der Propheten fortzuschreiten, wie er denn auch
den Timotheus, einen Lehrer von so einzigartiger Vorbildlichkeit, zum Festhalten am Lesen der
Schrift ermahnt (1. Tim. 4,13). Und wie denkwürdig ist das Lob, das er der Schrift darbringt, wenn
er sagt, sie sei "nützlich zur Lehre, zur Ermahnung, zur Besserung, daß ein Knecht Gottes
vollkommen sei ..." (2. Tim. 3,16)! Was ist es doch für ein teuflischer Wahn, von einer bloß
zeitlichen und vorübergehenden Geltung der Schrift zu phantasieren – wo sie doch die Kinder
Gottes bis zum äußersten Ziele führt! Auch sollten doch jene Schwärmer angeben, ob sie
eigentlich einen anderen Geist empfangen haben als den, den der Herr seinen Jüngern verheißen hat.
Ich glaube zwar, daß sie vom tollsten Wahn gequält sind – aber das in Anspruch zu nehmen, so
toll werden sie doch nicht sein! Was war das aber für ein Geist, den Christus verhieß? Einer, der
"nicht von ihm selber redete" (Joh. 16,13), sondern der ihnen lebendig einprägte, was er
selbst ihnen durch das Wort übermittelt hatte! Das Amt des Geistes, der uns verheißen ist, besteht
also nicht darin, neue und unerhörte Offenbarungen zu erdichten oder eine neue Lehre aufzubringen,
durch die wir von der überlieferten Lehre des Evangeliums abkommen müßten – sondern sein Amt
ist eben, die Lehre in uns zu versiegeln, die uns im Evangelium ans Herz gelegt wird!
I,9,2 Daraus folgt leicht die Erkenntnis: wir müssen das Lesen und Erforschen der
Schrift mit Eifer betreiben, wenn wir vom Geiste Gottes Nutzen und Frucht empfangen möchten. So
lobt ja auch Petrus den Eifer derer, welche an dem prophetischen Wort festhalten – obwohl man doch
hätte meinen können, dies habe nach dem Aufgang des Evangeliums aufgehört! (2. Petr. 1,19). Wenn
uns aber – so merken wir weiter – irgendein Geist, mit Hintansetzung der Weisheit des Wortes
Gottes, eine andere Lehre aufdringen will, so steht dieser notwendig und mit Recht unter dem
Verdacht des Betrugs und der Lüge! Denn der Teufel kann sich in einen Engel des Lichts verwandeln,
was soll deshalb ein Geist für Autorität bei uns haben, wenn er nicht durch die gewissesten
Kennzeichen ausgewiesen ist? Nun gibt uns aber das Wort des Herrn solche Kennzeichen völlig klar
an; nur daß jene elenden Menschen, die freiwillig in ihr Unheil rennen, den Geist lieber bei sich
selber als bei Gott suchen! Aber sie wenden nun ein, es sei unwürdig, wenn der Geist Gottes, dem
doch alles Untertan ist, der Schrift unterworfen sei. Als ob es eine Schande für den Heiligen Geist
wäre, sich überall gleich zu sein, in allem dauernd mit sich übereinzustimmen und niemals zu
wechseln! Würde er nach der Richtschnur von Menschen oder Engeln oder nach sonst einer Regel
beurteilt, dann könnte man wirklich sagen, er würde gemeistert oder, wenn man will, geknechtet.
Aber er wird doch nur mit sich selbst verglichen, an sich selbst gemessen – wer kann dann
behaupten, ihm widerführe eine Beleidigung? Freilich wird er auf solche Weise einer Prüfung
unterworfen – aber doch nur so, wie er selbst seine Majestät unter uns hat bestätigen wollen!
Uns muß es genug sein, daß er sich uns offenbart. Aber damit nicht unter seinem Namen der Geist
des Satans einschleiche, so will er an seinem Bilde, das er der Schrift aufdrückte, erkannt werden.
Er ist der Urheber der Schrift – so kann er nicht wechseln und sich selber ungleich werden! Wie er
aber dort einmal sich zeigte, so muß er fort und fort bleiben! Das ist keine Schande für ihn –
es sei denn, daß wir etwa meinten, es bringe einem Ehre, von sich selber zu weichen und zu
entarten!
I,9,3 Wenn sie dann lästern, wir seien dem Buchstaben ergeben, der da töte, so
kommt darin die Strafe für ihre Verachtung der Schrift schon zum Vorschein. Denn an der Stelle (vom
Buchstaben, der da tötet: 2. Kor. 3,6) streitet Paulus offenkundig gegen falsche Apostel, die das
Gesetz ohne Christus lehrten und auf diese Weise dem Volke die Segnung des Neuen Bundes entzogen, in
dem der Herr ja nach seiner Verheißung sein Gesetz den Gläubigen ins Innere eingraben und es ihnen
ins Herz schreiben will. Da ist freilich der Buchstabe tot, da tötet das Gesetz des Herrn seine
Leser, wo man es von Christi Gnade löst und nur mit den Ohren vernimmt, das Herz aber unberührt
läßt. Aber wenn es durch den Geist in unsere Herzen kräftig eingedrückt wird, wenn es uns
Christum zeigt, dann ist es Wort des Lebens, das die Seelen umwandelt, den Geringen Weisheit gibt
usw. So nennt denn der Apostel seine Verkündigung an derselben Stelle das "Amt des
Geistes" (2. Kor. 3,8), und damit zeigt er: Der Heilige Geist ist mit seiner Wahrheit, die er
in der Schrift kundgemacht hat, derart verbunden, daß er erst dann seine Kraft äußert und
erweist, wenn man sein Wort mit gebührender Ehrfurcht und Achtung vor seiner Würde aufnimmt. Damit
steht es nicht im Widerspruch, wenn wir oben zeigten, daß das Wort selbst uns nicht recht gewiß
werden könne ohne die Bekräftigung durch das Zeugnis des Geistes. Denn der Herr hat die Gewißheit
seines Wortes und seines Geistes wechselseitig fest verknüpft. So kommt es einerseits erst dann in
unserem Herzen zu einer festen Bindung an das Wort, wenn der Geist uns entgegenstrahlt, der uns
darin Gottes Antlitz schauen läßt. Und andererseits empfangen wir den Geist ohne alle Furcht vor
Täuschung, wenn wir ihn an seinem Bilde, an dem Wort wiedererkennen. So verhält es sich in der
Tat. Gott hat uns sein Wort nicht zu flüchtigem Anschauen gegeben, um es dann sogleich durch die
Sendung des Geistes wieder abzuschaffen, sondern er sandte denselben Geist, kraft dessen er zuvor
das Wort ausgeteilt hatte, um sein Werk durch wirksame Bestätigung seines Wortes zu vollenden. Auf
diese Weise öffnete Christus jenen beiden (Emmaus-) Jüngern das Verständnis der Schrift (Luk.
24,27), nicht damit sie ohne die Schrift aus sich selber klug würden, sondern damit sie die Schrift
erkennten. So will auch Paulus die Thessalonicher, wenn er sie ermahnt, den Geist nicht zu dämpfen
(1. Thess. 5,19.20),nicht etwa zu leerem Gedankenspiel, abseits vom Wort, erheben, fondern er fügt
sogleich hinzu, sie sollten "die Weissagung nicht verachten". Damit will er sicherlich
andeuten, daß das Licht des Geistes gedämpft wird, wo man die Weissagung verachtet. Was wollen
hierzu nun die aufgeblasenen Schwärmer sagen, die allein das für die einzige erhabene Erleuchtung
halten, was sie schnarchend erträumt und mit keckem Dünkel aufgegriffen haben, nachdem sie in
ihrer Selbstsicherheit Gottes Wort Übergängen und ihm Valet gesagt haben? Die Kinder Gottes
müssen eine ganz andere Nüchternheit walten lassen. Sie sehen, daß sie ohne Gottes Geist ohne
alles Licht bleiben, und darum wissen sie sehr wohl, daß das Wort das Organ ist, durch welches der
Herr den Gläubigen die Erleuchtung seines Geistes zuteil werden läßt. Sie kennen keinen anderen
Geist als den, der in den Aposteln wohnte und aus ihnen redete, und was er ihnen sagt, das ruft sie
immerdar zum Hören des Wortes zurück!
Die Schrift setzt zur Abwehr alles Aberglaubens den wahren Gott allen Göttern der
Heiden stracks entgegen.
I,10,1 Bisher haben wir gelehrt, daß sich die Kunde von Gott, die uns im
Weltgebäude und in aller Kreatur nicht undeutlich entgegentritt, doch vertrauter und auch klarer im
Worte erschließt. So müssen wir jetzt erwägen, ob der Herr sich uns in der Schrift ebenso
darstellt, wie wir ihn zuvor in seinen Werken abgeprägt sahen. Das wäre freilich ein reicher
Stoff, wenn man ihn genau behandeln wollte. Aber ich will mich damit begnügen, einen Fingerzeig zu
geben. So können fromme Menschen erfahren, was man in der Schrift als wichtigste Lehre von Gott
suchen soll, und auf diese Weise zu einem klaren Richtpunkt (scopus) für ihre Nachforschung kommen.
Ich rede noch nicht von dem besonderen Bund, durch den Gott Abrahams Geschlecht über die übrigen
Völker erhob. Denn indem er solche, die zuvor Feinde waren, durch gnädige Erwählung als seine
Kinder annahm, erschien er schon damals als Erlöser. Wir haben es dagegen vorerst noch mit der
Kunde zu tun, die sich auf die Schöpfung der Welt beschränkt und sich noch nicht zu Christus dem
Mittler erhebt. Freilich muß ich gleich einige Stellen aus dem Neuen Testament anführen; denn auch
dort wird die Macht Gottes des Schöpfers und seine Vorsehung bei der Erhaltung der ersten
Schöpfung bezeugt. Aber ich muß doch die Leser daran erinnern, was ich hier behandeln möchte,
damit sie nicht über die gesetzte Grenze hinausgehen. Für jetzt soll es uns genügen, zu
betrachten, wie Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden, die von ihm geschaffene Welt regiert.
Mitunter wird aber auch seine väterliche Güte und seine Bereitwilligkeit zum Wohltun gerühmt, es
werden auch Beispiele seiner Strenge überliefert, die ihn als gerechten Vergelter des Frevels
darstellen, besonders wo seine Langmut gegen Verhärtete nicht mehr hilft.
I,10,2 An gewissen Stellen finden sich besonders deutliche Beschreibungen, in
welchen uns sein Antlitz wie in einem Bilde lebendig entgegentritt. Mose beschreibt es, und er
scheint dabei kurz haben zusammenfassen zu wollen, was wir Menschen von Gott wissen sollen.
"Herr, Herr, Gott", sagt er, "barmherzig und gnädig und geduldig und von großer
Gnade und Treue, der da bewahrt Gnade in tausend Glieder und vergibt Missetat, Übertretung und
Sünde, vor welchem niemand unschuldig ist; der die Missetaten der Väter heimsucht auf Kinder und
Kindeskinder ..." (Ex. 34,6f.; Calvin zitiert in der zweiten Person). Hier wird seine Ewigkeit
und sein in sich selbst bestehendes Wesen (autousia) dadurch verkündigt, daß der herrliche Name
zweimal wiederholt wird. Dann werden seine Tugenden aufgezählt, die ihn uns beschreiben – nicht
wie er an sich selber ist, sondern wie er sich zu uns stellt, so daß seine Erkenntnis in lebendiger
Empfindung und nicht in leerer und hochfliegender Spekulation besteht. Wir hören: hier werden die
Tugenden aufgezählt, die uns, wie wir bereits bemerkten, von Himmel und Erde her entgegenstrahlen:
Freundlichkeit, Güte, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Gericht, Wahrheit. Denn Kraft und Macht (die
hier nicht erwähnt sind) werden unter dem Gottesnamen "Elohim" (Gott) zusammengefaßt.
Mit den gleichen Benennungen bezeichnen ihn auch die Propheten, wenn sie seinen heiligen Namen recht
verherrlichen wollen. Um nicht viele Stellen anführen zu müssen, wollen wir uns vorderhand mit der
Nennung eines einzigen Psalms begnügen, in welchem seine Tugenden so vollkommen aufgeführt werden,
daß nichts ausgelassen scheint: Psalm 145. Und trotzdem: hier wird nichts genannt, was nicht auch
an der Kreatur erschaut werden könnte! So lernen wir unter Anleitung der Erfahrung Gott als
denselben kennen, als der er sich uns im Worte offenbart. An einer Stelle bei Jeremia, wo er
kundmacht, wie er von uns erkannt werden will, gibt er zwar keine ebenso vollständige, aber in der
Sache ganz übereinstimmende Beschreibung: "Wer sich rühmt, der rühme sich des, daß er mich
kenne und wisse, daß ich der Herr bin, der ich Barmherzigkeit, Gericht und Gerechtigkeit übe auf
Erden" (Jer. 9,23). Diese drei sind uns vornehmlich zu wissen nötig: seine Barmherzigkeit, auf
der allein unser Heil beruht, sein Gericht, das er alle Tage gegen die Frevler übt und für die
Zukunft als ein ewiges Verderben in Aussicht stellt, und seine Gerechtigkeit, in der er die
Gläubigen erhält und mit Güte segnet. Wer diese Stücke erfaßt hat, der hat nach diesem Zeugnis
der Schrift genug, um sich Gottes rühmen zu können! Dabei wird jedoch seine Wahrheit, seine Macht,
seine Heiligkeit, seine Güte keineswegs übergangen. Wie sollte denn das Wissen um seine
Gerechtigkeit, seine Barmherzigkeit und sein Gericht, wie es hier erfordert wird, bestehen können,
wenn es nicht auf seiner unbeweglichen Wahrheit beruhte? Und wie sollte man glauben, daß die Erde
von seinem Gericht und seiner Gerechtigkeit gelenkt wird, wenn man nicht seine Kraft kennt? Woher
kommt denn die Barmherzigkeit anders, als aus der Güte? Wenn endlich alle seine Wege
Barmherzigkeit, Gericht und Gerechtigkeit sind, so wird darin auch seine Heiligkeit offenbar.
Übrigens ist die Erkenntnis Gottes, die uns in der Schrift vor Augen gestellt wird, auf keinen
anderen Zielpunkt ausgerichtet als diejenige, deren Spuren uns aus der Kreatur entgegenleuchten. Wir
werden nämlich erstlich zur Gottesfurcht und dann weiter zum Gottvertrauen angeleitet, um ihn mit
vollkommener Unschuld des Lebens und nicht mit erheucheltem Gehorsam verehren zu lernen und ganz an
seiner Güte zu hangen!
I,10,3 Hier wollen wir aber den Hauptinhalt der ganzen Lehre zusammenfassen. Zuerst
möge deshalb der Leser erkennen, daß die Schrift, um uns zu dem wahren Gott zu leiten, alle
Götter der Heiden ausdrücklich verwirft und ausschließt, weil fast zu allen Zeiten die wahre
Religion verfälscht worden ist. Zwar war der Name des einen Gottes überall bekannt und gerühmt.
Denn wenn die, welche einen ganzen Schwärm von Göttern verehrten, aus ursprünglichem natürlichem
Empfinden heraus redeten, so brauchten auch sie einfach den Namen "Gott", als ob sie mit
einem einzigen Gott zufrieden wären. Das hat Justin der Märtyrer fein bemerkt, der sein Buch
"Von der Alleinherrschaft Gottes" zu dem Zweck verfaßt hat, aus zahlreichen Zeugnissen zu
erweisen, daß die Einheit Gottes allen Menschen ins Herz gegraben ist. Auch Tertullian zeigt das
aus dem allgemeinen Sprachgebrauch. Aber da alle Menschen ohne Ausnahme in ihrer Eitelkeit zu
falschen Erdichtungen sich verleiten ließen und auf solche Weise ihr Erkennen verfinsterten, so
brachte alles das, was sie von Natur an Kunde von dem einzigen Gott besaßen, nur zuwege, daß sie
unentschuldbar waren. Denn auch die Weisesten unter ihnen verraten deutlich, wie eitel und töricht
ihre Gedanken sind, wenn sie nach der Hilfe irgendeines Gottes ausschauen und dann ungewisse Götter
anrufen. Auch haben sie sich verschiedenerlei Wesensformen (Naturen) Gottes erdacht, und wenn sie
auch weniger abgeschmackt als das rohe Volk von Jupiter, Merkur, Venus, Minerva und den anderen
Göttern redeten, so waren auch sie vor den Täuschungen des Satans keineswegs geschützt, und wir
haben ja an anderer Stelle bereits gezeigt: was sich die Philosophen in ihrer Spitzfindigkeit auch
für Ausflüchte ersonnen haben, so können sie doch den Vorwurf des Abfalls nicht von sich
abwaschen, weil sie alle Gottes Wahrheit verderbt haben. Deshalb fordert Habakuk, nachdem er alle
Götzen verdammt hat, auf, Gott in seinem Tempel zu suchen (Hab. 2,20), damit die Gläubigen keinen
Gott annähmen als den, der sich in seinem Worte geoffenbart hat.
Es ist Sünde, Gott sichtbare Gestalt beizulegen; völliger Abfall vom wahren Gott
ist es, wenn man sich Götzenbilder macht.
I,11,1 Die Schrift redet gewiß, um dem rohen und beschränkten Verständnis der
Menschen entgegenzukommen, von Gott allgemein in schlichter Weise. Wo sie ihn von den falschen
Göttern unterscheiden will, da stellt sie ihn deshalb besonders den Götzen entgegen. Damit erkennt
sie nicht etwa die feinere und geschicktere Lehre der Philosophen an, sondern sie will nur die
Torheit der Welt um so besser enthüllen, ja diesen Wahnsinn, dem man erliegt, wenn auf der Suche
nach Gott jeder seinen eigenen Spekulationen nachhängt! Wenn die Schrift Gott allgemein ganz für
sich allein beschreibt und alle sonstige "Gottheit" in der Welt scharf von ihm fernhält,
so macht sie damit alles zunichte, was sich die Menschen aus eigenem Gutdünken an Göttern
hergestellt haben: denn Gott allein ist vollgültiger Zeuge von sich selbst. Nun hat aber der rohe
Unsinn die ganze Welt ergriffen, daß man eine sichtbare Gestalt Gottes haben will und sich deshalb
aus Holz, Stein, Gold, Silber oder sonstigem totem und vergänglichem Stoff Götter bildet; darum
wollen wir als Grundsatz festhalten: Gottes Ehre wird in frevlerischem Betrug angegriffen, wo man
ihm irgendwelche äußere Gestalt andichtet. Nachdem sich deshalb Gott im Gesetz die Ehre der
Gottheit allein zugesprochen, fügt er, um zu zeigen, welche Art der Verehrung er billigt und welche
er verwirft, gleich hinzu: "Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen
..." (Ex. 20,4). Damit hält er unsere Frechheit im Zaum und verbietet uns jeden Versuch, ihn
in irgendeinem sichtbaren Bilde darzustellen. Alle Formen zählt er auf, in denen der Aberglaube
schon damals seine Wahrheit in Lüge zu verkehren angefangen hatte. Wir wissen ja auch, daß die
Perser die Sonne angebetet haben; soviel Sterne die törichten Heiden am Himmel sahen, soviel
Götter erdachten sie sich. Es gab fast kein Tier, das die Ägypter nicht als Gottesbild verwendet
hätten. Die Griechen schienen klüger zu sein als andere, da sie Gott unter menschlicher Gestalt
verehrten (Maximus Tyrius, Philosophoumena II,3). Aber Gott macht unter den Bildern keinen
Unterschied, als ob etwa das eine doch besser passend sei als das andere, sondern er verwirft ohne
Ausnahme alle Götzenstandbilder, alle gemalten Idole und alle anderen Zeichen, unter denen der
Aberglaube Gottes Nähe zu besitzen wähnt.
I,11,2 Das kann man leicht aus den Gründen entnehmen, die Gott jenem Verbot
beigibt. So spricht er zu Mose: "Gedenke, was der Herr dir im Tale am Horeb gesagt hat; seine
Stimme hast du gehört, aber seine Gestalt nicht gesehen. Darum sieh dich vor, daß du dich nicht
verführen lässest, dir irgendein Bildnis zu machen ..." (Deut. 4,15; nicht Luther). Wir
sehen, wie Gott sein Wort klar allen Bildern und Gestaltungen entgegensetzt, damit wir wissen: wer
eine sichtbare Gestalt Gottes haben will, der fällt von ihm ab! Aus den Propheten mag allein Jesaja
angeführt werden, der mit besonderem Nachdruck hierauf den Finger legt, um zu lehren, daß Gottes
Majestät in ungeziemender und schändlicher Einbildung in den Schmutz gezogen wird, wenn er, der
Leiblose, in körperlichem Stoff, der Unsichtbare in sichtbarem Bildwerk, der Geist in seelenlosem
Dinge, der Unermeßliche und Unendliche in einem Stück geringem Holz oder Stein oder Gold
dargestellt wird (Jes. 40,18; 41,7.29; 45,9; 46,5). Ebenso urteilt auch Paulus: "Sind wir denn
göttlichen Geschlechts, so sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen
und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht" (Apg. 17,29). Es steht
also fest: was je an Standbildern errichtet oder an Bildern gemalt wird, um Gott darzustellen, das
mißfällt ihm stracks als Schändung seiner Majestät. Dann ist es aber auch nicht verwunderlich,
daß der Heilige Geist, der solches vom Himmel her kundmacht, auch gelegentlich auf Erden arme,
blinde Götzendiener zum gleichen Bekenntnis zwingt! Bekannt ist jene Klage des Seneca, die man bei
Augustin liest: "Die heiligen, unsterblichen, unverletzlichen Götter verehren sie im
gemeinsten und unedelsten Stoff, ziehen ihnen das Gewand von Menschen und Tieren an, manche denken
sie zweigeschlechtlich oder aus zweierlei Leibern zusammengesetzt, und sie nennen das Götter, was,
wenn es Leben hätte und einem begegnete, als Ungeheuer gelten müßte" (Augustin, Vom
Gottesstaat, Buch 6, Kap. 10). Hieraus wird wiederum klar, daß die Verteidiger der Bilder sich mit
fauler Sophisterei helfen, wenn sie einwenden, das Gebot der Bilderverehrung sei (bloß) den Juden
wegen ihres Hangs zum Aberglauben gegeben worden. Als ob sich das, was Gott aus seinem ewigen Wesen
und der unauflöslichen Ordnung der Natur offenbart, bloß auf ein einziges Volk beziehen könnte!
Zudem wendet sich Paulus in der eben angeführten Rede, in der er dem Irrtum einer Abbildung Gottes
entgegentritt, ja gar nicht an Juden, sondern an die Athener!
I,11,3 Nun hat gewiß Gott zuweilen seine heilige Gegenwart so enthüllt, daß es
heißt, er sei "von Angesicht zu Angesicht" gesehen worden. Aber alle Zeichen, die er je
gewährte, waren ganz dazu angetan, das Volk zu belehren, und gemahnten die Menschen zugleich
deutlich an die Unbegreiflichkeit seines Wesens. Denn es traten Wolken und Flammen auf und legten,
obwohl sie Merkzeichen seiner himmlischen Herrlichkeit sind, zugleich aller Zudringlichkeit den Zaum
an, um die Menschen an jedem Versuch zu hindern, höher vorzustoßen (Deut. 4,11). Deshalb ist nicht
einmal dem Mose, dem sich Gott doch vertrauter zeigte als allen anderen, auf seine Bitten hin
gewährt worden, sein Angesicht zu schauen; vielmehr empfing er die Antwort, solchen Glanz könne
kein Mensch ertragen (Ex. 33,20). Gewiß erschien der Heilige Geist in Gestalt einer Taube (Matth.
3,16). Aber er verschwand doch gleich wieder, und so handelt es sich bei seiner Erscheinung offenbar
um ein flüchtiges Merkzeichen, durch das die Gläubigen ermahnt werden sollen, an den Heiligen
Geist als den Unsichtbaren zu glauben, damit sie, mit seiner Kraft und Gnade zufrieden, sich keine
äußere Darstellung erdenken möchten. Daß Gott zuweilen in Menschengestalt erschien, das war das
Vorspiel der künftigen Offenbarung in Christus. Dies durften also die Juden keinesfalls als Vorwand
mißbrauchen, um sich ein Zeichen der Gottheit unter Menschengestalt zu machen. Auch der
"Gnadenstuhl", von dem aus sich Gott zur Zeit des Gesetzes wirksam gegenwärtig erwies,
war so gestaltet, daß er andeutete, das beste Anschauen der Gottheit sei, wenn sich die Seelen in
Bewunderung über sich erheben. Bedeckten ihn doch die Cherubim mit ausgebreiteten Flügeln,
verdeckte ihn doch der Vorhang – ja, die Lade schon machte ihn verborgen! (Ex. 25,17.18.21). Es
ist deshalb offenkundiger Wahn, wenn man versucht, Bilder Gottes oder der Heiligen mit dem Beispiel
dieser Cherubim zu verteidigen. Was bedeuteten denn in aller Welt diese Bilder anders, als daß
Bilder untüchtig seien, die Geheimnisse Gottes darzustellen? Sie waren doch dazu bestimmt, mit
ihren Flügeln den "Gnadenstuhl" zu verhüllen, auf diese Weise den menschlichen Augen und
allen Sinnen den Anblick Gottes zu verwehren und so aller Verwegenheit sich entgegenzustellen! Und
wenn die Propheten die ihnen in ihren Gesichten gezeigten Seraphim mit verhülltem Angesicht
darstellen (Jes. 6,2), so zeigen sie dadurch an, daß der Glanz der göttlichen Herrlichkeit so
stark ist, daß ihn auch die Engel nicht unmittelbar anzuschauen vermögen, und daß selbst die
zarten Fünkchen, die an den Engeln erstrahlen, unserem Auge entzogen werden müssen. Außerdem wird
von allen, die recht urteilen, anerkannt, daß die Cherubim, von denen hier die Rede ist, zur
damaligen Erziehung unter dem Gesetz gehören. Deshalb ist es widersinnig, sie als Beweis für
unsere Zeit anführen zu wollen. Denn das kindliche Zeitalter – wenn ich mich so ausdrücken darf
– , dem solche Anfangsgründe zugewiesen waren, ist vergangen! Es ist wirklich beschämend, daß
weltliche Schriftsteller bessere Ausleger des Gesetzes Gottes sind als die Papisten. So wirft
Juvenal den Juden höhnisch vor, sie verehrten leere Wolken und des Himmels Gottheit. Das ist gewiß
verkehrt und gottlos geredet, aber es liegt, da Juvenal die Existenz eines Götterbildes bei den
Juden bestreitet, immerhin mehr Wahrheit darin als in dem Gerede der Papisten, es sei irgendein
sichtbares Abbild Gottes vorhanden gewesen! Nun ist freilich das Volk oft genug so hitzig und
schnell dazu übergegangen, sich Götzen zu verschaffen, wie wenn aus einer großen Quelle das
Wasser mit gewaltiger Wucht hervorbricht. Aber daraus sollen wir doch vielmehr lernen, wie groß
unser angeborener Hang zum Götzendienst ist, damit wir nicht die Schuld für ein allgemeines
Verderben auf die Juden schieben und selbst in todbringendem Schlaf den eitlen Lockungen der Sünde
erliegen!
I,11,4 Eben darauf zielt das Wort: "Die Bilder der Heiden sind Silber und Gold,
von Menschenhänden gemacht" (Ps. 115,4; 135,15). Denn aus der Stofflichkeit folgert der
Prophet, daß Bilder von Gold und Silber nicht Götter sein können; des weiteren setzt er als
unwidersprochen voraus, daß, was wir selbst von Gott erdacht haben, ein törichtes Gebilde ist. Er
nennt aber Gold und Silber lieber als Lehm und Stein, damit nicht Glanz und Wert den Götzenbildern
Ehre verschaffe. Jedoch zieht er allgemein den Schluß, es sei nichts unglaublicher, als daß man
aus irgendwelchem toten Stoff Götter machen könne. Nicht weniger aber besteht er darauf, daß der
Mensch, der Gottes Ehre den Götzen zu geben wagt, von ganz toller Vermessenheit sich treiben läßt,
da er doch selbst den flüchtigen Odem in jedem Augenblick seines Lebens leihweise empfängt. Der
Mensch muß sich selbst als Geschöpf eines einzigen Tages bekennen – und er will ein Metall, dem
er erst selbst die Göttlichkeit beilegt, für Gott gehalten wissen! Denn woher stammen die Götzen
anders, als aus menschlichem Gutdünken? Da besteht der Spott des weltlichen Dichters ganz zu Recht:
"Ein Feigenklotz, ein wenig nützes Holz war ich, als einst der Zimmermann, unschlüssig, was
aus mir werden sollte, ein Schemel oder sonst ein Ding – zum Gott mich lieber machen wollte."
(Horaz). So will der Mensch, das Erdengebild, der fast in jedem Augenblick sein Leben ausatmet, mit
seiner Kunst Gottes Namen und Gottes Ehre auf einen toten Klotz übertragen! Indessen ist jener
Horaz in seinem tollen Spott ein Epikuräer, und er fragt nach keiner Religion; deshalb wollen wir
seine und seinesgleichen Scherzreden fahren lassen. Besser soll uns der Ernst des Propheten treffen,
ja durchbohren, wenn er den Wahnsinn der Menschen züchtigt, die aus dem gleichen Holz sich wärmen,
den Ofen heizen, Brot backen, Fleisch kochen und braten – und sich einen Gott machen, vor dem sie
sich anbetend niederwerfen! (Jes. 44,12ff.) Deshalb wirft er ihnen an anderer Stelle ihre Schuld
nicht nur auf Grund des Gesetzes vor, sondern hält ihnen zugleich tadelnd vor Augen, daß sie auch
aus den Urgründen der Erde nicht die erforderliche Lehre gezogen hätten (Jes. 40,21) – da doch
nichts so widersinnig sei, als Gott, den Unermeßlichen und Unbegreiflichen, auf ein Maß von fünf
Fuß beschränken zu wollen. Und dennoch zeigt die Erfahrung, daß diese ungeheure Verirrung, die
doch offenkundig gegen die Ordnung der Natur geht, dem Menschen natürlich ist! – Es ist weiter zu
bemerken, daß die Schrift dem Aberglauben immer wieder mit der Bemerkung entgegentritt, er sei das
"Werk von Menschenhänden", das der göttlichen Beglaubigung entbehrt (Jes. 2,8; 31,7;
57,10, Hos. 14,4, Micha 5,12). Damit soll ganz unerschütterlich feststehen, daß alle Arten der
Gottesverehrung, die die Menschen sich ausdenken, ein Greuel sind. Mit heftigem Zorn tritt der
Prophet im Psalm (115) dagegen auf, daß Menschen von toten und fühllosen Dingen Hilfe erwarten,
denen doch Gott soviel Verstand gegeben hat, daß sie wissen: es wird alles durch Gottes Kraft
bewegt und regiert! Aber die Völker wie auch jeden einzelnen für sich allein treibt ja die
Verderbnis der Natur zu solchem Wahnsinn, und deshalb donnert am Schluß der Heilige Geist mit
schrecklichem Fluch: "Wer so tut und auf dergleichen sein Vertrauen setzt, der möge jenen
(Götzenbildern, die doch tot sind) gleich werden!" (Ps. 115,8; Luther etwas anders). Auch muß
man wohl beachten, daß das "Gleichnis" nicht weniger untersagt wird als das
"Bildnis". So erweist sich der törichte Vorwand der Griechen (= Ostkirche) als falsch:
diese meinen, sie hätten alles Verlangte getan, wenn sie Gott nicht in Werken der Bildhauerkunst
darstellen – während sie sich in gemalten Bildern schlimmer als irgendwelche anderen Völker die
Zügel schießen lassen. Aber der Herr verbietet nicht bloß, daß ihm vom Bildhauer ein Bildnis
gemacht werde, sondern er will überhaupt von keinem Künstler gebildet werden; denn solche
Abbildung geschieht verkehrt und unter Verachtung seiner Majestät.
I,11,5 Nun kenne ich sehr wohl die allgemein mehr als gebräuchliche Redeweise, die
Bilder seien "der Laien Bücher". Das hat Gregor (Papst Gregor I.) gesagt. Der Heilige
Geist aber lehrt uns ganz etwas anderes, und wenn sich Gregor an diesem Stück in seiner Schule
hätte unterrichten lassen, so hätte er diesen Ausspruch nie getan. Denn wenn Jeremia erklärt, ein
Holz lehre nur unnütze Dinge (Jer. 10,3), wenn Habakuk das (Götzen-)Gebild einen Lügenlehrer
nennt (Hab. 2,18), dann ist doch daraus ganz allgemein zu entnehmen, daß alles nichtig, ja
lügenhaft ist, was der Mensch von den Bildern lernen könnte. Wenn nun jemand einwenden wollte, die
Propheten träten doch gegen solche Leute auf, welche die Bilder zu gottlosem Aberglauben
mißbrauchten, so gebe ich das zwar zu, aber ich füge hinzu, was jedermann einleuchtet, nämlich
daß jene (die Propheten) gerade das voll und ganz verurteilen, was bei den Papisten geradezu als
sicherer Grundsatz gilt, nämlich, daß die Bilder an die Stelle von Büchern treten könnten. Denn
die Propheten setzen dem wahren Gott die Bilder entgegen, als Dinge, die in schroffem Gegensatz zu
ihm stehen und nie mit ihm übereinkommen können! Dieser Gegensatz (zwischen Gott und den Bildern)
findet sich an den oben angeführten Stellen: da es der eine und wahre Gott war, den die Juden
verehrten, so war es verkehrt und falsch, sichtbare Gestalten zu bilden, die Gott darstellen sollten
– und alle, die von da her Gotteserkenntnis erwarteten, ließen sich jämmerlich betrügen. Wäre
die aus den Bildern gewonnene Gotteserkenntnis nicht trügerisch und verkehrt, dann würden sie die
Propheten nicht so allgemein verdammen. Wenn wir also lehren, daß es Eitelkeit und Lüge ist, wenn
der Mensch versucht, Gott in Bildern darzustellen, so geben wir bloß wörtlich wieder, was die
Propheten ausgesagt haben!
I,11,6 Man lese auch, was hierüber Lactantius und Eusebius geschrieben haben. Sie
erklären grundsätzlich, daß Wesen, die man in Bildern abgebildet sehen kann, notwendig sterblich
sein müssen. Auch Augustin urteilt nicht anders. Er erklärt nicht nur die Anbetung von Bildern
für Frevel, sondern auch das Unterfangen, sie Gott zu weihen. Damit spricht er nichts anderes aus,
als was viele Jahre zuvor das Konzil zu Elvira (im Jahre 306) zum Beschluß erhoben hatte. Denn
dessen 36. Kanon lautet: "In den Tempeln (Kirchen) sollen keine Gemälde sein, damit nicht an
die Wände gemalt werde, was man verehren oder anbeten soll." Aber in besonderer Weise ist
denkwürdig, was Augustin aus Varro anführt und selbst völlig unterschreibt: "Die zuerst
Bildnisse der Götter einführten, die haben den Menschen die (Gottes-)Furcht weggenommen und ihnen
dafür den Irrtum gegeben." (Vom Gottesstaat 4,9; 31,2). Hätte das bloß Varro gesagt, so
hätte es vielleicht wenig Autorität. Aber auch dann müßte es uns doch billig beschämen, daß
ein Heide, obwohl im Dunkeln tappend, doch Licht genug geschaut hat, um einzusehen, daß
körperliche Bilder der Majestät Gottes unwürdig sind, weil sie unter den Menschen die Ehrfurcht
vor ihm vermindern und den Irrtum vergrößern. Die Sache selbst bezeugt, daß dies ebenso wahr wie
weise geredet ist, und Augustin, der den Ausspruch aus Varro entlehnt, bringt ihn als seine eigene
Meinung vor. Er erinnert zunächst daran, daß die ersten Irrtümer über Gott, in die sich die
Menschen verstrickt haben, nicht bei den Götzenbildern ihren Anfang hatten, daß sie aber dann,
nachdem sie (eben an den Bildern) weitere Nahrung gefunden, kräftig zunahmen. Dann zeigt er, wie
jene (von Varro behauptete) Minderung oder gar Aufhebung der Furcht Gottes eben deshalb erfolge,
weil seine Gottheit durch die Narrheit der Bildnisse und durch ungeziemende und widersinnige
Darstellung leicht in Verachtung gerate. Das letztere bestätigt die Erfahrung nur allzusehr! Wer
also recht belehrt werden will, der muß anderswo als bei den Bildern lernen, was man von Gott
wissen muß!
I,11,7 Wenn also die Papisten noch einige Scham in sich haben, so mögen sie sich
fürderhin nicht mehr der Ausflucht bedienen, die Bilder seien "der Laien Bücher" –
denn das wird allzu deutlich in vielen Zeugnissen der Schrift widerlegt. Aber wenn ich es ihnen
trotz allem zugäbe, so würden sie in der Verteidigung ihrer Götzen doch nicht viel gewinnen. Denn
es ist ja bekannt, was für Ungeheuer sie an Gottes Statt setzen! Und die Gemälde und Bildsäulen,
die sie den Heiligen errichten – was sind die anders als Musterbilder der verderbtesten Üppigkeit
und Schamlosigkeit? Würde sich einer nach solchem Vorbild wirklich richten, der wäre Prügelns
wert! Die Dirnen in ihren Hurenwinkeln sind schamhafter und züchtiger bekleidet als das, was die
Papisten in ihren Kirchen für Bilder von Jungfrauen gehalten wissen wollen! Auch den Märtyrern
geben sie keine anständigere Gewandung. Deshalb sollen sie ihre Götzen zuerst einmal etwas
anständiger darstellen, damit sie etwas sittsamer lügen können, das seien Bücher von
irgendwelcher Heiligkeit! Aber selbst dann werden wir noch antworten, dies sei nicht die rechte Art
und Weise, das gläubige Volk an geheiligter Stätte zu unterweisen: denn Gott will, daß das Volk
mit einer ganz anderen Lehre als mit solchen Narrenpossen unterrichtet werde! Er stellt allen
Menschen die eine, gemeinsame Lehre vor Augen und läßt sie in der Predigt seines Wortes und den
heiligen Sakramenten unterweisen. Solche Menschen aber, die ihre Augen umherschweifen lassen, um die
Bilder zu beschauen, können auf diese Lehre nicht die gebührende Aufmerksamkeit verwenden! Was
für Menschen sind das aber auch, welche die Papisten "Laien" nennen, deren Unwissenheit
bloß mit Bildern sollte behoben werden können? Es sind doch die, welche der Herr als seine Jünger
anerkennt, die er der Offenbarung seiner himmlischen Lehre (philosophia) würdigt, die er in den
heilsamen Geheimnissen seines Reiches will erziehen lassen! Nun mögen es freilich, wie die Dinge
liegen, heutzutage wenige sein, die solche Bücher entbehren können! Aber ich frage: woher kommt
denn diese Unwissenheit anders, als daher, daß man diese Menschen der Lehre beraubt hat, die allein
geschickt war, sie zu bilden? Wenn die Vorsteher der Kirche den Bildern das Lehramt übertragen
haben, so geschah das aus keinem anderen Grunde, als weil sie selber – stumm waren: Paulus
bezeugt, daß durch die wahre Predigt des Evangeliums Christus abgemalt, ja sozusagen vor unseren
Augen gekreuzigt wird! (Gal. 3,1). Wozu also soviele Kreuze überall in den Kirchen, aus Holz und
Stein, Silber und Gold? Man hätte sie gewiß nicht aufzurichten brauchen, wenn man treulich
gepredigt hätte, daß Christus den Tod erlitten hat, um am Kreuze für uns den Fluch zu tragen, um
unsere Sünde mit dem Opfer seines Leibes zu sühnen, mit seinem Blute abzuwaschen und uns mit dem
Vater zu versöhnen! Aus diesem einen hätte man mehr lernen können als aus tausend hölzernen oder
steinernen Kreuzen – denn auf die goldenen und silbernen richten die Geizhälse ihre Augen doch
vielleicht steifer als auf irgendein Wort Gottes!
1,11,8 Was den Ursprung der Götzenbilder betrifft, so hält man allgemein die
Darstellung im Buche der Weisheit für richtig (Weisheit 14,15), nämlich: Urheber der Götzenbilder
seien solche Menschen gewesen, die den Verstorbenen eine derartige Ehre erwiesen, daß sie
schließlich ihr Gedächtnis abergläubisch verehrten. Nun glaube ich gewiß auch, daß dieser
verkehrte Brauch sehr alt ist, ich will auch nicht leugnen, daß er wie eine Fackel gewirkt hat, um
den wilden Hang der Menschen zum Götzendienst noch mehr anzufachen. Aber ich gebe nicht zu, daß
dies die Quelle solchen Übels sei. Denn daß es schon früher Götzen gab, bevor überhaupt jene
Sucht, den Verstorbenen zu ihrem Gedächtnis Bilder zu weihen, recht aufkam, von der ja bei den
weltlichen Schriftstellern öfters die Rede ist, das geht aus Mose hervor. Dieser berichtet (Gen.
31,19), daß Rahel ihres Vaters Götzen stahl – und redet dabei wie von einem allgemein
verbreiteten Laster. Daraus geht hervor, daß der Menschengeist zu allen Zeiten sozusagen eine
Werkstatt von Götzenbildern gewesen ist. Seit der Sintflut kam es gewissermaßen zu einer Neugeburt
der Welt – aber es gingen wenig Jahre dahin, bis die Menschen sich nach ihrem Gelüste
Götzenbilder herstellten! Es ist wohl glaublich, daß noch zu Lebzeiten des heiligen Erzvaters
(Noah) seine Enkel dem Götzendienst verfielen, so daß er mit eigenen Augen unter bitterstem
Schmerz gewahren mußte, wie die Erde mit Götzen verunreinigt wurde – obwohl doch Gott kurz zuvor
ihre Verderbnis in so schrecklichem Gericht ausgefegt hatte! Denn Tharah und Nahor waren schon vor
der Geburt des Abraham Verehrer falscher Götter, wie Josua bezeugt (Jos. 24,2). Wenn schon das
Geschlecht des Sem so schnell abfiel, was sollen wir dann erst von den Nachkommen des Ham sagen, die
doch schon zuvor in ihrem Vater verflucht waren? Es ist tatsächlich so: der Menschengeist, voll
Hochmut und Vermessenheit, wagt sich einen Gott nach seinem Fassungsvermögen auszudenken, und weil
er von Schwachsichtigkeit befallen, ja von scheußlichster Unwissenheit umhüllt ist, so erfaßt er
in Wirklichkeit an Gottes Statt ein nichtiges Ding, ja ein eitles Gespenst! Zu solchen Übeln kommt
dann neuer Frevel, insofern der Mensch Gott nun auch mit dem Werk darzustellen versucht, so wie er
ihn innerlich ersonnen. Der Geist nämlich erzeugt das Götzenbild, die Hand gebiert es! Der
Ursprung des Götzendienstes besteht, wie das Beispiel der Israeliten zeigt (Ex. 32,1ff.), darin,
daß der Mensch nicht glaubt, Gott werde ihm zur Seite stehen, wenn er sich nicht leiblich als
gegenwärtig darstellt. "Wir wissen nicht", so sagten die Israeliten, "was diesem
Mose zugestoßen ist. Mache uns Götter, die vor uns hergehen." Sie wußten wohl, daß Gott
sei, und sie hatten ja seine Kraft an soviel Wundern selbst erfahren. Aber sie glaubten nicht, er
sei ihnen nahe, wenn sie nicht mit eigenen Augen ein körperliches Merkzeichen seines Angesichts
sähen, das ihnen die Leitung durch Gott verbürgte. An einem ihnen vorangehenden Bilde wollten sie
also erkennen, daß Gott ihr Führer auf der Wanderung sei! Auch die alltägliche Erfahrung bezeugt,
daß das Fleisch stets unruhig ist, bis es ein Gebild seinesgleichen erhascht hat, dessen es sich
als eines Bildes Gottes töricht getrösten könne. Um diesem blinden Gelüste zu frönen, haben die
Menschen zu allen Zeiten fast seit Erschaffung der Welt Zeichen errichtet, in welchen sie Gott vor
ihren fleischlichen Augen zu schauen wähnten!
I,11,9 Solcher Herstellung von Bildwerken folgt dann alsbald die Anbetung. Da die
Menschen in ihren Bildern Gott anzuschauen vermeinten, so erwiesen sie ihm auch dort Verehrung. Da
sie nun mit Seele und Auge ganz an die Bilder gefesselt waren, so begannen sie schließlich immer
mehr in tierisches Wesen zu verfallen und staunten sie bewundernd an, als ob etwas Göttliches darin
wäre. Gewiß ist,daß die Menschen zur Anbetung der Bilder erst dann fortschreiten, wenn sich schon
ein größerer Wahn ihrer bemächtigt hat. Sie meinen dann freilich nicht eben, die Bilder seien
Götter, sondern bilden sich ein, es wohnte in ihnen irgendeine göttliche Kraft. Ob man sich nun
die Kreatur oder Gott im Bilde darstellt: sobald man sich zur Verehrung niederwirft, ist man von
irgendeinem Wahnglauben bezaubert! Aus diesem Grunde hat Gott nicht nur verboten, ihm Standbilder zu
errichten, die ihn selbst darstellen sollen, sondern auch, ihm Inschriften oder Steine zu weihen,
die etwa zur Anbetung aufgestellt würden! Deshalb redet auch das Gebot des Gesetzes in seinem
zweiten Teil von der Anbetung. Denn sobald man Gott eine sichtbare Gestalt angedichtet hat, legt man
dieser auch seine Kraft bei. Die Menschen sind so betört, daß sie Gott an das binden, was sie zu
seiner Abbildung geschaffen haben – und dann ist die Anbetung die unvermeidliche Folge! Dabei
macht es nun gar nichts aus, ob man einfach das Götzenbild anbetet, oder Gott in dem Götzenbild.
Denn es ist stets Götzendienst, wenn man dem Bilde, gleich unter was für einem Vorwande,
göttliche Ehre erweist. Und weil Gott nicht abergläubisch verehrt werden will, so wird ihm
geraubt, was man den Götzen gibt. Das sollten sich alle die merken, welche zur Verteidigung des
verfluchten Götzendienstes, durch den schon seit Jahrhunderten die wahre Religion ertränkt und
erstickt worden ist, nach elenden Vorwänden haschen! So sagt man: die Bilder werden ja gar nicht
für Götter gehalten! So völlig unwissend waren die Juden wahrhaftig nicht, daß sie etwa, bevor
sie das Kalb machten, vergessen hätten, daß es Gott war, durch dessen Hand sie aus Ägyptenland
geführt worden waren! Als Aaron sagte: "Das sind deine Götter, die dich aus Ägyptenland
ausgeführt haben", da sagten sie unerschrocken "ja" dazu und bezeugten damit ohne
allen Zweifel, sie wollten den Gott, der ihr Befreier war, behalten – nur wollten sie ihn in dem
Kalbe vorangehen sehen! Man soll doch auch die Heiden nicht für so dumm halten, daß sie etwa nicht
wüßten, daß ein Gott etwas anderes sei denn Holz oder Stein. Denn sie veränderten die Bilder
nach Gutdünken, behielten aber die Götter stets gleich in ihrer Seele. Auch hatte ein Gott viele
Bilder, aber man erdachte sich doch deshalb nicht eine dementsprechende Menge von Göttern.
Außerdem weihten die Heiden alle Lage neue Bilder; aber sie dachten nicht daran, damit etwa neue
Götter zu machen. Man sollte die Entschuldigungen lesen, die nach Augustins Bericht von den
Götzendienern seiner Zeit vorgewendet wurden. Wenn man sie anklagte, so gaben die Unklugen durchweg
die Antwort, sie verehrten doch nicht das Sichtbare, sondern die Gottheit, die dort unsichtbar
wohne! Und wer – nach Augustins Worten – eine reinere Religionsübung hatte, der gab an, weder
das Bild, noch den Götzen zu verehren, sondern im leiblichen Bilde Merkzeichen dessen zu suchen,
was man verehren müsse (Augustin, Zu Psalm 113). Was ergibt sich daraus? Alle Götzendiener, ob
Juden oder Heiden, waren nicht anders gesinnt, als ich geschildert habe: mit der geistlichen
Erkenntnis nicht zufrieden, meinten sie aus den Bildern eine nähere und gewissere zu empfangen.
Nachdem ihnen aber einmal diese abergläubische Darstellung Gottes gefallen hatte, gab es kein Ende
mehr, bis sie, durch wiederholte Gaukeleien getäuscht, zu der Meinung kamen, Gott übe in den
Bildern seine Kraft aus. Trotzdem waren die Juden überzeugt, den ewigen Gott, den einigen, wahren
Herrn Himmels und der Erde in solchen Bildern zu verehren, und auch die Heiden meinten so ihren
Göttern Verehrung zu erweisen, die zwar falsche Götter waren, von denen sie aber doch glaubten,
daß sie im Himmel wohnten.
Wer nun meint, das sei vor Zeiten geschehen, komme aber zu unseren Tagen nicht mehr
ehr vor, der lügt unverschämt. Weshalb wirft man sich denn vor den Bildern nieder? Weshalb wendet
man sich mit Bitten an sie wie an Gottes Ohr? Denn es ist doch wahr, was Augustin sagt: keiner
schaue ein Bild in Gebet und Anbetung an, der nicht innerlich von dem Glauben erfüllt sei, von ihm
erhört zuwerden, oder von der Hoffnung, es werde ihm geschenkt, was er erbitte! (Augustin, Zu Psalm
113). Weshalb macht man unter den Bildern desselben Gottes einen solchen Unterschied, daß man das
eine übergeht oder bloß auf gewöhnliche Weise achtet, das andere aber mit allerlei großartiger
Ehrung geradezu verfolgt? Weshalb ermüdet man sich in feierlich gelobten Wallfahrten, um Bilder zu
schauen, die doch jeder selbst ähnlich zu Hause hat? Weshalb kämpft man noch heutzutage für sie
wie für Haus und Herd, bis zu Mord und Totschlag? Man würde sich sogar leichter den einigen Gott
entreißen lassen als seine Götzenbilder! Und dabei führe ich nicht einmal die groben Irrtümer
des Volkes auf, die beinahe ohne Ende sind und fast alle Herzen besessen halten. Ich zähle nur auf,
was gerade die bekennen, die sich am meisten von dem Vorwurf des Götzendienstes reinigen möchten!
Wir nennen sie doch gar nicht unsere Götter, sagen sie. Auch Juden und Heiden nannten sie ehedem
nicht so, und doch hörten die Propheten nicht auf, ihnen Hurerei mit Holz und Steinen vorzuwerfen
– und das bloß um desselben Frevels willen, der alle Tage von Leuten geschieht, die für Christen
gehalten werden wollen. Dieser Frevel bestand darin, daß man Gott in Holz und Stein fleischlich
verehrte!
I,11,11 Indessen weiß ich sehr wohl, und es soll auch nicht verschwiegen werden,
daß sie sich mit einer sehr spitzfindigen Unterscheidung zu helfen suchen, auf die ich später noch
näher eingehen will (vgl. Kap. 12,2). Sie behaupten nämlich, die Verehrung, die sie ihren Bildern
erweisen, sei Bilderdienst (Idodulie), leugnen aber, es sei Bilderverehrung (Idolatrie). Dieser
"Dienst", sagen sie, könne ohne Beleidigung Gottes Standbildern und Gemälden zuteil
werden. So meinen sie unschuldig zu sein, da sie ja nur Diener, nicht aber Verehrer der Bilder
seien! Als ob verehren nicht im Grunde gar etwas weniger wäre als Dienen! Und während sie hinter
dem griechischen Wort einen Schlupfwinkel suchen, widersprechen sie sich doch selbst auf ganz
kindische Weise. Denn da das griechische "latreuein" (von dem "Idolatrie"
herkommt) nichts anderes bedeutet als "Verehrung erweisen", so bedeutet das, was sie
sagen, soviel, als wenn sie behaupten wollten, sie verehrten ihre Bilder, aber ohne Verehrung! Sie
dürfen aber auch nicht sagen, ich versuchte sie in Worten zu fangen; sie bringen ja selbst,
während sie einfachen Leuten Sand in die Augen zu streuen versuchen, ihre Unwissenheit ans Licht.
So beredt sie auch sein mögen, sie werden uns doch mit aller Beredsamkeit nie zu beweisen
vermögen, daß ein und dieselbe Sache zweierlei Sache sei! Sie sollen den Unterschied in der Sache
nachweisen, damit man sie von den alten Götzendienern unterscheiden kann! Denn wie ein Ehebrecher
oder Mörder der Anklage nicht dadurch entgeht, daß er seinem Verbrechen einen anderen Namen gibt,
so wäre es auch widersinnig, wenn sie durch Unterstellung eines spitzfindig erdachten Namens von
dem Vorwurf des Götzendienstes freikämen, wo sie sich doch in der Tat von den Götzendienern nicht
unterscheiden, die sie notgedrungen selbst verdammen müssen! Aber sie können sich von der Sache
der Götzendiener gar nicht trennen, ja, der verkehrte Wetteifer mit ihnen ist gerade der Ursprung
des ganzen Übels; denn sie erfinden aus eigenem Geiste die Merkzeichen (symbola), unter denen sie
sich Gott vorstellen wollen, und fertigen sie mit eigener Hand an.
I,11,12 Gewiß will ich nicht etwa in abergläubischer Scheu behaupten, man dürfe
überhaupt keine Bilder haben. Aber weil Bildhauerkunst und Malerei Gottes Geschenke sind, so
fordere ich reinen und rechtmäßigen Gebrauch dieser Künste, damit nicht, was uns Gott zu seiner
Ehre und unserem Nutzen zuteil werden ließ, durch verkehrten Gebrauch befleckt werde oder gar zu
unserem Verderben führe. Gott in sichtbarer Gestalt abzubilden, halten wir für unrecht, weil er es
selbst untersagt hat und weil es nicht ohne Entstellung feiner Herrlichkeit geschehen kann. Aber man
soll nicht meinen, wir stünden mit dieser Überzeugung allein. Denn man wird finden, daß alle
besonnenen Kirchenlehrer derartiges mißbilligt haben – sofern manihre Werke kennt. Wenn es nun
schon unerlaubt ist, Gott in sichtbarer Gestalt darzustellen, so ist es noch viel weniger erlaubt,
das Bild an Stelle Gottes oder Gott im Bilde zu verehren. Es soll also nur das gemalt oder gebildet
werden, was unsere Augen fassen können. Aber Gottes Majestät, die weit über alle Wahrnehmung der
Augen hinausgeht, darf nicht durch unwürdige Schaubilder entweiht werden. Zu jener (erlaubten) Art
von Bildern gehören Geschichten und Geschehnisse und auch körperliche Bilder und Gestalten ohne
Bezug auf alles Geschichtliche. Die ersteren haben zur Belehrung und Ermunterung einen Nutzen. Was
die zweite Gruppe außer der Ergötzung noch für Nutzen haben soll, sehe ich nicht. Und doch waren
gerade von dieser Art fast alle Bilder, die bisher in den Kirchen sich befanden. Daraus geht hervor,
daß sie nicht aus wohlerwogenem Urteil, sondern in törichter und unüberlegter Gier dort
aufgestellt wurden. Hierbei übergehe ich, wie verkehrt und schamlos oft die Darstellungen sind, wie
ungehemmt sich die Maler oder Bildhauer oft haben gehen lassen; denn davon habe ich bereits oben
gesprochen. Ich meine nur, daß diese Darstellungen auch dann zur Lehre untauglich wären, wenn sie
von diesen Fehlern frei wären.
I,11,13 Aber wir wollen auch diese Unterscheidung fahren lassen und ein wenig
darüber nachdenken, ob es gut ist, in den Kirchen überhaupt irgendwelche Bilder zu haben –
gleichviel ob nun geschichtliche Darstellungen oder menschliche Bildnisse. Zuerst wollen wir uns –
sofern uns die Autorität der Alten Kirche überhaupt etwas bedeutet! – ins Gedächtnis rufen,
daß durch ungefähr fünfhundert Jahre hindurch die christlichen Kirchen allgemein ohne alle Bilder
waren. Und das war eine Zeit, in der die Religion vorzüglich blühte und eine reinere Lehre
waltete! Die Bilder sind also erst zu einer Zeit zum Schmuck der Kirchen herbeigeholt worden, als
die Reinheit des kirchlichen (Lehr-)Amtes bereits erheblich in Verfall geraten war. Ich will nicht
darüber streiten, was für Gründe die ersten Urheber dieses Brauchs hatten, vergleicht man aber
Zeitalter mit Zeitalter, so wird man sehen, daß sie wesentlich von der (in der Lehre bestehenden)
Lauterkeit der älteren Zeit abgewichen waren, die ohne Bilder ausgekommen war. Sollte man denn auch
wirklich glauben können, die heiligen Väter hätten die Kirche so lange eine Sache entbehren
lassen, die sie für nützlich und heilsam hielten? Nein, weil sie in ihr nichts oder nur wenig
Nützliches, wohl aber sehr viel Gefährliches erblickten, deshalb haben sie sie nicht in
Unwissenheit und Nachlässigkeit fahren lassen, sondern mit Absicht und guten Gründen verworfen.
Dafür ist Augustinus ein klarer Zeuge. "Wenn die Bilder ihren Platz in ehrenvoller Höhe
erhalten, damit sie von den Betenden und Opfernden gesehen werden, so ergreifen sie, obwohl sie
selbst ohne Empfinden und ohne Seele sind, doch durch ihre Ähnlichkeit mit belebten Gliedern und
Sinnen die einfältigen Seelen derart, daß sie zu leben und zu atmen scheinen ... (Brief 102). Und
an anderer Stelle schreibt er: "Die äußere Gestalt der Glieder hat zur Folge, ja erzwingt es,
daß die Seele, die doch selbst im Leibe lebt, auf den Gedanken kommt, der Leib, den sie vor sich
sieht, sei auch beseelt, weil er dem eigenen so ähnlich sieht ..." (Zu Ps. 113). Kurz darauf:
"Die Bilder dienen vielmehr dazu, die arme Seele niederzudrücken – da sie einen Mund, Augen,
Ohren und Beine haben – , als sie zu bessern – da sie weder sprechen, noch sehen, noch hören,
noch gehen" (Zu Ps. 113). Dies ist dann auch wohl sicher der Grund gewesen, weshalb Johannes
uns nicht nur vor der Verehrung der Bilder, sondern auch vor den Bildern selbst warnt (1. Joh.
5,21). Und wir haben inmitten des schrecklichen Irrwahns, der bisher die Welt zum Untergang fast
aller wahren Religion beherrschte, mehr als genug die Erfahrung gemacht, daß, sobald Bilder in den
Kirchen zur Aufstellung kommen, diese zum Zeichen des Götzendienstes werden – denn die Torheit
der Menschen kann kein Maß halten und verfällt sofort in rein abergläubische Verehrung! Aber wenn
auch nicht soviel Gefahr dabei wäre, so weiß ichdoch, wenn ich überlege, zu welchem Zweck die
Kirchen bestimmt sind, nicht, wie es ihrer Heiligkeit anders als zur Unehre ausschlagen könnte,
andere Bilder in sich aufzunehmen als jene lebendigen und klaren, die der Herr in seinem Worte
eingesetzt hat. Ich meine damit die Taufe und das Mahl des Herrn mit den anderen Zeremonien, von
denen unsere Augen stärker angezogen und lebendiger ergriffen werden sollten, als daß sie noch
andere nötig hätten, die Menschenkunst geschaffen hat! Das also ist das unvergleichliche Gut der
Bilder, das angeblich durch nichts ersetzt werden kann – wenn man den Papisten glauben wollte!
I,11,14 Meines Erachtens wäre von diesen Dingen genug geredet, wenn nun nicht das
Konzil von Nicäa (787) da wäre und gewissermaßen Hand an mich legte! Nicht etwa das berühmte,
das Konstantin der Große versammelte, sondern jenes, das auf Befehl und Anregung der Kaiserin Irene
vor achthundert Jahren gehalten wurde. Dies Konzil nämlich hat beschlossen, die Bilder seien in den
Kirchen nicht bloß zu dulden, sondern auch anzubeten! Was ich nun auch gesagt haben mag – die
Autorität der Synode könnte meinen Worten gegenüber doch ein großes Gegengewicht darstellen! Um
die Wahrheit zu sagen, liegt mir an der Sache nur soviel, daß der Leser einmal klar sehen kann,
wohin der wütende Eifer solcher Leute führt, deren Sucht nach Bildern größer ist, als einem
Christen gebührt. Wir wollen aber zuerst von folgendem sprechen. Wer heute den Gebrauch der Bilder
verteidigen will, der beruft sich auf dieses Konzil von Nicäa. Es gibt nun aber eine Gegenschrift
unter dem Namen Karls des Großen, deren Schreibart verrät, daß sie zur gleichen Zeit verfaßt
worden ist. Da werden die Aussprüche der Bischöfe, die auf dem Konzil anwesend waren, und auch
ihre Beweisgründe angeführt. So sagte Johannes, der Abgesandte der morgenländischen Kirchen:
"Gott hat den Menschen ihm zum Bilde geschaffen" – und daraus schließt dann der Mann,
man müsse also Bilder haben! Auch meinte er, der Spruch: "Zeige mir dein Angesicht, weil es
schön ist" (Hoheslied 2,14; nicht Luthertext) empfehle uns die Bilder. Ein anderer wollte die
Aufstellung der Bilder auf den Altären begründen und führte dazu als Zeugnis an: "Niemand
zündet ein Licht an und setzet es unter einen Scheffel" (Matth. 5,15). Wieder ein anderer
wollte zeigen, daß der Anblick der Bilder uns nützlich sei – und brachte den Psalmvers heran:
"Herr, erhebe über uns das Licht deines Antlitzes!" (Ps. 4,7). Ein anderer trug folgendes
Gleichnis vor: Wie die Erzväter die Opfer der Heiden benutzt haben, so müssen auch die Christen
Heiligenbilder haben statt der Götzen der Heiden! In dieselbe Richtung zerrten sie das Wort:
"Herr, ich habe lieb die Ehre deines Hauses" (Ps. 26,8; nicht Luthertext). Ganz besonders
geistreich ist die Auslegung des Spruches: "Wie wir gehört haben, so haben wir es
gesehen" (1. Joh. 1,1; ungenau) in diesem Sinne. Gott werde – so "erklärte" man
diese Stelle – nicht bloß durch das Hören seines Wortes erkannt, sondern auch durch das
Anschauen der Bilder! Von ähnlichem Scharfsinn ist der Ausspruch des Bischofs Theodor: "Gott
ist wunderbar in seinen Heiligen (Ps. 68,36; griech. Text); aber an anderer Stelle heißt es: . .
den Heiligen, so auf Erden sind (Ps. 16,3). Also bezieht sich dieser Spruch notwendig auf die
Bilder!" Aber diese Dummheiten sind derart erbärmlich, daß es mich verdrießt, sie
wiederzugeben.
I,11,15 Bei der Frage wegen der Anbetung brachte man als Beispiel die (angebliche)
Anbetung vor dem Pharao (Gen. 47,10), die Anbetung des Stabes Josephs (Gen. 47,31 nach dem
griechischen Text) und des von Jakob errichteten Denksteins (Gen. 28,18) vor. Und dabei verdrehte
man in dem letzten Punkt nicht nur den Sinn der Schrift, sondern raffte noch auf, was nirgendwo zu
lesen steht. Weiter führte man an: "Betet an den Schemel seiner Füße" (Ps. 99,5) oder
"Betet an zu seinem heiligen Berge" (Ps. 99,9) oder "Dein Antlitz werden anflehen
alle Reichen im Volke" (Ps. 45,13). Das schienen diesen Männern lauter zuverlässige und
passende Beweise zu sein! Wollte jemand zum Spott die Bilderverteidiger in einer lächerlichen Rolle
darstellen – könnte er dann größere und tollere Dummheiten erdenken?! Und damit gar kein
Zweifel übrigbleibe, verteidigt der Bischof Theodosius von Mira die Anbetung der Bilder so
ernstlich durch Träume seines Archidiakons, als ob er ein himmlisches Orakel vorbrächte! Nun
mögen die Beschützer der Bilder ruhig kommen und uns mit dem Beschluß der Synode bekämpfen! Als
ob nicht jene verehrungswürdigen Väter allen Anspruch auf Glaubwürdigkeit durch ihre kindische
Behandlung und gottlose, niederträchtige Zerreißung der Schrift verloren hätten!
I,11,16 Jetzt komme ich auf derartig ungeheuerliche Äußerungen der Gottlosigkeit,
daß man sich doch über die Kühnheit wundern muß, mit der sie dergleichen aussprachen – wobei
allerdings doppelt verwunderlich ist, daß man ihnen nicht mit allgemeinem und schärfstem Abscheu
widersprochen hat. Aber es ist doch nützlich, diese frevlerischen Torheiten wiederzugeben, damit
dem Bilderdienst wenigstens der Schein des hohen Alters, den ihm die Papisten beilegen möchten,
genommen werde. Da schleudert der Bischof Theodosius von Amorium sein Anathema gegen alle, die die
Bilder nicht anbeten wollen. Ein anderer führt alle damaligen Nöte Griechenlands und des Orients
auf das Verbrechen zurück, daß man die Bilder nicht angebetet habe! Was müssen dann erst die
Propheten, Apostel und Märtyrer für Strafe verdienen, zu deren Zeiten es überhaupt nicht einmal
Bilder gab? Dann fügt man hinzu: nahe man sich schon dem Bilde des Kaisers mit Räucherwerk und
Duftopfern – wieviel mehr gebühre diese Ehre den Standbildern der Heiligen! Der Bischof
Constantius von Constantia auf Cypern verspricht, die Bilder mit höchster Ehrerbietung zu
behandeln, und versichert, ihnen die nämliche Verehrung geben zu wollen, die der lebendigmachenden
Dreieinigkeit zukomme! Sollte sich einer weigern, das gleiche zu tun, den verflucht er und verwirft
ihn gleich Manichäern und Marcioniten! Damit man nicht meine, das sei die bloß private Ansicht
eines einzigen Mannes, stimmten die übrigen dieser Rede zu. Ja, Johannes, der Abgesandte der
Ostkirche, den die Hitze der Begeisterung über alle Grenzen trieb, behauptet, es sei besser, alle
Hurenhäuser in die Stadt aufzunehmen, als den Bilderdienst abzulehnen! Schließlich kam man
allgemein zu dem Beschluß: unter den Ketzern seien die Samaritaner die schlimmsten – schlimmer
aber als die Samaritaner seien die Bestreiter der Bilderverehrung! Damit nun der Posse ihr
feierlicher Schluß ("Klatschet") nicht abgehe, fügte man die Formel hinzu: "Es
mögen sich freuen und frohlocken, welche Christi Bild besitzen und ihm Opfer darbringen!" Wo
war da noch die Unterscheidung zwischen "Dienst" und "Verehrung", mit der man
Gott und Menschen immer so gern täuschen möchte? Das Konzil gibt den Bildern ohne Ausnahme
dasselbe wie dem lebendigen Gott.
Gott wird von den Götzen unterschieden, damit er einzig und allein geehrt werde.
I,12,1 Wir haben eingangs ausgesprochen, daß die Erkenntnis Gottes nicht in kaltem
Gedankenspiel besteht, sondern Gottes Verehrung mit sich bringt. Auch haben wir beiläufig bemerkt,
wie Gott recht verehrt werden soll – was an anderer Stelle noch genauer auszuführen sein wird.
Jetzt wiederhole ich nur in Kürze: Sooft die Schrift betont, daß nur ein einziger Gott ist,
streitet sie nicht um den bloßen Namen, sondern schreibt auch vor, daß auf nichts anderes das
übertragen werden soll, was der Gottheit zukommt. Eben daran wird der Unterschied zwischen reiner
Religion und Aberglauben offenbar. Das griechische Wort "Eusebeia" (Frömmigkeit) bedeutet
sicher dasselbe wie "rechte Gottesverehrung". Denn die Griechen hatten, obwohl sie immerzu
blind im Finstern tappten, doch das Empfinden, es müsse eine gewisse Regel festgehalten werden,
damit nicht Gott auf verkehrte Art verehrt würde. Das lateinische Wort "religio"
(Religion) leitet Cicero wahr und geistreich von relegere (wiederholt etwas lesen) ab. Aber die von
ihm vorgebrachte Begründung dafür ist doch gezwungen und weit hergeholt. Er führt nämlich für
seine Ableitung an, daß echte Verehrer der Gottheit immer wieder läsen und mit Fleiß
überdächten, was wahr sei. Ich glaube vielmehr, daß dieses Wort den Gegensatz zu zügelloser
Freiheit bezeichnen soll, weil der größte Teil der Welt alles, was sich darbietet, ohne Bedacht an
sich nimmt, ja vom einen zum anderen flattert, die Frömmigkeit aber sich in ihren Grenzen sammelt,
um fest auf ihrem Weg zu stehen. Ebenso scheint mir der Aberglaube seinen Namen daher zu haben, daß
er, nicht zufrieden mit Maß und gesetzter Ordnung, unnütze und eitle Dinge in großen Mengen
aufhäuft. Wir wollen indessen die Worte auf sich beruhen lassen. Es ist, was die Sache selber
angeht, zu allen Zeiten allgemein als bekannt angenommen worden, daß die Religion durch Irrtum
verdorben und verdreht wird. Daraus schließen wir: alles, was wir in unbedachtem Eifer uns
erlauben, ist ohne Wert, und jeder Vorwand, den abergläubische Menschen erheben, ist lächerlich.
Obgleich nun dieses Geständnis in aller Munde ist, so zeigt sich doch darin eine schändliche
Unwissenheit, daß man weder dem einen Gott anhängt, noch Freude an seiner Verehrung hat, wie ich
oben darlegte. Aber Gott will sich sein Recht schaffen und nennt sich darum einen eifrigen Gott,
droht auch, strenger Rächer zu sein, wenn man ihn mit irgendeinem erdachten Gott vermischen will.
Alsdann beschreibt er die von ihm geforderte Gestalt der Verehrung, um das Menschengeschlecht im
Gehorsam zu halten. Dies beides faßt er in seinem Gesetz zusammen: da erhebt er zunächst auf die
Gläubigen Anspruch, um ihr einziger Gesetzgeber zu sein; und dann schreibt er die Regel vor, nach
der er rechtschaffen und nach seinem Willen verehrt werden soll. Nun werde ich zwar vom Gesetze,
weil seine Anwendung und sein Zweck sehr verschiedenartig ist, an seinem Ort zu reden haben. Jetzt
berühre ich nur den Teil der Lehre vom Gesetz, der uns zeigt, daß dem Menschen hier ein Zügel
angelegt wird, damit er nicht falscher Verehrung sich ergebe. Was ich aber schon oben ausgeführt
habe, das muß auch hier festgehalten werden: wenn man nicht dem einigen Gott alles das zu eigen
läßt, was göttliche Art ist, dann wird er seiner Ehre beraubt, dann wird seine Verehrung
verdorben! Hier muß man nun mit besonderer Aufmerksamkeit darauf achten, mit was für List der
Aberglaube umgeht. Denn er fällt nicht so zu anderen Göttern ab, daß er sich etwa merken ließe,
daß er den höchsten Gott verläßt oder ihn mit anderen in eine Reihe stellt. Nein, er läßt ihm
den höchsten Gott verläßt oder ihn mit anderen in eine Reihe stellt. Nein, er läßt ihm den
höchsten Platz – und umgibt ihn bloß mit einem Schwarm von kleineren Göttern, auf die er dann
jene Tätigkeiten verteilt, die doch Gott selbst zukommen. So wird denn, listig und verschlagen
natürlich, Gottes Ehre zerspalten, damit sie nicht ganz bei ihm allein bleibe. Auf diese Weise
haben schon die Alten, Juden wie Heiden, dem Vater und Herrscher der Götter jene ungeheure Schar
von Göttern unterstellt, die dann mit ihm gemeinsam, je nach ihrer Art und Stellung, Himmel und
Erde regieren sollten. In gleicher Weise sind auch vor einigen Jahrhunderten die Heiligen, die aus
diesem Leben geschieden waren, zu Gottes Mitgenossen gemacht worden, daß sie nun an seiner Statt
verehrt, angerufen und gepriesen wurden! Wir halten dafür, daß durch derartige Abscheulichkeiten
Gottes Majestät nicht nur in den Schatten gestellt, sondern vielmehr großenteils unterdrückt und
gar ausgelöscht wird. Höchstens behalten wir dann einen kalten Gedanken von seiner Obergewalt;
aber wir verfallen unterdessen, da wir uns durch den Schein, als hielten wir an Gottes Einheit fest,
täuschen lassen, in Vielgötterei.
I,12,2 Zu dem Zweck hat man nun auch die Unterscheidung zwischen
"Verehrung" und (bloßem) "Dienst" aufgebracht: man wollte ungestraft den Engeln
und den Toten göttliche Ehren beilegen können. Denn die Verehrung, die die Papisten den Heiligen
angedeihen lassen, unterscheidet sich ja tatsächlich offenbar nicht von der Verehrung Gottes; denn
man betet ja Gott und die Heiligen durcheinander an – nur, daß sie allen Angriffen mit der
Behauptung begegnen, sie gäben doch Gott das Seine, weil sie ihm die "Verehrung"
vorbehielten! Aber es ist hier von der Sache und nicht von der Vokabel die Rede: und wer erlaubt
ihnen da, mit solcher Selbstsicherheit in so wichtiger Sache Spielerei zu treiben? Aber – um auch
dies zu übergehen – was kommt denn für sie eigentlich bei ihrer Unterscheidung anders heraus,
als daß sie einzig und allein Gott "Verehrung", den anderen aber "Dienst"
erweisen? Denn "latreia" (Verehrung) bedeutet bei den Griechen genau dasselbe wie cultus
(Verehrung) bei den Lateinern, douleia aber bedeutet Dienst, Knechtschaft; trotzdem wird in der
Schrift dieser Unterschied oft verwischt. Aber wenn wir selbst zugeben wollten, der Unterschied
bliebe gewahrt, so müßte gefragt werden, was die beiden Ausdrücke denn besagen. douleia ist also
Dienst, latreia bedeutet Verehrung. Nun wird aber doch kein Mensch bezweifeln, daß Dienst etwas
Größeres ist als Verehrung! Denn es wäre oft sehr hart, einem zu dienen, dem man die Verehrung
nicht verweigern würde. Eben deshalb ist es eine völlig unangebrachte Verteilung, den Heiligen das
Größere zuteil werden zu lassen, Gott aber das Kleinere, Geringere vorzubehalten. Trotzdem
bedienen sich viele von den Alten dieser Unterscheidung. Was soll aber werden, wenn alle erkennen,
daß sie unangebracht und frivol ist?
I,12,3 Aber wir wollen diese Spitzfindigkeiten jetzt verlassen und uns der Sache
selbst zuwenden. Wenn Paulus die Galater daran erinnert, was sie eigentlich für Leute gewesen
wären, bevor sie zur Erkenntnis Gottes erleuchtet wurden, so sagt er, sie hätten denen die douleia
(den Dienst) erwiesen, die doch von Natur nicht Götter sind (Gal. 4,8). Da verwendet er also nicht
das Wort "latreia" – aber sollte ihr Aberglaube etwa damit entschuldigt sein? Er
verdammt jedenfalls seinerseits diesen Aberglauben, den er als "Dienst" bezeichnet, genau
so, als hätte er den Ausdruck "latreia" (Verehrung) gebraucht! Und wenn Christus dem
Satan als Schild das Wort entgegenhält: "Du sollst Gott, deinen Herrn, anbeten ..." (Matth.
4,10), so war doch dem Namen nach von der latreia gar keine Rede gewesen. Denn der Satan hatte
"bloß" die Proskynesis, die Anbetung verlangt. Wenn Johannes von dem Engel einen Vorwurf
empfängt, weil er vor ihm auf die Knie gefallen sei (Apok. 19,10), so dürfen wir nicht annehmen,
Johannes sei so töricht gewesen, daß er auf den Engel die Gott allein gebührende Ehre hätte
übertragen wollen. Aber jede religiöse Ehrenerweisung hat notwendig etwas an sich, das Gott allein
zu kommt, und deshalb konnte Johannes gar nicht vor dem Engel niederfallen, ohneGottes Ehre etwas zu
nehmen. Wir lesen freilich öfters, daß Menschen angebetet worden sind. Aber das war sozusagen eine
bürgerliche Ehrung. Mit der Religion ist es etwas anderes: sobald sie mit Verehrung (einer Kreatur)
verbunden ist, trägt sie unweigerlich die Entweihung der Ehre Gottes in sich. Das kann man auch an
Cornelius sehen (Apg. 10,25). Der war gewiß nicht so wenig in der Frömmigkeit fortgeschritten,
daß er Gott nicht die höchste Verehrung zuerkannt hätte. Und wenn er sich vor Petrus niederwarf,
so tat er das gewiß nicht in der Meinung, ihn an Stelle Gottes anzubeten. Aber Petrus verbietet es
ihm doch scharf! Doch sicherlich deshalb, weil der Mensch niemals so genau zwischen Verehrung Gottes
und Verehrung der Kreatur unterscheiden kann, als daß er nicht auf die Kreatur übertrüge, was
doch Gott allein gehört! Wollen wir wirklich nur den einen Gott haben, so müssen wir darauf
achten, ihm auch nicht das geringste von seiner Ehre zu rauben. Denn er muß behalten, was sein ist.
So spricht Sacharja, wo er von der Erneuerung der Kirche redet, deutlich aus, es werde dann nicht
nur ein Gott sein, sondern er werde auch nur einen Namen haben (Sach. 14,9). Denn Gott will nichts
mit den Götzen gemein haben. Was für eine Verehrung nun Gott verlangt, das wollen wir an anderer
Stelle sehen, wenn diese Frage an der Reihe ist. Denn in seinem Gesetz hat er den Menschen gebieten
wollen, was vor ihm recht und richtig ist, und sie an eine feste Regel gewiesen, damit sich keiner
eine Verehrung nach seinem Gutdünken auszudenken erlaubte! Aber ich will die Leser nicht damit
belasten, daß ich allerlei miteinander behandle, und deshalb will ich auf diesen Gegenstand noch
nicht kommen. Nur wollen wir das festhalten: Jede religiöse Verehrung, die einem anderen Wesen
zuteil wird als dem einigen Gott, ist für Frevel zu achten. So hat der Aberglaube zuerst der Sonne
und den anderen Gestirnen und dann den Götzen göttliche Ehren beigelegt. Alsdann folgte der Stolz,
der die sterblichen Menschen mit dem zierte, das er Gott raubte, und auf diese Weise alles Heilige
entweihte. Und obwohl auch der Grundsatz bestand, man müsse ein höchstes Wesen verehren, kam doch
die Gewohnheit auf, den Genien oder den Halbgöttern oder auch den abgeschiedenen Helden Opfer
darzubringen. So ist der Verfall zu diesem Frevel derart, daß eine ganze Schar von
"Göttern" das bekommt, was sich doch Gott so streng für sich allein vorbehalten hat!
Die Schrift lehrt uns schon aus der Schöpfung erkennen, daß ein einiges
göttliches Wesen in drei Personen sei.
I,13,1 Was in der Schrift von dem unermeßlichen und geistlichen Wesen Gottes
gelehrt wird, das dient nicht nur zur Überwindung des populären Aberglaubens, sondern auch zur
Widerlegung der Spitzfindigkeiten unfrommer Philosophie. Einer von den Alten glaubte etwas besonders
Tiefsinniges gesagt zu haben, wenn er meinte, Gott sei alles, was wir sehen, und alles, was wir
nicht sehen. Er erdachte sich dabei dann eine in alle Teile der Welt ausgegossene Gottheit. Nun
redet zwar Gott, um uns besonnen zu halten, sehr zurückhaltend von seinem Wesen. Aber mit den
beiden Aussagen, die ich oben (in dem ersten Satz) nebeneinandergestellt habe (unermeßlich,
geistlich), macht er solchen tollen Einbildungen ein Ende und setzt der menschlichen Vermessenheit
eine Schranke. Denn seine Unermeßlichkeit muß uns abschrecken, ihn nach unserem Maß messen zu
wollen, und sein geistliches Wesen verbietet uns, ihm etwas Irdisches und Fleischliches anzudichten.
Dahin gehört es auch, daß er oft den Himmel seine Wohnung nennt. Denn obwohl er vermöge seiner
Unbegreiflichkeit auch die Erde erfüllt, so läßt er uns doch mit Recht um unserer Faulheit und
Untüchtigkeit willen über die Welt hinaus nach oben schauen, weil er ja sieht, wie unsere Sinne in
ihrer Schwerfälligkeit an der Erde kleben. Aber hier fällt nun auch der Irrtum der Manichäer zu
Boden, die zwei "Prinzipien" annehmen und so den Teufel fast auf eine Stufe mit Gott
stellen. Denn das war nichts anderes als das Unterfangen, Gottes Einheit zu bestreiten und seine
Unermeßlichkeit einzuschränken. Sie haben es gewiß gewagt, dafür auch noch Schriftzeugnisse
mißbräuchlich anzuführen. Aber das war ja nur ein Zeichen ihrer schändlichen Unwissenheit, wie
ja auch ihre Irrlehre selbst einem fluchwürdigen Wahn entsprungen war! Die Anthropomorphiten aber,
die sich einbildeten, Gott sei körperlich, weil ja die Schrift ihm häufig Mund, Ohren, Augen,
Hände und Füße zuschreibt, sind leicht zu widerlegen. Denn es muß doch einer schon sehr töricht
sein, wenn er nicht sieht, daß Gott an solchen Stellen mit uns kindlich redet, wie Ammen mit den
Kindlein tun! Solche Ausdrücke wollen deshalb nicht etwa klar darlegen, wie denn Gott beschaffen
sei, sondern vielmehr seine Erkenntnis unserer Schwachheit anpassen. Damit das aber möglich ist,
muß Gott tief unter seine Erhabenheit heruntersteigen.
I,13,2 Aber Gott bestimmt sein Wesen noch durch ein besonderes Kennzeichen, das es
uns ermöglicht, ihn genauer von allen Götzen zu unterscheiden. Denn er macht kund, daß er der
Eine ist, doch so, daß er in drei Personen unterschiedlich betrachtet werden will. Halten wir an
diesen (drei Personen) nicht fest, so flattert nur ein leerer Begriff (inane nomen) von Gott ohne
Beziehung zu dem wahren Gott in unserem Gehirn herum. Nun soll aber keiner träumen, Gott sei
dreifach, oder wähnen, Gottes Wesen werde in drei Personen zerrissen, und deshalb müssen wir eine
kurze und faßliche Bestimmung suchen, die uns gegen jeden Irrtum sichere. Nun gehen aber einige
Leute gegen den Begriff "Person" mit wütendem Kläffen vor und behaupten, das sei ein
Menschensündlein. Wir müssen also zuerst untersuchen, ob sie darin recht haben, wenn nun der
Apostel den Sohn Gottes den Abglanz (Charakter) der Person (des Wesens) des Vaters nennt (Hebr.
1,3), so mißt er ohne Zweifel dem Vater eine Wesensart (subsistentia) zu, in der er sich vom Sohne
unterscheidet. Nun haben zwar einige Ausleger statt Wesensart einfach "Wesen" (essentia)
einsetzen zu können gemeint, als ob Christus in sich dasGrundwesen (substantia) des Vaters
darstellte, so wie das gesiegelte Wachs das Siegel. Aber das ist eine grobe und sogar widersinnige
Auffassung. Denn Gottes Wesen ist einheitlich und unteilbar, und so würde der, der es ganz und ohne
Teilung oder Abzug in sich trüge, doch nur uneigentlich, ja geradezu unrichtig sein Abglanz
(Charakter) genannt werden! Aber da der Vater, obgleich er sich vom Sohne durch seine
Eigentümlichkeit unterscheidet, sich ganz im Sohne abgeprägt hat, so kann man mit bestem Grunde
sagen, er habe seine Seinsweise (Person, Hypostasis) in ihm sichtbar dargestellt. Dazu paßt dann
auch sehr gut die gleich zugefügte Bezeichnung, der Sohn sei der Glanz seiner Herrlichkeit. Mit
Gewißheit ist also den Worten des Apostels zu entnehmen, daß der Vater eine eigene Seinsweise
(Hypostase) hat, die im Sohne widerstrahlt. Daraus folgt aber wiederum, daß auch der Sohn eine
eigene Seinsweise (Hypostase) haben muß, die ihn vom Vater unterscheidet. Genau so verhält es sich
mit dem Heiligen Geiste, der einerseits, wie wir nachher erweisen werden, Gott ist, andererseits
aber notwendig vom Vater unterschieden zu denken ist. Indessen bezieht sich diese Unterscheidung
keineswegs auf das Wesen, das man sich unter keinen Umständen mehrfältig vorstellen darf. Wenn wir
also dem Zeugnis des Apostels folgen, so ergibt sich, daß in Gott drei Seinsweisen (Hypostasen)
sich finden. Dasselbe haben die Lateiner mit dem Ausdruck "Person" sagen wollen, und es
wäre eitel Hochmut und Halsstarrigkeit, wenn man über eine so klare Sache noch streiten wollte.
Wollte man das griechische Wort (hypostasis) genau ins Lateinische übersetzen, so ergäbe sich
subsistentia (Seinsweise, Wesensart). Manche haben sogar im gleichen Sinne das Wort substantia
gebraucht. (Substanz, Grundwesen). Indessen war das Wort "persona" nicht allein bei den
Lateinern im Gebrauch, sondern auch die Griechen wandten, um die Gleichheit ihrer Überzeugung mit
derjenigen der Lateiner kräftig zu bezeugen, die Lehrform an, es seien in Gott "drei Prosopa"
(prosopon = Antlitz, Maske, Person). Wie nun aber auch die Griechen und Lateiner in den Wörtern
untereinander verschieden sein mögen: in der Hauptsache vertreten sie eine völlig gleiche Lehre.
I,13,3 Wie sehr nun auch die Häretiker gegen das Wort "Person" kläffen,
und wenn auch andere in ihrer großen Torheit sich weigern, diesen Ausdruck, da er ein
Menschensündlein sei, anzunehmen – sie können uns doch nicht widerlegen, daß da drei genannt
werden, von denen jeder ganz und gar Gott ist, und die doch nicht mehrere Götter sind; deshalb ist
es eine üble Bosheit, Worte abzulehnen, die doch bloß auslegen, was in der Schrift bezeugt und
versiegelt ist! Sie sagen, es sei besser, wenn wir nicht nur unsere Gedanken, sondern auch unsere
Worte in der Schranke der Heiligen Schrift hielten, anstatt fremdartige Worte aufzubringen, die doch
nur Anlaß zu Meinungsverschiedenheit und Zank geben müßten. So ermüdet man sich in Wortkämpfen,
so geht die Wahrheit im Streit verloren, so erstickt die Liebe über wütendem Fechten! Wenn sie nun
das ein fremdartiges Wort nennen, was nicht bis auf die Silbe genau in der Schrift nachzuweisen ist,
so legen sie uns wahrhaftig ein ungerechtes Joch auf und verdammen alle Auslegung der Schrift,
sofern sie nicht einfach aus Bibeltexten zusammengeflickt ist. Wenn aber das als fremdartig gelten
soll, was vorwitzig erdacht ist und abergläubisch verteidigt wird, was mehr zum Kampf als zur
Auferbauung dient, was schroff und zwecklos aufgegriffen wird, was in seiner Rohheit fromme Ohren
beleidigt, was von der Schlichtheit des Wortes Gottes ablenkt – dann freilich schließe ich mich
solchem besonnenen Urteil von ganzem Herzen an. Denn ich bin der Meinung, wir sollten beim Reden
über Gott nicht weniger Ehrfurcht walten lassen als beim Denken. Denn was wir von uns selbst aus
denken, ist töricht, und was wir dann aussprechen, ist unpassend. Wir müssen vielmehr ein gewisses
Maß halten, und aus der Schrift ist eine sichere Regel für Denken und Reden zu entnehmen, nach der
sich alles Sinnen unseres Geistes und alles Reden unseres Mundes zu richten hat. Aber was verbietet
uns denn, das mit klaren Worten zu entfalten, was in der Schrift für unser Fassungsvermögen
schwierig und verwickelt ist, wobei freilich solche Auslegung nur in Ehrfurcht und Glauben der
Wahrheit der Schrift selber dienstbar sein und in Zurückhaltung und Bescheidenheit geübt werden
muß, auch nur beim rechten Anlaß zur Anwendung kommen darf. Dafür gibt es ausreichend viele
Beispiele. Wenn dagegen jemand auch da die Neuheit der Ausdrücke bemängelt, wo offenbar die Kirche
in höchste Not gedrängt wurde, die Worte "Dreieinigkeit" und "Person"
anzuwenden, muß man nicht bei einem solchen Menschen eine Abneigung gegen das Licht der Wahrheit
vermuten, da er doch bloß dagegen Einspruch erhebt, daß die Wahrheit klarer und deutlicher
hervortritt?
I,13,4 Solche neuen Ausdrücke – wenn man sie so nennen will – kommen aber vor
allem dann in Gebrauch, wenn die Wahrheit gegen ihre Feinde, die ihr durch allerlei Winkelzüge
entgehen wollen, behauptet werden muß. Das erfahren wir heutzutage mehr als genug, wo die
Bekämpfung der Feinde reiner und gesunder Lehre unsere Hauptarbeit ist und wo diese glatten
Schlangen durch allerlei Windungen und Krümmungen entschlüpfen, wenn man sie nicht tapfer anpackt
und zusammendrückt. So sind auch die Alten, durch mancherlei Kämpfe gegen falsche Lehren geübt,
dazu genötigt worden, ihre Überzeugung mit äußerster Genauigkeit auszusprechen, um nur ja nicht
den Gottlosen irgendwelche Schlupfwinkel zu lassen; denn diese benutzten die Hülle der Worte als
Versteck für ihre Irrtümer. Auch Arius bekannte Christum als Gott und Gottes Sohn, da er gegen die
unwiderleglich deutlichen Schriftzeugnisse nichts machen konnte, und heuchelte, als ob alles in
Ordnung sei, eine gewisse Übereinstimmung mit den anderen. Aber unterdessen hörte er nicht auf zu
behaupten, Christus sei geschaffen worden und habe einen Anfang gehabt wie die übrigen Geschöpfe.
Um nun die gewundene Schlauheit dieses Menschen aus ihrem Versteck herauszuziehen, sind die Alten
weiter gegangen und haben bekannt, Christus sei der ewige Sohn des Vaters und gleichen Wesens mit
dem Vater. Da brauste auf einmal der Unglaube auf, und die Arianer fingen an, den Ausdruck "homousios"
(gleichen Wesens) aufs äußerste zu hassen und zu verfluchen. Hätten sie vorher wirklich mit
Lauterkeit und von Herzen bekannt, Christus sei Gott, so hätten sie ja gar nicht leugnen können,
daß er gleichen Wesens mit dem Vater sei! Wer sollte nun wagen, jenen trefflichen Männern den
Vorwurf der Streitsucht zu machen, weil sie wegen eines einzigen Wortes derart heftig gerungen und
den Frieden der Kirche gestört hätten? Eben dieses eine Wörtlein unterschied zwischen Christen
reinen Glaubens und lästerlichen Arianern! Später trat Sabellius auf und achtete die Namen des
Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes beinahe für nichts, indem er disputierte, sie seien
nicht um einer Unterscheidung willen da, sondern allesamt verschiedene Bezeichnungen für Gott, so
wie es ja sehr viele gibt. Als es zum Streit kam, da bekannte er, zu glauben, daß der Vater Gott
sei, der Sohn Gott sei und auch der Heilige Geist Gott sei. Aber bald darauf fand er den Ausweg, er
habe nichts anderes gesagt, als wenn er Gott stark, gerecht und weise genannt hätte! Und so sang er
wieder ein anderes Lied: der Vater sei der Sohn, und der Heilige Geist sei der Vater – ohne
Ordnung, ohne Unterscheidung! Rechtschaffene Lehrer, denen es um die Frömmigkeit ging, erhoben nun
Einspruch und verlangten, um dem Unfug dieses Menschen ein Ende zu machen, er solle drei wahrhaft
bestehende Eigentümlichkeiten (proprietates) in dem einen Gott anerkennen. Und um sich gegen die
gewundenen Schlauheiten des Mannes mit offener und schlichter Wahrheit zu schützen, stellten sie
den Satz auf, in dem einen Gott oder – was dasselbe ist – in Gottes Einheit bestehe eine
Dreieinigkeit der Personen.
I,13,5 Die Ausdrücke sind also wahrhaftig nicht unbedacht aufgebracht worden –
und deshalb muß man sich vorsehen, daß man nicht dem Vorwurf hochmütiger Unbedachtheit verfällt,
wenn man sie tadelt! Im übrigen sollen sie meinethalben nur ja begraben sein – wenn nur alle an
dem Glauben festhalten, der Vater, der Sohn und Geist seien der eine Gott und doch sei der Sohn
nicht der Vater oder der Geist der Sohn, sondern alle durch eine gewisse Eigentümlichkeit (proprietas)
voneinander unterschieden. Ich bin gar nicht von so strenger Hartnäckigkeit, daß ich mich
unterstehen würde, um bloße Worte zu streiten. Denn ich sehe, daß auch die Alten, die doch sonst
mit soviel Ehrfurcht von diesen Dingen reden, weder untereinander übereinstimmen, noch einzeln mit
sich selbst. Denn was für Formeln entschuldigt doch Hilarius als von den Konzilien gebraucht! Was
hat sich gelegentlich Augustin für Freiheiten herausgenommen! Wie groß ist der Unterschied
zwischen Griechen und Lateinern! Aber für diese Verschiedenartigkeit soll ein Beispiel genügen.
Wenn die Lateiner den Ausdruck "homousios" wiedergeben wollten, so setzten sie dafür
"consubstantialis": damit behaupteten sie also, der Vater und der Sohn seien gleicher
"Substanz" (Grundwesen) – und brauchten so den Begriff "Substanz", wo
eigentlich "Wesen" (essentia) am Platze gewesen wäre! So kommt es, daß Hieronymus in
seinem Brief an Damasus sagt, es sei ein Frevel, zu sagen, es gäbe in Gott drei
"Substanzen". Aber man kann anderseits bei Hilarius mehr als hundertmal finden, es gäbe
in Gott drei "Substanzen"! Und wie unklar ist die Verwendung des Ausdrucks
"Hypostase" (= "Person", Seinsweise) bei Hieronymus! Er meint, es sei Gift
dahinter, wenn einer von drei "Hypostasen" in Gott redete! Und wenn auch jemand in frommer
Gesinnung diesen Ausdruck braucht, so sagt er doch gerade heraus, daß dies eine uneigentliche
Redeweise sei. Das alles, sofern er solche Reden aus Lauterkeit gehalten hat. Aber er tat es ja
vielleicht nur, um die Bischöfe des Orients, die er nicht leiden konnte, mit Wissen und Willen mit
unrechter Schmähung zu bedecken! Auf jeden Fall hat er recht wenig anständig die Behauptung
verfochten, in den weltlichen Schulen hieße "Usia" (Wesen) nichts anderes als auch "Hypostasis"
(Seinsweise) – was sich aus dem gewöhnlichen und alltäglichen Sprachgebrauch durchgängig
widerlegen läßt! Gemäßigter und mit edlerer Sitte verfährt Augustinus; obwohl auch er sagt, das
Wort "Hypostasis" sei in diesem Sinne für ein lateinisches Ohr neu, läßt er doch den
Griechen ihre Gewohnheit zu reden, wie er auch die Lateiner, welche die griechische Formel
nachgebildet hatten, ohne Schärfe ertrug (Von der Dreieinigkeit, Buch 5,8f.). Auch, was (der
Kirchenhistoriker) Sokrates davon im sechsten Buch der Historia tripartita geschrieben hat, erweckt
den Eindruck, als sei dieser Ausdruck von unkundigen Leuten in verkehrter Weise in die Sache
hineingebracht worden. Hilarius macht es den Ketzern zum Vorwurf, daß er durch ihren Unfug
gezwungen werde, der Gefahr menschlicher Rede etwas auszusetzen, das doch besser in ehrfürchtiger
Seele bewahrt werden sollte; und er verschweigt nicht, daß dies nichts anderes bedeutet, als
Ungebührliches sich vorzunehmen, Unaussprechliches auszusprechen, Unerlaubtes sich anzumaßen! Kurz
darauf entschuldigt er sich, daß er neue Ausdrücke einzuführen gezwungen sei: denn nachdem er die
durch die Natur der Sache erforderten, nämlich Vater, Sohn und Geist, aufgeführt hat, erklärt er,
alles, was darüber hinaus gesucht würde, überschreite die Ausdrucksfähigkeit der Rede, die
Fassungskraft des Denkens, das Begreifen des Verstandes (Von der Dreieinigkeit, Buch 2). Und an
anderer Stelle preist er die Bischöfe Galliens glücklich, weil sie je kein anderes Bekenntnis
aufgestellt, noch angenommen, noch überhaupt kennengelernt hätten als allein das alte und ganz
schlichte, das seit der Zeit der Apostel in allen Kirchen in Geltung war! (Von den Konzilien). Auch
Augustin spricht sich in ähnlicher Weise aus: jener Ausdruck sei durch die Not der menschlichen
Rede in einer so großenFrage erzwungen worden und sollte nicht darstellen, was ist, sondern nur
nicht verschweigen, wieso denn Vater, Sohn und Heiliger Geist drei seien! Diese Bescheidenheit so
heiliger Männer soll uns warnen, eine Art theologischer Zensur zu üben und sogleich alle die
strengstens zu richten, die nicht auf die von uns verwendeten Begriffe schwören wollen! Nur sollen
sie das nicht aus Übermut, Frechheit oder boshafter Schalkheit tun! Sie sollen doch auch wiederum
selbst überlegen, wie groß die Notwendigkeit ist, die uns zwingt, so zu reden, und sollen sich
allmählich dann auch zu einer rechten Form der theologischen Aussage bequemen! Da muß man auf der
einen Seite den Arianern, auf der anderen den Sabellianern entgegentreten. Zürnen sie (jene
unklaren Lehrer) nun darüber, daß beiden die Ausflüchte abgeschnitten werden, so sollen sie sich
hüten, den Verdacht zu erregen, als seien sie selber Schüler des Arius oder Sabellius! Da sagt
Arius, Christus sei Gott – aber ganz leise flüstert er dann noch, er sei aber geschaffen worden
und habe einen Anfang gehabt! Er sagt, Christus sei eins mit dem Vater – aber dann sagt er den
Seinen heimlich ins Ohr: er sei eben so mit dem Vater vereinigt, wie die anderen Gläubigen auch,
wenn auch mit einzigartigem Vorrecht! Sagt man aber "gleichen Wesens" (consubstantialis),
dann zieht man dem verschlagenen Menschen die Larve weg – und hat doch der Schrift nichts
zugefügt! Da sagt Sabellius, Vater, Sohn und Geist bedeuteten nichts Verschiedenes in Gott. Sagt
man dazu, es seien drei, dann wird er großes Geschrei machen, man redete von drei Göttern. Sagt
man aber, daß in dem einen Wesen Gottes eine Dreieinigkeit von Personen ist, so spricht man mit
einem Satz aus, was die Schrift lehrt – und man macht dem leeren Geschwätz ein Ende! Mögen nun
auch einige derart von abergläubischer Furcht besessen sein, daß sie diese Ausdrücke nicht
ertragen – es wird doch niemand, wie sehr er sich auch dreht und wendet, den Tatbestand leugnen
können: wenn wir hören, daß Gott Einer ist, so ist an die Einheit der Substanz (des Grundwesens)
zu denken, wenn wir hören, daß drei sind in einem Wesen, so ist von den Personen in dieser
Dreieinigkeit die Rede! Wird das ohne Hintergedanken bejaht, so wollen wir uns bei Worten nicht
aufhalten. Aber ich habe schon längst und oft genug die Erfahrung gemacht: Wer wegen der Ausdrücke
allzu heftigen Streit führt, der nährt verborgenes Gift. Deshalb soll man solche Leute besser frei
herausfordern, als ihretwegen unklar zu reden!
I,13,6 Doch jetzt wollen wir den Streit um die Ausdrücke fahren lassen und zur
Sache selbst übergehen. Ich verstehe also unter Person eine Seinsweise (subsistentia) in Gottes
Wesen, die in ihren Beziehungen zu den anderen eine unübertragbare Eigenheit besitzt. Unter
Seinsweise (subsistentia) wollen wir also etwas anderes verstehen als "Wesen" (essentia).
Wäre nämlich das Wort einfach Gott, ohne etwas für sich allein zu haben, so hätte Johannes mit
seinem Satz: "Dasselbige war im Anfang bei Gott" (Joh. 1,1) etwas Verkehrtes
ausgesprochen! Wenn er nachher gleich hinzusetzt: "Und Gott war das Wort" – so ruft er
uns damit zu dem einen Wesen zurück! Aber weil das Wort nicht bei Gott sein konnte, ohne im Vater
zu wohnen, so zeigt sich hier das, was wir "Seinsweise" nannten: denn diese ist zwar durch
ein unzerreißbares Band mit dem "Wesen" verbunden und kann von ihm nicht geschieden
werden, aber sie hat doch ihr besonderes Kennzeichen, durch das sie sich von dem Wesen
unterscheidet. Denn jede der drei Seinsweisen ist in Beziehung zu den anderen durch ihre Eigenheit
unterschieden. Diese "Beziehung" (relatio) wird hier deutlich zum Ausdruck gebracht; denn
wo man einfach und ohne nähere Bestimmung von "Gott" redet, da bezieht sich dieser Name
auf den Sohn und den Geist ebenso wie auf den Vater. Sobald man aber den Vater mit dem Sohne
vergleicht, bezeichnet die "Eigenheit" (proprietas) den Unterschied zwischen ihnen.
Weiterhin behaupte ich, daß die Eigenheit der Person nicht übertragbar ist, weil es z. B. nicht
angeht, auf den Sohn anzuwenden oderzu übertragen, was dem Vater als Merkmal zur Unterscheidung
zukommt. Es mißfällt mir auch nicht die – freilich richtig zu verstehende! – Definition
Tertullians, es sei die Dreieinigkeit eine gewisse Ordnung und Anordnung in Gott, die an der Einheit
des Wesens nichts ändere (In dem Buch gegen Praxeas 2,9).
I,13,7 Bevor wir jedoch weitergehen, muß erstens die Gottheit des Sohnes und des
Geistes bewiesen und zweitens der Unterschied zwischen ihnen gezeigt werden. Wenn nun die Schrift
vom "Worte" Gottes redet, so wäre das gewiß ganz widersinnig, wenn dieses
"Wort" bloß ein flüchtiger, leerer Laut wäre, der in die Luft ausgesandt würde und nun
außer Gott selber seinen Lauf nähme. Von dieser Art waren die Offenbarungssprüche, die den
Vätern zuteil wurden, und alle Prophetien. Nein, das "Wort" bezeichnet die Weisheit, die
bei Gott wohnt und aus der alle Offenbarungssprüche und Prophetien stammen. Denn nach dem Zeugnis
des Petrus (1. Petr. 1,11) haben die alten Propheten nicht weniger aus dem Geiste Christi heraus
geredet als die Apostel und diejenigen, die nach ihnen die himmlische Lehre verwalteten. Da aber
dazumal Christus noch gar nicht ans Licht getreten war, so ergibt sich notwendig, daß das
"Wort" von Ewigkeit her vom Vater geboren ist. Und wenn der Geist, dessen Werkzeuge die
Propheten waren, der Geist des Wortes war, so ist daraus unzweifelhaft zu schließen, daß dieses
Wort wahrer Gott war. Das lehrt auch Mose in der Schöpfungsgeschichte völlig klar: denn da stellt
er fest, daß das Wort Mittel der Schöpfung war. Weshalb sollte er anders immer wieder berichtet
haben, daß Gott bei der Schöpfung der einzelnen Werke sprach: "Es werde ...", wenn er
nicht zeigen wollte, daß Gottes unausforschliche Herrlichkeit in seinem Bilde erstrahlte?
Vorwitzige Schwätzer behaupten hier natürlich gleich, "Wort" hieße soviel wie Befehl
oder Auftrag. Aber die Apostel sind doch bessere Ausleger, und sie verkünden, daß durch den Sohn
die Welt geschaffen worden sei und daß er alles trage mit seinem mächtigen Wort (Hebr. 1,2). Hier
sehen wir also, daß "Wort" den Wink und Befehl des Sohnes bedeutet, der selbst das ewige
und wesentliche Wort des Vaters ist. Verständige und bescheidene Leute finden auch den Ausspruch
des Salomo nicht dunkel, in dem er zeigt, wie die Weisheit von Gott in Ewigkeit geboren und bei der
Schöpfung aller Dinge wie auch in allen Werken Gottes waltet (Jesus Sirach 24,14). Es wäre
töricht und lästerlich, nur einen vorübergehenden Wink Gottes anzunehmen; denn Gott wollte damals
seinen festen und ewigen Ratschluß, ja noch Verborgeneres offenbaren. Darauf bezieht sich auch das
Wort Christi: "Mein Vater und ich wirken bis auf diesen Tag" (Joh. 5,17; nicht
Luthertext). Denn da zeigt er, daß er selbst seit Anbeginn der Welt mit dem Vater zusammen kräftig
am Werke gewesen ist, und macht so deutlicher, was Mose kürzer angedeutet hatte. Gott hat also –
so müssen wir folgern – so geredet, daß das Wort seinen Anteil am Werke hatte und auf diese
Weise das Wirken beiden gemeinsam war. Bei weitem am klarsten stellt das Johannes fest, wenn er das
Wort, das im Anfang als Gott bei Gott war, zugleich mit dem Vater als Ursprung aller Dinge uns
vorstellt (Joh. 1,3). Denn so mißt er dem Worte ein festes und bleibendes Wesen bei, schreibt ihm
aber auch etwas ihm Eigentümliches zu und zeigt dann auch mit größter Durchsichtigkeit, wieso
denn Gott in seinem Reden der Schöpfer der Welt gewesen ist. Wie also alle von Gott ausgegangenen
Offenbarungen mit Recht die Ehrenbezeichnung "Gottes Wort" tragen, so muß auch dieses aus
Gottes Wesen kommende Wort selber den höchsten Platz erhalten, nämlich denjenigen des Quells aller
Offenbarung, weil es, keinem Wechsel unterworfen, immerfort als ein und dasselbe bei Gott bleibt und
selbst Gott ist!
I,13,8 Hier fangen nun einige Hunde an zu kläffen: sie können zwar dem Worte nicht
vor aller Öffentlichkeit seine Gottheit bestreiten, aber deshalb versuchen sie, ihm heimlich seine
Ewigkeit zu rauben. Sie sagen nämlich, das Wort habe erst da seinen Anfang genommen, als Gott bei
der Schöpfung der Welt seinen heiligen Mund auftat! Aber, wenn sie das sagen, so dichten sie in
ihrer Unbedachtsamkeit Gott eine Veränderung seines Wesens an. Denn die Namen, die Gott
hinsichtlich seines äußeren Werkes zukommen, sind ihm zwar erst seit dem Bestehen dieses seines
Werks beigelegt, wie z. B. der Name "Schöpfer Himmels und der Erden". Aber die
Frömmigkeit anerkennt keinen Namen, der etwa bedeuten könnte, es sei Gott in sich selbst etwas
zugefügt. Wollte man da von etwas neu Hinzukommendem reden, so machte dem das Wort des Jakobus ein
Ende: "Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts,
bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis" (Jak. 1,17). Deshalb
ist nichts unerträglicher, als wenn man dem Worte, das doch von Ewigkeit her Gott selber war und
später der Schöpfer der Welt wurde, einen Anfang andichten will! Aber dann kommen sie zu der
spitzfindigen Idee: wenn Mose bei der Schöpfungsgeschichte sage, damals habe Gott geredet, so deute
er doch damit selber an, daß vorher in Gott kein Wort gewesen sei. Das ist ein ganz besonders
albernes Geschwätz! Denn wenn etwas zu einer bestimmten Zeit geoffenbart wird, so ist doch daraus
nicht zu folgern, es sei vorher noch nicht dagewesen! Ich schließe ganz anders: wenn in jenem
Augenblick, da Gott sprach: "Es werde Licht", die Kraft des Wortes hervorbrach und sich
äußerte, dann muß es selbst schon lange vorher dagewesen sein! Wenn einer fragt: "Wie lange
denn?", so wird er keinen Anfang finden. Denn er selbst bestimmt keinerlei festen Zeitraum,
wenn er sagt: "Und nun verkläre du mich, Vater, bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich
bei dir hatte, ehe denn die Welt war" (Joh. 17,5). Auch das hat ja Johannes erwähnt: Denn er
sagt: bevor er zur Weltschöpfung übergeht, das Wort sei " im Anfang " bei Gott gewesen
(Joh. 1,1). Wir stellen also wiederum fest, daß das Wort vor Anbeginn der Zeit vom Vater gezeugt
worden ist und dann je und je bei ihm gewohnt hat. Dadurch wird dann seine Ewigkeit, sein wirkliches
Sein und seine Gottheit bewiesen.
I,13,9 Nun rede ich jetzt noch nicht von der Person des Mittlers, sondern verschiebe
das, bis ich von der Erlösung handle. Da es aber ohne Widerspruch allgemein anerkannt sein sollte,
daß Christus das fleischgewordene Wort ist, so gehören hierher alle die Zeugnisse, die die
Gottheit Christi behaupten. Wenn es im 45. Psalm heißt: "Gott, dein Stuhl bleibt immer und
ewig" (Ps. 45,7), so machen die Juden die Ausflucht, der Name "Elohim" (Gott) beziehe
sich auch auf die Engel und höchsten Gewalten. Aber es gibt in der Schrift nicht eine einzige
Stelle, die der Kreatur einen ewigen Thron errichtete! Und der, von dem der Psalm redet, wird ja
auch nicht schlechtweg "Gott" genannt, sondern auch als ewiger Herrscher bezeichnet.
Außerdem wird dieser Titel (Gott) niemandem zugelegt, ohne daß ein Zusatz gemacht wird, so wie z.
B. dem Mose gesagt wird, er werde "dem Pharao" ein Gott sein (Ex. 7,1). Andere wollen die
Stelle so lesen, daß "Gott" Genetiv sei ("dein Gottesthron"). Aber das ist
völlig unsinnig. Ich gestehe zwar, daß häufig besonders Vortreffliches als göttlich bezeichnet
wird; aber der Zusammenhang der Stelle zeigt, daß das hier hart und gezwungen wäre und in keiner
Weise paßte. Wenn sie aber in ihrer Hartnäckigkeit beharren, so wollen wir ihnen eine Stelle aus
Jesaja entgegenhalten; da wird ganz deutlich derselbe Christus als Gott bezeichnet und mit der
höchsten Macht ausgestattet – die doch allein Gott eigen ist! "Das ist der Name, mit dem sie
ihn nennen werden: Gott von Kraft, Vater in Ewigkeit ..." (Jes. 9,5f.; nicht Luthertext). Nun
kläffen auch hier wieder die Juden und wollen die Stelle so verdrehen: "Und das wird der Name
sein, mit dem ihn der starke Gott, der Vater in Ewigkeit nennen wird ...", so daß also dem
Sohne nur noch die Bezeichnung "Friedefürst" übrigbliebe. Aber wozu sollten denn soviele
Beinamen auf Gott den Vater gehäuft werden, wo doch der Prophet die Absicht hat, Christus mit
herrlichen Merkmalen zu schmücken, um unseren Glauben an ihn aufzuerbauen? Deshalb kann es keinem
Zweifel unterliegen, daß er hier aus demselben Grunde "Gott von Kraft" genannt wird wie
kurz vorher "Immanuel". Mit ebenso leuchtender Klarheit redet aber Jeremia an der Stelle,
wo er sagt, das werde der Name sein, mit dem der Sproß Davids genannt werden solle: der Herr unsere
Gerechtigkeit (Jer. 23,6). Da lehren nun die Juden selbst aus freien Stücken, alle anderen Namen
Gottes seien bloße Beinamen, dieser aber, den sie unaussprechlich nennen, sei lebendiger Ausdruck
seines Wesens. Daraus ergibt sich, daß der Sohn der einige und ewige Gott ist – der doch an
anderer Stelle kundtut, er werde seine Ehre keinem anderen geben! (Jes. 42,8). Aber auch hier suchen
sie Ausflüchte und verweisen darauf, daß Mose dem von ihm errichteten Altar und Ezechiel der neuen
Stadt Jerusalem den gleichen Namen gebe. Aber wer kann denn übersehen, daß dieser Altar als
Gedenkzeichen dafür erbaut wurde, daß Gott den Mose erhöht hat, und daß Jerusalem nur zum
Zeichen der Gegenwart Gottes mit dem Namen Gottes ausgezeichnet wird? Denn so spricht der Prophet:
"Und alsdann soll die Stadt genannt werden: ’Hier ist der Herr!’" (Ez. 48,35) Und Mose
redet ähnlich: "Und er baute einen Altar und nannte seinen Namen: Der Herr ist meine
’Erhöhung’ (mein Panier)" (Ex. 17,15). Aber noch ein größerer Streit dreht sich um eine
andere Jeremiastelle, in der der nämliche Ehrenname auf Jerusalem angewendet wird: "Das ist
der Name, mit dem man sie nennen wird: Der Herr unsere Gerechtigkeit" (Jer. 33,16). Aber dieses
Zeugnis bestreitet keineswegs die Wahrheit, die wir verteidigen, sondern bestätigt sie vielmehr.
Nachdem er nämlich zuvor (eben Jer. 23,6) bezeugt hat, Christus sei der wahre "Herr", von
dem die Gerechtigkeit ausgeht, zeigt er nun, daß die Kirche Gottes dies so lebendig erfahren werde,
daß sie seines Namens sich rühmen könne. Es wird also an der ersten Stelle die Quelle und der
Ursprung der Gerechtigkeit gezeigt, an der zweiten ihre Wirkung!
I,13,10 Wenn die Juden sich mit alledem noch nicht zufrieden geben, so weiß ich
nicht, welche Ausflucht sie dagegen vorbringen wollen, daß der "Herr" ("Jehovah")
so oft in der Gestalt eines Engels erscheint. So ist nach der Schrift den heiligen Vätern ein Engel
erschienen, und dieser legt sich den Namen des ewigen Gottes bei! (Richter 6 und 7). Wenn dagegen
jemand einwenden will, das geschehe um der Person dessen willen, den er vertritt, so löst sich der
Knoten noch keineswegs. Denn kein Diener hätte Gott die Ehre geraubt und zugegeben, daß ihm Opfer
dargebracht würden! Der Engel dagegen weigert sich, Brot zu essen, und befiehlt, dem
"Herrn" zu opfern (Richter 13,16). Darauf aber beweist er, daß er selbst der
"Herr" ist. Deshalb erkennen Manoah und sein Weib an diesem Zeichen, daß sie Gott gesehen
haben. Daher das Wort: "Wir müssen sterben, denn wir haben Gott gesehen." Wenn nun aber
die Frau antwortet: "Wenn der Herr Lust hätte, uns zu töten, so hätte er das Brandopfer und
Speiseopfer nicht angenommen von unseren Händen" – so bekennt sie damit den als Gott, der
zuvor "Engel" genannt wurde! (Richter 13,22f.). Dazu nimmt nun auch die Antwort des Engels
allen Zweifel: "Was fragst du mich nach meinem Namen, der doch wunderbar ist?" (V. 18). Um
so abscheulicher ist die Gottlosigkeit des Servet, der da behauptet, Gott habe sich dem Abraham und
den anderen Erzvätern nie geoffenbart, sondern statt seiner habe man einen Engel angebetet.
Indessen haben die rechtgläubigen Lehrer der Kirche mit Recht und Weisheit in jenem Engelfürsten
das Wort Gottes erkannt, das schon dazumal wie in einer Art Vorspiel sein Mittleramt begann. Denn
obwohl das Wort noch nicht Fleisch geworden war, so kam es doch gleichsam als Mittler hernieder, um
sich den Gläubigen desto vertrauter zu nahen. Solche freundliche Gemeinschaft mit den Menschen hat
ihm den Namen "Engel" gegeben: aber trotzdem hat das Wort unterdessen behalten, was sein
war, nämlich daß es Gott sei, von unaussprechlicher Herrlichkeit! Das will auch Hosea ausdrücken:
nachdem er den Kampf Jakobs mit dem Engel erwähnt hat, sagt er: "Herr (Jehovah), Gott der
Heerscharen, Herr ist sein Name" (Hos. 12,6). Servet faselt nun dagegen, Gott habe die Gestalt
eines Engels angenommen. Als ob der Prophet nicht einfach bestätigte, was schon Mose berichtete:
"Was fragst du mich nach meinem Namen?" Und das Bekenntnis des heiligen Erzvaters (Jakob)
macht ganz klar, daß es sich nicht um einen geschaffenen Engel gehandelt hat, sondern um den, der
die Fülle der Gottheit in sich trug; spricht er doch: "Ich habe Gott von Angesicht zu
Angesicht gesehen" (Gen. 32,30.31). So sagt ja auch Paulus, Christus sei des Volkes Führer in
der Wüste gewesen (1. Kor. 10,4). Denn obwohl die Zeit der Erniedrigung noch nicht da war, stellte
das ewige Wort doch ein Vorbild des Amtes auf, das es erfüllen sollte. Auch wenn man, freilich ohne
Streitsucht, das zweite Kapitel bei Sacharja erwägt, so bemerkt man, daß der Engel, der einen
zweiten Engel sendet, gleich darauf als Gott der Heerscharen bezeichnet und ihm alle Macht
zugeschrieben wird. Ich lasse unzählige weitere Zeugnisse aus, auf denen unser Glaube sicher ruhen
kann, obwohl die Juden sie wenig beachten. Heißt es bei Jesaja: "Siehe, das ist unser Gott
..., das ist der Herr, auf den wir harren, daß wir uns freuen und fröhlich seien in seinem
Heil" (Jes. 25,9), so ist allen, die Augen haben, deutlich, daß hier Gott vor uns hingestellt
wird, der sich abermals aufmacht, seinem Volke zu helfen. Und die kräftigen Hinweise, die da
doppelt gesetzt sind, lassen keine andere Deutung als die auf Christus zu. Noch deutlicher und
zuverlässiger ist die Stelle bei Maleachi, der verheißt, daß der Herrscher, der damals noch
erwartet wurde, in seinen Tempel kommen werde (Mal. 3,1). Nun war aber der Tempel, den doch der
Prophet Christus einräumt, einzig dem höchsten Gott geweiht! Daraus folgt also, daß er derselbe
Gott ist, der stets von den Juden angebetet worden war!
I,13,11 Das Neue Testament sprudelt unzählige Zeugnisse hervor. Wir müssen uns
daher bemühen, lieber in Kürze einiges Ausgewählte zu bringen, als alles aufzuhäufen. Die
Apostel haben ja zwar erst von ihm geredet, nachdem er bereits als Mittler im Fleische erschienen
war. Aber doch wird das, was ich anführen werde, seine ewige Gottheit sehr wohl zu beweisen
vermögen. Besonders ist die Lehre der Apostel der Aufmerksamkeit wert, daß in Christus das, was
zuvor von ihm als ewigem Gott ausgesagt war, bereits offenbar geworden sei oder sich einst
offenbaren werde. Da weissagt Jesaja, der Herr der Heerscharen werde für Juden und Israeliten ein
Fels des Ärgernisses und ein Stein des Anstoßes sein (Jes. 8,14) – und Paulus sagt, das sei in
Christus erfüllt (Röm. 9,32f.). Er erklärt damit, dieser Herr der Heerscharen sei Christus. In
ähnlicher Weise sagt er an anderer Stelle: "Wir werden alle dargestellt werden vor dem
Richtstuhl Christi; denn es steht geschrieben: ... mir sollen alle Knie sich beugen und alle Zungen
sollen Gott bekennen" (Röm. 14,10f.). Da dies nun bei Jesaja Gott von sich aussagt (Jes.
45,23) und da Christus es andererseits an sich selber erweist, so folgt, daß er selber Gott ist,
dessen Ehre doch keinem anderen gegeben werden soll. Auch was Paulus im Epheserbrief aus Psalm 68
(V. 19) anführt, paßt allein auf Gott: "Er ist aufgefahren in die Höhe und hat das
Gefängnis gefangen geführt" (Eph. 4,8). Da erkennt Paulus, daß solche Auffahrt schon
vorgebildet war dadurch, daß Gott seine Macht im Siege über fremde Völker erwies, und zeigt dann,
daß sie in Christus erst voll offenbart worden sei. So bezeugt Johannes, daß es die Herrlichkeit
des Sohnes gewesen sei, die einst dem Jesaja enthüllt wurde (Joh. 12,41; Jes. 6,1), wo doch der
Prophet selber schreibt, er habe Gottes Majestät erschaut. Was der Schreiber des Hebräerbriefs dem
Sohne beilegt, das sind unzweifelhaft die herrlichsten Lobpreisungen Gottes: "Du, Herr, hast
von Anfang die Erde gegründet ..." (Hebr. 1,10) und "Es sollen ihn alle Engel Gottes
anbeten" (Hebr. 1,6). Aber wenn er diese Lobpreisungen auf Christus bezieht, so bedeutet das
keinen Mißbrauch; denn was in jenen Psalmworten besungen wird, das hat Er allein erfüllt. Er war
es, der sich aufmachte, sich Zions zu erbarmen (Ps. 102,14). Er hat die Herrschaft über alle
Völker und Inseln angenommen (Ps. 97,1). Und weshalb hätte Johannes zögern sollen, Gottes
Majestät Christus beizulegen, da er doch vorher gesagt hatte, das Wort sei von Ewigkeit her Gott
gewesen? (Joh. 1,1.14). Weshalb sollte sich Paulus scheuen, Christus auf Gottes Richtstuhl zu setzen
(2. Kor. 5,10), nachdem er doch zuvor mit so klarer Heroldsbotschaft seine Gottheit kundgemacht
hatte, wenn er sagte, er sei "Gott, hochgelobt in Ewigkeit" (Röm. 9,5)? Und damit klar
sei, wie gut er hier mit sich selbst übereinstimmt, schreibt er an anderer Stelle: "Gott ist
geoffenbart im Fleisch ..." (1. Tim. 3,16). Wenn er aber Gott ist, hochgelobt in Ewigkeit, dann
ist er es auch, dem allein aller Ruhm und alle Ehre gebührt, wie er an anderer Stelle sagt (1. Tim.
1,17). Er scheut sich auch nicht, vor aller Welt zu bekennen: "Da er in göttlicher Gestalt
war, hielt er’s nicht für einen Raub, Gott gleich sein, entäußerte sich selbst ..." (Phil.
2,6ff.). Damit nun aber nicht die Gottlosen lästerten, er sei ein willkürlich erdachter Gott, geht
Johannes so weit, zu sagen: "Er ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben" (1. Joh.
5,20). Jedoch es muß uns völlig genug sein, daß er Gott genannt wird, besonders gerade von dem
Zeugen, der mit besonderer Schärfe betont, daß nicht viele Götter sind, sondern nur einer. Das
ist Paulus, der da spricht: "Mögen auch im Himmel und auf Erden viele Götter genannt werden,
so haben wir doch nur einen Gott, von welchem sind alle Dinge ..." (1. Kor. 8,5). Wenn wir nun
aus demselben Munde hören, Gott sei geoffenbart im Fleisch (1. Tim. 3,16), Gott habe mit seinem
eigenen Blute die Kirche erworben ... (Apg. 20,28) – wie sollten wir dann auf den Gedanken kommen,
damit sei ein zweiter Gott gemeint, den Paulus doch nie und nimmer anerkannt hätte? Und ohne allen
Zweifel dachten alle Gläubigen ebenso wie er. Wenn Thomas auf gleiche Weise Christus so offen
seinen "Herrn und Gott" nennt (Joh. 20,28), so bekennt er ihn als den einigen Gott, den er
stets angebetet hatte.
I,13,12 Wenn wir nun auch aus Christi Werken, wie sie ihm in der Schrift
zugeschrieben werden, seine Gottheit kennenlernen, dann wird sie uns noch deutlicher
entgegenleuchten. Als er sagte, er wirke seit Anbeginn und bis hierher mit dem Vater (Joh. 5,17), da
begriffen die Juden, die gegen alle seine anderen Worte völlig stumpf waren, doch, daß er sich
hier göttliche Kraft zuschrieb. Und deshalb suchten sie ihn, wie Johannes berichtet, nur desto mehr
zu töten, weil er nicht nur den Sabbat gebrochen hatte, sondern Gott für seinen Vater erklärte
und sich so Gott gleichmachte (Joh. 5,18). Wie groß müßte doch unsere Verblendung sein, wenn wir
hier nicht die Behauptung seiner Gottheit herausmerken wollten! Es ist doch wahrhaftig allein das
Werk des Schöpfers, mit Vorsehung und Kraft die Welt zu regieren und mit seinem Willen alles zu
leiten – und das schreibt der Apostel ihm zu! (Hebr. 1,3). Aber er teilt nicht bloß das Werk der
Weltregierung mit dem Vater, sondern auch andere einzelne Wirksamkeiten, an denen kein Geschöpf
Anteil haben kann. Der Herr ruft durch den Propheten aus: "Ich, ich tilge deine Missetaten um
meinetwillen (Jes. 43,25). Als die Juden diesem Spruch gemäß meinten, es geschähe
Gotteslästerung dadurch, daß Jesus Sünden vergab – da nahm er diese Vollmacht nicht nur
ausdrücklich für sich in Anspruch, sondern bekräftigte sie auch mit einem Wunder (Matth. 9,6). So
sehen wir, daß nicht nur das Amt, sondern die (freie) Vollmacht der Sündenvergebung bei ihm lag
– während sich doch der Herr weigert, sie an jemand anders zu übertragen! Ist es nicht einzig
und allein Gottes Macht, die verschwiegenen Gedanken des Herzens zu erkunden und zu durchschauen?
Aber auch diese Macht besaß Christus (Matth. 9,4), woraus wiederum seine Gottheit hervorgeht.
I,13,13 Wie hell leuchtet sie aber auch aus seinen Wundern hervor! Nun haben, wie
ich gern zugebe, auch die Propheten und die Apostel ähnliche oder gar gleiche Wunder getan. Aber
der unüberbrückbare Gegensatz besteht darin, daß diese in ihrem Amt und Dienst Gottes Gaben
austeilten, während er seine eigene Kraft wirken ließ! Er hat sich freilich zuweilen auch des
Gebets bedient, um dem Vater die Ehre zu geben, aber in den meisten Fällen sehen wir ihn seine
eigene Kraft äußern. Wie sollte er nicht der wahre Urheber der Wunder sein, da er doch mit seiner
Autorität anderen die Vollmacht dazu erteilt? Denn der Evangelist berichtet, daß er den Jüngern
Macht gegeben hat, Tote zu erwecken, Aussätzige rein zu machen, Teufel auszutreiben usw. (Matth.
10,8; Mark. 3,15; 6,7). Diese aber haben ihr Amt so erfüllt, daß dabei ganz klar wurde: die Kraft
kam von niemandem anders als von Christus. "Im Namen Jesu Christi stehe auf und wandle",
sagt Petrus (Apg. 3,6). Es ist deshalb auch nicht zu verwundern, daß Christus auf seine Wunder
verwies, um den Unglauben der Juden zu besiegen; denn was aus seiner Kraft heraus geschehen war,
mußte ja zugleich ein voller Beweis für seine Gottheit sein (Joh. 5,36; 10,37; 14,11). Wenn ferner
außer Gott kein Heil, keine Gerechtigkeit, kein Leben ist und anderseits Christus alles das in sich
hat, dann ist er gewiß als Gott ausgewiesen. Es soll mir nun aber keiner einwerfen, es sei von Gott
her Leben und Heil in ihn übergegangen. Denn es heißt nicht, daß er Heil empfangen habe, sondern
daß er das Heil sei! Und wenn keiner gut ist als Gott allein (Matth. 19,17), wie sollte dann ein
bloßer Mensch – nicht gut und gerecht, sondern – die Güte und Gerechtigkeit selber sein? War
nicht nach dem Zeugnis des Evangelisten seit Anbeginn der Welt in ihm das Leben, und war er nicht
selbst, der er schon damals das Leben war, das Licht der Menschen? (Joh. 1,4). Deshalb wagen wir,
auf solche Zeugnisse gestützt, auf ihn unseren Glauben und unsere Hoffnung zu setzen, obwohl wir
doch genau wissen, daß es Frevel und Gottlosigkeit ist, wenn einer sein Vertrauen auf die Kreatur
setzt! "Glaubet ihr an Gott, so glaubet auch an mich" spricht er (Joh. 14,1; nicht
Luthertext). So legt auch Paulus zwei Jesajastellen aus: "Wer auf ihn hoffet, wird nicht zu
Schanden werden" und "Aus der Wurzel Isai wird einer erstehen, um die Völker zu regieren;
auf ihn werden die Völker hoffen" (Jes. 28,16; 11,10; Röm. 10,11; 15,12). Aber wozu sollen
wir hierzu weiter Schriftzeugnisse aufführen, da es doch immer wieder heißt: "Wer an mich
glaubt, der hat das ewige Leben"? So gebührt ihm auch die gläubige Anrufung, die doch der
göttlichen Majestät eigen ist, wenn überhaupt etwas. Denn es sagt der Prophet: "Wer den
Namen des Herrn anrufen wird, der wird gerettet werden" (Joel 3,6). Und wieder ein anderer ruft
aus: "Der Name des Herrn ist ein festes Schloß; der Gerechte läuft dahin und wird
beschirmt" (Spr. 18,10). Nun wird aber der Name Christi zum Heil angerufen; und daraus wird
klar, daß er "der Herr" ist. Wir haben ein Beispiel solcher Anrufung, nämlich das des
Stephanus: "Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!" (Apg. 7,58). Auch weitere Beispiele
besitzen wir in der ganzen Kirche, wie es zum Beispiel Ananias im gleichen Buche darstellt, wenn er
sagt: "Herr, du weißt, wieviel Übels dieser Mensch allen Heiligen getan hat, allen, die
deinen Namen anrufen (Apg. 9,13.14). Und damit recht deutlich erkannt werde, daß in ihm alle Fülle
der Gottheit leibhaftig wohnt, bekennt der Apostel, er habe unter den Korinthern keinerlei Lehre
vertreten als allein die Erkenntnis Christi, er habe nichts anderes gepredigt als diese! (1. Kor.
2,2). Ist es denn nicht eigenartig und sonderbar, daß Gott uns, denen er doch gebietet, sich allein
seiner Erkenntnis zu rühmen (Jer. 9,23), allein den Namen des Sohnes verkündigen läßt? Wer
wollte sich erkühnen, den für ein bloßes Geschöpf zu erklären, dessen Erkenntnis allein unser
Ruhm ist? Dazu kommt noch, daß Paulus in den Grußworten, die am Anfang seiner Briefe stehen, vom
Sohne die nämlichen Segnungen erbittet wie vom Vater. Daraus folgt für uns die Lehre, daß wir
nicht bloßdurch sein Eintreten für uns empfangen, was uns der himmlische Vater zuteil werden
läßt, sondern daß der Sohn vermöge seiner Teilhabe an der Macht selbst der Urheber ist. Diese
praktische Erkenntnis ist ohne Zweifel gewisser und zuverlässiger als alles müßige Gedankenspiel.
Denn da sieht die gläubige Seele Gott in völliger Nähe, ergreift ihn schier mit den Händen und
erfährt, daß sie von ihm lebendig gemacht, erleuchtet, gerettet, gerechtfertigt und geheiligt
wird!
I,13,14 Der Erweis der Gottheit des Geistes muß nun aus den gleichen Quellen
geführt werden. Ohne alle Dunkelheit ist das Zeugnis des Mose in der Schöpfungsgeschichte: der
Geist habe über dem Abgrund oder dem ungestalteten Stoff geschwebt (Gen. 1,2). Dadurch zeigt er,
daß nicht nur die Schönheit der Welt, wie man sie jetzt erblickt, durch die Kraft des Geistes
ihren Bestand hat, sondern daß der Geist bereits, ehe all diese Zier aufkam, die ungeordnete Masse
erhalten hat. Keinerlei Ausflüchte gestattet auch der Ausspruch bei Jesaja: "Und nun sendet
mich der Herr, Herr und sein Geist" (Jes. 48,16); denn er teilt damit die höchste
Befehlsgewalt bei der Sendung der Propheten auch dem Geiste zu, woraus seine göttliche Majestät
hervorleuchtet. Aber der beste Beweis kommt doch, wie ich bereits sagte, aus vertrauter Erfahrung.
Denn hoch über alle Kreatur ist erhaben, was ihm die Schrift beilegt und was wir selbst in sicherer
Erfahrung der Frömmigkeit lernen. Denn er ist überall gegenwärtig und erhält, nährt und belebt
alle Dinge im Himmel und auf Erden. Schon dadurch wird er der Zahl der Geschöpfe entnommen, daß
ihn keinerlei Grenzen umschließen. Aber daß er seine Kraft in alles ergießt und dadurch allen
Dingen Wesen, Leben und Bewegung verleiht, das ist offenkundig göttlich. Und wenn weiterhin die
Wiedergeburt zu unvergänglichem Leben höher und viel erhabener ist als alles gegenwärtige Wachsen
und Werden, wie muß man dann über den Geist urteilen, aus dessen Kraft solches Leben hervorgeht?
Denn daß er selbst nicht durch Übertragung, sondern durch seine eigene Kraft der Urheber der
Wiedergeburt ist, das lehrt die Schrift an vielen Stellen. Er ist aber nicht allein der Urheber der
Wiedergeburt, sondern auch der Begründer künftiger Unsterblichkeit. Es werden also dem Geist genau
wie dem Sohn alle Wirksamkeiten der Gottheit, und zwar besonders die ganz eigentümlichen,
zugeschrieben. Wenn doch der Geist die Tiefen des Gottes erforscht, der unter den Geschöpfen keinen
Ratgeber hat (1. Kor. 2,10.16), wenn er Weisheit und Redefähigkeit darreicht (1. Kor. 12,10), wo
doch der Herr dem Mose sagt, das sei ausschließlich sein Werk (Ex. 4,11), dann gelangen wir durch
ihn derart zur Gemeinschaft mit Gott, daß wir seine Kraft als lebendigmachende an uns erfahren.
Unsere Rechtfertigung ist sein Werk, von ihm kommt Kraft, Heiligung, Wahrheit, Gnade und was man nur
Gutes erdenken kann. Denn es ist ein Geist, von dem alle Gaben kommen. Besonders ist hier der Satz
des Paulus erwähnenswert: Wie mannigfaltig auch die Gaben sind, wie vielfältig und verschieden sie
verteilt sind, "es ist ein Geist" (1. Kor. 12,4). Damit stellt er fest, daß der Geist
nicht etwa bloß der Anfang und die Quelle, sondern wirklich der Urheber ist. Das drückt er noch
klarer kurz danach so aus: "Dies alles aber wirket derselbe eine Geist und teilt einem
jeglichen seines zu, nach dem er will." (1. Kor. 12,11). Wäre der Geist nicht eine Seinsweise
in Gott, so würde ihm sicherlich in keiner Weise Wahl und Wille zugeschrieben. Deshalb mißt also
Paulus dem Geist mit voller Klarheit göttliche Macht bei und zeigt, daß er als eigene Wesenheit (hvpostatice)
in Gott wohne.
I,13,15 Auch bedient sich die Schrift, wenn sie vom Geiste redet, des Namens
"Gott". Denn Paulus folgert daraus, daß der Geist in uns wohnt, daß wir ein Tempel
Gottes sind (1. Kor. 3,17; 6,19; 2. Kor. 6,16). Darüber darf man nicht schnell hinweggehen. Denn
Gott verheißt so oft, er werde sich uns als seinen Tempel erwählen – und erfüllt diese
Verheißung dadurch, daß der Geist in uns wohnt! Augustin hat sicher mit seiner ausgezeichneten
Bemerkung recht: Wenn wir den Befehl erhielten, dem Geist aus Holz und Stein einen Tempel zu bauen,
wo doch solche Verehrung einzig Gott gebührt, so wäre das ja schon ein klarer Beweis für seine
Gottheit; wieviel klarer ist er aber nun, da wir ihm nicht einen Tempel bauen, sondern selbst ein
Tempel sein sollen! (Brief 170). Der Apostel schreibt einmal, wir seien Gottes Tempel, das andere
Mal in völlig gleichem Sinne, wir seien Tempel des Heiligen Geistes! Und als Petrus den Ananias
tadelte, daß er "dem Heiligen Geiste gelogen" habe, da sagte er, Ananias habe "nicht
Menschen, sondern Gott gelogen" (Apg. 5,3f.). Und wo Jesaja den Herrn der Heerscharen redend
einführt (Jes. 6,9), da lehrt Paulus, es sei der Heilige Geist, der da rede. (Apg. 28,25f.).
Überhaupt: wo die Propheten immer wieder sagen, die Worte, die sie redeten, seien solche des Herrn
der Heerscharen, da nennen Jesus und die Apostel den Heiligen Geist. Auch daraus geht hervor, daß
er wahrhaftig "der Herr" (Jehovah) ist, der der höchste Urheber aller Prophetie ist. Wo
andererseits Gott sich darüber beschwert, daß er durch des Volkes Halsstarrigkeit herausgefordert
werde, da sagt Jesaja, es sei sein Heiliger Geist betrübt worden (Jes. 63,10). Und wenn endlich die
Lästerung des Geistes weder in dieser Welt noch in der zukünftigen vergeben werden soll, während
doch der, der den Sohn lästert, Vergebung empfangen kann (Matth. 12,31; Mark. 3,29; Luk. 12,10), so
ist auch das ein klarer Ausdruck der göttlichen Majestät des Geistes, die zu verletzen oder
anzutasten ein unvergebbarer Frevel ist. Mit voller Absicht übergehe ich viele Zeugnisse, die die
Alten hier genannt haben. Ihnen schien es angebracht, hier z.B. die Psalmstelle anzuführen:
"die Himmel sind durch des Herrn Wort gemacht und all ihr Heer durch den Geist seines
Mundes" (Ps. 33,6), um zu beweisen, die Welt sei ebensosehr des Heiligen Geistes Werk wie das
des Sohnes. Aber da es in den Psalmen üblich ist, dasselbe zweimal zu sagen, und da ferner bei
Jesaja "Geist seines Mundes" soviel bedeutet wie "Wort" (Jes. 11,4), so scheint
mir dies eine schwache Beweisstelle zu sein. Ich wollte deshalb nur kurz das berühren, auf das sich
der fromme Sinn mit Sicherheit stützen kann.
I,13,16 Wie sich nun Gott in der Ankunft Christi deutlicher offenbart hat, so hat er
sich dort auch in den drei Personen vertrauter kundgemacht. Aus den vielen Zeugnissen davon mag uns
eines genügen: Es verbindet nämlich Paulus diese drei: Gott, Glaube und Taufe (Eph. 4,5) derart,
daß er vom einen zum anderen folgert: weil ein Glaube ist, so erweist sich daraus, daß ein Gott
ist, und weil eine Taufe ist, so zeigt er daraus, daß auch ein Glaube sei. Wenn wir also durch die
Taufe in den Glauben an den einen Gott und seine Verehrung eingeführt werden, so müssen wir als
den wahren Gott notwendig den erkennen, in dessen Namen wir getauft werden. Und wenn Christus sagte:
"Taufet sie in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes", so wollte er
mit so feierlicher Formel ohne Zweifel bezeugen, daß das Licht des Glaubens bereits vollständig
offenbart sei. Denn diese Formel bedeutet soviel wie die Forderung der Taufe auf den Namen des einen
Gottes, der in voller Klarheit im Vater, im Sohne und im Geiste erschienen ist; und daraus ergibt
sich deutlich, daß in Gottes Wesen drei Personen sind, in welchen der eine Gott erkannt wird! Und
da nun der Glaube nicht nach allen Seiten umherschauen und auch nicht in allen Richtungen sich
herumtreiben soll, sondern auf den einen Gott blicken, an ihm hängen und an ihm bleiben soll, so
müßte es ja, wenn es mehrerlei Glauben gäbe, auch mehrere Götter geben. Weil aber das Sakrament
des Glaubens die Taufe ist, so versichert sie uns dadurch der Einheit Gottes, daß sie eben eine
Taufe ist! Daraus folgt auch, daß man nur auf den einen Gott getauft werden darf; denn wir sollen
ja an den glauben, in dessen Namen wir getauft werden. Wenn also Christus anordnete, die Taufe solle
in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geschehen, was konnte er dabei
anders im Sinne haben, als daß wir eben mit einem Glauben an den Vater und den Sohn und den
HeiligenGeist glauben sollten! War das aber so, was wollte er dann anders, als deutlich bezeugen,
daß der Vater, der Sohn und der Geist der eine Gott ist? Bleibt es also bestehen, daß Gott einer
ist und eben nicht viele, so können Wort und Geist nichts anderes sein als Gottes Wesen selbst! Und
deshalb war es ganz besonders töricht und ungeziemend, wenn die Arianer zwar die Gottheit Christi
bekennen, ihm aber Gottes Wesen (Grundwesen) absprechen wollten! Ein ganz ähnlicher Wahn trieb die
Macedonianer, wenn sie meinten, unter dem Geist seien nur die den Menschen zugeflossenen Gnadengaben
zu verstehen. Denn wie Weisheit, Einsicht, Verstand, Kraft und Furcht des Herrn von ihm kommen, so
ist er eben selbst der eine Geist der Weisheit, der Klugheit, der Kraft und der Frömmigkeit. Er
wird auch nicht gemäß der Austeilung seiner Gaben selbst zerteilt; sondern so verschieden die
Gaben geteilt werden, so bleibt er doch immer einer und derselbe, wie der Apostel sagt (1. Kor.
12,11).
I,13,17 Aber auf der anderen Seite wird in der Schrift auch ein gewisser Unterschied
des Vaters gegenüber dem Worte und des Wortes gegenüber dem Geiste aufgestellt. Die Tiefe des
Geheimnisses mahnt uns indessen selbst, bei der Betrachtung dieses Unterschieds mit größter
Ehrfurcht und Besonnenheit zu Werke zu gehen. Mir gefällt besonders das Wort des Gregor von Nazianz:
"Ich vermag nicht, einen zu denken, ohne sofort von den dreien umstrahlt zu werden; und ich
kann die drei nicht scheiden, ohne auf den einen zurückzukommen." (Gregor von Nazianz, Von der
Heiligen Taufe). Auch wir dürfen die Dreieinigkeit der Personen nicht so auffassen, daß unsere
Gedanken dabei in sich zerteilt und auseinandergebracht und nicht vielmehr alsbald zur Einheit
zurückgeführt würden. Gewiß bedeuten schon die Bezeichnungen "Vater", "Sohn"
und "Geist" eine wirkliche Unterscheidung, und man soll nicht meinen, es wären darunter
bloß Beinamen zu verstehen, die Gott nach seinen verschiedenen Wirkungen bezeichneten. Aber es
handelt sich um Unterscheidung und nicht um Scheidung. Daß er, der Sohn, eine vom Vater
unterschiedene Eigenheit (proprietas) besitzt, das zeigten uns die bereits angeführten Stellen.
Denn das Wort wäre nicht "bei" Gott, wenn es sich nicht vom Vater unterschiede, auch
hätte es dann nicht seine Herrlichkeit "beim" Vater. Ebenso macht der Sohn zwischen sich
und dem Vater einen Unterschied, wenn er sagt: "Es ist ein anderer, der für mich zeugt"
(Joh. 5,32; 8,16 u.a.). In diese Reihe gehört auch der an anderer Stelle vorkommende Satz: der
Vater habe alles durch das Wort geschaffen (Hebr. 11,3); denn auch hier wird eine Unterscheidung
vorausgesetzt. Auch kam ja nicht der Vater auf die Erde, sondern der, der vom Vater ausging. Nicht
der Vater ist gestorben und auferstanden, sondern der, den er gesandt hat. Aber diese Unterscheidung
beginnt nicht erst mit der Fleischwerdung, sondern es wird bezeugt, daß schon zuvor der Eingeborene
im Schoß des Vaters war (Joh. 1,18). Denn wer wollte sich unterstehen zu behaupten, der Sohn sei
erst da in den Schoß des Vaters eingegangen, als er vom Himmel herabkam und Mensch wurde? Er war
also schon zuvor im Schoße des Vaters (Joh. 1,18) und besaß seine Herrlichkeit bei dem Vater (Joh.
17,5). Die Unterscheidung des Heiligen Geistes vom Vater deutet Christus an, wenn er sagt, der Geist
gehe vom Vater aus (Joh. 14,26; 15,26); oft unterscheidet er ihn auch von sich selbst, wenn er etwa
sagt: "Ich will euch einen anderen Tröster senden" (Joh. 14,16), aber auch noch an
anderen Stellen.
I,13,18 Um diese Unterscheidung näher zu kennzeichnen, hat man zuweilen
Ähnlichkeiten aus menschlichen Verhältnissen entlehnt. Aber ich weiß nicht, ob dabei etwas
herauskommt. Auch die Alten tun das manchmal; aber sie gestehen doch zugleich, es sei ein großer
Unterschied zwischen Sache und Bild. Deshalb scheue ich hier alle Kühnheit; es könnte zu leicht
etwas unbedacht Vorgebrachtes den Bösen zu Schmähungen und den Schwachen zum Irrtum Anlaß geben!
Jedoch gebührt es uns nicht, die Art der Unterscheidung zu verschweigen, die wir in der Schrift
bezeichnet finden. Diese besteht aber in folgendem: dem Vater ist der Anfang des Wirkens
zugeschrieben, er ist aller Dinge Quelle und Brunnen, dem Sohne eignet die Weisheit, der Rat und die
geordnete Austeilung, dem Geiste die Kraft und Wirksamkeit im Handeln. Ferner ist zwar die Ewigkeit
des Vaters auch die des Sohnes und des Geistes – denn Gott konnte ja nie ohne Weisheit und Kraft
sein, und in der Ewigkeit kann anderseits kein Vorher und Nachher gefunden werden. Aber trotzdem ist
es eine keineswegs leere oder überflüssige Ordnungsfolge, wenn der Vater als der Erste gilt, dann
der Sohn aus ihm folgt, und dann aus beiden der Geist. Denn jedes Menschen Herz neigt ganz von
selbst dazu, zuerst den Vater zu betrachten, dann die aus ihm hervorbrechende Weisheit und dann zum
Schluß die Kraft, durch die er seine Ratschlüsse verwirklicht. Aus diesem Grunde sagt man, der
Sohn habe sein Wesen nur durch den Vater, der Geist durch den Vater und den Sohn gemeinsam. So
finden wir es denn auch an vielen Schriftstellen; nirgendwo aber klarer als in Römer 8, wo derselbe
Geist einmal als der Geist Christi und dann wieder als der Geist dessen bezeichnet wird, "der
Christus von den Toten auferweckt hat" (Röm. 8,9). Und das mit Recht. Bezeugt doch auch
Petrus, daß es Christi Geist gewesen sei, in dem die Propheten geweissagt haben (1. Petr. 1,11), wo
doch sonst die Schrift so oft lehrt, daß es des Vaters Geist gewesen ist.
I,13,19 Aber diese Unterscheidung tut der vollen Einheit Gottes durchaus keinen
Abbruch. Ja, es kann vielmehr gerade aus ihr erwiesen werden, daß der Sohn ein Gott ist mit dem
Vater, weil er auch zugleich mit ihm den einen Geist hat, daß aber auch der Geist nicht etwas
anderes, vom Vater und vom Sohne Getrenntes ist, weil er ja der Geist des Vaters und des Sohnes ist!
Denn unter jeder einzelnen Person (Hypostase) wird die ganze (göttliche) Natur verstanden, mit dem
zusammen, was jeder als Eigenheit zukommt. Der Vater ist ganz in dem Sohne, der Sohn ganz im Vater,
wie er ja auch selbst sagt: "Ich bin im Vater und der Vater ist in mir" (Joh. 14,10), und
die kirchlichen Schriftsteller gestehen nicht zu, daß der eine vom andern durch irgendeinen
Unterschied im Wesen getrennt wäre. "Mit den Benennungen, die eine Unterscheidung
betreffen", sagt Augustin, "wird ihr gegenseitiges Verhältnis bezeichnet, nicht aber das
Grundwesen (substantia), in welchem sie doch eins sind." (Augustin, Brief 238). In diesem Sinne
muß man die Aussagen der Alten zusammensehen – sonst müßten sie den Eindruck erwecken,
nennenswert gegeneinander zu stehen. Denn bald sagen sie, der Vater sei der Ursprung des Sohnes,
bald bestehen sie darauf, der Sohn habe seine Gottheit und sein Wesen von sich selber, sei also ein
Anfang mit dem Vater (Augustin, Brief 238 und zu Ps. 109,13). Den Grund dieser Verschiedenheit
erklärt Augustin an anderer Stelle ganz deutlich: "Christus wird an und für sich Gott
genannt, in seinem Verhältnis zum Vater aber Sohn. Und anderseits: der Vater wird an und für sich
Gott genannt, in seinem Verhältnis zum Sohn aber Vater. Wenn er also dem Sohn gegenüber Vater ist,
so ist er eben nicht der Sohn, und wenn der Sohn gegenüber dem Vater Sohn heißt, so ist er eben
nicht der Vater; der aber an und für sich Vater und der an und für sich Sohn genannt wird, der ist
derselbe Gott!" (Augustin zu Psalm 68). Wenn wir also vom Sohne schlechthin, ohne Rücksicht
auf den Vater reden, so können wir recht und wirklich sagen, er sei aus sich selber, und so können
wir ihn den einzigen Ursprung nennen; wenn wir aber sein Verhältnis zum Vater ins Auge fassen, so
sagen wir mit Recht, daß der Vater der Ursprung des Sohnes sei. Die Entfaltung dieser Gedanken
bildet den Inhalt des fünften Buches in Augustins Werk "Von der Dreieinigkeit".
Jedenfalls ist es viel sicherer, bei der Verhältnisbestimmung, die er gibt, zu bleiben, als tiefer
in dieses erhabene Geheimnis einzudringen und sich dann in allerhand leeres Gedankenspiel zu
verlieren.
I,13,20 Also mögen nun diejenigen, die nüchternen Herzens und mit dem Maß des
Glaubens zufrieden sein möchten, kurz merken, was nützlich ist zu wissen. Nämlich, wenn wir
bekennen, an den einen Gott zu glauben, so versteht man unter "Gott" das eine und einfache
Wesen, in dem wir drei Personen oder Hypostasen begreifen. Wird Gottes Name ohne nähere Bestimmung
gebraucht, so ist nicht weniger der Sohn und der Geist als der Vater gemeint. Tritt neben den Vater
der Sohn, so ist das Verhältnis (relatio) zu beachten, und so unterscheiden wir zwischen den
Personen. Nun aber stehen die Eigenheiten (proprietates) der Personen untereinander in einer
gewissen Ordnung, so daß der Vater Anfang und Ursprung ist. Wo also der Vater und der Sohn oder
auch der Geist zusammen genannt werden, da wird der Name "Gott" in besonderer Weise dem
Vater beigelegt. Dadurch wird die Einheit des Wesens beibehalten und die Ordnung bewahrt; aber dies
nimmt doch der Gottheit des Sohnes und des Geistes nichts. Und da, wie wir oben gesehen haben, die
Apostel behaupten, daß der Sohn Gottes der gewesen sei, den die Propheten als "den Herrn"
bezeugt haben, so muß man gewiß notwendig immer wieder zur Einheit des Wesens zurückkommen.
Deshalb ist es für uns ein verabscheuungswürdiger Frevel, wenn man sagt, der Sohn sei ein vom
Vater verschiedener Gott. Denn der einfache Name "Gott" läßt keinerlei
Verhältnisbestimmung zu, man kann auch nicht sagen, daß Gott im Verhältnis zu sich selber das
oder das sei. Daß der Name "der Herr" (Jehovah), wenn er nicht näher bezeichnet ist,
auch Christus zukommt, leuchtet auch aus dem Pauluswort ein: ,,Deshalb habe ich den Herrn dreimal
gebeten" – denn nachdem er Christi Antwort berichtet hat: "Laß dir an meiner Gnade
genügen", setzt er gleich hinzu: "... daß die Kraft Christi bei mir wohne ..." (2.
Kor. 12,9). Da ist ja ganz klar der Name "Herr" für "Jehovah" gesetzt, und so
wäre es leichtsinnig und kindisch, ihn auf die Person des Mittlers zu beschränken; denn es handelt
sich um eine Rede ohne jeden Gedanken an ein (innergöttliches) Verhältnis (absolute); ein
Vergleich zwischen dem Vater und dem Sohne findet also nicht statt. Und aus der Gewohnheit der
Griechen wissen wir auch, daß die Apostel zuweilen den Namen "Kyrios" (Herr) für "Jehovah"
setzten. Um nicht von weither ein Beispiel zu holen: Wenn Paulus zum "Herrn" betete, so
geschah das in demselben Sinne, wie Petrus die Joelstelle anführt: "Wer den Namen des Herrn
anruft, der wird gerettet werden" (Apg. 2,16; Joel 3,5). Wo dieser Name ("Herr") in
besonderer Weise dem Sohne allein beigelegt wird, da hat es damit eine andere Bewandtnis, wie an
anderer Stelle gezeigt werden soll. Jetzt wollen wir nur festhalten: Paulus fügt, nachdem er zu
Gott ohne nähere Bestimmung gebetet hat, sogleich Christi Namen an. So nennt Christus Gott auch
ganz "Geist" (Joh. 4,24). Denn es steht nichts dagegen, daß das ganze Wesen Gottes
geistlich sei – da doch in ihm Vater, Sohn und Geist begriffen werden. Dies wird auch durch die
Schrift bestätigt; denn wie wir Gott hier "Geist" nennen hören, so hören wir auch, wie
vom Geiste, da und sofern er ja eine "Person" (Hypostase) des ganzen Wesens ist, gesagt
wird, er sei Gottes Geist und komme von Gott.
I,13,21 Nun hat der Teufel, um unseren Glauben mit der Wurzel auszurotten, zu allen
Zeiten einerseits über das göttliche Wesen des Sohnes und des Geistes, anderseits über die
Unterscheidung der Personen gewaltige Streitigkeiten erregt. Und wie er fast in allen Jahrhunderten
gottlose Menschen aufgebracht hat, um durch sie die rechtgläubigen Lehrer an diesem Punkte zu
plagen, so versucht er auch heute aus alten Funken ein neues Feuer anzuzünden. Deshalb aber ist es
hier der Mühe wert, dem verdrehten Wahn von einigen dieser Leute entgegenzutreten. In der
bisherigen Darstellung war hauptsächlich die Absicht, gelehrige Menschen mit der Hand zu leiten,
aber nicht, mit halsstarrigen und zanksüchtigen zu streiten. Jetzt aber muß die Wahrheit, die in
Ruhe dargestellt wurde, gegen alles Schmähen der Gottlosen verteidigt werden. Freilich ist es mir
doch am wichtigsten, daß die, welche dem Worte Gottes gern ihr Ohr öffnen, einen Grund haben, auf
dem sie stehen können. Wenn es irgendwo angesichts der verborgenen Geheimnisse der Schrift der
Besonnenheit und Mäßigung beim Nachsinnen bedarf, so gilt das hier in ganz besonderem Maße. Es
gehört auch viel Vorsicht dazu, daß nicht der Gedanke oder die Sprache weiter geht, als Gottes
Wort uns verstattet. Wie sollte auch der Menschengeist Gottes unermeßliches Wesen nach seinem Maße
messen wollen, wo er noch nicht einmal sicher feststellen kann, was denn die Sonne für ein Körper
sei – die er doch alle Tage mit Augen sieht! Oder wie soll er selbständig dazu kommen, Gottes
Grundwesen zu erforschen, wo er doch sein eigenes nicht im mindesten kennt? Deshalb wollen wir die
Erkenntnis Gottes ihm selber überlassen. Denn er ist doch nach dem Worte des Hilarius allein ein
vollgültiger Zeuge für sich selbst, und man kann ihn nur durch ihn selbst erkennen. Wir verfahren
aber dann nach dieser Einsicht, wenn wir ihn so betrachten, wie er sich uns geoffenbart hat, und
über ihn an keiner anderen Stelle eine Kunde suchen als in seinem Wort. So bestehen über diesen
Gegenstand fünf Predigten des Chrysostomus gegen die Anhomöer; aber auch diese vermochten die
Vermessenheit der Klüglinge (Sophisten) nicht zu bändigen und ihrer Schwatzhaftigkeit keinen Zaum
anzulegen. Denn sie haben sich hier nicht bescheidener betragen, als sie sonst zu tun pflegen. Wir
aber sollen aus den heillosen Folgen solcher Vermessenheit lernen, in dieser Sache mehr Lernbegier
als Scharfsinn zu entwickeln und uns vor allem nicht in den Sinn kommen zu lassen, Gott irgendwo
anders zu suchen als nur in seinem heiligen Wort, oder über ihn etwas zu denken als allein unter
Leitung seines Wortes, oder etwas zu reden als allein das, was aus seinem Worte kommt. Die
Unterscheidung zwischen Vater, Sohn und Geist innerhalb der einen Gottheit, die ja sehr schwer zu
erkennen ist, hat einigen Geistern mehr Mühe und Beschwerde gemacht, als nützlich war; deshalb
wollen wir uns daran erinnern, daß der Menschengeist in einen Irrgarten hineinrennt, wenn er sich
seiner eigenen Neugier überläßt, und uns von den himmlischen Offenbarungsworten leiten lassen, da
wir die Tiefe des Geheimnisses nicht begreifen können.
I,13,22 Es würde zu weit führen und nur unnützen Überdruß erregen, wollte man
all die Irrtümer aufzählen, mit denen die Lauterkeit des Glaubens in diesem Hauptstück der Lehre
je angefochten worden ist. ist. Viele von den Urhebern der Ketzerei haben mit ihrem groben Wahn den
Versuch, Gottes Herrlichkeit gar zunichte zu machen, so unternommen, daß sie sich damit begnügten,
Unerfahrene zu erschüttern oder in Verwirrung zu bringen. Alsbald aber entsprangen aus einzelnen
Menschen ganze Sekten, die zum Teil Gottes Wesen zerreißen, zum Teil die Unterschiedenheit der
Personen verwischen wollten. Wenn wir aber nun festhalten, was oben aus der Schrift hinlänglich
bewiesen wurde, nämlich daß das Wesen des einen Gottes einfach und unteilbar ist, und daß es dem
Vater, dem Sohne und dem Geiste (gleichermaßen) zukommt, daß sich wiederum der Vater durch eine
bestimmte Eigenheit vom Sohne und der Sohn vom Geiste unterscheidet – dann ist dem Arius und dem
Sabellius und allen früheren Irrlehrern der Eingang versperrt. Aber es sind zu unserer Zeit einige
Schwindelköpfe wie Servet und seinesgleichen aufgetreten und haben mit neuem Blendwerk alles zu
verwirren gesucht, und deshalb ist es doch der Mühe wert, ihre Trügereien kurz zu prüfen. Dem
Servet war der Ausdruck "Trinität" dermaßen verhaßt, ja abscheulich, daß er uns alle
"Trinitarier" nannte und uns als solche für Atheisten erklärte. Ich will dabei noch die
Schmähworte übergehen, die er sich ausgedacht hat. Der Hauptinhalt seiner Spekulationen war der:
Wo man von dem Dasein dreier Personen in Gottes Wesen spräche, da hätte man einen dreiteiligen
Gott aufgebracht, und diese Dreiheit sei reine Einbildung, da sie ja gegen die Einheit Gottes
verstoße. Nach seiner Anschauung wären nun die Personen gewisse äußere Vorstellungen, die nicht
etwa wirklich in Gottes Wesen bestünden, sondern uns Gott nur in dieser oder jener Beziehung
darstellen sollten. Im Anfang habe es in Gott keinerlei Unterschiedenheit gegeben, weil ehedem Wort
und Geist noch dasselbe gewesen seien; seitdem aber Christus als Gott von Gott ausgegangen wäre,
sei auch ein anderer Geist, ebenfalls als Gott, aus Gott hervorgegangen. Zuweilen putzt er seine
Albernheiten mit Sinnbildern auf. So sagt er, das ewige Wort Gottes sei der ewige Geist Christi bei
Gott gewesen und ein Abglanz der Idee. Oder auch: der Geist sei der Schatten der Gottheit gewesen.
Kurz darauf macht er aber dann doch beider Gottheit zunichte und behauptet, es sei nach dem Maße
der (göttlichen) Austeilung im Sohne wie im Geiste ein Teil Gottes gewesen, so wie derselbe Geist
seinem Grundwesen nach in uns und auch in Holz und Stein als ein Teil Gottes vorhanden sei. Was er
über die Person des Mittlers schwatzt, werden wir bei Gelegenheit sehen. Seine tolle Erfindung,
Person bedeute nichts anderes als eine sichtbare Gestalt der Herrlichkeit Gottes, bedarf keiner
langen Widerlegung. Denn wenn Johannes sagt, daß der Logos (das Wort) bereits vor Erschaffung der
Welt Gott gewesen sei, so versteht er darunter etwas ganz anderes als eine Idee oder eine sichtbare
Gestalt (Joh. 1,1). Wenn aber der Logos, der doch Gott war, schon dazumal und seit aller Ewigkeit
bei dem Vater war und seine eigene Herrlichkeit bei dem Vater hatte (Joh. 17,5), dann konnte er
nicht ein äußerer und abbildender Schein sein, sondern mußte doch vielmehr eine Hypostase, eine
Seinsweise sein, die in Gott wohnte. Und obwohl der Geist nur bei der Weltschöpfung erwähnt wird,
erscheint er doch dort keineswegs als Schatten, sondern als wesentliche Kraft Gottes, wie denn Mose
auch berichtet, er habe diese ungeformte Masse umschwebt und getragen (Gen. 1,2). Daß also der
ewige Geist stets in Gott gewesen ist, das kommt darin zum Vorschein, daß er den verworrenen Stoff
Himmels und der Erde pflegte, bis Schönheit und Ordnung hineinkam. Da konnte gewiß noch kein Bild,
auch keine Darstellung Gottes da sein, wie Servet träumt. An anderer Stelle kommt seine
Gottlosigkeit noch offener zutage, wenn er behauptet, Gott habe sich dadurch sichtbar offenbart,
daß er sich nach seinem ewigen Ratschluß einen sichtbaren Sohn erwählte. Denn wäre das wahr, so
bestünde Christi Gottheit nur noch darin, daß er aus Gottes ewigem Rat zum Sohn bestimmt worden
wäre. Dazu kommt, daß er die Gespenster, welche er an Stelle der Personen unterschiebt, derart
umgestaltet, daß er sich nicht scheut, Gott neu hinzukommende Eigenschaften anzudichten. Aber am
abscheulichsten von allem ist es doch, daß er den Sohn und den Geist Gottes mit allen Kreaturen
durcheinandermengt. Denn er behauptet, diese seien Teile oder Einteilungen im Wesen Gottes, von
denen jede einzelne ein Teil Gottes sei; vor allem seien die Geister der Gläubigen von gleicher
Ewigkeit und gleichem Grundwesen wie Gott, wie er denn auch anderswo der Seele des Menschen und auch
anderen geschaffenen Dingen wesenhafte Gottheit zuschreibt.
I,13,23 Aus diesem Sumpf ist dann ein anderes, ähnliches Ungeheuer heraufgestiegen.
Denn einige Bösewichter, die der Verachtung und Schande des Servetschen Wahns entgehen wollten,
haben zwar bekannt, es seien drei Personen, aber dann als Begründung hinzugefügt: weil der Vater,
der allein wirklich und eigentlich Gott ist, den Sohn und den Geist schuf und dadurch seine Gottheit
auf sie überströmen ließ! Sie haben sogar nicht einmal die schauderhafte Redensart vermieden, den
Vater darin vom Sohn und vom Geist unterschieden zu sehen, daß er eben der Seinsurheber (essentiator)
sei. Sie suchen ihrer Sache dadurch ein Ansehen zu verschaffen, daß sie sagen, Christus werde doch
durchweg Sohn Gottes genannt, und daraus schließen sie, im eigentlichen Sinne sei nur der Vater
Gott! Dabei sehen sie an den Tatsachen gänzlich vorbei. Denn der Name Gott, der dem Vater und dem
Sohne gemeinsam zukommt, wird doch nur darum gelegentlich dem Vater in besonderer Weise beigelegt,
weil er Quelle und Anfang der Gottheit ist, und zwar, damit die unteilbare Einheit des Wesens
hervortrete! Auch sagen sie, wenn Christus wirklich Gottes Sohn sei, so sei es doch widersinnig, ihn
für den Sohn einer "Person" (nämlich: des Vaters!) zu halten! Ich antworte: es ist
beides wahr. Denn er ist Gottes Sohn, weil er vom Vater als das Wort von Ewigkeit her gezeugt ist
– ich rede nämlich hier noch nicht von ihm als dem Mittler. Es muß aber um des Verständnisses
willen auch auf die Person geachtet werden: der Name "Gott" (in der Aussage "Gottes
Sohn") wird also hier nicht allgemein gebraucht, sondern statt "Vater". Denn wenn wir
keinen anderen als Gott anerkennen wollten als den Vater, so würde der Sohn dieser Würde
offenkundig beraubt! Wo deshalb die Gottheit erwähnt wird, da ist eine Gegenüberstellung zwischen
Sohn und Vater nicht im mindesten angebracht, etwa in dem Sinne, als ob dem Vater allein der Name
"wahrer Gott" zukäme. Denn gewiß war der Gott, der dem Jesaja erschien, der wahre und
einige Gott, (Jes. 6,1), und doch behauptet Johannes, das sei Christus gewesen (Joh. 12,41). Und der
durch den Mund des Jesaja verhieß, er werde den Juden ein Stein des Anstoßes sein (Jes. 8,14), der
war der einige Gott – und Paulus verkündet doch, daß es Christus war! (Röm. 9,33). Wenn er
durch Jesaja ausruft: "Ich lebe! Und mir sollen sich alle Knie beugen ..." (Jesaja 45,23),
so ist er der einige Gott, und doch wendet Paulus die Stelle auf Christus (Röm. 14,11). Dazu kommen
noch die Zeugnisse, die ein anderer Apostel anführt (Hebr. 1,10): "Du, Gott, hast Himmel und
Erde gegründet" (Ps. 102,26) und "Es sollen ihn anbeten alle Engel Gottes" (Ps.
97,7). Die beziehen sich beide auf den einigen Gott allein, und doch behauptet der Apostel, daß es
eigentliche Lobpreisungen Christi sind. Die Ausflucht, es werde das, was Gott eigen ist, auf
Christus übertragen, weil er ja der Widerschein seiner Herrlichkeit sei, kann dagegen nichts
machen. Denn da überall der Name "der Herr" steht, so folgt, daß er hinsichtlich seiner
Gottheit aus sich selber ist. Wenn er "der Herr" ist, so kann eben nicht geleugnet werden,
daß er derselbe Gott ist, der durch Jesaja an anderer Stelle ausruft: "Ich bin es, ich, und
ist kein Gott außer mir!" (Jes. 44,6). Zu beachten ist auch der Ausspruch des Jeremia:
"Die Götter, die nicht Himmel und Erde gemacht haben, die sollen von der Erde verschwinden,
die unter dem Himmel ist" (Jer. 10,11). Andererseits wird man doch zugeben müssen, daß der,
dessen Gottheit bei Jesaja mehrmals aus der Weltschöpfung bewiesen wird, Gottes Sohn sei. Wie
sollte auch der Schöpfer, der allem das Sein gibt, nicht selbst aus sich selber sein, sondern sein
Wesen von anderswoher leihen müssen? Denn wer behauptet, der Sohn habe vom Vater das Wesen
empfangen, der leugnet, daß er aus sich selbst sei. Eben dies aber beansprucht der Heilige Geist
für ihn, indem er ihn "den Herrn" nennt. Denn wenn wir annähmen, alles göttliche Wesen
sei im Vater allein, so müßten wir dies entweder für teilbar halten oder aber dem Sohn
absprechen, der dann, seines Wesens beraubt, nur noch dem Namen nach Gott wäre. Das Wesen Gottes
kommt nach der Meinung jener Schwätzer nur dem Vater zu, sofern er allein Wesen hat und dem Sohn
das Wesen gibt. So wäre die Gottheit des Sohnes also etwas von Gott Abgeleitetes oder die
Abtrennung eines Teils vom Ganzen. Nun müssen sie aber aus ihrem Grundsatz zugeben, daß der Geist
einzig des Vaters Geist ist; denn wenn er eine Ableitung aus dem eigentlichen Wesen ist, das ja nur
dem Vater eigen ist, so kann er nicht mit Recht für den Geist des Sohnes gehalten werden. Dies aber
weist Paulus an jener Stelle zurück, wo er ihn als des Vaters Geist und zugleich als Christi Geist
bezeichnet (Röm. 8,9). Nimmt man nun die Person des Vaters solchermaßen aus der Dreieinigkeit
heraus, so muß er sich doch wohl vom Sohne und vom Geiste scharf unterscheiden; und worin sollte
der Unterschied dann schließlich anders geschehen als darin, daß er allein wahrer Gott wäre? Man
gibt zu, Christus sei Gott, und behauptet doch, er unterschiede sich (hinsichtlich seiner Gottheit)
vom Vater. Auf der anderen Seite muß es aber auch ein Merkmal zur Unterscheidung geben, so daßder
Vater nicht der Sohn ist. Wer diese im Wesen selbst sucht, der macht offenkundig Christi wahre
Gottheit zunichte. Denn ohne das Wesen, und zwar das ganze Wesen, kann sie ja nicht bestehen. Der
Vater würde sich doch gar nicht vom Sohne unterscheiden, wenn er nicht etwas Eigenes hätte, an dem
der Sohn keinen Anteil hat. Wie soll man nun unterscheiden? Liegt die Unterscheidung im Wesen, so
soll man antworten, ob er das Wesen denn nicht dem Sohne mitgeteilt habe. Dies aber konnte nicht
teilweise geschehen, weil es Frevel wäre, sich einen halbierten Gott vorzustellen. Auf solche Weise
hätte man Gottes Wesen gemein zerrissen. Es bleibt daher nur, daß das Wesen ganz und unzerstörbar
dem Vater und dem Sohne gemeinsam war. Dann aber gibt es, was das Wesen betrifft, zwischen Vater und
Sohn keinen Unterschied. Wendet man dagegen ein, der Vater bliebe, indem er dem Sohn das Wesen gebe,
doch der einige Gott, der das Wesen hat, so macht man Christus zu einem bloß scheinbaren Gott, der
es dem Namen nach ist, aber nicht in Wirklichkeit: denn nichts ist Gott so eigen wie das Sein, wie
geschrieben steht: "Der Seiende sandte mich zu euch" (Ex. 3,14).
I,13,24 Die Behauptung der Gegner, sooft die Schrift "Gott" schlechtweg
nenne, sei ausschließlich der Vater gemeint, kann leicht aus vielen Stellen widerlegt werden; sie
zeigen freilich auch bei den Stellen, die sie für sich anführen, ihre Gedankenlosigkeit. Denn dort
wird der Name des Sohnes ausdrücklich hinzugesetzt, und eben das zeigt ja, daß der Name
"Gott" in diesem Falle (nicht schlechthin, sondern) in einer Beziehung auftritt und sich
daher auf die Person des Vaters beschränkt (vgl. auch Abschnitt 20 dieses Kapitels). Aber ihr
Widerspruch ist mit einem einzigen Wort zum Schweigen zu bringen. "Wäre nicht allein der Vater
wahrer Gott, so wäre er ja sein eigener Vater", sagen sie. Nun ist aber nichts Widersinniges
darin zu finden, daß gemäß der Reihenfolge und Ordnung der Vater in besonderer Weise
"Gott" genannt wird, da er nicht nur seine Weisheit aus sich heraus gezeugt hat, sondern
auch der Gott des Mittlers ist, wie noch näher gezeigt werden soll. Denn seitdem Christus im
Fleische geoffenbart wurde, heißt er nicht nur deshalb "Sohn Gottes", weil er als das
ewige Wort von Ewigkeit her vom Vater gezeugt war, sondern weil er eben Person und Amt des Mittlers
angenommen hatte, um uns mit Gott zu vereinigen. Und wenn diese Leute in ihrer Vermessenheit
Christus von Gottes Herrlichkeit ausschließen, so möchte ich wissen, ob sich Christus dann nicht
auch die Eigenschaft abspricht, gut zu sein, wenn er doch sagt, niemand sei gut denn nur der einige
Gott (Matth. 19,17). Ich rede hier nicht von seiner menschlichen Natur – sie könnten sonst sagen,
es sei ihm als freies Geschenk Gottes zugeflossen, was in dieser gut war. Nein, ich frage, ob das
ewige Wort Gottes gut sei oder nicht. Leugnen sie das, so steht ihre Gottlosigkeit unabstreitbar
fest; geben sie es zu, so machen sie sich selbst zunichte. Daß aber Christus auf den ersten Blick
die Bezeichnung "gut" von sich abzuwehren scheint, bestätigt unsere Überzeugung. Denn
wenn er auf gewöhnliche Weise als "gut" gegrüßt wurde, was doch ein einzig und allein
Gott zukommender Lobpreis ist, und wenn er dann solche falsche Ehre ablehnt – so weist er selbst
darauf hin, daß die Güte, die er besitzt, göttlich sei! Ich frage weiter, ob denn damit, daß
Paulus Gott für den allein Unsterblichen, Weisen und Wahrhaftigen erklärt (1. Tim. 1,17), Christus
in die Reihe der Sterblichen, Unweisen und Unwahrhaftigen eingefügt wird? Der sollte nicht
unsterblich sein, der von Anbeginn her das Leben war und den Engeln die Unsterblichkeit gab? Der
sollte nicht weise sein, der Gottes ewige Weisheit ist? Der sollte nicht wahrhaftig sein, der doch
die Wahrheit selber ist? Ich stelle weiter die Frage, ob jene Leute denn der Meinung sind, Christus
sei anzubeten. Denn wenn er ja selber dieses Recht in Anspruch nimmt, daß "vor ihm aller Knie
sich beugen sollen" (Phil. 2,10), so folgt, daß er der Gott ist, der im Gesetz verboten hat,
irgendwen anders anzubeten als ihn allein. Wollen sie nur auf den Vater anwenden, was bei Jesaja
steht:"Ich bin es, und ist keiner außer mir" (Jes. 44,6), so wende ich dieses Zeugnis
gegen sie selber an, da wir doch sehen, wie der Apostel Christus beilegt, was Gott zukommt! Sinnlos
ist auch ihr Einwurf, Christus sei im Fleische erhöht worden, in welchem er sich entäußert hatte,
und nach dem Fleische sei ihm alle Gewalt gegeben worden im Himmel und auf Erden. Denn es ergreift
zwar die Majestät des Königs und des Richters die ganze Person des Mittlers; aber wenn sich in ihm
nicht Gott geoffenbart hätte im Fleisch, so könnte er eben nicht in solche Höhe erhoben werden,
ohne daß Gott mit sich selber in Widerspruch träte! Diesem Streit macht Paulus aufs beste ein
Ende, wenn er lehrt, er sei Gott gleich gewesen, bevor er sich in Knechtsgestalt erniedrigte (Phil.
2,6f.). Wie sollte aber diese Gleichheit bestehen, wenn er nicht der Gott gewesen wäre, der da
heißt "Jah" und "Jehovah", der da fährt über den Cherubim, der der König ist
über die ganze Erde und König in Ewigkeit? Wie sehr sie sich auch sträuben: man kann Christus
nicht absprechen, was Jesaja an anderer Stelle sagt: "Siehe, das ist unser Gott, auf den wir
harren" (Jes. 25,9); denn in diesen Worten beschreibt der Prophet die Ankunft des Erlösers,
der nicht nur das Volk aus der babylonischen Gefangenschaft erretten, sondern seine Kirche in jeder
Hinsicht wiederherstellen sollte. Auch mit der anderen Ausflucht erreichen die Gegner nichts:
Christus sei bloß in seinem Vater Gott. Wir geben zwar zu, daß nach Ordnung und Reihenfolge der
Anfang der Gottheit im Vater liegt. Aber wir erklären es für eine abscheuliche Erdichtung, wenn
man sagt, einzig dem Vater sei das göttliche Wesen eigen, als ob er also den Sohn zum Gott gemacht
hätte. (filii deificator esset). Denn auf diese Weise wäre das göttliche Wesen vielfältig, oder
aber Christus wäre nur dem Namen und der Einbildung nach Gott! Wenn sie zugeben, daß Christus Gott
sei, aber nur als Zweiter neben dem Vater und durch ihn, dann würde in ihm das Wesen, das im Vater
ungezeugt und ungestaltet ist, gezeugt und gestaltet vorhanden sein. Ich weiß, daß viele darüber
ihren Spott haben, daß wir aus Moses Worten eine Unterscheidung der Personen entnehmen, wenn da
Gott so redet: "Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei ..." (Gen. 1,26).
Aber jeder fromme Leser wird doch einsehen, wie abgeschmackt und unangemessen dieses (göttliche)
Selbstgespräch bei Mose wäre, wenn nicht in Gott mehrere Personen ihr Dasein hätten. Denn die,
welche der Vater anredet, müssen unbedingt ungeschaffen gewesen sein; außer Gott aber, und zwar
dem einen, gibt es nichts Ungeschaffenes. Wenn sie nun aber nicht zugeben würden, daß die
Schöpfungsgewalt und Befehlsvollmacht dem Vater, dem Sohne und dem Geiste gemeinsam zukomme, dann
würde sich ergeben, daß Gott eben nicht in sich selber so geredet, sondern an andere, außer ihm
bestehende Werkmeister das Wort gerichtet hätte. Endlich wird eine Stelle zwei ihrer Einwürfe
zugleich mit Leichtigkeit unwirksam machen. Denn das Wort Christi selber: "Gott ist Geist"
(Joh. 4,24) ist ja unmöglich auf den Vater allein einzuschränken, als ob das Wort etwa nicht
geistlichen Wesens sei! Wenn also dem Sohne gleichwie dem Vater der Name "Geist" zukommt,
so ist folglich in dem nicht näher bestimmten Begriff "Gott" auch der Sohn mit gemeint.
Gleich anschließend sagt anderseits Christus, als echte Anbeter Gottes würden nur die anerkannt,
die ihn "im Geist und in der Wahrheit anbeten" (Joh. 4,24). Daraus ergibt sich als
Weiteres: übt der Sohn unter dem Haupte (dem Vater!) das Amt des Lehrers aus, so schreibt er dem
Vater den Namen "Gott" zu, nicht um seine eigene Gottheit abzutun, sondern um uns
stufenweise zu ihr zu erheben.
I,13,25 Der Irrtum unserer Gegner besteht darin, daß man sich in Gott drei
Einzelwesen erträumt, die je einen Teil des (göttlichen) Wesens hätten. Aus der Schrift heraus
aber lehren wir, daß Gott seinem Wesen nach einer ist und daß deshalb das Wesen des Sohnes und des
Geistes ungezeugt ist. Freilich, sofern der Vater der Ordnung nach der Erste ist und seine Weisheit
aus sich heraus zeugte, heißt er, wie wir oben schon sagten, mit Recht Anfang und Quelle der
Gottheit. So ist Gott – ohne nähere Bestimmung – ungezeugt, und der Vater auch hinsichtlich
seiner Person ungezeugt. In ihrer Torheit meinen sie aus unserem Satz die Annahme einer Vierheit
folgern zu können, weil sie fälschlich und lästerlich uns das Gebild ihres Gehirns unterschieben,
als ob wir meinten, die drei Personen gingen in der Weise einer Ableitung aus dem einen Wesen (das
dann ein Viertes wäre!) hervor. Und dabei leuchtet doch aus unseren Schriften mit Deutlichkeit ein,
daß wir die Personen nicht aus dem Wesen ableiten, sondern eine Unterscheidung setzen, da sie ja in
dem Wesen beruhen. Wären die Personen vom Wesen geschieden, so wäre die gegnerische Meinung zu
begreifen; aber dann handelte es sich um eine Dreieinigkeit von Göttern, nicht aber von Personen,
die der eine Gott in sich umfaßt. So verschwindet auch ihre abgeschmackte Frage, ob denn das
göttliche Wesen zur Bildung der Trinität mitwirke – als ob wir uns einbildeten, daß aus dem
Wesen drei Götter kämen! Wenn sie sagen, dann sei das ja eine Dreieinigkeit ohne Gott, so stammt
das aus der gleichen Unsinnigkeit; denn obwohl das göttliche Wesen nicht als Teil oder Glied mit
zur Unterscheidung kommt, so sind doch die Personen weder ohne dies Wesen, noch außerhalb seiner:
der Vater könnte nicht der Vater sein, wenn er nicht Gott wäre, und der Sohn ist nur dadurch der
Sohn, daß er Gott ist. Die Gottheit schlechthin ist aus sich selber, und so bekennen wir, daß der
Sohn als Gott, abgesehen von der Person, aus sich selber ist, daß er aber als Sohn vom Vater her
ist. So hat sein Wesen keinen Anfang, aber seine Person hat ihren Anfang in Gott selber. So beziehen
auch die rechtgläubigen Schriftsteller, die früher über die Dreieinigkeit gesprochen haben,
diesen Begriff ausschließlich auf die Personen; denn es wäre widersinnig, grob und gottlos, das
Wesen selbst zum Gegenstand einer Unterscheidung zu machen. Wer also meint, es wirkten die drei
zusammen: das (göttliche) Wesen, der Sohn und der Geist, der macht offenkundig das göttliche Wesen
des Sohnes und des Geistes selber zunichte! Andernfalls müßten die "Teile" miteinander
vermischt werden und zusammenfallen (also sozusagen alle im "Wesen" aufgehen!) – aber
damit wäre alle Unterscheidung zunichte! Wenn schließlich "Vater" und "Gott"
gleichbedeutende Begriffe wären, der Vater also der Gottschöpfer (deificator) wäre, dann bliebe
im Sohne nichts übrig als ein Schatten, und die ganze Dreieinigkeit wäre nichts anderes als die
Vereinigung Gottes mit – zwei geschaffenen Dingen!
I,13,26 Der Einwand, Christus trage, wenn er im eigentlichen Sinne Gott sei, die
Bezeichnung Gottes Sohn zu Unrecht, ist bereits beantwortet worden: Wo eine Person mit der anderen
verglichen wird, da wird der Name "Gott" nicht allgemein, schlechthin gebraucht, sondern
auf den Vater beschränkt, weil er ja der Anfang der Gottheit ist, und zwar nicht – wie die
Schwärmer schwatzen – seinem Wesen, sondern der Ordnung nach. In diesem Sinne ist Christi Anrede
an den Vater aufzufassen: "Das ist das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott
bist, erkennen, und den du gesandt hast ..." (Joh. 17,3). Denn wenn er als der Mittler redet,
so steht er mitten zwischen Gott und den Menschen – aber darüber wird seine Majestät doch nicht
verringert. Denn obwohl er sich entäußert hat, so hat er doch seine Herrlichkeit, die vor der Welt
verborgen wurde, beim Vater nicht verloren. So scheut sich auch der Verfasser des Hebräerbriefs,
obwohl er bekennt, Christus sei eine Zeitlang unter die Engel erniedrigt worden (Hebr. 2,7.9), doch
nicht, gleichzeitig zu behaupten, er sei der ewige Gott, der die Erde gegründet hat (Hebr. 1,10).
Man muß also festhalten: sooft Christus als unser Mittler den Vater anredet, versteht er unter dem
Namen "Gott" die Gottheit, die ihm auch selber zukommt. Wenn er zu den Aposteln sagt:
"Es ist gut, daß ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich" (Joh. 16,7;
14,28), so schreibt er sich damit nicht eine Art "Neben-Gottheit" zu, als ob er auch
hinsichtlich der ewigen Gottheit geringer sei als der Vater, sondern er sagt es, weil er, im Besitz
seiner himmlischen Herrlichkeit, auch die Gläubigen zur Teilnahme an dieser Herrlichkeit führt. Er
gibt dem Vater den höheren Platz, sofern sich die sichtbare Vollkommenheit des Glanzes, die im
Himmel erscheint, von dem Maß der Herrlichkeit unterscheidet, die an ihm in seiner Fleischgestalt
zu sehen war. In diesem Sinne sagt auch Paulus, Christus werde Gott und dem Vater das Reich
zurückgeben, auf daß Gott sei alles in allen (1. Kor. 15,24). Es gibt nichts Widersinnigeres, als
der Gottheit Christi ihren immerwährenden Bestand abzusprechen. Denn er wird nie aufhören, der
Sohn Gottes zu sein, und er wird stets bleiben, der er von Anbeginn war; daraus folgt, daß hier
unter dem "Vater" das eine Wesen Gottes zu verstehen ist, das dem Vater und dem Sohne
gemeinsam ist. Und Christus ist doch gewiß zur Erde gekommen, damit er uns nicht nur zum Vater
ziehe, sondern zugleich zu sich selber, denn er ist ja eins mit dem Vater. Den Namen
"Gott" aber auf den Vater zu beschränken und ihn dem Sohne zu nehmen, das ist weder
erlaubt noch richtig. Denn wenn Johannes sagt, er sei wahrer Gott (Joh. 1,1), so hat er damit auch
vermeiden wollen, daß jemand meinte, er stehe auf einer zweiten Stufe der Gottheit unter dem Vater.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, was sich diese Erschaffer neuer Götter eigentlich denken, wenn
sie einerseits bekennen, Christus sei wahrer Gott – und ihn dann doch von der Gottheit des Vaters
ausschließen, als ob einer wahrer Gott wäre, der nicht der eine ist, und als ob eine übertragene
Gottheit nicht ein neues Trugbild wäre!
I,13,27 Nun häufen die Gegner der Dreieinigkeitslehre eine Menge Stellen aus
Irenäus an, wo dieser behauptet, der Vater Jesu Christi sei der einige, ewige Gott Israels. Aber
das geschieht aus beschämender Unwissenheit oder höchster Gottlosigkeit. Denn sie hätten doch
bemerken müssen, daß dieser rechtschaffene Mann mit Schwindelköpfen zu tun und zu streiten hatte,
die behaupteten, nicht der Vater Christi sei der Gott, der einst durch Mose und die Propheten
geredet hatte, sondern ich weiß nicht was für ein aus dem Verfall der Welt entsprungenes Gespenst.
Deshalb besteht seine ganze Mühe darin, zu zeigen, daß in der Schrift kein anderer Gott
verkündigt wird als der Vater Christi, und daß es Unsinn sei, sich einen anderen auszudenken. Aus
diesem Grunde ist es auch nicht verwunderlich, daß er so oft feststellt, der Gott Israels sei kein
anderer als der, den Christus und die Apostel verherrlichten! So werden wir doch auch jetzt, wo wir
dem umgekehrten Irrtum entgegentreten müssen, in Wahrheit sagen, der Gott, der einst den Vätern
erschien, sei kein anderer gewesen als Christus. Und wenn dann einer einwenden wollte, es sei der
Vater gewesen, so werden wir ihm sofort antworten: wenn wir für Christi Gottheit kämpfen, so
schließen wir doch die des Vaters nicht im mindesten aus. Wenn der Leser auf die dargelegte Absicht
des Irenäus achtet, so wird aller Streit aufhören. Aber auch aus dem sechsten Kapitel des dritten
Buches wird der Zwist leicht geschlichtet: denn da stellt der fromme Mann mit Nachdruck das eine
fest: Der wahre, einige Gott ist der, welcher in der Schrift schlechthin und ohne nähere Bestimmung
Gott genannt wird – Christus aber wird schlechthin Gott genannt. Wir wollen uns aber erinnern,
daß dies der Hauptpunkt der Erörterung war – wie aus dem ganzen Gedankengang und insbesondere
aus dem 46. Kapitels des zweiten Buches deutlich wird: nämlich daß die Schrift den Vater nicht
etwa figürlich oder gleichnisweise so nennt, als ob er in Wirklichkeit nicht Gott wäre. Auch
stellt er doch die Behauptung auf, der Sohn wie der Vater würden miteinander von den Propheten und
Aposteln "Gott" genannt (Buch III, Kap. 9). Danach setzt er auseinander, wie Christus, der
der Herr, König, Gott und Richter über alles sei, von dem, der der Gott über alles sei, seine
Macht empfangen habe – natürlich hinsichtlich seiner Erniedrigung, weil er ja erniedrigt wurde
bis zum Tode am Kreuz (Buch III, Kap. 12). Kurz danach behauptet er indes, der Sohn sei der
Schöpfer Himmels und der Erden, der durch Moses Hand das Gesetz gegeben habe und den Vätern
erschienen sei (Buch III, Kap. 15). Wenn auch jetzt noch jemand schwatzt, für Irenäus sei der Gott
Israels einzig und allein der Vater, dann werde ich ihm entgegenhalten, was derselbe Schriftsteller
offen lehrt, nämlich daß das gleiche auch von Jesus Christus gilt – wie denn auch Irenäus auf
ihn die Weissagung des Habakuk bezieht: "Gott wird von Süden kommen." (Hab. 3,3; Irenäus
Buch III, Kap. 16 und 20). Dahin gehört auch, was man im neunten Kapitel des vierten Buches lesen
kann: Er, Christus ist mit dem Vater der eine Gott der Lebendigen. Und im zwölften Kapitel
desselben Buches setzt er auseinander, Abraham habe Gott geglaubt; denn Christus sei der Schöpfer
Himmels und der Erde und der einige Gott!
I,13,28 Ebensowenig wahrheitsgemäß machen sie auch den Tertullian zu ihrem Patron.
Denn obwohl er zuweilen in seiner Redeweise rauh und verworren ist, so bringt er den Hauptinhalt der
Lehre, die wir hier verteidigen, völlig eindeutig vor: nämlich daß ein Gott sei, und daß doch
nach gewisser Ordnung sein Wort da sei, daß er ein einiger Gott sei durch die Einheit des
Grundwesens (substantia), und daß doch die Einheit im Geheimnis ihrer Wirkung zur Dreieinigkeit
sich ordne. Drei seien es nicht dem Stande, sondern dem Grade nach, nicht der Substanz, sondern der
Form nach, nicht der Gewalt, sondern der Zahl der Personen nach, sagt er. Er behauptet zwar zu
verteidigen, daß der Sohn dem Vater nachstehe, aber er sieht ihn deshalb nicht für einen anderen
an, sondern macht nur eine Unterscheidung. Gelegentlich nennt er den Sohn sichtbar; aber nachdem er
dafür und dawider geredet hat, schließt er doch, er sei unsichtbar, sofern er das Wort ist.
Endlich stellt er den Satz auf, der Vater werde durch seine eigene Person bestimmt – und beweist
damit, wie fern er dem Einfall steht, den wir hier bekämpfen. Gewiß: er erkennt keinen anderen
Gott an als den Vater. Aber gleich darauf setzt er dann doch seine eigene Meinung auseinander und
zeigt, daß er den Sohn nicht ausschließt; denn er leugnet ja eben, daß er ein vom Vater
verschiedener Gott sei, und zeigt also, daß durch Unterscheidung der Personen die Einherrschaft (monarchia)
Gottes gewahrt werde. Aber man kann den Sinn seiner Worte aus der dauernden Absicht erkennen, die er
verfolgt. Denn er kämpft gegen Praxeas und behauptet ihm gegenüber: wenn auch Gott in drei
Personen unterschieden ist, so entstehen dadurch nicht mehrere Götter, und die Einheit Gottes wird
nicht zerrissen. Und weil nach der Phantasterei des Praxeas Christus nur dann Gott sein könnte,
wenn er zugleich auch der Vater wäre, so macht sich Tertullian mit der Unterscheidung solche Mühe.
Daß er dabei das Wort und den Geist als Teile des Ganzen bezeichnet, ist zwar eine harte Redeweise,
aber immerhin zu entschuldigen. Denn er bezieht diesen Ausdruck nach seinem eigenen Zeugnis nicht
auf das Grundwesen (ad substantiam), sondern will damit nur eine Anordnung und Wirkungsgestalt (dispensatio)
bezeichnen, die den einzelnen Personen zukommt. Daher kommt auch das Wort: "Du verdrehter
Praxeas, wieviel ’Personen’ gibt es eigentlich nach deiner Ansicht? Sind es nicht ebensoviele, wie
es Namen gibt?" Oder ähnlich kurz danach: "Man soll an den Vater und den Sohn glauben, an
jeden in seinem Namen und seiner Person." Mit diesen Ausführungen kann man nach meiner Meinung
in ausreichender Weise solchen Leuten entgegentreten, die in ihrer Unverschämtheit mit der
Autorität des Tertullian Einfältige zu täuschen versuchen.
I,13,29 Wer die Schriften der Alten sorgfältig untereinander vergleicht, der wird
sicher bei Irenäus nichts anderes finden als bei den anderen, die nach ihm gekommen sind. Justinus
ist einer der ältesten Lehrer der Kirche; er stimmt in allen Stücken mit uns überein. Man macht
den Einwand, bei ihm wie bei den anderen werde der Vater Christi der einige Gott genannt. Aber
dasselbe sagt auch Hilarius, ja, er braucht den harten Ausdruck, die Ewigkeit sei in dem Vater. Will
er aber damit dem Sohne Gottes Wesen absprechen? Er steht doch ganz in der Verteidigung des
Glaubens, den wir bekennen! Aber trotzdem gibt es Leute, die sich nicht schämen, wer weiß was für
auseinandergerissene Aussprüche zusammenzuklauben, um den Beweis zu erbringen, Hilarius sei ein
Schutzpatron ihres Irrtums! Man will den Ignatius für sich in Anspruch nehmen. Aber wenn man will,
daß darauf irgendwelcher Wert gelegt wird, dann muß man zuvor beweisen, die Apostel hätten ein
Gesetz über das vierzigtägige Fasten oder dergleichen Irrtümer gegeben. Es ist doch nichts
beschämender als das Geschwätz, das unter dem Namen des Ignatius herausgekommen ist. Um so
unerträglicher aber ist die Schamlosigkeit solcher Leute, die sich solcher Larven zum Truge
bedienen! Es geht doch die Übereinstimmung der Alten schon daraus deutlich hervor, daß auf dem
Konzil zu Nicäa Arius nicht wagte, sich hinter der Autorität irgendeines anerkannten
Schriftstellers zu verstecken, und daß keiner von den Griechen oder Lateinern sich entschuldigt,
daß er von den Alten abweiche. Es bedarf nicht der Ausführung, wie sorgsam Augustin, den diese
Windbeutel über alles hassen, die Schriften aller Väter durchforscht, wie ehrfürchtig er sie
behandelt hat! Er pflegt doch wahrhaftig bei den geringsten Bedenklichkeiten anzugeben, warum er von
ihnen abzuweichen genötigt ist. Auch verhehlt er es durchaus nicht, wenn er etwa bei anderen in
dieser Frage etwas Zweideutiges oder Dunkles gefunden hat. Aber was die Lehre betrifft, die diese
Leute bestreiten wollen, so nimmt er als allgemeinbekannt an, daß sie seit der ältesten Zeit ohne
Streit bestanden habe. Und daß ihm nicht verborgen war, was andere vor ihm gelehrt hatten, das geht
schon aus einem einzigen Wort hervor: er sagt an einer Stelle, im Vater sei die Einheit (Von der
christlichen Unterweisung, Buch I). Will man nun kläffen, er habe sich (mit dieser Formel) selbst
vergessen? Aber an anderer Stelle reinigt er sich von diesem Vorwurf, wenn er den Vater den Anfang
der ganzen Gottheit nennt, weil er ja niemandem sein Dasein verdankt; dabei überlegt er weislich,
daß dem Vater der Name "Gott" in besonderer Weise beigelegt werde, da ja die einfache
Einheit Gottes nicht begriffen werden kann, wenn man nicht bei ihm den Anfang macht. Aus dem allen
wird nun hoffentlich der fromme Leser erkennen, wie all die Schmähungen, mit denen der Teufel
bislang die Reinheit unseres Glaubens zu verdrehen und zu verdunkeln versucht hat, zunichte sind.
Kurz, ich hoffe, den Hauptinhalt dieser Lehre treulich dargestellt zu haben – nur müssen die
Leser ihre Neugierde im Zaum halten, um sich nicht über Gebühr in mühsame und verworrene
Streitfragen einzulassen. Denn wer sich an unmäßiger Spekulation erfreut – den
zufriedenzustellen ist nicht meines Amtes. Jedenfalls habe ich nichts mit List übergangen, wovon
ich meinte, es könnte gegen mich stehen. Da ich aber um die Auferbauung der Kirche mich mühe, so
erschien es mir geraten, vieles nicht zu berühren, was nur wenig hätte nutzen können und die
Leser bloß mit überflüssiger Mühsal belastet hätte. Was nützt zum Beispiel der Streit
darüber, ob der Vater noch immer den Sohn zeuge? Denn es ist töricht, ein fortwährendes Erzeugen
zu erfinden, nachdem nun einmal klar ist, daß in Gott von Ewigkeit her drei Personen gewesen sind!
Schon an der Erschaffung der Welt und aller Dinge unterscheidet sich nach der
Schrift der wahre Gott durch deutliche Kennzeichen von den Götzen.
I,14,1 Zwar wirft Jesaja den Götzendienern mit Recht Gedankenlosigkeit vor, daß
sie nicht (schon) aus den Grundfesten der Erde und dem Umkreis des Himmels gelernt hätten, wer denn
der wahre Gott sei (Jes. 40,21). Weil aber unser Verstand so träge und stumpf ist, so mußte Gott
den Gläubigen noch klarer dargestellt werden, damit sie nicht den Erdichtungen der Heiden
verfielen. Denn die Beschreibung des Wesens Gottes, die bei den Philosophen noch für die
erträglichste gehalten wird, nämlich: Gott sei die Seele der Welt, ist ja eine hohle Rede, und
deshalb ist um so mehr eine vertrautere Erkenntnis nötig, damit wir nicht immerzu ungewiß hin und
her schwanken. Deshalb hat uns Gott die Schöpfungsgeschichte gegeben: auf sie gestützt, soll der
Glaube der Kirche keinen anderen Gott suchen als den, den Mose als Schöpfer und Gründer der Welt
verkündet. Da ist zunächst die Zeit bezeichnet, damit die Gläubigen durch die ununterbrochene
Reihe der Jahre bis zum Ursprung aller Dinge zurückdringen können. Solche Erkenntnis ist von
Nutzen: man kann damit jenen abenteuerlichen Fabeln entgegentreten, die in Ägypten und anderen
Gegenden der Erde verbreitet sind – , und erst recht leuchtet Gottes Ewigkeit heller hervor und
reißt uns noch mehr zur Bewunderung hin, wenn wir erkennen, daß die Welt einen Anfang gehabt hat.
Nicht der Betrachtung wert ist der gemeine Hohn, es sei doch verwunderlich, daß es Gott nicht eher
eingefallen wäre, Himmel und Erde zu schaffen, sondern daß er einen unermeßlichen Zeitraum hätte
müßig verstreichen lassen, wo er doch schon viele Jahrtausende zuvor alles hätte hervorbringen
können – und dabei habe die Welt, die doch schon ihrem Ende zugeht, kaum sechstausend Jahre
erreicht! Denn die Frage, warum Gott so lange damit gewartet habe, ist weder gestattet, noch von
irgendwelchem Belang. Wollte unser Verstand dahin vordringen, so müßte er hundertmal auf dem Wege
straucheln. Es ist auch nicht von Nutzen, zu erkennen, was Gott absichtlich verborgen sein ließ, um
die Bescheidenheit unseres Glaubens auf die Probe zu stellen. Es war schon einsichtig, wenn einst
ein alter Mann auf die spöttische Frage, was denn Gott vor Erschaffung der Welt getrieben habe, die
Antwort gab, da habe er für vorwitzige Leute die Hölle gemacht! Diese ebenso ernste wie strenge
Mahnung mag den Leichtsinn zähmen, der manche Menschen kitzelt und zu verkehrten und schädlichen
Gedankenspielereien (Spekulationen) treibt! Auch sollen wir schließlich bedenken, daß uns Gott,
der da unsichtbar ist und dessen Weisheit, Kraft und Gerechtigkeit unbegreiflich ist, die (Schöpfungs-)Geschichte
bei Mose als Spiegel vorhält, in dem sein lebendiges Bild erscheint. Denn wie die Augen, wenn sie
durch das Alter geschwächt oder aus Krankheit abgestumpft sind, ohne Brille nichts mehr sehen
können, so gehen wir in unserer Schwachheit unweigerlich in die Irre, wofern uns nicht die Schrift
lenkt, wenn wir Gott suchen. Wer sich aber jetzt nicht warnen lassen will und sich seinen Gelüsten
hingibt, der wird in furchtbarem Untergang zu spät merken, wieviel besser es gewesen wäre, Gottes
geheime Ratschlüsse ehrfürchtig anzuschauen, als Schmähungen in die Welt zu setzen und damit den
Himmel zu verfinstern. Mit vollem Recht erhebt Augustin die Klage, es geschehe Gott Unrecht, wo man
einen höheren Grund der Dinge suche als seinen Willen (Buch von der Genesis gegen die Manichäer).
An anderer Stelle weist er sehr richtig darauf hin, es sei verkehrt, über die Unermeßlichkeit der
Zeit wie auch über die Unendlichkeit des Raumes viel Fragens zu machen (Vom Gottesstaat, Buch 11).
Gewiß: so weit auch der Umkreis des Himmels sich dehnt, so hat er doch eine bestimmte Größe. Aber
wenn nun einer mit Gott darüber rechten wollte, daß der leere Raum hundertmal größer sei (als
der erfüllte) – wäre das nicht eine allen Frommen widerwärtige Unverschämtheit? Ebenso toll
sind aber die, welche Gott müßig schelten, weil er nach ihrem Dünken die Welt nicht schon vor
unzähligen Jahrhunderten geschaffen hat. Um seinem Gelüste nachgehen zu können, versucht man,
außerhalb der Welt zu gelangen – , als ob nicht im gewaltigen Umkreis Himmels und der Erde genug
Dinge uns begegneten, die mit ihrem herrlichen Glanz alle Sinne erfüllen, als ob nicht Gott
innerhalb der sechs Jahrtausende uns genug Beweise gegeben hätte, deren stete Erwägung unsere
Seele ganz in Anspruch nehmen könnte! Wir wollen also gern innerhalb der Grenzen bleiben, die uns
Gott hat setzen wollen, und unsere Seele sozusagen zurückhalten, damit sie nicht frei herumlaufe
und sich verliere!
I,14,2 Aus ähnlicher Erwägung berichtet auch Mose, daß Gottes Werk nicht in einem
Augenblick, sondern in sechs Tagen vollendet worden sei. Denn auch dadurch werden wir von allen
erdichteten Göttern weg zu dem einigen Gott gewiesen, der in sechs Tagen sein Werk durchführte,
damit es uns nicht beschwerlich falle, unser ganzes Leben lang dies Werk zu betrachten. Gewiß,
wohin auch unser Auge sich richtet, stets wird es genötigt, beim Anblick der Werke Gottes zu
verweilen. Aber wir sehen doch, wie flüchtig solches Aufmerken ist und wie schnell fromme
Erwägungen vergehen, die uns etwa berühren! Auch hier sträubt sich die menschliche Vernunft, als
ob solches Nacheinander (des Sechstagewerks) der göttlichen Macht zuwider sei – bis sie unter dem
Gehorsam des Glaubens jener Ruhe zu pflegen lernt, zu der uns die Heiligung des siebenten Tages
einlädt. Gerade in der Ordnung der Dinge soll doch Gottes väterliche Liebe gegen die Menschheit
mit Fleiß betrachtet werden: hat er doch den Adam erst geschaffen, als er die Welt mit der Fülle
aller Güter ausgerüstet hatte! Denn hätte er ihn auf die noch öde und leere Erde gesetzt, hätte
er ihm das Leben vor der Erschaffung des Lichtes gegeben, so müßte der Eindruck entstehen, er sei
nicht um sein Wohl besorgt gewesen. Nun aber hat er die Bewegung der Sonne und der Gestirne zum
Nutzen des Menschen geordnet, Erde, Wasser und Luft mit allerlei lebendigen Wesen erfüllt, einen
Überfluß an allerlei Früchten zur Nahrung gegeben; so zeigt er sich als ein vorsorglicher und
treuer Hausvater, der in seiner Fürsorge seine wundersame Güte gegen uns offenbart. Wenn jemand
das, was ich nur kurz berühre, genauer bei sich erwägt, so wird ihm einleuchten, daß Mose ein
zuverlässiger Zeuge und Herold des einigen Gottes, des Schöpfers gewesen ist. Ich übergehe hier,
was ich schon auseinandergesetzt habe: nämlich, daß hier nicht von Gottes bloßem Wesen die Rede
ist, sondern auch Gottes ewige Weisheit und sein heiliger Geist uns hier entgegentritt, damit wir
uns ja keinen anderen Gott erträumen als den, der in jenem klaren Ebenbild erkannt sein will.
I,14,3 Bevor ich aber ausführlicher vom Wesen des Menschen zu reden beginne, muß
einiges über die Engel eingefügt werden. Freilich erwähnt Mose, da er sich dem einfältigen
Verstehen des großen Haufens anpaßt, in der Schöpfungsgeschichte nur die Werke Gottes, die wir
mit Augen wahrnehmen können. Aber wenn er nachher die Engel als Diener Gottes erwähnt, so folgt
daraus leicht, daß der Gott, dem sie doch ihre Kräfte und Dienste widmen, auch ihr Schöpfer ist.
Obwohl also Mose in seiner volkstümlichen Redeweise die Engel nicht gleich zu Anfang unter Gottes
Geschöpfen erwähnt, so spricht doch nichts dagegen, daß wir hier ausführlich und deutlich
behandeln, was die Schrift sonst durchweg lehrt. Denn wenn uns daran liegt, Gott aus seinen Werken
zu erkennen, so kann ja ein so herrlicher und edler Erweis seines Tuns nicht übergangen werden.
Auch ist dieser Abschnitt der Lehre zur Abwehr vieler Irrtümer sehr wichtig. Die hervorragende
Stellung des Wesens der Engel (Angelicae naturae) hat vielen Leuten einen solchen Eindruck gemacht,
dasssie meinten, es geschähe diesen Eintrag, wenn sie der Herrschaft des einen Gottes unterworfen,
gleichsam in Ordnung gehalten würden; und so hat man ihnen die Gottheit angedichtet. Auch ist ja
Manichaeus (Mani) aufgetreten mit seiner Sekte und hat sich zwei Urwesen (principia) erdacht, Gott
und den Teufel, wobei er Gott den Ursprung aller guten Dinge beilegte, alle schlechten Wesen aber
auf den Teufel als Urheber zurückführte. Wenn dieser Wahnsinn unser Herz gefangen hielte, so
würde Gottes Ehre in der Erschaffung der Welt keinen Bestand haben. Denn nichts ist Gott mehr eigen
als die Ewigkeit und die "Autusia", das Sein aus sich selber, wenn ich mich so ausdrücken
darf. Wer das also dem Teufel beimißt (indem er auch ihn zum Urwesen macht), der ziert ihn ja mit
der Würde der Gottheit! Und wo bleibt Gottes Allmacht, wenn man dem Teufel eine derartige
Herrschaftsgewalt zugesteht, daß er auch gegen den Willen und Widerstand Gottes tun kann, was er
will? Der einzige Grund, den die Manichäer haben, nämlich, es sei unrecht, wenn man Gott, dem
Guten, die Erschaffung irgendeines schlechten Wesens beimessen wollte, trifft die rechte Lehre in
keiner Weise. Denn diese bestreitet, daß irgendwo in der ganzen Welt ein von Natur böses Wesen
(eine böse Natur; aliqua mala natura) bestehe. Denn die Verderbnis und Bosheit des Menschen wie des
Teufels und alle Sünde, die daherrührt, ist nicht aus der Natur, sondern aus der Verderbnis der
Natur entstanden. Von Anfang her gab es nichts, in dem nicht Gott ein Zeugnis seiner Weisheit und
Gerechtigkeit niedergelegt hätte! Um solchen verdrehten Wahnideen entgegenzutreten, muß man seine
Gedanken höher erheben, als die Augen zu sehen vermögen. Daran erinnert auch das nicänische
Symbol, wenn es bei dem Artikel von Gott, dem Schöpfer aller Dinge, auch die unsichtbaren Dinge
ausdrücklich erwähnt. Man muß freilich sehr darauf achten, das Maß zu halten, das die Regel der
Frömmigkeit uns vorschreibt – damit man nicht sein Gedankenspiel (seine Spekulationen) tiefer
treibe, als recht ist, und darüber von der Einfalt des Glaubens abkomme. Wahrlich, der Heilige
Geist lehrt uns stets das, was uns heilsam ist, und er verschweigt oder berührt nur kurz, was wenig
zur Auferbauung dient. Deshalb ist es auch unsere Pflicht, gern auf die Kenntnis solcher Dinge zu
verzichten, die unnütz sind.
I,14,4 Daß die Engel als Diener Gottes, die bestimmt sind, seine Befehle
auszuführen, auch seine Geschöpfe sind, muß außer Zweifel stehen. Über die Zeit und die
Ordnung, in der sie geschaffen wurden, einen Streit anzufangen, würde Vorwitz, aber nicht eben
rechtes Nachdenken bezeugen. Mose erzählt (1. Mose 2,1), die Erde sei vollendet gewesen, auch der
Himmel und all sein Heer; was soll man da genau nachsehen, am wievielten Tage denn außer den
Gestirnen und Planeten auch jene anderen, verborgeneren Heere des Himmels ihren Anfang genommen
haben? Kurz, wir wollen hier wie in der ganzen christlichen Lehre beachten, daß da die eine Regel
der Bescheidenheit und Nüchternheit zu wahren ist: wir sollen über verborgene Dinge nichts reden,
nichts denken, nichts wissen wollen, als was uns in Gottes Wort kundgemacht ist. Und dazu kommt das
Zweite: wir sollen bei dem Lesen der Schrift stets das aufsuchen und bedenken, was der Auferbauung
dient, nicht aber dem Vorwitz und der Erforschung unnützer Fragen uns hingeben. Und weil der Herr
uns nicht in leichtsinnigen Fragen, sondern in echter Frömmigkeit, in der Furcht seines Namens, in
rechtem Vertrauen, in der Heiligung des Lebens hat unterrichten wollen, so wollen wir uns an diesem
Wissen genügen lassen. Wollen wir also recht vorgehen, so müssen wir jene leeren Reden (mataiomata)
fahren lassen, wie sie müßige Leute abseits von Gottes Wort über die Natur, die Rangordnungen und
die Zahl der Engel geführt haben. Ich weiß wohl, daß manche derartiges mit großer Begierde
aufgreifen und daran viel mehr Vergnügen finden als an dem, was uns zu alltäglichem Gebrauch
gesetzt ist. Wenn wir uns aber nicht scheuen, Christi Jünger zu sein, so dürfen wir auch keine
Scheu tragen, der Erkenntnisweise (methodus) zu folgen,die er uns aufgetragen hat. Tun wir das, dann
sind wir mit ihm als unserem Meister zufrieden und stehen so überflüssigem Gedankenspiel, das er
uns verbietet, mit ablehnender Zurückhaltung, ja mit Abscheu gegenüber. Kein Mensch wird leugnen,
daß jener Dionysius, wer er auch gewesen sein mag, über die himmlische Rangordnung vieles fein und
scharfsinnig vorgetragen hat. Sieht man aber näher zu, so findet man, daß das meiste reines
Geschwätz ist. Ein Theologe aber soll nicht mit Geschwätz die Ohren kitzeln, sondern Wahres,
Gewisses und Förderliches lehren und dadurch die Gewissen aufrichten! Liest man jenes Buch (des
Dionysius Areopagita), dann meint man, da berichte ein Mensch, der vom Himmel gefallen sei, nicht
was er gehört, sondern was er mit Augen gesehen hat! Paulus dagegen, der doch in den dritten Himmel
entrückt ward (2. Kor. 12,2), hat nicht nur nichts dergleichen mitgeteilt, sondern sogar bezeugt,
kein Mensch könne jene Geheimnisse, die er schaute, aussprechen (2. Kor. 12,4). So wollen wir denn
jener schwatzhaften Weisheit den Abschied geben und aus der schlichten Lehre der Schrift zusehen,
was der Herr uns über seine Engel hat wissen lassen wollen.
I,14,5 Da ist nun in der Schrift durchweg zu lesen, daß die Engel himmlische
Geister sind, deren Dienst und Gehorsam Gott benutzt, um alle seine Befehle auszuführen. Daher ist
ihnen auch diese Bezeichnung ("Engel" = Boten) gegeben worden, weil Gott sie
gewissermaßen als Mittelspersonen, als "Boten" benutzt, um sich den Menschen zu
offenbaren. Auch andere Benennungen, mit welchen sie ausgezeichnet werden, beruhen auf demselben
Grunde. So werden sie "Heer" genannt, weil sie wie Schildträger ihren Herrn umgeben,
seine Herrlichkeit zieren und sichtbar machen, wie Soldaten allezeit auf den Wink ihres Führers
harren und so bereit und gerüstet sind, seine Befehle zu empfangen, um auf seinen Wink zum Werke
sich zu rüsten oder vielmehr schon am Werke zu sein. Solch ein Bild des Thrones Gottes geben uns
die Propheten, um Gottes Herrlichkeit kundzumachen; in besonderer Weise tut das Daniel, wenn er
sagt, daß tausendmal tausend, ja zehntausendmal zehntausend vor Gott gestanden hätten, als er sich
zum Gericht niedersetzte (Dan. 7,10). Da nun aber der Herr die Kraft und Stärke seiner Hand durch
sie wunderbar erweist und offenbart, so werden sie auch "Kräfte" genannt. Und weil er
seinen Befehl durch sie in der Welt ausübt und verwaltet, so heißen sie bald
"Fürstentümer", bald "Mächte", bald "Herrschaften" (Kol. 1,16; Eph.
1,21). Und endlich: weil in ihnen gewissermaßen Gottes Herrlichkeit, Gottes Ehre ihren Sitz hat, so
werden sie auch "Throne" (Kol. 1,16) genannt. Über den letzten Punkt will ich indessen
nichts behaupten, weil eine andere Auslegung ebensogut, ja vielleicht besser paßt. Aber wenn wir
diesen letzten Namen auch weglassen: die übrigen benutzt der Heilige Geist häufig, um die Würde
des Amtes der Engel zu erheben. Denn es wäre nicht recht, jene Werkzeuge ungerühmt zu lassen,
durch welche Gott seine Gegenwart besonders offenbart. Ja, sie werden aus diesem Grunde mehr als
einmal "Götter" genannt, weil sie uns in ihrem Dienste wie in einem Spiegel Gottes Macht
und Ehre selbst gewissermaßen vor Augen stellen. Freilich mißfällt mir auch die Ansicht einiger
alter Schriftsteller nicht: wo die Schrift davon redet, daß der Engel Gottes dem Abraham, Jakob,
Mose und anderen erschienen sei, da sei Christus dieser Engel gewesen (Gen. 18,1; 32,1.28; Jos.
5,14; Richter 6,14; 13,22). Aber mehrfach, wo die Engel in ihrer Gesamtheit erwähnt werden,
erhalten sie jenen Namen ("Götter"). Das kann auch nicht wundernehmen: denn wenn Fürsten
und anderer Obrigkeit diese Ehre zuteil wird (Ps. 82,6), weil sie in ihrem Amt an Stelle Gottes
handeln, der der oberste König und Richter ist, so kann sie doch mit noch größerem Rechte auf die
Engel übertragen werden, in denen die Klarheit der Ehre Gottes noch viel gewaltiger aufleuchtet.
I,14,6 Aber die Schrift rückt in den Vordergrund, was uns am meisten zum Trost und
zur Aufrichtung des Glaubens dienen kann: nämlich, daß die Engel Gottes Güte gegen uns verwalten
und austeilen. Deshalb erwähnt sie, daß sie über unserm Heil auf der Wacht stehen, unsere
Verteidigung führen, unsere Wege lenken und uns schützen, damit uns nichts Widerwärtiges
zustoße. Umfassend sind die Schriftstellen, die sich zunächst auf Christus als das Haupt der
Kirche und dann auch auf alle Gläubigen beziehen. "Er hat seinen Engeln befohlen über dir,
daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen, daß sie dich auf ihren Händen tragen, und du deinen
Fuß nicht an einen Stein stoßest" (Ps. 91,11f.). Oder: "Der Engel des Herrn lagert sich
um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen aus" (Ps. 34, 8). Damit zeigt Gott, daß er den
Schutz derer, die er bewahren will, seinen Engeln übertragen hat. Dementsprechend tröstet der
Engel des Herrn die Hagar auf ihrer Flucht und befiehlt ihr, sich wieder mit ihrer Herrin
auszusöhnen (Gen. 16,9). So verspricht Abraham seinem Knechte, ein Engel werde sein Führer auf dem
Wege sein (Gen. 24,7). So bittet Jakob in dem Segenswort über Ephraim und Manasse, der Engel des
Herrn, durch den er von allem Übel erlöst worden war, möge auch sie segnen (Gen. 48,16). So war
ein Engel zum Schulz des Lagers der Israeliten eingesetzt (Ex. 14,19; 23,20), und wenn Gott Israel
aus der Hand seiner Feinde erretten wollte, so erweckte er ihm Retter durch den Dienst der Engel
(Richter 2,1; 6,11; 13,3ff.). So dienten endlich – um nicht noch mehr aufzuzählen – Christus
die Engel (Matth. 4,1) und standen ihm bei in allen Ängsten (Luk. 22,43). Den Frauen verkündigten
sie seine Auferstehung und den Jüngern seine herrliche Wiederkunft (Matth. 28,5.7; Luk. 24,5; Apg.
1,10). Um ihrem Amte nachzukommen, uns zu schützen, streiten sie wider den Teufel und alle unsere
Feinde und vollziehen Gottes Strafe an denen, die uns hassen. So lesen wir auch, daß der Engel
Gottes, um Jerusalem von der Belagerung zu befreien, in einer Nacht hundertfünfundachtzigtausend
Mann im Lager des Königs von Assur geschlagen habe (2. Kön. 19,35; Jes. 37,36).
I,14,7 Ob übrigens den einzelnen Gläubigen einzelne Engel zu ihrem Schutz
zugeteilt sind, das möchte ich nicht sicher zu behaupten wagen. Gewiß: wenn Daniel einen Engel der
Perser und einen Engel der Griechen nennt (Dan. 10,13.20; 12,1), so zeigt er damit an, daß für
Königreiche und Gebiete bestimmte Engel gewissermaßen als Vorsteher eingesetzt sind. Auch wenn
Christus sagt, die Engel der Kindlein schauten allezeit das Angesicht des Vaters (Matth. 18,10), so
deutet er damit an, daß gewissen Engeln ihr Wohl anvertraut sei. Aber ich weiß doch nicht, ob man
daraus folgern darf, ein jeder habe seinen eigenen Engel. Jedenfalls ist das sicher, daß sich nicht
etwa bloß ein Engel um jeden von uns kümmert, sondern daß sie alle einmütig über unser Heil
wachen! Denn über alle Engel zusammen wird gesagt, daß sie sich mehr freuen über einen Sünder,
der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen (Luk. 15,7). Von
mehreren Engeln wird auch gesagt, daß sie die Seele des Lazarus in Abrahams Schoß trugen (Luk.
16,22). Und nicht ohne Grund zeigt Elisa seinem Diener so viele feurige Wagen, die für ihn
besonders bestimmt waren (2. Kön. 6,17). Es gibt nun eine Stelle, die dies (nämlich, daß es
"Schutzengel" gebe) klarer zu beweisen scheint als andere. Nämlich, als Petrus nach
seiner Befreiung aus dem Gefängnis an die Tür des HauSes klopfte, in dem die Brüder versammelt
waren, da sagten sie, weil sie ja nicht ahnen konnten, daß er es sei, es sei "sein Engel"
(Apg. 12,15). Dies scheint ihnen in den Sinn gekommen zu sein nach der allgemeinen Anschauung, den
einzelnen Gläubigen seien ihre Engel zum Schutz zugeordnet. Freilich kann man darauf erwidern, daß
darunter auch jedweder Engel verstanden werden kann, dem der Herr damals den Schutz des Petrus
aufgetragen hatte, ohne daß er deshalb sein steter Hüter gewesen sein müßte, wie man sich
gewöhnlich vorstellt, als ob jedem Menschen zwei Engel, ein guter und ein böser, gleich wie Genien
zugeteilt wären! Aber es lohnt nicht, genau zu forschen, was zu wissen uns wenig nützen kann. Denn
wem es nicht genügt, daß alle Ordnungen der himmlischen Heerscharen zu seinem Heil auf der Wacht
stehen, – was soll dem die Einsicht helfen, daß ihm ein Engel in besonderer Weise zum Hüter
gegeben sei? Wer aber all die Obhut, die Gott einem jeden von uns zuteil werden läßt, auf einen
Engel beschränkt, der tut sich und allen Gliedern der Kirche unrecht: er tut so, als ob uns jene
Hilfstruppen ohne Ursache zugesagt wären, die uns von allen Seiten umgeben und schützen, damit wir
um so tapferer streiten!
I,14,8 Wer nun über die Zahl und die Ordnungen der Engel genauere Aussagen machen
will, der soll zusehen, worauf er sie gründe. Ich gebe zu: Michael wird bei Daniel ein großer
Fürst genannt (Dan. 12,1), und bei Judas heißt er "Erzengel" (Jud. 9). Nach Paulus wird
es ein Erzengel sein, der mit dem Schall der Posaune die Menschen zum Gerichte lädt (1. Thess.
4,16). Aber wer könnte von da aus die Ehrenstufen unter den Engeln feststellen, die Kennzeichen und
Würden unterscheiden und jedem seinen Platz und seine Stellung zuweisen? Denn selbst die zwei
Namen, die in der Schrift auftreten – nämlich Michael und Gabriel, wozu ebenfalls noch der dritte
(Raphael) aus dem Buche Tobia käme – können den Engeln auch um der Schwachheit unseres
Verstehens willen figürlich beigelegt sein – obwohl ich diese Frage lieber in der Schwebe lassen
will. Was die Zahl betrifft, so hören wir aus Christi Munde viele Legionen (Matth. 26,53), von
Daniel viele Zehntausende nennen (Dan. 7,10); viele Wagen schaute der Diener des Elisa (2. Kön.
6,17), und es läßt auf eine ungeheure Zahl schließen, wenn wir hören, daß sie sich rings um die
lagern, die Gott fürchten (Ps. 34,8). Sicher ist, daß die Geister keine Gestalt haben; aber
trotzdem stellt die Schrift nach dem Maß unseres Begreifens die Cherubim und Seraphim nicht ohne
Grund mit Flügeln dar, damit wir nicht zweifeln, daß sie, sobald es dessen bedarf, mit
unglaublicher Schnelligkeit uns zur Hilfe da sein werden, wie wenn ein Blitz in seiner
Geschwindigkeit zu uns herniederführe! Wir sollen übrigens glauben, daß die näheren Fragen
hierzu jener Art von Geheimnissen angehören, deren volle Enthüllung dem Jüngsten Tage vorbehalten
ist. Deshalb wollen wir wohl darauf achten, uns vor zu großer Neugier über unserem Fragen und vor
zu großer Kühnheit über unserem Reden zu hüten!
I,14,9 Jedoch muß – gegen den Zweifel einiger unruhiger Menschen! – dies
feststehen: die Engel sind "dienstbare Geister" (Hebr. 1,14), deren Gehorsamsleistung Gott
benutzt, um die Seinen zu schützen, und durch welche er seine Wohltaten unter die Menschen austeilt
und auch seine übrigen Werke durchführt. Nun war da einst die Auffassung der Sadduzäer, unter den
Engeln seien bloß Regungen, die Gott den Menschen eingibt, oder auch Erweisungen seiner Kraft zu
verstehen. Aber es widersprechen diesem Wahnwitz derartig viele Zeugnisse der Schrift, daß man sich
wundern muß, daß eine so grobe Unwissenheit in jenem Volke überhaupt geduldet wurde. Ich will
dabei die oben bereits angeführten Stellen kurz übergehen, wo ja Tausende und Legionen von Engeln
erwähnt werden, wo ihnen Freude zugesprochen wird, wo es heißt, daß sie die Gläubigen auf ihren
Händen tragen, ihre Seelen zur Ruhe bringen, das Angesicht des Vaters sehen – und dergleichen
mehr. Es gibt vielmehr andere Stellen, aus denen völlig klar hervorgeht, daß die Engel Geister von
eigener Wesenheit (spiritus naturae subsistentis) sind. Da sagen Stephanus und Paulus, das Gesetz
sei durch die Hand von Engeln gegeben worden (Apg. 7,53; Gal. 3,19). Da verheißt Christus, die
Auserwählten würden nach der Auferstehung den Engeln gleich sein, oder, der Tag des Gerichtes sei
nicht einmal den Engeln bekannt (Matth. 22,30; 24,36), oder, Christus werde alsdann kommen mit
seinen heiligen Engeln (Matth. 25,31; Luk. 9,26). Man mag diese Stellen noch so drehen und wenden:
man muß sie doch in diesem Sinne verstehen. Wenn Paulus dem Timotheus"vor dem Herrn Jesus
Christus und den auserwählten Engeln" "bezeugt", er solle seine Vorschriften
beachten (1. Tim. 5,21), so versteht er doch unter den Engeln nicht Eigenschaften oder Eingebungen
ohne eigenes Wesen, sondern wirkliche Geister! Und wenn wir im Hebräerbriefe lesen, Christus sei
höher gemacht denn die Engel (Hebr. 1,4), den Engeln sei der Erdkreis nicht unterworfen (Hebr.
2,5), Christus habe nicht ihre, sondern des Menschen Natur angenommen (Hebr. 1,4; 2,16) – so hat
das nur einen Sinn, wenn wir darunter selige Geister verstehen, auf die solche Vergleichungen
zutreffen. Der Verfasser des Hebräerbriefes deutet seine eigene Aussage, wenn er die Seelen der
Gläubigen und die heiligen Engel im Reiche Gottes nebeneinanderstellt (Hebr. 12,22). Dazu kommt
noch, was wir bereits anführten: daß die Engel der Kindlein allezeit das Angesicht Gottes schauen,
daß wir durch ihren Schutz verteidigt werden, daß sie sich an unserem Heil freuen, die
vielfältige Gnade Gottes an seiner Kirche bewundern und daß sie Christus als dem Haupte untertan
sind. Dahin gehört auch die Tatsache, daß sie den heiligen Vätern oftmals in menschlicher Gestalt
erschienen sind, mit ihnen geredet haben und gar von ihnen beherbergt worden sind! Auch Christus
selbst wird ja wegen der Herrschaftsstellung, die er als Mittler ausübt, "Engel" genannt
(Mal. 3,1). Das mag genügen, um die Einfältigen gegen jene törichten und widersinnigen Gedanken
zu schützen, die vor vielen Jahrhunderten vom Satan aufgebracht wurden und von Zeit zu Zeit wieder
aufkommen.
I,14,10 Jetzt müssen wir noch dem Aberglauben entgegentreten, der zumeist daraus
entsteht, daß es von den Engeln heißt, durch ihren Dienst widerfahre uns alles Gute. Da läßt
sich nämlich die Vernunft des Menschen leicht dazu hinreißen, ihnen jedwede Ehre zu übertragen.
So wird ihnen denn beigelegt, was nur Gott und Christo zukommt. Auf diese Weise ist, wie wir sehen,
Christi Ehre schon seit vielen Jahrhunderten auf mancherlei Weise verdunkelt worden, dadurch, daß
man die Engel ohne Begründung in Gottes Wort mit allerlei maßlosem Ruhm bedeckt hat. Und unter
allen Verderbnissen, gegen die wir heutzutage zu kämpfen haben, ist kaum eines älter als eben
dies. Hatte doch offenbar schon Paulus mit einigen Leuten zu streiten, die die Engel so hoch
erhoben, daß Christus beinahe zu ihresgleichen erniedrigt wurde! Darum dringt er im Briefe an die
Kolosser mit solcher Schärfe darauf, daß Christus nicht nur vor allen Engeln den Vorrang habe,
sondern daß er auch für sie der Ursprung alles Guten sei (Kol. 1,16.20). Deshalb dürfen wir nicht
den Herrn verlassen und uns den Engeln zuwenden, die doch selber nicht aus sich bestehen können,
sondern aus derselben Quelle schöpfen wie wir! Freilich, weil ein Abglanz göttlicher Herrlichkeit
aus ihnen erstrahlt, so geschieht es gar leicht, daß wir uns vor ihnen aus einer gewissen inneren
Bestürzung anbetend niederwerfen und dann ihnen alles zuschreiben, was doch Gott allein zu
verdanken ist. Schreibt doch selbst Johannes in der Apokalypse, daß ihm das widerfahren sei, –
aber dann fügt er gleich hinzu, ihm sei erwidert worden: "Siehe zu, tue es nicht, ich bin dein
Mitknecht ..., bete Gott an!" (Apok. 19,10).
I,14,11 Der Gefahr solchen Aberglaubens werden wir dann recht entgehen, wenn wir
erwägen, warum denn Gott lieber durch die Engel als ohne ihr Zutun, rein aus sich selber, seine
Macht zu offenbaren, den Seinen das Heil zu schaffen und ihnen die Güter seiner Freundlichkeit
mitzuteilen pflegt. Er tut das sicher nicht aus irgendeiner Notwendigkeit heraus, als ob er sie
nicht entbehren könnte. Denn sooft es ihm gefällt, vollbringt er sein Werk ohne sie, allein durch
seinen Wink und Willen. Es kann also gar keine Rede davon sein, daß sie etwa ihm behilflich sein
müßten, weil ihm ohne sie sein Werk zu schwer wäre. Er tut es also unserer Schwachheit zum Trost,
damit uns nichts mangle, was dazu dient, unsere Seele zu froher Hoffnung aufzurichten und zu fester
Gewißheit zu starren. An sich müßte uns das eine mehr als genug sein, daß der Herr verheißt,
unser Hüter zu sein. Aber wenn wir uns vonsoviel Gefahren, soviel Nöten, so vielerlei Feinden
umgeben sehen, – wie leicht könnten wir da in unserer Schwachheit und Gebrechlichkeit ans Zittern
geraten oder gar verzweifeln, wenn uns nicht der Herr nach unserem Verstehen seine gegenwärtige
Gnade zu erfahren gäbe! Deshalb verheißt er nicht allein, daß er sich um uns kümmere, sondern
auch, daß er unzählige Schildträger habe, denen er die Sorge um unser Heil aufgetragen hat, und
daß – was für Gefahr uns auch bedrohe – kein Übel uns anrühren kann, solange wir unter ihrem
Schutz, ihrer Hut stehen! Freilich ist es verkehrt, daß wir angesichts der schlichten Verheißung,
Gott sei allein unser Hüter, noch immer umherschauen, woher uns Hilfe kommen könne. Aber doch will
uns der Herr in seiner unermeßlichen Milde und Freundlichkeit in unserer Verkehrtheit zu Hilfe
kommen, – und deshalb dürfen wir von so großer Gabe nicht gering denken. Dafür haben wir ein
Beispiel in dem Knecht des Elisa: als er sah, daß der Berg vom Heere der Syrer ganz umlagert war
und kein Ausweg mehr blieb, da packte ihn der Schrecken, als ob es um ihn und seinen Herrn geschehen
wäre. Da bat Elisa Gott, er möchte ihm die Augen öffnen, – und nun sah er alsbald den Berg voll
feuriger Wagen, einer Menge von Engeln nämlich, die ihn mit dem Propheten schützen sollten! (2.
Kön. 6,17) Als er das geschaut hatte, da wurde er gestärkt und faßte sich, so daß er
unerschrocken die Feinde verachten konnte, deren Anblick ihn zuvor beinahe umgebracht hätte!
I,14,12 Alles, was man vom Dienste der Engel sagen kann, muß also dem Zweck dienen,
daß aller Vertrauenslosigkeit ein Ende gemacht und unsere Hoffnung auf Gott gefestigt werde. Dieser
Schutz ist uns deshalb von Gott bereitet, daß wir uns von der Zahl der Feinde nicht schrecken
lassen, als ob sie ihm zu stark wären, – sondern vielmehr zu jenem Ausspruch des Elisa unsere
Zuflucht nehmen: Es sind mehr für uns denn gegen uns (2. Kön. 6,16; nicht wörtlich). Wie
widersinnig wäre es nun, wenn wir uns durch die Engel von Gott abbringen ließen, die doch dazu
verordnet sind, uns zu bezeugen, wie gar nahe seine Hilfe ist! Dann freilich bringen sie uns von
Gott ab, wenn sie uns nicht auf geradem Wege dahin leiten, daß wir ihn als einzigen Helfer ansehen,
anrufen und preisen, wenn wir sie nicht als seine Hände betrachten, die sich zu keinem Werke regen
ohne seinen Befehl, wenn sie uns nicht bei dem einen Mittler Christus halten, daß wir ganz und gar
von ihm abhängen, in ihm bleiben, zu ihm uns wenden und in ihm unser volles Genüge haben! Denn was
uns in dem Gesicht des Jakob (Gen. 28,12) beschrieben wird, das müssen wir ganz fest zu Herzen
nehmen: daß die Engel zu den Menschen auf Erden herabsteigen und von den Menschen wiederum zum
Himmel hinauf – auf der "Leiter", auf welcher der Herr der Heerscharen obenan sitzt! Da
wird deutlich: einzig durch Christi Eintreten (intercessio) für uns kommt jener Dienst der Engel an
uns zustande, wie er es ja selbst ausspricht: "Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und
die Engel Gottes hinauf- und herabfahren auf des Menschen Sohn" (Joh. 1,51). So ruft auch der
Knecht Abrahams, der der Hut des Engels befohlen war, nicht etwa diesen um Beistand an, sondern er
bringt im Vertrauen auf jene Verheißung sein Gebet vor den Herrn und bittet ihn, seine
Barmherzigkeit gegen Abraham zu erweisen (Gen. 24,7). Denn Gott macht die Engel nicht zu Dienern
seiner Macht und Güte, um seine Ehre mit ihnen zu teilen, und ebenso verheißt er uns nicht seine
Hilfe durch ihren Dienst, damit wir etwa unser Vertrauen zwischen ihm und den Engeln teilten!
Deshalb wollen wir nichts mit jener platonischen Weisheit zu tun haben, die uns anweist, den Zugang
zu Gott durch Vermittlung der Engel zu suchen und ihnen Verehrung zu erweisen, damit sie uns Gott
geneigter machen! (Platon, Epinomis; Kratylos). Diese Philosophie haben abergläubische und
vorwitzige Leute von Anfang an in unsere Religion hineinzubringen versucht und tun es noch heute mit
Beharrlichkeit!
I,14,13 Was die Schrift von den Teufeln lehrt, hat alles den Zweck, daß wir auf der
Hut sein sollen gegen ihre Lücke und Nachstellungen und uns mit solchen Waffen rüsten, die stark
und fest genug sind, ihnen als den gefährlichsten Feinden Widerstand zu leisten. Denn wenn der
Teufel als Gott und Fürst dieser Welt bezeichnet wird, wenn es von ihm heißt, er sei ein starker
Gewappneter (Matth. 12,29), der "Fürst, der in der Luft herrscht" (Eph. 2,2), ein
"brüllender Löwe" (1. Petr. 5,8) – so haben solche Beschreibungen keinen anderen
Zweck, als uns vorsichtiger, wachsamer und kampfbereiter zu machen. Das wird mitunter auch
ausdrücklich gesagt. Petrus spricht es ja aus, der Teufel gehe umher wie ein brüllender Löwe und
suche, welchen er verschlinge (1. Petr. 5,8). Aber dann fügt er gleich die Mahnung hinzu, im
Glauben tapfer Widerstand zu leisten! Und Paulus, der daran erinnert, daß wir nicht mit Fleisch und
Blut zu streiten haben, sondern mit den Fürsten der Luft, den Beherrschern der Finsternis und den
bösen Geistern (Eph. 6,12), befiehlt doch sogleich, die Waffen zu ergreifen, mit denen wir einen so
gefährlichen Kampf bestehen können (Eph. 6,13ff.). Deshalb sollen wir alles daran wenden, daß uns
der Feind – dieser kampfbereiteste in seiner Kühnheit, dieser gewaltigste in seiner Kraft, dieser
schlaueste in seinen Ränken, unermüdlich in seiner Umsicht und Schnelligkeit, voll Tücke aller
Art, kampferfahren bis aufs äußerste, der uns, wie wir gewarnt sind, ohne Unterlaß bedroht! – ,
daß uns dieser Feind nicht in Sorglosigkeit und Trägheit überfalle, sondern wir wackeren und
aufrechten Geistes festen Fuß fassen, um ihm zu widerstehen! Und weil dieser Kriegsdienst (militia)
erst mit dem Tode endet, so werden wir zur Beharrlichkeit ermahnt. Vor allem aber sollen wir im
Bewußtsein unserer Schwachheit und Unerfahrenheit Gottes Hilfe anrufen und nichts ohne Vertrauen
auf ihn unternehmen; – denn er allein kann Rat und Kraft, Mut und Rüstung schenken!
I,14,14 Um uns aber zu solchem Streit um so kräftiger zu ermuntern und anzuspornen,
zeigt uns die Schrift, daß wir es nicht mit einem oder zwei Feinden oder wenigstens bloß mit einer
geringen Zahl zu tun haben, sondern daß uns ein großes Heer in diesem Krieg gegenübersteht! Denn
es heißt, daß Maria Magdalena von sieben Dämonen befreit worden sei, die sie besessen hatten
(Mark. 16,9), und Jesus erklärt es für das Regelmäßige, daß der böse Geist, falls man ihm nach
seiner Austreibung noch einmal Einlaß gewährt, sieben noch bösere Geister mit sich nimmt und in
den leeren Besitz zurückkehrt (Matth. 12,43). Ja, wir hören, daß eine ganze Legion einen einzigen
Menschen besessen hat! (Luk. 8,30). Daraus erfahren wir also, daß wir mit einer unendlichen Menge
von Feinden zu kämpfen haben – damit wir nicht verächtlich meinen, es wären bloß wenige, und
dann im Kampf nachlässig werden oder uns gar in der Meinung, es werde uns eine Kampfpause gewährt,
der Trägheit hingeben. Daß dagegen der Satan oder Teufel uns oft als einzelner gegenübertritt,
das soll uns zeigen: es gibt eine Herrschaft der Bosheit, die sich dem Reich der Gerechtigkeit
entgegensetzt. Denn wie die Kirche und die Schar (societas) der Heiligen Christus zum Haupte hat, so
wird uns auch die Rotte der Gottlosen und die Gottlosigkeit selbst mit ihrem Fürsten vor Augen
gestellt, der dort die oberste Herrschaft führt. Daher auch der Spruch: "Geht hin, ihr
Verfluchten, in das ewige Feuer, das da bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln" (Matth.
25,41).
I,14,15 Auch das muß uns zu unaufhörlichem Kampf gegen den Teufel anfeuern, daß
er überall Gottes und unser Feind heißt. Liegt uns nämlich, wie es billig ist, Gottes Ehre am
Herzen, so müssen wir uns ja mit allen Kräften gegen den stemmen, der diese Ehre auslöschen will!
Sind wir wirklich gesonnen, das Reich Christi zu behaupten, wie es doch sein muß, so müssen wir ja
notwendig einen unversöhnlichen Krieg mit dem haben, der sich zu seinem Sturz verschworen hat. Wenn
uns anderseits die Sorge um unser Heil anliegt, so kann es ja weder Frieden noch Waffenruhedem
gegenüber geben, der es stets heimtückisch zunichte zu machen gierig ist. So wird er uns ja auch
im dritten Kapitel der Genesis beschrieben: da zieht er den Menschen vom schuldigen Gehorsam gegen
Gott ab, um Gott seiner ihm zukommenden Ehre zu berauben und zugleich den Menschen selbst ins Unheil
zu stürzen. So tritt er uns bei den Evangelisten entgegen: da heißt er der "Feind" (Matth.
13,28), und da streut er Lolch, um den Samen des ewigen Lebens zu verderben (Matth. 13,25).
Insgemein: was Christus von ihm aussagt, nämlich, daß er ein Menschenmörder und Lügner von
Anfang gewesen sei, – das erfahren wir in allen seinen Taten! (Joh. 8,44). Denn mit Lügen kämpft
er gegen Gottes Wahrheit an, mit Finsternis bedeckt er das Licht, mit Irrtum hält er der Menschen
Herzen gefangen, Haß erregt er, Zwiespalt und Hader läßt er aufkommen, – und das alles, um
Gottes Reich zu zerstören und Menschen mit sich ins ewige Verderben zu reißen! Er ist also – das
steht fest – von Natur verderbt, schlecht und boshaft. Denn in einem Sinn, der bloß auf die
Vernichtung der Ehre Gottes und des Heils der Menschen bedacht ist, muß ja notwendig die tiefste
Verderbtheit stecken! Das drückt Johannes in seinem ersten Briefe so aus: "Er sündigt von
Anfang" (1. Joh. 3,8). Das soll heißen: er ist aller Bosheit und Ungerechtigkeit Urheber,
Rädelsführer und Meister!
I,14,16 Da aber der Teufel von Gott geschaffen ist, so müssen wir bedenken: all
diese Bosheit, die wir seiner Natur beilegen, stammt nicht aus der Schöpfung, sondern aus der
Verderbnis! Was er Verdammliches an sich hat, er hat es sich in Abfall und Empörung selbst
zugezogen! Daran mahnt uns die Schrift, damit wir nicht etwa meinen, er sei so aus Gottes Hand
hervorgegangen, und dann Gott zuschreiben, was ihm ja das Allerfremdeste ist. Deshalb erklärt
Christus, der Satan rede aus seinem Eigenen, wenn er die Lüge rede (Joh. 8,44), und setzt als Grund
hinzu: weil er nicht in der Wahrheit bestanden ist. Sagt er nun, er sei nicht in der Wahrheit
bestanden, so deutet er damit an, daß er einstmals in ihr gewesen ist, und nennt er ihn den Vater
der Lüge, so nimmt er ihm damit die Möglichkeit, Gott die Verderbnis zuzuschreiben, die er sich
selbst verursacht hat! Obwohl das nun nur kurz und nicht sehr deutlich gesagt ist, so genügt es
doch vollauf, um Gottes Majestät von jedem Vorwurf zu befreien. Und was sollte uns auch daran
liegen, von den Teufeln mehr zu wissen oder etwas zu anderem Zweck zu erfahren? Da murren einige,
daß die Schrift nicht an mehr Stellen jenen Fall, seinen Grund, seine Art, seine Zeit und den
näheren Vorgang genau beschreibe. Aber weil uns dergleichen nichts angeht, so war es besser, daß
es, wenn nicht eben verschwiegen, so doch nur kurz berührt wurde. Denn es ist nicht des Heiligen
Geistes würdig, mit unnützen Geschichten unsere Neugier ohne Frucht zu befriedigen. Und wir sehen
ja auch, daß der Herr die Absicht hatte, uns in seinen heiligen Worten nichts zu lehren, das nicht
zu unserer Erbauung führen könnte. Deshalb wollen wir uns auch selbst nicht mit
Überflüssigkeiten aufhalten. Es muß uns genügen, von der Natur der Teufel zu wissen, daß sie im
Anfang, in der Schöpfung Engel Gottes gewesen, aber, durch Entartung verderbt, dann anderen zum
Werkzeug des Verderbens geworden sind, weil dies zu wissen nützlich ist, so wird es auch bei Petrus
und Judas klar gelehrt. "Die Engel", heißt es da, "welche gesündigt und ihr
Fürstentum nicht bewahrt haben, die hat Gott nicht geschont" (2. Petr. 2,4; Jud. 6). Und wenn
Paulus von "auserwählten Engeln" redet, so deutet er damit ohne Zweifel stillschweigend
an, daß es auch verworfene gibt (1. Tim. 5,21).
I,14,17 Was aber den Widerspruch und Streit betrifft, den der Teufel wider Gott
führt, so müssen wir dabei allen Erwägungen die feste Gewißheit zugrunde legen, daß der Teufel
ohne Gottes willen und Erlaubnis (nisi volente et annuente Deo) nichts ausrichten kann. Denn wir
lesen in der Geschichte von Hiob, daß er sich vor Gott hinstellt, um Befehle zu empfangen, und daß
er ohne Erlaubnis nicht zur Vollführung eins Werkes zu schreiten wagt (Hiob 1,6; 2,1). Und als Ahab
in die Irre geführt werden soll, da übernimmt er es, ein Geist der Lüge im Munde aller Propheten
zu sein: der Herr sendet ihn, und er vollführt seinen Befehl (1. Kön. 22,22ff.). Aus dem Grunde
wird er auch der böse Geist vom Herrn genannt, der den Saul quälte, weil durch ihn wie mit einer
Geißel die Sünden des gottlosen Königs gestraft wurden (1. Sam. 16,14; 18,10). Und an anderer
Stelle steht geschrieben, die Plagen seien den Ägyptern von Gott durch böse Engel zugefügt worden
(Ps. 78,49). Entsprechend solchen einzelnen Beispielen bezeugt Paulus ganz allgemein, daß die
Verblendung der Ungläubigen ein Werk Gottes ist – obwohl er sie doch gerade zuvor eine Wirkung
des Satan genannt hat: (2. Thess. 2,9.11). Es steht also fest: der Satan ist unter Gottes Gewalt und
wird von seinem Wink so gelenkt, daß er ihm gezwungen gehorcht. Ja, wenn wir sagen, daß der Satan
Gott widerstrebt und daß seine Werke mit Gottes Werken im Streit liegen, so behaupten wir doch
zugleich, daß auch dies Widerstreben und dieser Streit von Gottes Zulassung (permissio) abhängt!
Dabei rede ich nun nicht von des Teufels Wollen oder auch seinem Vorhaben, sondern nur von dem, was
er tatsächlich vollbringt. Denn der Teufel ist von Natur gottlos und deshalb keineswegs zum
Gehorsam gegen Gottes Willen geneigt, sondern er hat einen unaufhörlichen Hang zu Widerstand und
Empörung. So kommt es also aus ihm selbst und aus seiner Bosheit, daß er Gott mit Willen und
Absicht widerstrebt. Diese Verruchtheit reizt ihn, solche Dinge zu unternehmen, von denen er meint,
daß sie Gott völlig zuwider wären. Aber Gott hält ihn mit dem Zügel seiner Allmacht fest
gebunden, und deshalb kann er nur das zuwege bringen, was ihm Gott zuläßt; so gehorcht er, mag er
wollen oder nicht, seinem Schöpfer, weil er ihm ja gezwungen dienen muß, wozu er ihn auch
gebrauchen mag!
I,14,18 Da aber Gott die unreinen Geister nach seinem Willen regiert, so führt er
es so, daß sie die Gläubigen im Kampfe plagen, sie hinterhältig anfallen, durch allerlei Anläufe
beunruhigen, im Streite bedrängen, sie auch öfters ermüden, in Verwirrung und Schrecken jagen und
zuweilen gar verwunden, aber sie doch nie besiegen oder unterdrücken, daß sie dagegen die
Gottlosen gefangen führen, in ihren Seelen und Leibern ihre Herrschaft ausüben und sie wie Sklaven
zu allem Frevel mißbrauchen. Die Gläubigen, von solchen Feinden beunruhigt, hören deshalb die
Mahnung: "Gebet nicht Raum dem Teufel" (Eph. 4,27; Luther: "dem Lästerer")
oder: "Der Teufel, euer Widersacher, gehet umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen
er verschlinge; dem widerstehet fest im Glauben ..." (1. Petr. 5,8) und ähnliche. Selbst
Paulus bekennt, von dieser Art Streit nicht unberührt gewesen zu sein, wenn er schreibt, zur
Bändigung der Hoffahrt sei ihm "des Satanas Engel" gegeben worden, um ihn zu demütigen
(2. Kor. 12,7). Diese Kampfübung ist also allen Kindern Gottes gemeinsam. Aber die Verheißung,
daß dem Satan der Kopf zertreten werden soll, bezieht sich auf Christus und mit ihm zusammen auf
alle seine Glieder, und deshalb sage ich, daß die Gläubigen vom Teufel weder besiegt noch
unterdrückt werden können. Sie werden zwar oft geängstigt, aber sie verzagen nicht und sammeln
sich zu neuem Kampf, sie fallen unter der Wucht der Angriffe, aber danach richten sie sich wieder
auf, sie werden verwundet, aber nicht zu Tode, kurz, sie sind ihr ganzes Leben lang in hartem Kampf,
doch so, daß sie am Ende, den Sieg behalten. Das will ich freilich nicht auf jeden Kampfabschnitt
für sich beziehen. Denn wir wissen, daß durch Gottes gerechte Vergeltung David eine Zeitlang dem
Satan überlassen wurde, so daß er auf dessen Antrieb sein Volk zählte (2. Sam. 24,1), und Paulus
gibt nicht ohne Grund selbst denen Hoffnung auf Vergebung, die in des Teufels Stricken gefangen
gewesen sind (2. Tim. 2,26). Der gleiche Paulus zeigt anderswo, daß die oben angeführte
Verheißung (nämlich Gen. 3,15) in diesem Leben, wo gestritten werden muß, erst anfangsweise
erfüllt werde, dann aber nach dem Kampfe vollständig, wenn er sagt: "Aber der Gott des
Friedens zertrete den Satan unter eure Füße in kurzem" (Röm. 16,20). In unserem Haupte
(Christus) ist dieser Sieg stets völlig da, weil der Fürst dieser Welt nichts gegen ihn vermag, in
uns aber, den Gliedern, kommt er jetzt nur zum Teil zum Vorschein, aber er wird einst vollendet
sein, wenn wir unser Fleisch ausziehen, das uns immer wieder der Schwachheit unterworfen sein läßt,
und wenn wir voll sind der Kraft des Heiligen Geistes. Denn wo das Reich Christi aufkommt und
aufgerichtet wird, da zerfällt der Satan mit aller seiner Macht, wie ja der Herr selber sagt:
"Ich sah den Satanas vom Himmel fallen wie einen Blitz" (Luk. 10,18). Mit dieser Antwort
nämlich bekräftigt er den Bericht der Apostel von der Gewalt ihrer Verkündigung, wiederum sagt er
auch: "Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewahrt, so bleibt das Seine mit Frieden,
wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt ..., so wird er hinausgetrieben ..." (Luk. 11,21f.;
Schluß ungenau). Und dazu hat Christus in seinem Sterben den Satan, der des Todes Gewalt hatte,
überwunden und den Triumph geführt über sein ganzes Heer, daß der Kirche kein Schaden geschehe,
die sonst vom Teufel in jedem Augenblick hundertmal zertreten werden würde! Denn wie sollten wir
– bei unserer Schwachheit und bei des Teufels wütiger Gewalt! – auch nur im mindesten gegen
seine vielfältigen und listigen Anläufe bestehen, ohne das Vertrauen auf den Sieg unseres Herzogs?
Denn Gott läßt das Reich des Satans nicht in dem Herzen der Gläubigen sein, sondern er übergibt
ihm bloß die Gottlosen und Ungläubigen zur Regierung, die er nicht würdigt, zu seiner Herde
gezählt zu werden. Denn es heißt von ihm, daß er diese Welt ohne Widerspruch in Besitz hat, bis
er von Christus ausgestoßen wird (Luk. 11,21). Auch hören wir, er verblende alle, die dem
Evangelium nicht glauben (2. Kor. 4,4). Oder auch, er führe sein Werk in den widerspenstigen
Kindern (Eph. 2,2). Und das mit Recht; denn die Gottlosen sind ja alle Gefäße des Zorns – und
wem sollten sie dann anders unterworfen sein als dem Diener der göttlichen Rache? Ja, es heißt
schließlich, sie seien von ihrem Vater, dem Teufel (Joh. 8,44). Denn wie die Gläubigen als Kinder
Gottes daran erkannt werden, daß sie sein Ebenbild tragen, so erweisen sich jene als Söhne des
Satans durch sein Ebenbild, zu dem sie entartet sind! (1. Joh. 3,8).
I,14,19 Nun haben wir oben jene geschwätzige Weltweisheit (nugatoria philosophia)
abgewiesen, die von den heiligen Engeln lehrt, das seien bloß gute Eingebungen und Regungen, die
Gott im Herzen der Menschen aufkommen ließe. Ebenso müssen wir hier denen entgegentreten, die da
schwätzen, die Teufel seien bloß schlechte Empfindungen oder verwirrte Gedanken, die uns unser
Fleisch eingebe. Das kann aber in aller Kürze vor sich gehen, da hierzu zahlreiche und völlig
deutliche Schriftzeugnisse vorhanden sind. Da werden zunächst die unreinen Geister auch abtrünnige
Engel genannt, die "von ihrem Ursprung entartet sind" (Jud. 6). Diese Namen drücken schon
ganz klar aus, daß es sich hier nicht etwa um Regungen und Empfindungen handelt, sondern
tatsächlich, wie es ja aus dem Wortlaut hervorgeht, um Geister und Wesen mit Empfindung und
Verstand! Ähnlich werden von Christus wie von Johannes die Kinder Gottes mit den Kindern des
Teufels verglichen (Joh. 8,44; 1. Joh. 3,10). Das wäre ja offenkundig unangebracht, wenn der
Begriff "Teufel" nur böse Eingebungen bezeichnete! Johannes fügt gar noch deutlicher
hinzu, der Teufel sündige von Anfang (1. Joh. 3,8). Und wenn Judas einen Kampf des Erzengels
Michael mit dem Teufel erwähnt (Jud. 9), so stellt er doch damit sicherlich dem guten Engel einen
bösen und abtrünnigen entgegen. Dem entspricht wieder, was wir im Buch Hiob lesen: nämlich, daß
der Satan mit den heiligen Engeln vor Gott erschienen sei (Hiob 1,6; 2,1). Am klarsten sind indessen
die Stellen, welche die Strafe erwähnen, welche die Teufel durch Gottes Urteil, anfangsweise schon
jetzt, dann abererst recht einst in der Auferstehung erfahren! "Du Sohn Davids, weshalb kommst
du vor der Zeit und quälst uns?" (Matth. 8,29). "Geht hin, ihr Verfluchten, in das ewige
Feuer, das da bereitet ist dem Teufel mit seinen Engeln" (Matth. 25,41). "Denn Gott hat
die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern hat sie mit Ketten der Finsternis zur
Hölle verstoßen und übergeben, daß sie zum Gericht behalten werden" (2. Petr. 2,4). Was
wären das für unsinnige Redensarten, die Teufel wären dem ewigen Gericht übergeben, ewiges Feuer
sei ihnen bereitet, sie würden bereits jetzt durch Christi Herrlichkeit gequält und gemartert –
wenn es gar keine Teufel gäbe! Freilich: diese Dinge bedürfen bei denen, die dem Worte Gottes
Glauben schenken, keiner Erörterung, und anderseits wird bei den eitlen Grüblern (speculatores),
denen nur das Neue gefällt, mit dem Schriftzeugnis wenig erreicht. Deshalb glaube ich meinen Zweck
erreicht und fromme Seelen ausreichend gegen dergleichen Unsinn gesichert zu haben, mit dem ruhlose
Leute sich und andere, Einfältigere, in Verwirrung bringen. Trotzdem mußten diese Dinge berührt
werden, damit der Mensch sich nicht von dem Irrtum zu der Meinung verführen lasse, er hätte ja gar
keinen Feind, und deshalb zum Widerstand träger und sorgloser werde!
I,14,20 Unterdessen aber wollen wir doch nicht versäumen, in diesem herrlichen
Schauhause (theatrum) aus Gottes offenbaren und uns entgegentretenden Werken fromme Erquickung zu
schöpfen! Denn es ist, wie wir schon sagten, zwar nicht der höchste, aber doch nach der Ordnung
der Natur der erste Erweis des Glaubens, wenn wir, wohin wir auch die Augen lenken, alles, was uns
begegnet, als Gottes Werk ansehen und zugleich mit frommer Erwägung überlegen, zu welchem Zweck es
Gott geschaffen habe. Um also mit rechtem Glauben zu erfassen, was wir von Gott wissen sollen,
müssen wir vor allem die Geschichte von der Schöpfung der Welt festhalten, wie sie uns Mose kurz
berichtet und wie sie dann fromme Männer wie besonders Basilius und Ambrosius genauer beleuchtet
haben. Daraus lernen wir dann, daß Gott mit der Kraft seines Wortes und seines Geistes Himmel und
Erde aus nichts geschaffen, danach allerlei Tiere und auch leblose Wesen hervorgebracht, die
unendliche Vielgestaltigkeit der Dinge in wundersamer Ordnung unterschieden, jedem Geschlecht sein
Wesen eingesenkt, seinen Dienst zugewiesen und seinen Ort und seine Wohnstatt geschenkt hat, und
daß er, da alles der Verderbnis (corruptio) unterworfen ist, doch Vorsorge getroffen hat, damit
alle Arten bis zum Jüngsten Tage unversehrt bleiben! So erhält er – hören wir weiter – die
eine Art auf geheimnisvolle Weise und läßt zu Zeiten neue Lebenskraft gewissermaßen in sie
überströmen, und anderen hat er wieder die Kraft der Fortpflanzung gegeben, damit mit dem Ende des
einzelnen nicht die Gattung aussterbe! Deshalb hat er Himmel und Erde mit der denkbar größten
Fülle, Verschiedenheit und Schönheit aller Dinge ausgestattet und wie ein weites und herrliches
Haus, mit erlesenstem und wundersamstem Gerät versehen und ausgerüstet, herrlich geschmückt.
Schließlich hat er – so lernen wir – den Menschen gebildet, ihn mit so köstlicher Zier, so
vielen und so herrlichen Gaben ausgezeichnet und aus ihm auf solche Weise das Meisterstück unter
seinen Werken gemacht! Aber ich habe hier nicht vor, die Schöpfung der Welt zu erzählen, und so
mag es genügen, dies wenige im Vorbeigehen erwähnt zu haben. Besser ist es, wie ich schon
hervorhob, wenn die Leser sich aus Mose und den anderen, welche die Weltschöpfung getreulich und
eingehend überliefert haben, eine genauere Kenntnis zu verschaffen suchen.
I,14,21 Auch der Zweck und der wesentliche Gesichtspunkt für eine Betrachtung der
Werke Gottes bedarf keiner eingehenden Erörterung. Denn es war ja an anderer Stelle bereits
ausführlicher davon die Rede, und im Zusammenhang der jetzigen Erwägung sind nur wenige Worte
erforderlich. Wahrlich, wollte man würdig darstellen, wie Gottes unaussprechliche Weisheit, Macht,
Gerechtigkeit und Güte am Gebäu der Welt sichtbar wird, so würde kein Glanz der Rede, keine Zier
der Darlegung der Größe der Sache entsprechen. Unzweifelhaft hat der Herr gewollt, daß wir in
solch heiliger Erwägung immerzu verharren. Und deshalb sollen wir jenen unermeßlichen Reichtum
seiner Weisheit, Gerechtigkeit, Güte und Macht, wie wir sie in aller Kreatur gleichwie in einem
Spiegel betrachten, nicht etwa bloß mit flüchtigem Blick und sozusagen mit leerer Anschauung
durcheilen, sondern wir sollen bei solcher Erkenntnis lange verweilen, sie ernstlich und getreulich
im Herzen bewegen und uns je und je ihrer erinnern. Aber wir sind jetzt in lehrhafter Arbeit
begriffen, und da müssen wir übergehen, was eigentlich eine weitläufige Rede erforderte. Ich will
mich kurz fassen: der Leser wird dann gewißlich in rechtem Glauben erkennen, was es eigentlich
heißt, daß Gott der Schöpfer Himmels und der Erde ist, wenn er erstens der allgemeingültigen
Regel folgt, an der Macht und Güte, die Gott in seiner Kreatur offenbar werden läßt, nicht mit
undankbarer Gedankenlosigkeit und Vergeßlichkeit vorbeizugehen, und wenn er zweitens diese
Erkenntnis so auf sich anzuwenden weiß, daß sie ihn im Innersten ergreift! Folgen wir der ersten
Regel, so werden wir z. B. überlegen, welch ein Künstler es doch sein mußte, der die Unzahl der
Sterne am Himmel so wohl geordnet und gefügt hat, daß kein erhabeneres Schauspiel erdacht werden
kann, der die einen an ihrem Ort fest und unbeweglich bleiben läßt, anderen einen freieren Lauf
verstattet hat, doch immer so, daß sie nicht von ihrer Bahn abirren können, – der die Bewegungen
aller Gestirne so lenkt, daß Tage und Nächte, Monate, Jahre und Jahreszeiten daran gemessen
werden, und der auch wiederum die Ungleichheit der Tage derart geregelt hat, daß keinerlei
Verwirrung daraus entsteht. Ein weiteres Beispiel für jene erste Regel ist auch dies, daß wir auf
seine Macht unser Gemerk richten, mit der er solche Last trägt und diese geschwinde Bewegung des
Himmelsgebäudes lenkt – und dergleichen Beispiele mehr. Diese ganz wenigen Andeutungen zeigen
deutlich, was es heißt, Gottes Kraft in der Schöpfung der Welt zu erkennen. Wollten wir übrigens,
wie gesagt, das Ganze darstellen, so würde kein Aufhören sein. Denn es gibt so viele Wunder
göttlicher Macht, so viele Zeichen seiner Güte, so viele Beweise seiner Weisheit, wie es in der
Welt Gattungen unter den Geschöpfen, ja einzelne Dinge gibt, große wie kleine.
I,14,22 Nun bleibt noch das zweite Erfordernis, das dem Wesen des Glaubens noch
näher steht. Wenn wir nämlich sehen, wie Gott alles uns zugut, uns zum Heil geordnet hat, und wenn
wir seine Macht und Gnade empfinden, die er an uns selber und an so vielen Gaben erzeigt, die er uns
geschenkt hat, dann sollen wir uns eben dazu bringen lassen, ihm zu vertrauen, ihn anzurufen, ihn zu
loben und zu lieben! Denn daß er alles um des Menschen willen geschaffen hat, das hat der Herr in
der Reihenfolge seines Schaffens selbst gezeigt, wie ich oben bemerkte. Denn er hat nicht ohne Grund
die Erschaffung der Welt auf sechs Tage verteilt; wäre es ihm doch ebenso leicht gewesen, das ganze
Werk in einem Augenblick in aller Vollkommenheit hinzustellen, wie in solchem allmählichen
Fortschreiten zur Vollendung zu kommen. Aber er wollte uns dadurch seine Vorsehung und väterliche
Sorge erweisen, daß er, bevor er den Menschen schuf, alles bereitete, was ihm nach seiner
Voraussicht nützlich und heilsam sein konnte. Was wäre das für eine Undankbarkeit, wenn wir an
der Fürsorge dieses unendlich gütigen Vaters zweifeln wollten, der sich doch schon um uns gemüht
hat, ehe denn wir geboren wurden! Was für eine Gottlosigkeit wäre es, wenn wir je mißtrauisch
zittern wollten, es könnte uns etwa einmal in der Not seine Güte verlassen, die doch, wie wir
bemerken, schon vor unserem Dasein sich im Überfluß aller Güter wirksam erwies! Dazu hören wir
bei Mose, daß er uns in seiner Freigebigkeit auch alles Untertan gemacht hat, was in der Welt ist
(Gen. 1,28; 9,2). Und das hat er gewiß nicht getan, um uns mit dem bloßen Schein einer Schenkung
zu täuschen. Es wird uns demnach nichts je abgehen, dessen wir zu unserem Heil bedürfen. Zum
Schluß noch dies: sooft wir Gott den Schöpfer Himmels und der Erde nennen, soll uns auch zugleich
das in den Sinn kommen, daß die Verwaltungalles dessen, was er gemacht hat, in seiner Hand und
Macht liegt – daß aber wir seine Kinder sind, die er in seine Treue und Obhut genommen hat, um
sie zu erhalten und aufzuziehen! Deshalb sollen wir die Fülle aller Güter von ihm allein erwarten
und ihm gewißlich zutrauen, daß er uns nie an dem wird Mangel leiden lassen, was wir zum Heile
brauchen – und so soll unsere Hoffnung an nichts anderem hängen als an ihm! Deshalb sollen wir
aber auch, wenn wir irgend etwas wünschen, unsere Blicke auf ihn allein richten, alles Gute, das
uns zuteil wird, als seine Wohltat erkennen und ihm dafür Dank sagen! Und wir sollen aus allen
diesen Gründen, gezogen durch soviel liebliche Güte und Freundlichkeit, ihn von ganzem Herzen zu
lieben und zu ehren uns befleißigen.
Von der Erschaffung des Menschen, den Fähigkeiten seiner Seele, vom Ebenbilde
Gottes, dem freien Willen und der ursprünglichen Reinheit der menschlichen Natur.
I,15,1 Es muß nun weiter auch von der Schöpfung des Menschen die Rede sein. Denn
er ist unter allen Werken Gottes der edelste und sichtbarste Erweis seiner Gerechtigkeit, Weisheit
und Güte. Und besonders kann ja, wie wir am Anfang ausführten, Gott von uns gar nicht rein und
gewiß erkannt werden, wenn nicht wiederum die Selbsterkenntnis hinzukommt. Diese Selbsterkenntnis
ist freilich von doppelter Art: wir müssen zunächst wissen, wie wir im Ursprung geschaffen waren,
und dann auch, wie wir seit Adams Fall daran sind: – es würde uns nicht viel nutzen, von unserer
Erschaffung zu wissen, wenn wir nicht all diesem schrecklichen Zerfall, in dem wir nun leben, die
Verderbnis und Entstellung unserer Natur erkennten! Wir wollen aber trotzdem hier zunächst die
Beschreibung unserer ursprünglich reinen (integrae) Natur vornehmen. Und es ist auch tatsächlich,
ehe wir uns dem jämmerlichen Zustande des Menschen zuwenden, dem er heute unterworfen ist, durchaus
der Mühe wert, ins Auge zu fassen, wie er denn eigentlich im Anfang geschaffen worden ist. Denn wir
müssen uns sehr wohl vor dem Anschein hüten, als schrieben wir, indem wir bloß die natürliche
Bosheit des Menschen genau darlegten, sie gar dem Urheber der Natur zu. Denn die Gottlosigkeit
möchte sich allzugern mit diesem Vorwand verteidigen, wenn sie zu behaupten unternimmt, alles, was
sie Böses in sich trage, das sei gewissermaßen von Gott ausgegangen – und sie zögert ja auch,
wenn sie gestraft wird, keineswegs, mit Gott selber rechten zu wollen und ihm die Schuld
zuzuschieben, deren sie mit Recht angeklagt wird. Und Leute, die auf den Schein frommeren Redens von
der Gottheit Wert legen, suchen doch ihre Verkehrtheit gern mit der Natur zu entschuldigen und
bedenken dabei gar nicht, daß sie damit auch Gott beschimpfen – wenn auch etwas heimlicher! Denn
es wäre doch eine Schande für ihn, wenn man beweisen könnte, an der Natur sei etwas Verkehrtes.
Wir sehen also, wie das Fleisch nach allerlei Ausflüchten hascht, um dadurch nach seiner Meinung
die Schuld von sich auf einen anderen wälzen zu können. Und dieser Bosheit müssen wir mit Fleiß
entgegentreten. Deshalb muß man das menschliche Unheil so behandeln, daß von vornherein alle
Auswege abgeschnitten sind und die Gerechtigkeit Gottes von jeder Anschuldigung frei bleibt. Später
werden wir dann, wenn wir soweit sind, zusehen, wie weit wir Menschen von der Reinheit entfernt
sind, die dem Adam geschenkt war. Vorerst müssen wir aber das bedenken: der Mensch ist aus Erde und
Lehm genommen, und damit ist seinem Stolz ein Zügel angelegt; denn es wäre ja völlig widersinnig,
wenn sich einer seiner hervorragenden Stellung rühmen wollte, der nicht nur in einer Lehmhütte
seine Wohnstatt hat, sondern gar selbst zum Teil aus Erde und Asche ist! Freilich, Gott hat sich
herbeigelassen, dieses irdene Gefäß lebendig zu machen (zu beseelen), und er hat es gar zum
Wohnsitz eines unsterblichen Geistes ersehen. Solcher Großmut seines Schöpfers konnte sich Adam
mit Recht rühmen!
I,15,2 Weiterhin muß außer allem Streite stehen, daß der Mensch aus Seele und
Leib besteht. Dabei verstehe ich unter "Seele" ein unsterbliches, wenn auch geschaffenes
Wesen, das des Menschen edlerer Teil ist. Oft wird sie auch "Geist" genannt, und obwohl
diese beiden Namen, wenn sie nebeneinander stehen, von verschiedener Bedeutung sind, so bedeutet
doch "Geist", wenn das Wort allein auftritt, dasselbe wie "Seele". So redet zum
Beispiel Salomo vom Tode und sagt, dann kehre "der Geist" zu Gott zurück, der ihn gegeben
habe (Pred. 12,7). Auch Christus befiehlt dem Vater seinen "Geist" (Luk. 23,46), ebenso
Stephanus Christo (Apg. 7,58), und darunter verstehen sie nichts anderes, als daß, wenn die Seele
aus dem Sklavenhaus des Fleisches erlöst ist, Gott immerdar ihr Hüter sei. Einige meinen zwar, die
Seele hieße "Geist", weil sie ein Hauch oder eine Kraft von Gott sei, die er den Körpern
eingeflößt habe und die selbst kein eigenes Wesen besitze. Aber die Sache selbst wie auch die
ganze Schrift zeigt, daß dies grober Unsinn ist. Gewiß, weil die Menschen gar zu sehr an der Erde
hängen, so werden sie schwachsichtig, ja, in ihrer Entfremdung von dem Vater des Lichts in
Finsternis verblendet, so daß sie kaum noch ein Fortleben nach dem Tode anzunehmen vermögen. Aber
unterdessen ist das Licht noch nicht so sehr in der Finsternis erloschen, daß sie nicht eine Ahnung
der Unsterblichkeit berührte! Denn das Gewissen, das in seiner Unterscheidung zwischen Gut und
Böse dem Gericht Gottes entspricht, ist ein unbezweifelbares Zeichen für die Unsterblichkeit des
Menschengeistes (immortalitatis spiritus). Wie sollte auch eine bloße Regung ohne jedes eigene
Wesen vor Gottes Richterstuhl dringen und aus der Gewißheit der Verschuldung heraus in Schrecken
geraten? Auch kann nicht etwa der Leib von der Furcht vor geistlicher Strafe ergriffen werden,
sondern die trifft bloß die Seele, und daraus folgt, daß sie ein eigenes Wesen besitzt. Ja, schon
die Erkenntnis Gottes beweist zur Genüge, daß ein Geist, der sich über die Welt erhebt,
unsterblich ist, weil zur Quelle des Lebens keine wesenlose Kraft vordringen könnte. Schließlich
ist doch auch des Menschen Gemüt so voller herrlicher Gaben, die laut zeugen, daß ihm etwas
Göttliches eingegraben sei – und diese Gaben sind allesamt Zeugnisse für die Unsterblichkeit.
Denn das Empfinden, das in den vernunftlosen Tieren wohnt, geht nicht über den Körper hinaus und
erstreckt sich wenigstens nicht weiter als bis auf die ihm unmittelbar sich darbietenden
Gegenstände. Der Menschengeist aber durchforscht in seiner Beweglichkeit Himmel und Erde und die
Geheimnisse der Natur, und wenn er alle Jahrhunderte mit Verstand und Gedächtnis (intellectu et
memoria) erfaßt hat, ordnet er alles einzelne ein, schließt aus dem Vergangenen das Zukünftige
– und beweist eben dadurch, daß im Menschen etwas verborgen liegt, das vom Leibe verschieden ist.
Wir können den unsichtbaren Gott und die Engel mit unserem Verstande denken; auch das steht dem
Körper keineswegs zu! Das Rechte, Gute, Anständige, das doch körperlichen Sinnen verborgen ist,
vermögen wir zu erfassen. Deshalb muß der Sitz solchen Erfassens der Geist sein. Selbst der
Schlaf, der den Menschen betäubt und ihm fast das Leben zu nehmen scheint, ist ein klarer Zeuge
für die Unsterblichkeit. Denn er drängt uns Gedanken an Dinge auf, die nie geschehen sind, ja,
selbst Ahnungen der Zukunft. Ich berühre diese Dinge nur kurz: selbst heidnische Schriftsteller
erheben sie gewaltig in glänzender Rede; bei den Frommen wird freilich die schlichte Erwähnung
genügen. Wäre die Seele nicht ein selbständiges Wesen, vom Körper unterschieden, so könnte die
Schrift nicht sagen, wir wohnten in Lehmhütten, wanderten im Tode aus dem Zelt des Fleisches
hinaus, zögen aus, was verweslich ist, um dann am Jüngsten Tage den Lohn davonzutragen, je nachdem
ein jeglicher gehandelt hat bei Leibesleben. Denn diese Schriftstellen und ähnliche, wie sie oft
genug vorkommen, unterscheiden die Seele doch gewiß ganz deutlich vom Leibe, ja, sie geben auch der
Seele den Namen "Mensch" und zeigen dadurch klar, daß sie der hervorragendste Teil ist.
Wenn dann Paulus die Gläubigen ermahnt, sie sollten sich reinigen von aller Unreinigkeit des
Fleisches und des Geistes (2. Kor. 7,1), so stellt er damit fest, daß es zwei Bereiche gibt, in
denen der Schmutz der Sünde wohnt. Auch dies: Petrus nennt Christum den "Hirten und Hüter der
Seelen" (1. Petr. 2,25), – und das wäre ja ganz verkehrt, wenn es nicht Seelen gäbe, an
denen er solches Amt ausüben könnte! Auch wäre es, wenn die Seele gar kein eigenes Wesen hätte,
sinnlos, daß er vom ewigen Heil der Seele spricht (1. Petr. 1,9), oder auch, daß er den Befehl
gibt, die Seelen zu reinigen, und sagt, die bösen Lüste stritten wider die Seele(1. Petr. 2,11).
Ungereimt wäre es dann auch, daß der Verfasser des Hebräerbriefs schreibt, die Hirten ständen
auf der Wacht, um Rechenschaft ablegen zu können über unsere Seelen (Hebr. 13,17). In derselben
Richtung geht es, daß Paulus Gott zum Zeugen "auf" seine "Seele" anruft (2.
Kor. 1,23); denn sie würde vor Gott gar nicht beschuldigt werden können, wenn sie nicht
straffähig wäre. Noch deutlicher drückt sich das in den Worten Christi aus, man solle den
fürchten, der, nachdem er den Leib getötet hätte, auch die Seele in das höllische Feuer werfen
könne (Matth. 10,28; Luk. 12,5). Und wenn der Verfasser des Hebräerbriefs unsere leiblichen Väter
von Gott unterscheidet, der "der Vater der Geister" ist (Hebr. 12,9), so konnte er die
eigene Wesenhaftigkeit der Seele gar nicht deutlicher behaupten. Wenn ferner die Seele nach ihrer
Befreiung aus dem Sklavenhause des Körpers nicht bestehen bliebe, so wäre es widersinnig, daß
Christus davon redet, die Seele des Lazarus genieße Freude in Abrahams Schoß, und anderseits, die
Seele des Reichen leide Pein in ihrer Qual (Luk. 16,22ff.). Dem stimmt wiederum Paulus bei, wenn er
sagt, wir wallten ferne vom Herrn, solange wir im Fleische wohnen, feine Gegenwart aber würden wir
außer dem Fleische genießen (2. Kor. 5,6.8). Ich will aber in dieser klaren Sache nicht zu
ausführlich reden. Nur noch dies: bei Lukas hören wir doch, daß es zu den Irrtümern der
Sadduzäer gehörte, das Dasein von Geistern und Engeln zu bestreiten (Apg. 23,8).
I,15,3 Ein zuverlässiger Beweis für diese Wahrheit liegt auch darin, daß es vom
Menschen heißt, er sei nachdem Ebenbilde Gottes geschaffen (Gen. 1,27). Nun strahlt gewiß auch am
äußeren Menschen Gottes Herrlichkeit hervor; aber der eigentliche Sitz jenes Ebenbildes liegt doch
zweifellos in der Seele. Ich leugne gewiß nicht, daß uns die äußere Gestalt, die uns von den
Tieren unterscheidet und trennt, zugleich auch mit Gott verbindet. Auch will ich mich nicht
ereifern, wenn jemand zum Ebenbild Gottes auch dies rechnet, daß, während die übrigen Lebewesen
mit gesenktem Haupte zur Erde blicken, "hohes Antlitz dem Menschen verliehn ward, den Himmel zu
schauen und zu den Sternen hinauf erhobene Blicke zu senden" (Ovid). Nur muß das fest bestehen
bleiben: das Bild Gottes, das an solch äußeren Merkmalen sichtbar hervorschimmert, ist geistlich.
Osiander nämlich – der nach Ausweis seiner Schriften auf verkehrte Weise klug war – bezieht das
Ebenbild Gottes so gut auf den Leib wie auf die Seele und wirft so Himmel und Erde durcheinander. Er
sagt, Vater, Sohn und Heiliger Geist stellten im Menschen ihr Ebenbild dar; denn Christus wäre auch
Mensch geworden, wenn Adam nicht gesündigt hätte. So wäre denn der Leib, den Christus einst
annehmen sollte, das Vor- und Urbild für die leibliche Gestalt gewesen, die damals (in der
Erschaffung des Menschen) gebildet wurde! Aber wo will Osiander finden, daß Christus (der doch
Mensch gewordene!) auch das Ebenbild des Geistes sei? Gewißlich leuchtet in der Person des Mittlers
die Herrlichkeit der ganzen Gottheit – aber wie sollte das ewige Wort zugleich Ebenbild des
Geistes genannt werden können, dem es doch in der (trinitarischen) Ordnung vorangeht? Zudem wird ja
die Unterscheidung zwischen Sohn und Geist aufgehoben, wenn Osiander den Sohn das Bild des Geistes
nennt! Auch möchte ich dann gerne von Osiander wissen, wieso denn eigentlich Christus im Fleische,
das er annahm, dem Geiste ähnlich sei, und mit was für Merkmalen oder Andeutungen er die
Ähnlichkeit mit ihm beweise. Aber auch das: "Lasset uns Menschen machen" (Gen. 1,26) ist
ja auch ein solcher des Sohnes – und nach Osiander müßte dieser dann sein eigenes Ebenbild sein,
was aller Vernunft zuwider wäre! Dazu kommt, daß – wenn man die Phantasien des Osiander
übernehmen wollte! – der Mensch nur nach dem Urbild und Vorbild des Menschen Christus
geschaffenworden wäre; und so wäre denn Christus, sofern er das Fleisch annehmen sollte, das
Urbild, aus welchem Adam genommen wurde. Die Schrift aber lehrt ganz anders: sie sagt, er sei zu
Gottes Ebenbild erschaffen worden! Andere verstehen die Sache so: Adam sei zum Ebenbilde Gottes
geschaffen worden, weil er Christus, der das einzige Ebenbild Gottes ist, gleichförmig war. Diese
spitzfindige Redeweise hat mehr Farbe; aber auch in ihr steckt nichts Ordentliches. Weiter herrscht
eine erhebliche Uneinigkeit über die Begriffe "Ebenbild" (imago) und "Gleichnis,
Ähnlichkeit" (similitudo). Die Ausleger suchen nämlich zwischen beiden Ausdrücken einen
Unterschied, der gar nicht da ist. Einzig ist "Gleichnis" zur näheren Erläuterung von
"Ebenbild" gesetzt. Erstlich wissen wir doch, daß bei den Hebräern Wiederholungen
üblich sind, die doch nur dasselbe zweimal sagen. Und zweitens ist auch in der Sache selbst
keinerlei Zweideutigkeit: der Mensch heißt Gottes "Ebenbild", weil er eben Gott
"ähnlich" ist! Daher machen sich die Leute lächerlich, die betreffs dieser Namen eine
spitzfindige Philosophie entwickeln. Die einen meinen, das Wort "Zelem" (also Ebenbild,
imago) beziehe sich auf das Grundwesen der Seele, während "Demuth" (d.h. Gleichnis,
Ähnlichkeit, similitudo) die Eigenschaften betreffe. Andere versuchen den Unterschied wieder anders
zu beschreiben. Die Sache ist doch so: Gott hat beschlossen, den Menschen "nach seinem
Ebenbilde" zu schaffen; dieser Ausdruck ist vielleicht etwas schwerverständlich; so wiederholt
er: "zum Gleichnis, zur Ähnlichkeit", als wollte er sagen: ich will einen Menschen
machen, der mich wie in einem Ebenbilde darstellt, und zwar vermöge der ihm eingeprägten Merkmale
der Ähnlichkeit! Deshalb setzt auch Mose, da er dieselbe Sache noch einmal erwähnt (Gen. 1,27),
zweimal "Ebenbild Gottes", ohne wieder "Ähnlichkeit" zu brauchen! Ganz
abgeschmackt ist es aber, wenn Osiander behauptet, es heiße hier nicht etwa bloß ein Teil des
Menschen, etwa die Seele mit ihren Fähigkeiten, Ebenbild Gottes, sondern der ganze Adam, der doch
seinen Namen von der Erde empfing, aus der er genommen war! Jeder verständige Leser wird mit mir
urteilen, daß dies eben abgeschmackt ist! Denn wenn auch der ganze Mensch sterblich genannt wird,
so ist deshalb die Seele doch nicht dem Tode unterworfen, und wenn anderseits der ganze Mensch ein
vernünftiges Wesen heißt, so bezieht sich Vernunft und verstand doch nicht auch auf seinen
Körper! Obgleich also der Mensch nicht die Seele ist, so ist es doch nicht widersinnig, wenn er um
seiner Seele willen Ebenbild Gottes genannt wird – wobei ich freilich an dem oben entwickelten
Grundsatz festhalte, daß sich Gottes Bild auf die ganze Vorzugsstellung erstreckt, welche die Natur
des Menschen gegenüber allen anderen Arten von Lebewesen genießt. Deshalb bezieht sich also dieser
Ausdruck (Ebenbild) auf die ursprüngliche Reinheit, die Adam besaß, als sein Verstand völlig
richtig war, seine Neigungen der Vernunft entsprachen, alle seine Empfindungen aufs beste geordnet
waren und er tatsächlich in seinen ausgezeichneten Gaben die Herrlichkeit seines Schöpfers
hervortreten ließ! Aber so gewiß der Sitz des göttlichen Ebenbildes vornehmlich in Gemüt und
Herz, in der Seele und ihren Anlagen sich befand, so wenig gab es irgend etwas an ihm,
einschließlich des Körpers, in dem nicht gewisse Fünklein davon aufgeleuchtet wären. Es treten
ja sicherlich in allen Teilen der Welt gewisse Andeutungen der Herrlichkeit Gottes hervor: wenn nun
aber Gottes Ebenbild im Menschen dargestellt ist, so liegt darin offenkundig ein stillschweigender
Unterschied beschlossen, der den Menschen über alle andere Kreatur hinaushebt und sozusagen von
deren großer Masse trennt. Nun ist gewiß auch nicht zu leugnen, daß die Engel zu Gottes Bild
geschaffen sind; denn nach Christi Zeugnis besteht ja unsere höchste Vollkommenheit darin, ihnen
gleich zu werden (Matth. 22,30). Aber Mose hat doch recht, wenn er an dieser besonderen Auszeichnung
Gottes Gnade gegen uns besonders preist, zumal da er ja bloß die sichtbaren Geschöpfe mit dem
Menschen vergleicht.
I,15,4 Indessen scheint mir die Beschreibung des Ebenbildes doch noch unvollkommen
zu sein, wenn nicht noch klarer hervortritt, was das denn für Anlagen sind, durch die der Mensch
sich auszeichnet und in denen man einen Spiegel der Herrlichkeit Gottes erkennen muß. Das kann man
aber am besten aus der Wiederherstellung der verderbten Natur erkennen. Denn Adam ist unzweifelhaft
mit seinem Abfall von Gott entfremdet worden. Selbst wenn wir also zugeben, das Ebenbild Gottes sei
in ihm nicht ganz erloschen oder zerstört worden, so war es doch derart verderbt, daß alles etwa
übrigbleibende nur grausige Entstellung war! wenn wir also das Heil wiedergewinnen, so beginnt das
mit der Erneuerung, die wir durch Christus empfangen, der ja auch aus dem Grunde der zweite Adam
heißt, weil er uns zu wahrer und bleibender Unschuld zurückbringt. Freilich stellt Paulus den
lebendigmachenden Geist, den Christus den Gläubigen zuteil werden läßt, der "lebendigen
Seele" gegenüber, zu welcher Adam geschaffen wurde (1. Kor. 15,45). Er zeigt damit, daß in
der Wiedergeburt ein reicheres Maß der Gnade liegt; aber er hebt damit doch nicht den zweiten
Hauptpunkt auf, nämlich daß der Zweck der Wiedergeburt darin besteht, daß uns Christus zum
Ebenbild Gottes erneuere. Deshalb spricht er an anderer Stelle auch aus, der neue Mensch werde
gemäß dem Ebenbilde dessen erneuert, der ihn geschaffen hat (Kol. 3,10). Dem entspricht auch die
Forderung: "Ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist" (Eph. 4,24). Jetzt
wollen wir zusehen, was Paulus vornehmlich unter dieser Erneuerung versteht. An erster Stelle nennt
er die Erkenntnis, an zweiter die rechtschaffene Gerechtigkeit und Heiligkeit. Daraus ergibt sich
nun, daß im Anfang das Ebenbild Gottes in der Erleuchtung des Geistes, in der Aufrichtigkeit des
Herzens und in der Vollkommenheit des ganzen Menschen zu erblicken war. Dabei gebe ich zu, daß
Paulus hier andeutend redet; aber der Grundsatz kann doch nicht umgestoßen werden: was in der
Erneuerung des Ebenbildes Gottes an erster Stelle steht, das muß auch in der Schöpfung selbst das
wesentlichste gewesen sein. Dahin gehört auch der Satz: "Nun aber spiegelt sich in uns allen
des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbe Bild ..."
(2. Kor. 3,18). Daraus können wir sehen: Christus ist das vollkommenste Ebenbild Gottes, ihm sollen
wir gleichgestaltet und dadurch derart erneuert werden, daß wir in wahrer Frömmigkeit,
Gerechtigkeit, Reinheit und Erkenntnis das Ebenbild Gottes tragen. Stellt man das fest, so ist es
mit jener Phantasterei des Osiander vom Urbild des Leibes von selbst vorbei. Die Stelle bei Paulus
aber, in welcher allein der Mann Ebenbild und Abglanz Gottes heißt und die Frau von dieser Würde
und Ehre ausgeschlofssen wird (1. Kor. 11,7), bezieht sich nach dem Zusammenhang offenbar auf die
bürgerliche Ordnung (ad ordinem politicum). Daß nun unter dem Ebenbilde, das wir erwähnten, alles
zu begreifen ist, was sich auf das geistliche, ewige Leben bezieht, das glaube ich ausreichend
gezeigt zu haben. Auch Johannes bezeugt es mit anderen Worten, wenn er sagt, das Leben, das im
Anfang im ewigen Worte war, sei das Licht der Menschen gewesen (Joh. 1,4). Denn er hat die Absicht,
die einzigartige Gnade Gottes zu rühmen, die den Menschen gegenüber allen sonstigen Lebewesen
auszeichnet, und ihn so von allem Gemeinen abzusondern, weil er ja nicht bloß das gewöhnliche
Leben erlangt hat, sondern noch dazu das Licht der Erkenntnis; und damit zeigt er zugleich, wieso
denn der Mensch zum Ebenbilde Gottes geschaffen worden ist. Das Ebenbild Gottes ist also die
ursprünglich hervorragende Stellung der menschlichen Natur, die in Adam vor dem Fall hell
erstrahlte, danach aber derart verderbt, ja schier zerstört worden ist, daß aus dem Untergang nur
noch Verworrenes, Verstümmeltes und Beflecktes übriggeblieben ist. Eben dieses Ebenbild wird
jetztin den Erwählten, sofern sie aus dem Geiste wiedergeboren sind, teilweise wieder sichtbar,
seinen vollen Glanz aber wird es im Himmel bekommen! Um recht zu erfahren, in welchen Stücken dies
Ebenbild Gottes besteht, müssen wir von den Fähigkeiten der Seele reden. Denn Augustins
gedankenspielerische Meinung, die Seele sei ein Spiegel der Dreieinigkeit, weil in ihr Verstand,
Wille und Gedächtnis wohnten, ist ohne Bestand (Von der Dreieinigkeit, Buch 10; Vom Gottesstaat,
Buch 11). Ebensowenig Zustimmung kann die Meinung finden, das Bild Gottes bestehe in der dem
Menschen übertragenen Herrschergewalt, als ob nur dies Merkmal eine Ähnlichkeit mit Gott enthalte,
daß der Mensch zum Erben und Besitzer aller Dinge eingesetzt ist. Denn Gottes Bild muß doch in und
bei, nicht aber außer dem Menschen gesucht werden, ja, es ist ein innerlicher Schatz der Seele.
I,15,5 Bevor ich weitergehe, muß ich aber noch gegen den Wahnwitz der Manichäer
angehen, den heutzutage Servet wieder zu erneuern versucht hat. Wenn es da heißt, Gott habe dem
Menschen einen lebendigen Odem in seine Nase gehaucht (Gen. 2,7), so meinten sie, die Seele sei ein
Ausfluß des Grundwesens Gottes, als ob also ein Teil der unermeßlichen Gottheit auf den Menschen
übergegangen sei! Es läßt sich nun aber leicht darlegen, was für grobe und schändliche
Widersinnigkeiten dieser teuflische Irrtum mit sich bringt. Denn wenn die Seele des Menschen ein
Ausfluß aus Gottes Wesen ist, so folgt, daß Gottes Natur der Veränderlichkeit und gar der
Leidenschaft unterworfen ist, ja sogar der Unwissenheit, niedrigen Begierden, der Schwäche und
allen Lastern! Denn es ist doch nichts unbeständiger als der Mensch, weil die widerstrebenden
Regungen seine Seele hin und her bewegen und in der verschiedensten Weise auseinanderzerren. Oft
täuscht ihn Unwissenheit, selbst den geringsten Anfechtungen unterliegt er, ja wir wissen, daß die
Seele selbst ein Sumpf und eine Herberge alles Schmutzes ist. Und das alles müßte man der Natur
Gottes zuschreiben, wenn man annehmen wollte, die Seele stamme aus Gottes Wesen oder sei ein
verborgener Ausfluß der Gottheit! Wer sollte sich bei einer solchen Ungeheuerlichkeit nicht
entsetzen! Zwar sagt uns Paulus mit Recht nach Aratus, wir seien "seines Geschlechts"
(Apg. 17,28). Aber doch nicht etwa im Wesen, sondern nach der Beschaffenheit – eben sofern uns
Gott mit göttlichen Gaben geziert hat! Auch ist es ja ausbündiger Unsinn, des Schöpfers Wesen zu
zerstückeln, daß jeder einen Teil besitze! Es muß also festgestellt werden: obwohl Gottes
Ebenbild der Seele eingeprägt ist, so ist sie doch geschaffen, ebenso wie die Engel. Schöpfung
aber ist nicht Ausfluß (göttlichen Wesens), sondern Anfang eines Wesens aus dem Nichts. Auch wenn
der Geist von Gott gegeben ist und, nachdem er aus dem Fleische ausgewandert, zu ihm zurückkehrt,
so kann man doch keineswegs gleich sagen, er sei aus Gottes Grundwesen (substantia) entnommen. Auch
in diesem Stück ist Osiander über all seinen Träumereien auf den gottlosen Irrtum verfallen,
Gottes Ebenbild im Menschen nicht ohne die wesenhafte Gerechtigkeit (sine essentiali justitia)
anzuerkennen, – als ob uns Gott in der unermeßlichen Kraft seines Geistes nur dann sich
gleichförmig machen könnte, wenn Christus wesenhaft in uns überginge! Mögen nun einige Leute
dieses Blendwerk auch noch so schon färben, – sie werden doch die Augen verständiger Leser nie
so verblenden, daß sie etwa den manichäischen Irrtum nicht herausmerkten. Auch wo Paulus von der
Erneuerung des Ebenbildes redet, da zeigen seine Worte deutlich, daß der Mensch nicht durch
Überfließen des Grundwesens (der "Substanz"), sondern durch die Gnade und Kraft des
Geistes Gott gleichgestaltet wird. Denn er sagt, daß wir, indem wir Christi Herrlichkeit anschauen,
gleichwie vom Geiste des Herrn in dasselbe Bild verwandelt werden (2. Kor. 3,18). Und dieser Geist
wirkt gewiß so in uns, daß er uns nicht etwa mit Gott gleichen Wesens macht!
I,15,6 Es wäre töricht, eine Bestimmung des Wesens der Seele von den Philosophen
zu entlehnen. Denn außer Platon hat sie fast keiner von ihnen wirklich als unsterbliches Wesen (substantia
immortalis) anerkannt. Zwar reden auch andere Sokratiker davon; aber keiner lehrt es deutlich, weil
keiner recht davon überzeugt war! Platons Meinung ist deshalb die richtigere, weil er Gottes
Ebenbild in der Seele erkennt. Andere heften ihre Kräfte und Anlagen (potentiae et facultates)
dermaßen an das gegenwärtige Leben, daß sie außer dem Körper schließlich nichts übriglassen.
Wir haben nun unserseits bereits gelehrt, daß die Seele unkörperlich ist. Nun ist zu beachten,
daß sie zwar nicht in einem bestimmten Raum eingeschlossen, aber dennoch mit dem Körper verbunden
ist und in ihm wie in einer Herberge wohnt. Nicht nur so, daß sie alle seine Teile belebt und seine
Organe für ihre Wirksamkeit geschickt und brauchbar macht, sondern sie übt die Vorherrschaft in
der Führung des Menschenlebens aus, und das nicht nur hinsichtlich der Pflichten des irdischen
Lebens, sondern um den Menschen zugleich zur Verehrung Gottes zu reizen. Obwohl das letztere in der
Verderbnis nicht deutlich zu bemerken ist, so bleiben doch die Spuren selbst den Lastern
eingedrückt. Woher haben denn die Menschen die große Sorge um ihren guten Namen als aus Scham?
Woher aber stammt wiederum die Scham anders als aus der Ehrfurcht vor dem, was recht ist? Und die
kommt wieder aus der Erkenntnis, daß sie dazu geboren sind, die Gerechtigkeit hochzuhalten –
worin der Keim der Religion eingeschloffen ist! Denn wie ohne allen Zweifel der Mensch zum Trachten
nach dem himmlischen Leben (ad caelestis vitae meditationem) geschaffen wurde, so wurde ihm auch
sicherlich eine Kenntnis davon mit eingepflanzt. Auch würde ja dem Menschen wahrlich der
herrlichste Gebrauch des Verstandes (intelligentia) abgehen, wenn ihm die Seligkeit unbekannt wäre,
deren Vollendung in der Vereinigung mit Gott besteht. Deshalb ist es auch die wichtigste Wirksamkeit
der Seele, nach dieser Seligkeit zu trachten, und je mehr einer danach strebt, Gott näher zu
kommen, desto mehr beweist er, daß er mit Vernunft begabt ist. Manche meinen, der Mensch habe
mehrere Seelen, eine empfindende und eine denkende. Aber obwohl sie scheinbar etwas der Wahrheit
Nahestehendes vorbringen, müssen wir doch ihre Meinung, weil ihre Gründe keine Beweiskraft haben,
ablehnen, sofern wir uns nicht mit leichtfertigen und unnützen Dingen plagen wollen. So sagen sie,
es sei ein großer Widerstreit zwischen den Regungen der Leibeswerkzeuge und dem vernünftigen Teil
der Seele. Als ob nicht auch die Vernunft selber mit sich uneinig wäre und ihre Erwägungen und
Beschlüsse wie feindliche Heere einander Schlachten lieferten! Aber diese Verworrenheit stammt doch
aus der Verderbnis der Natur, und deshalb ist es verkehrt, daraus, daß die Anlagen nicht das
gebotene Gleichmaß untereinander halten, gleich zu folgern, es gäbe (im Menschen) zwei Seelen.
Über diese Anlagen selbst feinsinnige Untersuchungen anzustellen, überlasse ich indessen den
Philosophen; uns kann zur Auferbauung der Frömmigkeit eine einfache Beschreibung genügen. Was sie
lehren, ist, das gebe ich zu, wahr und nicht bloß angenehm zu erfahren, sondern notwendig zu wissen
und von ihnen sehr geschickt zusammengebracht. Deshalb will ich keinen an ihrem Studium hindern, der
danach begierig ist. Ich gebe also zunächst zu, daß es fünf Sinne gibt, die Platon übrigens
Organe zu nennen vorzieht. Sie führen dem allgemeinen Empfinden (sensus communis) wie einem
Behältnis alle Gegenstände zu (Platon, Theaetet). Dann folgt die Phantasie (phantasia): sie
beurteilt das vom allgemeinen Empfinden Erfaßte. Danach kommt die Vernunft (ratio), der das
allgemeine Urteil zusteht. Und endlich das Gemüt (mens): es betrachtet mit festem und ruhigem
Blick, was die Vernunft im Fluge zu durchfliegen pflegt. Ebenso entsprechen dem Gemüt, der Vernunft
und der Phantasie als den drei erkennenden Fähigkeiten der Seele auch wiederum drei begehrende
Fähigkeiten: der Wille, welcher begehrt, was Gemüt und Vernunftihm darbieten; die Zürnkraft,
welche an sich reißt, was Vernunft und Phantasie darreichen, und die Begehrkraft, welche annimmt,
was ihr Phantasie und Sinne zuwerfen. Um diese Dinge sollte man sich nach meiner Meinung nicht gar
zu sehr kümmern – wie wahr oder zum mindesten wahrscheinlich sie auch sein mögen. Ich fürchte
nämlich, daß sie durch ihre Dunkelheit ohnehin mehr Verwirrung als Nutzen stiften könnten.
Mancher möchte wohl die Anlagen der Seele anders einteilen: in eine begehrende Anlage, die, zwar
selbst ohne Vernunft, doch der Vernunft und deren Leitung gehorsam ist, und eine verstehende, die
selbst der Vernunft teilhaftig wäre (so Aristoteles, Nik. Ethik, I,13). Ich erhebe dagegen keinen
wesentlichen Einspruch. Auch würde ich nicht die Annahme von drei Grundkräften, nämlich Sinnen,
Vernunft und Begehren, verwerfen (Aristoteles, Nik. Ethik, VI,2). Aber wir wollen lieber eine
Einteilung wählen, die jeder begreifen kann – die kann man freilich von den Philosophen
sicherlich nicht entlehnen! Denn wenn diese ganz schlicht reden wollen, so teilen sie die Seele in
Begehren und Denken ein und teilen dann wieder jedes in zwei Stücke. Den Verstand nennen sie
einerseits "beschaulich" (contemplativus), sofern er, mit der Erkenntnis allein zufrieden,
gar keinen Antrieb zum Handeln empfindet (Themistius, De anima ...) – was wieder Cicero mit dem
Begriff "Selbstgeist" (ingenium) meint ausdrücken zu können. Andererseits nennt man ihn
auch "praktisch" (practicus), sofern er nämlich vermöge der Erkenntnis des Guten und
Bösen den Willen in verschiedener Weise anregt. Darunter gehört auch das Wissen um die gute und
rechte Lebensführung. Das Begehren aber teilt man in Willen und Begierde (voluntas et
concupiscentia) ein. Dabei redet man vom Willen (bulesis), sofern der Trieb (den sie "horme"
nennen) der Vernunft gehorcht, von der leidenschaftlichen Begierde (pathos) dagegen, wo der Trieb
das Joch der Vernunft abschüttelt und ungebändigt ausbricht. In allen Fällen nimmt man also im
Menschen die Vernunft als das an, wodurch er sich selbst recht regieren könnte!
I,15,7 Aber eben weil die Philosophen nichts von der Verderbnis der Natur wissen,
wie sie aus der Strafe für den Abfall entsprungen ist, und weil sie auf diese Weise zwei sehr
verschiedene Zustände ("Stände", status) des Menschen aufs verkehrteste
durcheinanderwerfen, deshalb müssen wir von dieser Lehrart ein wenig abweichen. So stellen wir also
fest: in der Menschenseele sind zwei Vermögen (partes), die zu unserer jetzigen Lehraufgabe sehr
wohl passen, nämlich Verstand und Wille (intellectus et voluntas). Als Aufgabe des Verstandes
wollen wir ansehen: unter den Gegenständen zu unterscheiden, je nachdem ihnen Billigung oder
Mißbilligung zuzukommen scheint, als Aufgabe des Willens: das zu erwählen und dem nachzugehen, was
der Verstand für gut erkannt hat, das zu verachten und dem aus dem Wege zu gehen, was er verworfen
hat (so Platon im Phaidros). Dabei sollen uns die Kleinlichkeiten des Aristoteles nicht aufhalten,
der meint, das Gemüt (Verstand, mens) habe an sich gar keine Bewegung, sondern das Bewegende sei
das Wahlvermögen (electio), das er auch "begehrenden Verstand" nennt. Um nicht bei
überflüssigen Fragen zu verweilen, soll uns die Feststellung genügen, daß der Verstand sozusagen
der Führer und Lenker der Seele ist, der Wille dagegen stets auf seinen Wink achtet und sein Urteil
bei seinen Wünschen abwartet. In diesem Sinne lehrt der gleiche Aristoteles, im Begehren sei das
Fliehen und Nachjagen etwas Ähnliches wie das Verneinen und Bejahen im Gemüt (in mente, Nik.
Ethik, VI,2). Wie zuverlässig nun aber ferner diese Leitung des Verstandes über den Willen ist,
das werden wir später sehen. Hier wollen wir nur feststellen, daß in der Seele keine Fähigkeit zu
finden ist, die sich nicht mit Recht einer der beiden Grundvermögen (Verstand und Wille) zuordnen
ließe. So ordnen wir auch die Sinnesneigungen (sensus) dem Verstande unter; andere machen da eine
Unterscheidung und sagen, die Sinne neigten zum Vergnügen, während dagegen der Verstand dem Guten
folgte, so daß also aus der Regung desSinnes Begierde und Lust entstünde, aus der des Verstandes
aber der Wille. Anderseits verwende ich statt des Begriffs Begehrungsvermögen (appetitus), den jene
vorziehen, lieber den Ausdruck "Wille", weil er gebräuchlicher ist.
I,15,8 So hat also Gott die Menschenseele mit dem Verstande ausgerüstet, durch den
der Mensch Gut und Böse, Recht und Unrecht voneinander unterscheiden und im Voraufleuchten des
Lichts der Vernunft sehen soll, wem er nachjagen und vor was er fliehen muß. Deshalb haben die
Philosophen dieses Vermögen auch "führend" (to hegemonikόn) genannt. Dazu hat er
den Willen gefügt, dem die Entscheidung obliegt. Mit diesen herrlichen Gaben war der ursprüngliche
Zustand (prima conditio) des Menschen geschmückt, so daß ihm Vernunft, Verstand, Klugheit und
Urteilskraft (iudicium) nicht nur zur Führung des irdischen Lebens hinreichten, sondern ihn auch zu
Gott und der ewigen Seligkeit emporhoben. Dazu kam dann die Wählkraft (electio), die die
Begehrungen lenkte und alle sinnlichen Regungen beherrschte, so daß also der Wille in voller
Übereinstimmung mit der Leitung des Verstandes war. In dieser ursprünglichen Reinheit war der
Mensch im Besitz des freien Willens, so daß er das ewige Leben erlangen konnte, wenn er wollte. An
dieser Stelle die Frage nach der verborgenen Prädestination Gottes zu stellen, wäre voreilig; denn
es handelt sich hier nicht darum, was geschehen konnte und was nicht, sondern wie die Natur des
Menschen tatsächlich beschaffen war. Adam konnte also in seiner ursprünglichen Unschuld bestehen,
wenn er wollte; denn er fiel ja nur durch seinen eigenen Willen. Da allerdings sein Wille in jeder
Richtung sich neigen konnte und ihm die Beständigkeit zur Beharrung nicht gegeben war, deshalb fiel
er so leicht. Trotzdem, seine Entscheidung über Gut und Böse war frei, und nicht nur dies: in
Verstand und Willen herrschte vollkommene Rechtschaffenheit, und alle sinnlichen Fähigkeiten waren
fein zum Dienst eingerichtet – bis er sich selber verdarb und darüber seine Vorzüge verlor.
Daher aber kommt nun diese große Finsternis, die die Philosophen umgibt: sie suchen unter Trümmern
das Gebäude und unter der Zerrüttung die passenden Fugen! Als Grundsatz hielten sie fest, der
Mensch sei kein vernünftiges Wesen, wenn er nicht die freie Entscheidung zwischen Gut und Böse
hätte, auch kam ihnen in den Sinn, der Unterschied zwischen Tugend und Laster werde hinfällig,
wenn der Mensch sein Leben nicht nach eigener Bestimmung ordne. Bis dahin war alles richtig –
wäre nur im Menschen keine Veränderung eingetreten! Diese aber kannten sie nicht – und so ist es
kein Wunder, daß sie Himmel und Erde durcheinanderwarfen! Wer sich aber als Jünger Christi bekannt
hat und trotzdem bei dem verlorenen und dem geistlichen Elend verfallenen Menschen noch den freien
Willen sucht, auf diese Weise also zwischen der Meinung der Philosophen und der himmlischen Lehre
sich teilt, der geht ganz in der Irre und verfehlt den Himmel und die Erde! Aber darüber findet
sich an geeigneterer Stelle Besseres. Jetzt muß nur dies festgehalten werden: der Mensch ist in
seiner Erschaffung, am Anfang, etwas völlig anderes gewesen als alle seine Nachfahren; denn sie
haben ihren Ursprung im gefallenen Menschen und haben von ihm die Verderbnis zum Erbe empfangen.
Denn es waren ja alle Anlagen der Seele recht geschaffen, die Gesundheit der Seele bestand, dazu ein
Wille, der frei war, das Gute zu erwählen! (Augustin, Über die Genesis, II,7). Es könnte freilich
jemand einwenden, der Wille sei wegen seiner Schwäche sozusagen auf das Schlüpfrige gesetzt
worden. Aber seine Stellung (in der ursprünglichen Reinheit) genügt doch schon allein, alle
Entschuldigung zu beheben; auch konnte doch Gott nicht das Gesetz aufgezwungen werden, einen
Menschen zu schaffen, der überhaupt nicht sündigen konnte noch wollte. Gewiß wäre ein solches
Wesen noch vortrefflicher gewesen; aber es wäre doch mehr als ungerecht, über dergleichen mit Gott
zu rechten, als ob er es dem Menschen hätte gewähren müssen; denn es stand in seinem freien
Ermessen, ihm zu geben, wieviel er wollte. Warum er ihn aber nicht mit derKraft der Beharrlichkeit (perseverantiae
virtute) unterstützt hat, das ist in seinem Ratschluß verborgen – unsere Aufgabe ist, in
Nüchternheit klug zu sein! Der Mensch besaß eben das Können, wenn er wollte, aber nicht das
Wollen, um zu können – denn solchem Wollen wäre die Beharrlichkeit gefolgt (Augustin, Von
Züchtigung und Gnade, 11,32). Entschuldbar ist er trotzdem nicht; denn er hatte soviel empfangen,
daß er sich das Verderben aus freien Stücken zuzog. Aber für Gott gab es kein Gesetz, ihm einen
anderen als solchen in der Mitte stehenden, wandelbaren Willen zu geben; er wollte selbst aus seinem
Fall einen Anlaß nehmen, seine Herrlichkeit zu erzeigen.
Gott erhält und schützt die von ihm erschaffene Welt und regiert sie bis ins
einzelne mit seiner Vorsehung.
I,16,1 Gott zu einem Schöpfer für den Augenblick zu machen, der sein Werk ein für
allemal hinter sich gebracht hätte, wäre eine kalte und unfruchtbare Sache; und wir sollen uns
gerade darin von den Weltmenschen unterscheiden, daß uns die Gegenwart der Kraft Gottes im
fortdauernden Bestehen der Welt ebenso hell entgegenleuchtet, wie in ihrem Ursprung. Gewiss zwingt
der Anblick von Himmel und Erde auch die Gottlosen, ihre Seele zum Schöpfer zu erheben. Aber der
Glaube hat doch seine eigene Art, Gott den ungeteilten Lobpreis für die Schöpfung darzubringen.
Dazu gehört das Apostelwort, das wir oben anführten, nur im Glauben erkennten wir, daß die Welt
durch Gottes Wort fertig geworden sei (Hebr. 11,3). Denn wir begreifen erst dann, was es heißt,
daß Gott der Schöpfer ist, wenn wir auch seine Vorsehung mit erfassen, mögen wir sonst auch den
Anschein erwecken, es im Gemüt zu verstehen und mit der Zunge zu bekennen. Der Sinn des Fleisches
bleibt, wenn er sich einmal Gottes Kraft in der Schöpfung vorgestellt hat, dabei stehen; geht er
sehr weit, so erwägt und betrachtet er höchstens die Weisheit, Macht und Güte des Meisters, der
solch herrliches Werk geschaffen hat – denn das zeigt sich ja alles von selbst und drängt sich auch
dem Widerstrebenden auf! Aber in der Erhaltung und Leitung dieses Werkes sieht er bloß eine
allgemeine Kraft wirksam, von der die Bewegung ausgeht. Schließlich meint er (der Sinn des
Fleisches), zur Erhaltung aller Dinge genüge die Kraft, die Gott der Welt im Anfang mitgegeben hat.
Der Glaube dagegen muß höher dringen; denn er soll wissen: der, den er als den Schöpfer aller
Dinge kennen gelernt hat, der ist auch ihr ständiger Lenker und Erhalter, und zwar geschieht diese
Erhaltung nicht dadurch, daß er das ganze Weltgebäu wie auch seine einzelnen Teile bloß allgemein
in Bewegung erhält; nein, er trägt, nährt und umsorgt in besonderer Vorsehung jedes einzelne, das
er geschaffen hat, bis zum geringsten Sperling. So hören wir es bei David: gerade hat er kurz
ausgesprochen, daß die Welt von Gott geschaffen sei, da kommt er sogleich auf den fortwährenden
Gang seiner Vorsehung zu sprechen. "Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht, und all
sein Heer durch den Geist seines Mundes" (Ps. 33,6), heißt es zunächst, und dann fügt er
bald noch hinzu: "Der Herr schauet ... auf aller Menschen Kinder ..." (Ps. 33,13); auch
die weiteren Verse haben den gleichen Sinn. Es wäre, obwohl hier nicht alle vernünftig nachdenken,
doch völlig undenkbar, daß Gott alle menschlichen Geschicke lenke, wenn er nicht der Schöpfer der
Welt wäre. Und anderseits kann niemand im Ernste glauben, daß die Welt von Gott gemacht ist, ohne
zugleich überzeugt zu sein, daß Gott für seine Geschöpfe sorgt. Eben deshalb ist es in bester
Ordnung, wenn David uns beides nacheinander zeigt. Im allgemeinen lehren auch die Philosophen und
begreift es der Menschengeist, daß alle Teile der Welt gewissermaßen durch eine geheime Eingebung
Gottes Bestand haben. Indessen vermögen sie nicht zu der Höhe vorzudringen, zu der David gelangt
und zu der er alle Frommen mit hinaufführt: "Es wartet alles auf dich, Herr, daß du ihnen
Speise gebest zu seiner Zeit; du gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie
mit Gut gesättigt; verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; du nimmst weg ihren Odem, so
vergehen sie und werden wieder zu Staub; du lässest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und
du erneuerst die Gestalt der Erde" (Ps. 104,27ff.). Mögen die Philosophen auch dem Satz des
Paulus zustimmen: "in ihm leben, weben und sind wir" (Apg. 17,28), so sind sie doch weit
entfernt vom lebendigen Empfinden der Gnade, die er preist, weil sieGottes besondere Fürsorge, aus
der doch seine väterliche Huld zu erkennen ist, gar nicht schmecken.
I,16,2 Damit dieser Gegensatz noch deutlicher werde, müssen wir wissen, daß Gottes
Vorsehung, wie sie in der Schrift gelehrt wird, im Gegensatz zu jedem Gedanken an "Glück"
und "Zufall" steht. Man hat zwar schon zu allen Zeiten allgemein gewähnt, und auch
heutzutage herrscht fast unter allen Sterblichen die Meinung, es geschehe alles
"zufällig". Aber durch eine derartige verkehrte Meinung wird ganz gewiss das, was man von
der Vorsehung wissen muß, vernebelt und fast gar begraben. Da fällt einer unter die Räuber oder
in die Gewalt wilder Tiere, da führt ein plötzlicher Sturm zum Schiffbruch auf dem Meer, da wird
einer unter den Trümmern eines Hauses oder unter einem umbrechenden Baum erschlagen, – da findet
ein anderer, der durch die Wüste geirrt, doch noch etwas, um seinen Hunger zu stillen, oder ein
Schiffbrüchiger erreicht den Hafen, oder es entgeht einer um Fingersbreite wunderbar dem Tode: all
diese glücklichen oder unglücklichen Ereignisse schiebt die Vernunft des Fleisches dem Zufall zu!
Wer aber aus Christi Mund gelehrt ist, daß auch die Haare auf unserem Haupte alle gezählt sind,
der sieht den Grund tiefer und hält daran fest, daß alles Geschehen durch Gottes verborgenen Rat
regiert wird! Bei den leblosen Dingen müssen wir uns das so vorstellen: jedes hat gewiss von Natur
seine Eigenart in sich; aber keines kann seine Kraft wirken lassen, wenn es nicht durch Gottes
gegenwärtige Hand gelenkt wird. Sie sind also nichts anderes als Werkzeuge, denen Gott mit Bedacht
soviel Kraft bescheidet, wie er will, und die er nach seinem Ermessen zu dieser oder jener
Wirksamkeit lenkt und leitet. So hat kein Geschöpf eine wundersamere und herrlichere Kraft als die
Sonne. Abgesehen noch davon, daß sie den ganzen Erdkreis mit ihrem Glanz erhellt: wie großartig
ist es doch, daß sie mit ihrer Wärme alles Lebendige erhält und belebt, mit ihren Strahlen die
Erde fruchtbar macht, den Samen im Schoß der Erde erwärmt, dann das Grün aus ihm hervorlockt, ihn
mit neuer Nahrung erquickt, nährt und stärkt, bis er zum Halm erwächst, ihn weiterhin immerzu mit
Tau speist, bis er zur Blüte und dann zur Frucht wird, diese dann wieder unter ihrer Hitze reifen
läßt – daß die Bäume und Weinstöcke unter ihrer Wärme knospen und Laub tragen, blühen und
Frucht bringen! Aber der Herr hat, damit ihm allein der rechte Lobpreis für das alles zukomme,
dafür gesorgt, daß zuerst das Licht da war und die Erde mit aller Art von Kräutern und Früchten
erfüllt wurde – bevor er die Sonne schuf! (Gen. 1,3.11). Deshalb soll der Fromme die Sonne nicht
zur Hauptursache oder zum notwendigen Grunde von Dingen machen, die doch schon vor ihrer Erschaffung
da waren, sondern er soll sie bloß als Werkzeug ansehen, das Gott braucht, weil er es so will! Denn
er kann ja ebenso leicht ohne sie, rein aus sich selber handeln! Und wenn wir lesen, die Sonne habe
auf Josuas Gebet hin zwei Tage stillgestanden (Jos. 10,13), oder ihr Schatten sei dem König Hiskia
zugute zehn Grade rückwärtsgegangen (2. Kön. 20,11), so hat Gott durch diese wenigen Wunder
bezeugt: die Sonne geht nicht in blindem Naturtrieb alle Tage auf und unter; nein, er lenkt ihren
Lauf, um die Erinnerung an seine väterliche Huld gegen uns immer wieder zu erneuern! Nichts
Natürlicheres gibt es, als daß dem Winter der Frühling, dem Frühling der Sommer, dem Sommer der
Herbst folgt. Aber in dieser Aufeinanderfolge besteht eine derartige Verschiedenheit und
Ungleichheit, daß daraus leicht deutlich wird, daß die einzelnen Jahre, Monate und Tage je in
neuer, besonderer Vorsehung Gottes geordnet und regiert werden.
I,16,3 So will sich Gott fürwahr die Allmacht zueignen und sie von uns anerkannt
wissen. Das ist freilich nicht jene leere, müßige und fast schlummernde "Allmacht", die
sich die Sophisten erdacht haben, sondern sie ist wachsam, tätig und wirksam und stets im Handeln
begriffen. Sie ist auch nicht etwa bloß der allgemeine Beginn einer verworrenen Bewegung, als wenn
er einen Fluss innerhalb der einmal festgesetzten Ufer dahinfließen ließe; sondern sie wirkt auf
die einzelnen und besonderen Bewegungen allesamt. Er heißt allmächtig, nicht weil er zwar alles
vermöchte, aber doch zwischendurch zuweilen ruhte oder aufhörte oder den einmal festgelegten
Naturlauf (naturae ordo) auf Grund des allgemeinen Antriebs, den er ihm verliehen, nun weiterwirken
ließe. Nein, er heißt deshalb allmächtig, weil er Himmel und Erde mit seiner Vorsehung lenkt und
alles so einrichtet, daß nichts ohne seinen Willen geschieht. Denn wenn es im Psalm heißt:
"Er kann machen, was er will" (Ps. 115,3), so wird damit sein Wille als fest und
wohlüberlegt bezeichnet. Es wäre nämlich töricht, wenn man nach der Weise der Philosophen dieses
Prophetenwort dahin auslegen wollte, Gott sei der Erstantrieb (primum agens), da er ja Anfang und
Ursache aller Bewegung ist. Vielmehr freuen sich doch die Gläubigen im Unglück in der tröstlichen
Gewissheit, daß ihnen nichts widerfährt ohne Gottes Anordnung und Befehl, weil sie ja in seiner
Hand sind. Erstreckt sich also Gottes Leitung auf alle seine Werke, so ist es kindisches Geschwätz,
sie in den Lauf der Natur einzuschließen. Denn wer Gottes Vorsehung in so enge Grenzen
hineinzwängen will, als ob er alles nach seinem freien Lauf dem stetigen Gesetz der Natur (naturae
lex) überließe, der beraubt Gott seiner Ehre und ebenso sehr sich selbst einer sehr nützlichen
Einsicht; denn nichts wäre jämmerlicher als der Mensch, wenn er einfach allen Bewegungen des
Himmels, der Luft, der Erde und des Wassers ausgesetzt wäre! Außerdem würde ja auf diese Weise
die besondere Güte Gottes gegen jeden einzelnen aufs unwürdigste verkleinert! Ruft doch David aus,
selbst die jungen Kinder, die noch an der Mutter Brust hängen, seien wohl fähig, Gottes Ruhm zu
verherrlichen (Ps. 8,3); denn wenn sie kaum der Mutter Leib verlassen haben, so finden sie ja schon
die Nahrung, die ihnen himmlische Fürsorge bereitet hat! Es ist doch ganz allgemein wahr, nur
müssen wir auch nicht mit unseren Augen und Sinnen an dem vorbeigehen, was doch die Erfahrung
deutlich zeigt: die eine Mutter kann ihr Kindlein reichlich nähren, die andere weniger, je nachdem
Gott das eine Kindlein kräftig, das andere bescheidener mit Nahrung versehen will. Wer nun Gottes
Allmacht das ihr zukommende Lob zollt, der hat einen doppelten Segen davon: Erstens erkennt er, daß
Gott unerschöpflich wohlzutun vermag, da er ja Himmel und Erde in Besitz hat und da alle Geschöpfe
auf seinen Wink schauen, um ihm Gehorsam zu leisten. Zweitens erfährt er, daß man in seinem
Schutze sicher ruhen kann; denn seinem Willen ist ja alles unterworfen, was sonst als schädlich zu
fürchten wäre; sein Befehl hält den Satan mit all seinem Heer und all seiner List wie an einem
Zügel in der Gewalt, und von seinem Wink hängt auch ab, was unserem Heil zuwider ist! Nur dadurch
kann die maßlose und abergläubische Angst, die wir zuweilen gegenüber Gefahren empfinden,
gemäßigt und gestillt werden. Ich sagte, es sei abergläubisch, wenn wir Angst haben, wenn wir,
sooft uns Geschöpfe bedrohen oder Furcht einflößen, alsbald erschrecken, als ob sie aus sich
selber Kraft oder Macht hätten, uns zu schaden, oder von selbst oder aus Zufall uns verletzen
könnten, oder als ob gegen ihre Anfeindungen nicht Hilfe genug bei Gott wäre! So gebietet zum
Beispiel der Prophet, die Kinder Gottes sollten sich nicht vor den Sternen und den Zeichen am Himmel
fürchten, wie das die Ungläubigen tun (Jer. 10,2). Damit verdammt er gewiss nicht etwa jede
Furcht. Aber wenn die Ungläubigen die Leitung der Welt Gott nehmen und den Gestirnen beilegen und
sich einbilden, ihr Glück und Unglück hänge von Bestimmung oder Vorbedeutung der Gestirne und
nicht von Gottes Willen ab, dann wird eben ihre Furcht von dem Einen, auf den sie schauen sollten,
zu den Sternen und Kometen abgelenkt, wer sich vor solchem Unglauben hüten will, der soll sich
stets vorhalten, daß die Geschöpfe keinerlei ungeordnete Macht, Wirksamkeit oder Bewegung in sich
tragen, sondern daß sie aus Gottes geheimem Rat so regiert werden, daß nichts geschieht, was nicht
nach seinem Wissen und Willen beschlossen wäre.
I,16,4 Vorsehung – das muß der Leser festhalten – bedeutet also nicht, daß Gott
müßig im Himmel betrachtete, was auf Erden vor sich geht, sondern im Gegenteil, daß er
gewissermaßen das Ruder hält und also alle Ereignisse lenkt. Sie bezieht sich also auf die Hand
Gottes nicht weniger als auf sein Auge, wenn Abraham zu seinem Sohne sagte: "Gott wird’s
versehen" (Gen. 22,8), so wollte er damit nicht nur behaupten, Gott sähe zukünftige
Geschehnisse voraus, sondern er wollte vielmehr die Sorge um die ungewisse Zukunft auf den Willen
dessen werfen, der stets verwickelten und verworrenen Dingen einen Ausgang zu geben weiß. Daraus
folgt, daß die Vorsehung Gottes in seinem Wirken besteht, und deshalb ist es unklug, wenn einige
von einem bloßen Vorherwissen Gottes schwatzen. Nicht gar so grob ist der Irrtum derer, die Gott
zwar die Regierung zuschreiben, aber eine (mit den "anderen" Mächten)
durcheinandergebrachte und verworrene, wie ich schon erwähnt habe. Danach würde er zwar das
Weltgebäude mit allen seinen Teilen in allgemeiner Bewegung lenken und treiben, aber nicht etwa die
Wirksamkeit jeder einzelnen Kreatur besonders regieren. Nichtsdestoweniger ist auch dieser Irrtum
untragbar; denn man erklärt, diese Vorsehung, die man "allgemein" nennt, hindere
keineswegs die Geschöpfe in ihrer zufälligen Bewegung und auch nicht den Menschen, sich in freiem
Willensentscheid da- oder dorthin zu wenden. Auf diese Weise teilt man zwischen Gott und dem
Menschen. Gott soll dem Menschen durch seine Kraft die Bewegung verleihen, vermöge deren dieser
dann nach der Beschaffenheit der ihm innewohnenden Natur tätig sein könnte – der Mensch aber
könnte seine Handlungen nach seinem freien Entschluss bestimmen! Man meint also kurz, die Welt, das
Geschick des Menschen und der Mensch selbst würden zwar durch Gottes Macht, nicht aber durch seine
Bestimmung regiert! Da übergehe ich die Epikuräer – von dieser Pest war die Welt je und je
erfüllt! -, die sich einen müßigen und faulen Gott erträumen, auch andere, die keineswegs
vernünftiger waren, die einst meinten, Gott beherrsche nur die mittlere Luftregion und überließe
dabei das darunter vorgehende dem Schicksal – denn gegen einen derart offenkundigen Wahnsinn erheben
schon die stummen Geschöpfe genugsam Einspruch! Ich will nämlich hier die ganz allgemein
verbreitete Meinung widerlegen, die Gott irgendeine sozusagen verworrene Bewegkraft zuschreibt und
ihm dadurch das Wesentlichste raubt, nämlich daß er alles in seiner unausforschlichen Weisheit zu
seinem Zweck lenkt und leitet. Diese Meinung macht Gott bloß den Worten nach, nicht aber
tatsächlich zum Regierer der Welt; denn sie nimmt ihm ja gerade die eigentliche Leitung! Was soll
denn Regieren eigentlich anders heißen, als daß man einer Sache so vorsteht, daß man auch in
bestimmter Ordnung lenkt, was man beherrscht? Die Redewendung von der "allgemeinen"
Vorsehung will ich trotzdem nicht ganz ablehnen; nur muß man mir dann anderseits zugestehen, die
Welt werde von Gott gelenkt, insofern er nicht nur die von ihm der Natur gesetzte Ordnung
aufrechterhält, sondern auch die besondere Fürsorge für jedes einzelne seiner Werke ausübt! Denn
es ist schon wahr, daß die einzelnen Gattungen sich aus verborgenem Naturtrieb (arcano naturae
instinctu) bewegen, als ob sie einem ewigen Befehl Gottes gehorchten und als ob nun von selbst
abliefe, was Gott einmal geordnet hat. Dahin kann man auch deuten, daß Christus bezeugt, er und der
Vater seien vom Anfang an immerdar am Werke (Joh. 5,17), daß Paulus lehrt: "In ihm leben,
weben und sind wir" (Apg. 17,28), oder daß der Verfasser des Hebräerbriefs, um Christi
Gottheit zu beweisen, sagt, durch sein mächtiges Wort werde alles erhalten (Hebr. 1,3). Aber es ist
völlig verkehrt, wenn man unter diesem Vorwande die "besondere" Vorsehung verdunkeln
will, die doch von so gewissen und klaren Schriftzeugnissen behauptet wird, daß man sich wundern
muß, daß daran überhaupt jemand hat zweifeln können. Tatsächlich müssen ja auch solche, die
jene Decke vorhängen, zur Richtigstellung ihres Irrtums selbst hinzufügen, es geschehe vieles aus
besonderer Fürsorge Gottes heraus; aber das beschränken sie verkehrterweise bloß auf einzelne
Akte. Wir wollen also festhalten: Gottes Walten geschieht so, daß er alle einzelnen Geschehnisse
lenkt, und so kommt alles aus seinem bestimmten Ratschluss; es geschieht also nichts aus
"Zufall"!
I,16,5 Geben wir zu, der Anfang der Bewegung liege bei Gott, danach aber werde alles
vom Zufall gelenkt, wohin die natürliche Neigung es treibt, so ist ja der Wechsel von Tag und
Nacht, Winter und Sommer Gottes Werk, sofern er ihnen Lauf und Aufgabe angewiesen und ihnen ein
bestimmtes Gesetz gegeben hat. Das träfe jedenfalls zu, wenn alles in gleichem Ablauf immer die
gleiche Ordnung hielte: die Tage in ihrer Aufeinanderfolge mit den Nächten, die Monate mit den
Monaten, und die Jahre mit den Jahren. Wenn aber bald unmäßige Hitze und Dürre alle Frucht
verbrennt, bald unzeitige Regengüsse die Saaten verderben, wenn Hagel und Sturm plötzliche
Katastrophen hervorrufen, dann wäre das nicht Gottes Werk – oder doch nur insofern, als Wolken und
heiterer Himmel, Kälte und Hitze aus der Stellung und dem Lauf der Gestirne oder aus anderen
natürlichen Ursachen ihren Ursprung herleiten. Aber auf solche Weise bleibt weder für Gottes
väterliche Huld, noch für seine Gerichte Raum. Sagt man, Gott erweise dem Menschengeschlecht doch
schon dadurch genugsam seine Güte, daß er Himmel und Erde die geordnete Kraft eingebe, um die
Nahrungsmittel hervorzubringen, so ist das ein nichtiger und gottferner Wahn – als ob die
Fruchtbarkeit eines Jahres nicht Gottes besonderer Segen, der Mangel und der Hunger nicht sein Fluch
und seine Vergeltung wäre! Aber es würde zu weit führen, alle Gründe aufzuzählen; es soll uns
darum Gottes eigene Autorität genügen. Im Gesetz und in den Propheten verkündet er öfters, wenn
er mit Tau und Regen die Erde netze, so bezeuge er dadurch seine Gnade, wenn anderseits der Himmel
auf seinen Befehl wie Eisen erstarre, wenn Rost und andere Schäden die Saaten verzehrten, wenn
Hagel und Sturm die Felder verwüsteten, so sei das ein Zeichen seiner gewissen, besonderen
Vergeltung. Wenn wir das annehmen, so ist uns klar, daß nicht ein Regentropfen ohne Gottes gewissen
Befehl hernieder fällt. So lobt David Gottes "allgemeine" Vorsehung, daß er den jungen
Raben Speise gebe, die ihn anrufen (Ps. 147,9). Aber wenn Gott anderseits selbst den Tieren mit
Hunger droht, erklärt er dann nicht genugsam, daß er bald in geringerem, bald in reichlicherem
Maße, je nach seinem Wohlgefallen, alles Lebendige versorgt und nährt; es ist, wie ich schon
sagte, kindisch, wenn man das auf einzelne Akte einschränken will; Christus selber sagt ja ohne
Ausnahme, nicht einmal ein wertloser Sperling falle zur Erde ohne des Vaters Willen (Matth. 10,29).
Wahrlich, wenn Gott den Flug der Vögel mit bestimmtem Ratschluss lenkt, so müssen wir mit dem
Propheten bekennen: "Wer ist wie der Herr, unser Gott, der sich so hoch gesetzt hat und auf das
Niedrige sieht im Himmel und auf Erden?" (Ps. 113,5f.).
I,16,6 Aber wir wissen, daß die Welt vornehmlich um des Menschengeschlechts willen
geschaffen worden ist: diesen Zweck müssen wir auch im Auge behalten, wenn wir über die
Weltregierung nachdenken. Der Prophet Jeremia ruft aus: "Ich weiß, Herr, daß des Menschen Tun
steht nicht in seiner Gewalt, und stehet in niemandes Macht, wie er ... seinen Gang richte."
(Jer. 10,23). Und Salomo sagt: "Jedermanns Gänge kommen von dem Herrn; welcher Mensch versteht
seinen Weg?" (Spr. 20,24). Nun soll man hingehen und sagen, der Mensch werde zwar von Gott
bewegt gemäß der Neigung seiner Natur, aber er lenke diese Bewegung, wohin er selbst wolle! Wäre
das recht geredet, so stände dem Menschen die Entscheidung über seine Wege zu! Dies wird man
vielleicht verneinen, weil ja der Mensch nichts ohne Gottes Macht ausrichten könne. Aber der
Prophet und Salomo legen Gott ja nicht nur die Macht, sondern auch die Entscheidung und Bestimmung
bei, und deshalb hilft jener Einwand nichts. Auch noch an anderer Stelle straft Salomo feinsinnig
diese Vermessenheit des Menschen, der sich ohne Rücksicht auf Gott ein Ziel vorsetzt, als ob er
nicht von seiner Hand geführt würde: "Der Mensch setzt sich’s wohl vor im Herzen, aber vom
Herrn kommt, was die Zunge reden soll" (Spr. 16,1). Es ist gewiss eine lächerliche Torheit,
wenn elende Menschen ohne Gott handeln wollen, die doch nicht einmal reden können ohne seinen
Willen! Um ferner noch deutlicher auszudrücken, daß nichts in der Welt ohne seine Bestimmung
geschieht, zeigt die Schrift, daß ihm gerade das unterworfen ist, was ganz zufällig scheint. Was
wird man mehr dem Zufall zurechnen, als wenn ein Ast vom Baume bricht und dabei einen
vorübergehenden Wanderer erschlägt? Aber der Herr sagt ganz im Gegenteil, er habe ihn in die Hand
dessen fallen lassen, der ihn töte (Ex. 21,13). Wer wird nicht den Loswurf dem blinden Glück
zuschreiben? Aber auch das leidet der Herr nicht, der sich auch darüber die Entscheidung
vorbehalten hat. Denn er lehrt nicht bloß, es geschehe durch seine Macht, daß die Lossteinchen in
den Schoß geworfen und wieder herausgezogen würden, nein, gerade das, was man doch fast allein dem
Glück zuschreiben möchte, ist nach seinem Zeugnis von ihm her! (Spr. 16,33). Dahin gehört auch
das Wort des Salomo: "Arme und Reiche begegnen einander, beider Augen erleuchtet der Herr"
(Spr. 29,13). Denn es sind in der Welt die Reichen unter die Armen gemischt, weil ja von Gott her
jedem seine Stellung zugewiesen wird; und deshalb erinnert Salomo daran, daß Gott, der ihnen allen
das Licht gebe, nicht etwa selbst sein Auge verschließe, und er ermahnt auf diese Weise die Armen
zur Geduld, weil die, welche mit ihrem Los unzufrieden sind, die ihnen von Gott auferlegte Last
abzuschütteln suchen. So macht auch ein anderer Prophet den weltlich gesinnten Menschen Vorwürfe,
weil sie es der Arbeit der Menschen oder dem Glück zuschreiben, daß die einen im Staube liegen,
die anderen zu Ehren kommen: "Nicht vom Aufgang, noch vom Untergang, noch von der Wüste kommt
Erhöhung, denn Gott ist der Richter, erniedrigt und erhöht" (Ps. 75,7f.; nicht Luthertext).
Denn Gott kann das Richteramt nicht von sich legen, und daraus wird hier der Schluss gezogen, es
geschehe aus seinem verborgenen Ratschluss, daß die einen große Leute werden, die anderen in
verachteter Lage bleiben müssen.
I,16,7 Auch die einzelnen Ereignisse sind ganz allgemein Zeugnisse der
"besonderen" Vorsehung Gottes. Gott erweckte in der Wüste einen Ostwind, der dem Volke
eine Menge Vögel zutrieb (Ex. 16,13). Als er den Jona ins Meer werfen wollte, da ließ er einen
gewaltigen Sturmwind kommen (Jon. 1,4). Da werden nun die, welche nicht glauben, daß Gott die
Weltregierung in seiner Hand habe, sagen, das sei eben außerhalb des gewöhnlichen Verlaufs vor
sich gegangen. Ich dagegen ziehe daraus den Schluss, daß überhaupt nie ein Wind aufkommt oder
losbricht ohne Gottes besonderen Befehl. Wenn er nicht Wolken und Winde nach seinem Wohlgefallen
lenkte und an ihnen die besondere Gegenwärtigkeit seiner Kraft erwiese, dann wäre auch das Wort
nicht wahr, er mache die Winde zu seinen Boten und Feuerflammen zu seinen Dienern, Wolken zu seinem
Gefährt, und reite auf den Flügeln des Windes (Ps. 104,4). So empfangen wir auch an anderer Stelle
die Lehre: wenn immer das Meer vom Brausen des Sturmwinds sich aufwühlt (Ps. 107,25.29), so bezeugt
solches Ungestüm Gottes besondere Gegenwart. Er gebietet dem Wind, er erregt den Sturm und erhebt
dir Wogen des Meeres, dann läßt er den Sturmwind stillestehen, so daß sich die Wellen legen. Auch
an anderer Stelle hören wir, er habe das Volk mit brennenden Winden gegeißelt (Am. 4,9). Die
Menschen haben gewiss von Natur die Fähigkeit in sich, Kinder zu zeugen; aber trotzdem will es Gott
als Zeichen seiner besonderen Gnade angesehen haben, daß er die einen kinderlos läßt, die anderen
mit Nachkommen segnet; denn Leibesfrucht ist eine Gabe Gottes (Ps. 127,3). So sagt ja auch Jakob zu
seinem Weibe: "Bin ich etwa Gott, daß ich dir Kinder gebe?" (Gen. 30,2). Und um dies
abzuschließen: Nichts gilt in der Welt als natürlicher, als daß wir mit Brot ernährt werden. Und
doch sagt der Geist, nicht nur das Erzeugnis der Erde sei ein besonderes Geschenk Gottes, sondern
auch: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein" (Deut. 8,3); denn es nährt uns nicht die
Sättigung selbst, sondern der verborgene Segen Gottes. So droht er ja auch anderseits, er werde des
Brotes Nahrungskraft brechen (Jes. 3,1). Und die Bitte um das tägliche Brot könnte doch gar nicht
ernst genommen werden, wenn uns nicht Gott mit väterlicher Hand die Speise darreichte! Deshalb sagt
auch der Prophet, um die Gläubigen zu überzeugen, daß sich Gott bei ihrer Ernährung als der
beste Hausvater erweise, er gebe allem Fleische seine Nahrung (Ps. 136,25). Schließlich: wir hören
auf der einen Seite: "Die Augen des Herrn merken auf die Gerechten, und seine Ohren auf ihr
Schreien" (Ps. 34,16), und dann auf der anderen: "Das Antlitz aber des Herrn steht wider
die, so Böses tun, daß er ihr Gedächtnis ausrotte von der Erde" (Ps. 34,17). Daraus sollen
wir erkennen, daß alle Geschöpfe im Himmel und auf Erden ihm zum Dienste bereit sind, daß er sie
braucht, wozu er will! Und daraus ergibt sich, daß nicht nur seine "allgemeine" Vorsehung
an der Kreatur wirksam ist, so daß er die Ordnung der Natur (ordo naturae) aufrechterhält, sondern
daß die Kreatur nach Gottes wunderbaren Rat einem bestimmten und besonderen Zwecke dienstbar
gemacht wird.
I,16,8 Wer nun diese Lehre verhasst machen will, der lästert, sie sei eine
Lehrmeinung der Stoiker (dogma Stoicorum), sie sei nichts anderes als die Lehre vom Schicksal (fatum).
Das ist einst schon dem Augustin vorgeworfen worden (Buch gegen zwei Briefe der Pelagianer, an
Bonifacius, II,6). Obwohl ich nicht gern um Worte streite, so will ich doch den Ausdruck
"Schicksal" (fatum) nicht übernehmen; denn er gehört einerseits zu dem, was uns Paulus
als "ungeistliches, loses Geschwätz" (1. Tim. 6,20) meiden lehrt, und anderseits versucht
man mit seiner Hilfe Gottes Wahrheit in ein schlechtes Licht zu stellen. Die Lehrmeinung (vom fatum)
aber wirft man uns ganz fälschlich und in Bosheit vor! Denn wir reden nicht mit den Stoikern von
der "Notwendigkeit", die aus der stetigen Verflochtenheit der Ursachen (ex perpetuo
causarum nexu) kommt und in einer festen Verbindung besteht, wie sie in der Natur enthalten ist. Wir
reden im Gegenteil von Gott: der ist der Herrscher und Walter über alles, der hat in seiner
Weisheit seit aller Ewigkeit festgelegt, was er tun will, und führt es nun in seiner Macht aus.
Deshalb behaupten wir auch, daß seine Vorsehung nicht nur Himmel und Erde und die leblosen Dinge,
sondern auch der Menschen Anschläge und Willen regiere, so daß sich alles nach dem von ihr
bestimmten Ziele richten muß. Wieso nun, wird man fragen, geschieht wirklich nichts von ungefähr,
wirklich nichts aus Zufall? Ich antworte darauf: Basilius der Große hat mit Recht gesagt,
"Glück" und "Zufall" seien heidnische Ausdrücke, mit deren Inhalt
gottesfürchtige Leute nichts zu tun haben sollen. Denn wenn jeder Erfolg Gottes Segnung ist, jede
Not und Widerwärtigkeit sein Fluch, dann bleibt jedenfalls hinsichtlich der menschlichen Geschicke
für "Glück" oder "Zufall" kein Raum. Auch muß die Ausführung des Augustinus
beherzigt werden: "Es verdrießt mich, daß ich in den Büchern gegen die Akademiker so oft den
Ausdruck ‘Glück’ gebraucht habe, obwohl ich darunter nicht eine Göttin, sondern den
zufälligen Ausgang der Dinge im äußeren Geschehen gemeint habe, er sei gut oder böse. Daher
kommen denn auch jene Ausdrücke: ‘vielleicht, etwa, möglicherweise, wohl, zufällig’, die
keine Religion zu brauchen verbietet. Und dabei muß doch alles ganz auf die göttliche Vorsehung
bezogen werden. Das habe ich auch nicht verschwiegen, denn ich sagte ja vielleicht werde das, was
man gemeinhin ‘Glück’ nennt, auch nach verborgener Ordnung gelenkt; und wir bezeichnen ja im
Geschehen allgemein das als ‘Zufall’, dessen Grund und Ursache unbekannt ist. Das habe ich
gesagt, aber es reut mich doch, den Ausdruck ‘Glück’ dabei angewandt zu haben; denn die
Menschen haben, wie ich sehe, die üble Gewohnheit, da, wo man sagen müßte: ‘Gott hat es so
gewollt’, tatsächlich zu sagen: ‘Das Glück hat es so gewollt’!" (Retract. I,1). Auch
lehrt Augustin durchweg, wenn man dem "Glück" einen Einfluss verstatte, so seidie Welt
dem blinden Zufall unterworfen. Nun lehrt er freilich zuvor an einer Stelle, es geschehe alles teils
durch den freien Willen des Menschen, teils durch Gottes Vorsehung. Aber gleich darauf zeigt er dann
doch, daß die Menschen der Vorsehung Untertan seien und von ihr regiert würden, und stellt dabei
den Grundsatz auf, der größte Widersinn sei die Behauptung, es geschehe irgend etwas ohne Gottes
Anordnung; denn dann geschähe es ja ohne jegliche Ursache. Aus diesem Grunde schließt er auch jene
Zufälligkeit (contingentia), die vom freien Willen des Menschen abhinge, aus, und sagt dann recht
klar, man solle keinen Grund für Gottes Willen suchen. Oft erwähnt er zwar auch die
"Zulassung" (permissio); aber was darunter verstanden werden soll, wird aus einer Stelle
ganz deutlich, wo er nämlich sagt, Gottes Wille sei der oberste und erste Grund für alles, nur auf
seine Anordnung oder Zulassung geschehe etwas (Verschiedene Fragen, 83; Von der Dreieinigkeit,
III,4). Er denkt sich keinen Gott, der, wenn er etwas zulassen will, müßig und zögernd zuschaute;
nein, es ist auch dabei sozusagen sein tätiger Wille (actualis voluntas) wirksam! Sonst konnte
dieser ja gar nicht als Grund bezeichnet werden!
I,16,9 Aber unser Geist erreicht in seiner Schwerfälligkeit die Höhe der Vorsehung
Gottes nicht von ferne; und deshalb muß zu seiner Unterstützung eine Unterscheidung angewandt
werden. Ich will mich also folgendermaßen ausdrücken: Obgleich alles durch Gottes Ratschluss in
fest bestimmter Regelung geordnet ist, ist es doch für uns "zufällig". Das bedeutet
nicht, daß wir meinten, Welt und Menschen ständen unter der Herrschaft des Glücks und es rolle
alles im Himmel und auf Erden zufällig ab – denn ein solcher Wahnwitz muß dem Herzen eines
Christenmenschen fernbleiben! Aber weil die Ordnung, die Ursache, der Zweck und die Notwendigkeit
der Ereignisse von der menschlichen Erkenntnis nicht begriffen werden, da sie größtenteils in
Gottes Ratschluss verborgen sind, so ist das, was tatsächlich ganz gewiss aus Gottes Willen kommt,
für uns gewissermaßen zufällig! Es ergibt sich kein anderes Bild, ob wir das alles hinsichtlich
seiner eigenen Natur ansehen oder auch nach unserem Verstehen und Urteilen betrachten. Stellen wir
uns zum Beispiel einen Kaufmann vor, der in Begleitung zuverlässiger Leute in einen Wald zieht,
unvorsichtig von seinen Gefährten abkommt, auf seinem Irrwege in die Gewalt einer Räuberbande
gerät und ermordet wird. Sein Tod war von Gottes Auge zuvor gesehen und auch durch seinen
Ratschluss bestimmt. Denn es heißt nicht (nur), daß er eines jeden Menschen Lebenslänge vorher
gesehen, sondern daß er Grenzen gesetzt und festgelegt habe, über die man nicht hinausgehen kann
(Hiob 14,5). Soweit aber unser Verstand reicht, scheint das alles zufällig. Was soll da der
Christenmensch denken? Er wird gewiss das, was einen solchen Todesfall veranlaßte, seiner Natur
nach, wie es das ja tatsächlich ist, als zufällig erkennen, aber er wird dennoch nicht zweifeln,
daß Gottes Vorsehung dabei die Führung gehabt hat, um den "Zufall" zu ihrem Zweck zu
leiten! Genau so sind auch die Zufälligkeiten der Zukunft anzusehen. Denn alles Zukünftige ist uns
ungewiss, und darum lassen wir es unbestimmt, als ob es sich zu beiden Seiten neigen könnte. Aber
trotzdem haben wir die feste Gewissheit im Herzen, daß nichts eintreten kann, das nicht der Herr
schon vorgesehen hat! In diesem Sinne braucht auch der Prediger mehrmals das Wort
"Ausgang" (Ende?); denn die Menschen können auf den ersten Blick nicht auf die letzte
Ursache dringen, weil diese fern und verborgen ist. Und doch ist das, was die Schrift über Gottes
verborgene Vorsehung lehrt, niemals derart aus den Herzen der Menschen vertilgt worden, daß nicht
mitten im Dunkel immer noch einige Fünklein geblieben wären. So schreiben die Wahrsager der
Philister, obwohl sie im Zweifel hin und her schwanken, das Unglück teils Gott, teils dem Glück
zu: "Wenn die Lade auf dem einen Wege geht, so wissen wir, daß es Gott ist, der uns das Übel
getan hat, geht sie auf dem anderen, so ist es uns von ungefähr widerfahren" (1. Sam. 6,9). Es
istgewiss töricht, daß sie, da ihnen die Weissagung fehlt, zum Zufall ihre Zuflucht nehmen;
indessen merken wir doch, wie sie gezwungenermaßen nicht wagen, das ihnen widerfahrene Unglück
für ganz zufällig zu halten. Übrigens können wir noch an einem ganz klaren Beispiel sehen, wie
Gott mit dem Zügel seiner Vorsehung alle Ereignisse in der von ihm gewollten Weise lenkt: In dem
nämlichen Zeitpunkt, wo David in der Wüste Maon überfallen wurde, brachen die Philister ins Land
ein, und Saul mußte weichen! (1. Sam. 23,26f.). Da wollte Gott, um seinen Knecht zu erretten, dem
Saul dieses Hindernis in den Weg legen – und so gewiss auch die Philister über alles Erwarten
schnell zu den Waffen griffen, so können wir doch nicht sagen, das sei zufällig geschehen, sondern
der Glaube wird anerkennen, daß das, was uns zufällig erscheint, tatsächlich Gottes geheimer
Antrieb gewesen ist! Dieser Grundsatz tritt nicht immer so klar hervor; aber wir müssen doch
festhalten, daß alle Veränderungen in der Welt als verborgene Wirkungen seiner Hand anzusehen
sind. Was nun Gott beschlossen hat, das muß notwendig geschehen, auch wenn es an sich, aus seiner
eigenen Natur heraus nicht notwendig ist. Ein bekanntes Beispiel haben wir an den Gebeinen Christi.
Da er einen dem unseren gleichen Leib annahm, so wird kein vernünftiger Mensch bezweifeln, daß
seine Gebeine zerbrechlich waren – und doch war es unmöglich, sie zu zerbrechen! (Joh. 19,33-36)
Daraus können wir sehen, daß es nicht grundlos war, wenn man in der Schultheologie einen
Unterschied zwischen bedingter (necessitas secundum quid) und absoluter Notwendigkeit (necessitas
absoluta) gemacht oder dementsprechend zwischen solchen Geschehnissen, die sich bedingt notwendig
(d.h. durch "Mittelursachen" mitbestimmt) ergeben (necessitas consequentis), und solchen,
die sich mit einer (auf Gottes Anordnung und Willen beruhenden) unbedingten Notwendigkeit (necessitas
consequentiae) ereignen, unterschieden hat. Denn Gott wollte nicht, daß die Gebeine seines Sohnes
wirklich zerbrochen wurden, hat sie aber doch (vermöge der Menschwerdung) der Zerbrechlichkeit
unterworfen; so hat er also etwas, das von Natur geschehen konnte, unter die Notwendigkeit seines
Ratschlusses beschränkt!
In welcher Richtung und unter welchem Gesichtspunkt diese Lehre anzuwenden sei,
damit man ihres Segens gewiss werde.
I,17,1 Aber der Menschengeist ist zu leeren Spitzfindigkeiten geneigt, und deshalb
müssen notwendig alle, die den guten, rechten Gebrauch dieser Lehre nicht erfassen, sich in
verwirrte Knoten verstricken. Deshalb ist es gut, hier noch kurz zu berühren, zu welchem Zweck denn
die Schrift lehrt, es werde alles von Gott angeordnet. Zunächst ist da zu beachten, daß die
Vorsehung Gottes auf die Zukunft wie auch auf die Vergangenheit bezogen werden muß. Ferner müssen
wir bemerken, daß sie alle Dinge derart lenkt, daß sie bald unter Einschaltung von Mittelursachen,
bald ohne solche, bald gegen alle Mittelursachen wirkt. Und endlich ist als Hauptgesichtspunkt
anzusehen, daß Gott zeigen will, wie er für das ganze Menschengeschlecht sorgt, wie er aber
besonders über der Regierung der Kirche wacht, die er seines näheren Anschauens würdigt.
Zuzufügen ist noch das: Gewiss leuchtet aus dem ganzen Gange der Vorsehung entweder seine
väterliche Huld und Wohltätigkeit oder auch der Ernst seines Gerichts oftmals deutlich auf; aber
es sind dennoch die Gründe des Geschehens oft unbekannt, so daß die Meinung aufkommt, das
menschliche Geschick würde durch den blinden Trieb der Natur gedreht und gewendet, oder daß das
Fleisch uns zur Einrede reizt, als ob Gott die Menschen wie Bälle daherwürfe und mit ihnen sein
Spiel triebe. Aber es ist doch auch wahr, wenn wir mit ruhigem und gelassenem Herzen zum Lernen
bereit wären, so würde uns aus dem Ausgang schon klar werden, wie Gott mit seinem Ratschluss stets
den besten Weg einschlägt, um die Seinen zur Geduld zu erziehen, oder um ihre bösen Neigungen zu
bessern und ihre Geilheit zu zähmen, oder um sie zur Selbstverleugnung zu bringen, oder um sie aus
dem Schlaf zu erwecken, andererseits aber auch, um die Übermütigen zu Boden zu werfen, die Lücke
der Gottlosen zunichte zu machen und ihre Ränke zu zerstreuen. Und mögen uns auch trotzdem seine
Gründe verborgen und fern sein, so dürfen wir sicher glauben, daß sie bei ihm verborgen sind, und
deshalb mit David ausrufen: "Herr, mein Gott, groß sind deine Wunder, und deine Gedanken, die
du an uns beweisest, sind nicht zu begreifen, wenn ich versuche, sie auszureden, so übersteigen sie
alles Erzählen (Ps. 40,6; nicht Luthertext). Denn obgleich wir in Trübsalen immer unserer Sünden
gedenken müssen, und obwohl die Strafe selbst uns zur Buße reizt, so sehen wir doch, wie Christus
dem geheimen Ratschluss des Vaters ein noch größeres Recht zuschreibt als bloß, daß er jeden
nach seinem Verdienst strafe. Denn er sagt von dem Blindgeborenen: "Weder dieser hat
gesündigt, noch seine Eltern, sondern damit Gottes Herrlichkeit an ihm offenbar werde!" (Joh.
9,3). Da war das Unglück doch schon vor dem Tage der Geburt da, und das Gefühl sträubt sich, als
ob Gott ohne Gnade Unschuldige so hart behandle. Aber Christus bezeugt, daß in diesem Ereignis die
Herrlichkeit seines Vaters hervorleuchte, wenn wir nur klare Augen dazu hätten! Wir müssen eben an
der Bescheidenheit festhalten, die Gott nicht zur Rechenschaft zieht; wir sollen vielmehr seine
verborgenen Ratschlüsse ehren, damit uns sein Wille der gerechteste Grund aller Dinge sei! Wenn
dichte Wolken den Himmel bedecken und heftiger Sturm ausbricht, so sehen unsere Augen nur traurige
Finsternis, unsere Ohren betäubt der Donner, und all unsere Sinne erstarren vor Schrecken; deshalb
scheint uns alles zusammenzubrechen und durcheinanderzugeraten – aber unterdessen bleibt im Himmel
stets die gleiche Ruhe und Heiterkeit! So sollen wir auch festhalten: wenn uns in der Welt das
Durcheinander alles Urteilen unmöglich machen will, so leitet doch Gott mit dem reinen Lichte
seiner Gerechtigkeit und Weisheit selbst alle diese Bewegungen in bestimmter Ordnung und führt sie
zum rechten Ziel. Es ist wahrlich eine merkwürdige Sucht, wenn manche Leute mit so großer
Selbstsicherheit Gottes Werke vor ihr Gericht fordern, seine geheimen Ratschläge nachrechnen und
über unbekannte Dinge jählings ein Urteil abgeben, mehr, als sie es bei Taten von sterblichen
Menschen tun würden! Denn was ist verkehrter, als unsersgleichen gegenüber lieber in
Bescheidenheit mit unserem Urteil zurückzuhalten, als uns den Vorwurf der Übereilung zuzuziehen,
dagegen über Gottes verborgene Gerichte, die wir in Ehrfurcht betrachten sollten, frech
abzuurteilen?
I,17,2 Es wird also niemand Gottes Vorsehung recht und mit Nutzen erwägen, der
nicht bedenkt, daß er es mit seinem Schöpfer und dem Wirker der Welt zu tun hat, und sich ihm
dementsprechend zu Furcht und Ehrerbietung in gebührender Demut unterwirft. Daß heutzutage so
viele Hunde diese Lehre mit giftigen Bissen oder wenigstens mit ihrem Gebell angreifen, das kommt
daher, daß sie Gott nicht mehr zugestehen wollen, als ihnen die eigene Vernunft gebietet. Auch uns
bekämpfen sie mit aller ihnen zu Gebote stehenden Frechheit, weil wir mit den Vorschriften des
Gesetzes nicht zufrieden wären, in denen doch Gottes Wille niedergelegt ist, sondern auch noch
behaupteten, die Welt werde durch seine verborgenen Ratschlüsse regiert. Als ob diese Lehre ein
Gebild unseres Hirns wäre, als ob der Heilige Geist das alles nicht überall deutlich zu erkennen
gäbe und es mit unzähligen Umschreibungen immer wiederholte! Aber sie haben eine gewisse Scheu,
ihre Lasterungen gegen den Himmel auszustoßen, und deshalb geben sie, um desto freier rasen zu
können, vor, es handle sich um einen Streit mit uns! Aber wenn sie nicht zugeben, daß alles
Geschehen in der Welt durch Gottes unbegreiflichen Ratschluss gelenkt werde, dann sollen sie doch
Auskunft geben, weshalb denn die Schrift sagt, Gottes Gerichte seien ein tiefer Abgrund! (Ps. 36,7).
Denn wenn Mose ausruft, der Wille Gottes sei nicht fern oben in den Wolken, er sei auch nicht im
Abgrund zu suchen, weil er ja im Gesetz verständlich dargelegt sei (Deut. 30,11ff.), so folgt
daraus: ein anderer, verborgener Wille wird mit dem Abgrunde verglichen! Davon redet ja auch Paulus,
wenn er sagt: "O, welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis
Gottes; wie unerforschlich sind seine Gerichte und wie unbegreiflich seine Wege! Denn wer hat des
Herrn Sinn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen?" (Röm. 11,33f.). Es ist wahr: Gesetz
und Evangelium enthalten Geheimnisse, die weit über unser Verstehen hinausgehen. Aber Gott
erleuchtet das Herz der Seinen mit dem Geiste der Erkenntnis, um diese Geheimnisse zu fassen, die er
in seinem Worte zu offenbaren für gut befunden hat; und darum ist hier kein Abgrund mehr, sondern
ein Weg, auf dem man sicher gehen kann, und eine Leuchte für unseren Fuß, das Licht des Lebens,
die Schule gewisser und deutlicher Wahrheit! Die wundersame Art der Weltregierung dagegen heißt mit
Recht Abgrund; denn wir sollen sie in ihrer Verborgenheit ehrerbietig anbeten. Beides drückt Mose
sehr schön mit wenigen Worten aus: "Das Geheimnis steht bei unserem Gott; aber was hier
geschrieben ist, das geht euch und eure Kinder an" (Deut. 29,29; nicht Luthertext). Da befiehlt
er, wie wir sehen, nicht nur, auf die Beobachtung des Gesetzes eifrig zu halten, sondern auch Gottes
geheime Vorsehung in Ehrfurcht zu betrachten. Ein Lobpreis dieser Erhabenheit steht auch im Buche
Hiob – und es ist demütigend für uns, was wir da hören! Nachdem der Verfasser das Weltgebäude
droben und hienieden betrachtet und dabei großartig von den Werken Gottes geredet hat, fügt er am
Ende hinzu: "Wahrlich, das ist der Umkreis seiner Wege, und wie gar wenig haben wir davon
vernommen!" (Hiob 26,14; nicht Luthertext). In diesem Sinne macht er an anderer Stelle auch
einen Unterschied zwischen der Weisheit, die bei Gott wohnt, und der Art des Weiseseins, die er den
Menschen geboten hat. Denn nach einer Rede über die Geheimnisse der Natur sagt er, die Weisheit sei
Gott allein bekannt, und sie entgehe den Augen aller Lebendigen (Hiob 28,21.23). Aber dann fügt er
doch gleich hinzu, sie sei kundgetan, damit der Mensch sie erforsche; denn dem Menschen sei ja
gesagt:Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit" (Hiob 28,28). In dieser Richtung geht
auch der Ausspruch Augustins: "Weil wir nicht alles wissen, was Gott in bester Ordnung an uns
tut, so handeln wir bloß in gutem Willen nach dem Gesetz, und in allem übrigen werden wir nach dem
Gesetz getrieben – denn seine Vorsehung ist ein unabänderliches Gesetz!" (Verschiedene Fragen
83,27) Da Gott sich das Recht der Weltregierung, das uns nicht bekannt ist, selbst vorbehalten hat,
so muß dies das Gesetz unserer Demut und Bescheidenheit sein, an seiner höchsten Befehlsgewalt zu
hängen, damit sein Wille für uns die einzige Richtschnur der Gerechtigkeit und die gerechteste
Ursache aller Dinge sei! Das ist aber nicht jener "absolute Wille", von dem die Sophisten
schwatzen, die in gottloser und unheiliger Zerspaltung seine Gerechtigkeit von seiner Macht trennen;
sondern es ist die Vorsehung, die alle Dinge regiert, von welcher lauter Gutes kommt, so verborgen
uns ihre Gründe auch sein mögen!
I,17,3 Wem solche Bescheidenheit zuteil geworden ist, der wird weder um der
Widerwärtigkeiten vergangener Zeiten willen gegen Gott murren, noch auch die Schuld für die
Übeltaten auf ihn schieben, wie es Agamemnon bei Homer tut: "Ich bin dessen nicht schuld,
sondern Zeus und das Schicksal!" Er wird sich auch nicht wie jener Jüngling bei Plautus, wie
vom Schicksal dahingerissen, verzweifelt ins Verderben stürzen: "Unbeständig ist das Los der
Dinge, nach Willkür handelt das Schicksal am Menschen; ich will mich zum Felsen begeben, um mit
meinem Leben der Sache ein Ende zu machen!" Auch wird er nicht nach dem Beispiel eines anderen
mit dem Namen Gottes seine Untaten beschönigen. So spricht es Lyconides in einer anderen Komödie
(des Plautus) aus: "Gott war der Anstifter, ich glaube, die Götter haben es so gewollt; denn
ich weiß: hätten sie es nicht gewollt, so wäre es nicht geschehen!" Nein, er wird aus der
Schrift forschen und lernen, was Gott gefällt, um unter Führung des Geistes danach sich
auszustrecken; er wird zugleich bereit sein, Gott zu folgen, wohin er ihn ruft, und damit zeigen,
daß nichts heilsamer ist, als diese Lehre zu kennen. Gottlose Leute machen mit ihren Albernheiten
einen Aufruhr, so daß sie sozusagen beinahe Himmel und Erde durcheinander werfen: "Wenn der
Herr doch den Zeitpunkt unseres Todes bestimmt hat, so kann man ihm nicht entgehen, und alle
Vorsichtsmaßnahmen sind vergebliche Mühe!" Wenn also der eine einen Weg meidet, den er als
gefährlich kennt, um nicht von Räubern umgebracht zu werden, – wenn der andere den Arzt holt und
sich um Arzneien bemüht, um sein Leben zu erhalten, – oder wenn wieder ein anderer sich schwererer
Speisen enthält, um seine schwache Gesundheit zu schonen, – oder wenn einer Bedenken trägt, ein
baufälliges Haus zu beziehen, – oder wenn wir alle miteinander Wege ersinnen und mit großer
Anstrengung überlegen, um zu bekommen, was wir begehren – dann sind das (nach ihrer Meinung) lauter
sinnlose Mittel, mit denen man Gottes Willen zu ändern begehrt; oder aber Leben und Tod, Gesundheit
und Krankheit, Frieden und Krieg und alles andere, das Menschen erstreben oder hassen und deshalb
mit großem Fleiß zu erlangen oder fernzuhalten streben, wird gar nicht von seinem gewissen
Entscheid bestimmt! Ja, man hält dann auch die Gebete der Gläubigen für verkehrt, ja für
überflüssig – da man ja in ihnen um Gottes Leitung in solchen Dingen bittet, die Gott doch seit
aller Ewigkeit festgelegt hat! Kurz, alle Vorkehrungen für die Zukunft hebt man auf, als im
Widerspruch zu Gottes Vorsehung stehend – da diese auch ohne Rücksicht auf sie schon beschlossen
habe, was geschehen soll. Und was wirklich geschieht, das schreibt man der Vorsehung Gottes derart
zu, daß man dabei den Menschen entschuldigt, der es doch gewiss mit Überlegung angerichtet hat. Da
bringt ein Meuchelmörder einen rechtschaffenen Bürger ums Leben – er hat, so sagt man, Gottes Rat
ausgeführt! Da hat jemand gestohlen oder die Ehe gebrochen – er ist ein Knecht der Vorsehung
Gottes, denn er hat getan, was von dem Herrn vorgesehen und bestimmt war! Da läßt ein
leichtsinniger Sohn seinen Vater sterben, ohne sich um Heilmittel zu bemühen – er konnte ja Gott
nicht widerstehen, der es von Ewigkeit her so beschlossen hatte! Auf diese Weise heißen dann alle
Untaten Lugenden, weil sie ja angeblich der Anordnung Gottes dienen!
I,17,4 Was das Zukünftige angeht, so bringt Salomo die Überlegungen der Menschen
mit Gottes Vorsehung leicht zusammen. Er verspottet zwar die Torheit solcher Leute, die unüberlegt
ohne den Herrn alles Mögliche angreifen, als ob sie nicht von seiner Hand regiert würden. Aber
ebenso sagt er an anderer Stelle: "Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; und der Herr
allein gibt, daß er fortgehe" (Spr. 16,9). Damit zeigt er, daß uns Gottes ewige Bestimmung in
keiner Weise hindert, unter seinem Willen für uns zu sorgen und alle unsere Dinge zu beschicken.
Dafür gibt es auch einen leicht erkennbaren Grund. Denn der, der unserem Leben seine Grenzen
gesetzt hat, der hat zugleich uns die Sorge darum anvertraut, hat uns Verstand und Mittel gegeben,
es zu erhalten, uns mit den Gefahren bekannt gemacht, die es bedrohen, und uns Vorsicht und
Schutzmittel an die Hand gegeben, damit uns jene Gefahren nicht unversehens überfallen. Nun ist
klar, was wir für eine Verpflichtung haben: wenn der Herr uns aufgetragen hat, unser Leben zu
schützen, so sollen wir es schützen, wenn er uns Hilfsmittel darreicht, so sollen wir sie
anwenden, wenn er uns die Gefahren vorher zeigt, so sollen wir nicht unbedacht hineinrennen, wenn er
uns mit Heilmitteln zu Hilfe kommt, so sollen wir sie nicht gering schätzen! "Aber" – so
wirft man ein – "alle Gefahr, die mir begegnet, ist doch schicksalhaft (fatale), und da helfen
keine Mittel!" Wie aber, wenn die Gefahren deshalb nicht unvermeidlich sind, weil der Herr dir
Mittel gegeben hat, ihnen entgegentreten und sie zu überwinden? Sieh nur zu, wie willst du eine
derartige Schlussfolgerung mit der Ordnung göttlicher Leitung vereinigen? Du meinst, man solle sich
vor der Gefahr nicht in acht nehmen; denn wenn sie nicht schicksalhaft (zum bösen Ausgang) bestimmt
sei, dann würden wir ihr auch ohne Vorsicht entgehen. Der Herr aber macht dir die Vorsicht eben
deshalb zur Pflicht, weil er nicht will, daß das Unglück dich schicksalhaft überfalle! Solche
Narren ziehen eben nicht in Betracht, was doch vor Augen ist, nämlich daß der Herr dem Menschen
die Fähigkeit, sich vorzusehen und in acht zu nehmen eingegeben hat, mit der er seiner Vorsehung in
der Erhaltung seines Lebens dienen soll! Ebenso zieht sich der Mensch selbst durch Nachlässigkeit
und Trägheit die Übel zu, die Gott damit verbunden hat. Ein vorsorglicher Mensch, der sich Hilfe
sucht, entzieht sich dadurch auch drohenden Gefahren, der Narr dagegen kommt in seiner
Unbedachtsamkeit um. Woher kommt das anders, als daß auch Torheit und Klugheit Werkzeuge der
göttlichen Leitung sind, jede in ihrer Weise? Gott hat uns alles Zukünftige verborgen sein lassen,
aber so, daß wir ihm gerade als Zweifelhaftem entgegengehen und nicht aufhören, ihm die bereiteten
Mittel entgegenzustellen, bis es entweder überwunden ist oder aber sich stärker erwiesen hat als
alle Sorgfalt! So habe ich ja auch schon bemerkt, daß uns Gottes Vorsehung nicht immer
"bloß" begegnet, sondern Gott bekleidet sie gewissermaßen mit den dazu angewandten
Mitteln.
I,17,5 Dieselben Leute beziehen in verkehrter, unbedachter Weise auch die Ereignisse
der Vergangenheit auf die "bloße" Vorsehung Gottes. Weil alles, was geschieht, von dieser
abhängt, so folgern sie: "Also werden weder Diebstahl, noch Ehebruch, noch Mord vollbracht,
ohne daß Gottes Wille dabei wirke." "Weshalb also", fragen sie, "soll ein Dieb
bestraft werden, der doch einen Menschen ausplünderte, den der Herr mit Armut schlagen wollte?
Weshalb soll man den Meuchelmörder bestrafen; er hat doch nur einen Menschen getötet, dessen Leben
der Herr ein Ende gesetzt hatte? Wenn derartige Verbrecher allesamt dem Willen Gottes dienen –
weshalb bestraft man sie denn?" Aber ich bestreite ja eben, daß sie dem Willen Gottes dienen.
Denn wir werden nicht zugeben, daß ein Mensch, der seinem schlechten Trieb folgt, dem Befehl Gottes
seinen Dienst zuteil werden lasse; er dient doch nur seiner boshaften Begierde. Vielmehr leistet der
Gott Gehorsam, der seinen Willen kennen gelernt hat und dann dahin strebt, wohin er von ihm gerufen
wird! Woher aber empfangen wir solche Belehrung anders als aus seinem Wort? Deshalb müssen wir in
unserem Handeln den Willen Gottes so ins Auge fassen, wie er ihn uns in seinem Worte zeigt! Nur eins
fordert Gott von uns: nämlich, was er geboten hat! Beschließen wir etwas wider sein Gebot, so ist
das eben nicht Gehorsam, sondern Verachtung und Übertretung! "Aber wir würden doch gar nicht
handeln, wenn er es nicht wollte!" Ich gebe es zu. Aber sollen wir das Böse tun, um ihm auf
diese Weise zu gehorchen? Er gebietet uns dergleichen keineswegs; vielmehr lassen wir uns hinreißen
und bedenken dabei nicht, was er will, sondern sind der Unmäßigkeit unserer Begierden so wütend
hingegeben, daß wir uns in festem Entschluss gegen seinen Willen stemmen! "Wir dienen doch
eben deshalb mit unserem Übeltun seiner gerechten Anordnung; denn er weiß doch in seiner großen
Weisheit schlechte Werkzeuge wohl und klug zum Guten zu benutzen!" Nun sieh doch zu, wie
abgeschmackt ihre Schlussfolgerung ist: sie wollen, daß der Frevel seinem Urheber ungestraft
durchgehe, weil er ja nur durch Gottes Leitung zustande käme! Ich gebe noch mehr zu: Diebe und
Mörder und andere Übeltäter sind tatsächlich Werkzeuge der göttlichen Vorsehung, die der Herr
zur Durchführung der Gerichte gebraucht, die er bei sich beschlossen hat. Aber ich bestreite, daß
deshalb die Übeltaten dieser Leute irgendeine Entschuldigung verdienen. Denn wie sollten sie
eigentlich Gott mit sich in ihre Bosheit verwickeln oder mit seiner Gerechtigkeit ihre Bosheit
decken? Sie können doch beides nicht! Damit sie sich nicht reinwaschen können, straft sie ihr
eigenes Gewissen; damit sie nicht Gott beschuldigen, finden sie, daß das Böse ganz in ihnen
steckt, bei Gott dagegen nur die rechte Benutzung ihrer Bosheit liegt! "Ja, aber er wirkt doch
durch sie!" Da frage ich nun aber: woher kommt denn der Gestank eines Aases, das von der Wärme
der Sonne in Fäulnis versetzt und aufgelöst wurde? Jedermann sieht: das rufen die Sonnenstrahlen
hervor; aber es wird doch deshalb kein Mensch sagen, die Sonnenstrahlen seien stinkend! Wenn also
ein schlechter Mensch die Ursache und die Schuld für das Böse in sich trägt, wie soll sich dann
Gott irgendeine Befleckung zuziehen, wenn er ein solches Werkzeug nach seinem Wohlgefallen benutzt?
Hinweg also mit der Hundefrechheit, die Gottes Gerechtigkeit zwar anbellen, ihr aber nichts anhaben
kann!
I,17,6 Aber dergleichen Lästerungen, ja wahnsinnige Hirngespinste wird eine fromme
und heilige Betrachtung der Vorsehung zunichte machen, wie sie uns die Richtschnur der Frömmigkeit
gebietet: so wird uns daraus die beste und lieblichste Frucht erwachsen! Da der Christ in seinem
Herzen die unumstößlich gewisse Überzeugung hat, daß alles aus Gottes Führung, nichts aber aus
Zufall geschieht, so wird er auf ihn als die höchste Ursache der Dinge stets die Augen richten, die
untergeordneten Gründe (causas inferiores) aber an der ihnen zukommenden Stelle nicht außer acht
lassen. Außerdem wird er nicht zweifeln, daß Gottes besondere Vorsehung auf der wacht ist, ihn zu
erhalten; sie wird ja nichts geschehen lassen, was ihm nicht zum Guten und zum Heil gereicht! Da er
es aber zunächst mit Menschen, dann auch mit den übrigen Geschöpfen zu tun hat, so wird er gewiss
sein: beide regiert Gottes Vorsehung! Was die Menschen, seien sie gut oder böse, betrifft, so wird
er anerkennen: ihr Beschließen und Wollen, Versuchen und Vermögen ist in Gottes Hand, und es liegt
bei seinem Wohlgefallen, das alles zu wenden, wohin er will, und auch zu hemmen, wenn immer er will!
Dass Gottes besondere Vorsehung über dem Heil der Gläubigen wacht, bezeugen sehr viele ganz klare
Verheißungen: "Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird dich versorgen und wird den
Gerechten nicht ewiglich in Unruhe lassen" (Ps. 55,23). "Denn er sorgt für uns!" (1.
Petr. 5,7). "Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet, der bleibt unter dem Schutz Gottes, der
im Himmel ist" (Ps. 91,1; nicht Luthertext), "Wer euch antastet, der tastet seinen
(Gottes) Augapfel an!" (Sach. 2,12). "Ich will dein Schild sein (Gen. 15,1), deine eherne
Mauer" (Jes. 26,1; Jer. 1,18). "Ich will feind sein denen, die dir feind sind" (Jes.
49,25). "Und ob auch eine Mutter ihres Kindleins vergäße, so will ich dich doch nicht
vergessen" (Jes. 49,15). Ist es doch der wichtigste Gesichtspunkt in den Erzählungen der
Bibel, zu lehren: der Herr behütet die Wege der Heiligen mit solchem Fleiß, "daß sie ihren
Fuß nicht an einen Stein stoßen" (vgl. Ps. 91,12). Wir haben nun oben (XVI,4) mit Recht die
Meinung derer abgelehnt, die bloß an eine "allgemeine" Vorsehung Gottes denken, die sich
nicht in besonderer Weise zur Fürsorge für jede einzelne Kreatur herablasse. Deshalb ist es erst
recht der Mühe wert, diese "besondere" Fürsorge an uns zu erkennen. So behauptet ja
Christus, nicht einmal der geringste Sperling falle zur Erde ohne den Willen des Vaters (Matth.
10,29), und er wendet das sofort so. da wir ja mehr sind als Sperlinge, so sollen wir uns auch um so
mehr der besonderen Fürsorge Gottes versichert halten; er dehnt diese Fürsorge soweit aus, daß
wir zuversichtlich glauben sollen, auch die Haare auf unserem Haupte seien alle gezählt (Matth.
10,30). Was sollen wir uns denn noch anders wünschen, wenn doch nicht einmal ein Haar von unserem
Haupte fallen kann ohne seinen Willen? Ich rede hier nicht nur (allgemein) vom Menschengeschlecht,
sondern weil sich Gott die Kirche zur Wohnung erlesen hat, so erweist er unzweifelhaft in ihrer
Leitung seine väterliche Fürsorge durch besondere Zeugnisse.
I,17,7 Durch solche Verheißungen und Beispiele gestärkt, wird der Diener Gottes
auch der Zeugnisse gedenken, welche lehren, daß unter Gottes Macht alle Menschen stehen, ob nun ihr
Herz uns günstig gestimmt werden soll oder ihre Bosheit in Schranken gebracht werden muß, damit
sie nicht Schaden tue. Denn es ist der Herr, der uns Gnade gibt, nicht nur bei denen, die uns
wohlgesinnt sind, sondern auch "in den Augen der Ägypter" (Ex. 3,21); die Frechheit
unserer Feinde aber weiß er auf mancherlei Weise zu brechen. Zuweilen nimmt er ihnen den Verstand,
damit sie nichts Kluges und Besonnenes unternehmen können. So sendet er den Satan, um zur
Täuschung des Ahab den Mund aller Propheten mit Lüge zu erfüllen (1. Kön. 22,22). Oder er führt
den Rehabeam durch den Rat der Jungen in die Irre, damit er durch seine Torheit der Herrschaft
verlustig ginge (1. Kön. 12,10.15). Manchmal läßt er ihnen den Verstand, versetzt sie aber derart
in Schrecken und Betäubung, daß sie nicht mehr wollen oder vollbringen, was sie sich vorgenommen
haben. Mitunter auch gestattet er ihnen zu versuchen, was ihnen Lust und Wut eingegeben haben, und
hemmt dann doch zur rechten Zeit ihr Ungestüm, läßt sie nicht zum Ziele führen, was sie geplant!
So machte er den Rat des Ahitophel, der dem David hätte verderblich werden können, vor der Zeit
zunichte (2. Sam. 17,7.14). So ist es seine Sorge, alle Geschöpfe den Seinen zugut und zum Heil zu
leiten, und wir sehen, wie selbst der Teufel ohne seine Erlaubnis (permissio) oder Anordnung nicht
wagte, den Hiob zu versuchen (Hiob 1,12). Wer das erkennt, bei dem wird sich notwendig herzliche
Dankbarkeit bei glücklichem Erfolg, Geduld im Leiden und eine unglaubliche Gewissheit für die
Zukunft einstellen. Er wird alles, was glücklich und nach seines Herzens Wunsch ihm gelingt, Gott
allein zuschreiben, ob er nun seine Wohltätigkeit durch den Dienst von Menschen erfahren hat oder
ob ihm von den leblosen Geschöpfen Hilfe zuteil wurde. Er wird sich in seinem Herzen sagen: Es ist
gewiss der Herr, der mir ihre Seele zugeneigt und sie mir zugeführt hat, damit sie an mir zu
Werkzeugen seiner Freundlichkeit würden! Er wird bei reicher Ernte denken: der Herr ist es, der den
Himmel "erhört" hat, damit der Himmel die Erde "erhöre" und diese wieder ihre
Sprösslinge (vgl. Hos. 2,23ff.). So wird er auch in anderen Dingen nicht zweifeln, daß alles nur
durch des Herrn Segen gedeiht – und, durch soviel Ursachen ermuntert, wird er nicht undankbar sein
können!
I,17,8 Trifft einen solchen Menschen etwas Widerwärtiges, so wird er auch dann
alsbald das Herz zu Gott erheben; denn seine Hand vermag am besten, uns Geduld und Lindigkeit des
Herzens zu verleihen. Wäre Joseph dabei stehen geblieben, die Treulosigkeit seiner Brüder zu
bedenken, so hätte er ihnen gegenüber nie mehr eine brüderliche Gesinnung gewinnen können. Aber
er schaute auf den Herrn, und da vergaß er das Unrecht und wurde zu Sanftmut und Barmherzigkeit
geneigt, so daß er gar aus freien Stücken die Brüder tröstete und sagte: "Nicht ihr habt
mich nach Ägypten verkauft, sondern Gottes Wille hat mich vor euch hergesandt, damit ich euch das
Leben erhielte!" (Gen. 45,7ff.; summarisch). "Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen,
Gott aber gedachte es gut zu machen!" (Gen. 50,20). Hätte Hiob die Chaldäer angesehen, die
ihn quälten, so wäre er sofort zur Rache entflammt worden. Aber er erkennt doch (in dem Geschehen)
des Herrn Werk, und da kann er sich mit dem herrlichen Satz trösten: "Der Herr hat’s
gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt!" (Hiob 1,21). Hätte David,
als ihn Simei mit Schmähungen und Steinwürfen angriff, seine Augen auf den Menschen gerichtet, so
hätte er die Seinen aufgefordert, für das (ihm geschehene) Unrecht Rache zu nehmen; aber weil er
einsah, daß dieser nicht ohne des Herrn bewegende Kraft handelte, darum besänftigte er sie
vielmehr und sagte: "Laßt ihn, denn der Herr hat’s ihn geheißen: fluche David!" (2.
Sam. 16,10). Mit dem gleichen Zügel bändigt er auch an anderer Stelle seinen unmäßigen Schmerz:
"Ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun, denn du hast’s getan" (Ps. 39,10). Es
gibt keine kräftigere Arznei gegen Zorn und Ungeduld als diese; so hat der gewiss schon viel
erreicht, der in diesem Stück Gottes Vorsehung zu betrachten gelernt hat, so daß er sich immer
wieder sagen kann: Der Herr hat es gewollt, deshalb muß ich es tragen, nicht nur, weil ich nicht
widerstreben soll, sondern auch weil er ja nichts will, als was recht und heilsam ist! Kurz, wenn
wir von Menschen unbillig verletzt worden sind, so sollen wir ihre Bosheit nicht weiter beachten, -
sie würde nur unseren Schmerz verschärfen und unser Herz zur Rache anreizen! – sondern uns zu Gott
erheben und lernen, aufs gewisseste daran festzuhalten: was der Feind uns in seiner Bosheit
zugefügt hat. das hat Gott in gerechter Fügung zugelassen, ja geschickt! Paulus erinnert uns, um
uns von der Wiedervergeltung des Bösen abzuschrecken, mit Recht daran, daß wir "nicht mit
Fleisch und Blut" zu kämpfen haben, sondern mit dem geistlichen Feinde, dem Teufel; gegen den
sollen wir uns zum Kampfe rüsten! (Eph. 6,12). Das aber ist die beste Ermahnung zum Dämpfen aller
aufwallenden Rachsucht: daß Gott selbst den Teufel wie auch alle Gottlosen zum Kampfe rüstet und
wie ein Kampfrichter thront, um uns in der Geduld zu üben! Treffen uns ohne Zutun von Menschen
Unglück und Elend, die uns drücken, so sollen wir an die Lehre des Gesetzes gedenken: alles
Heilsame fließt aus der Quelle des Segens Gottes, alles Widerwärtige ist sein Fluch (Dtn.
28,20ff.), und es soll uns jene furchtbare Ankündigung schrecken: "Werdet ihr von ungefähr
mir ‘zuwider wandeln’, so werde auch ich von ungefähr euch zuwider wandeln’!" (Lev.
26,15ff., besonders V. 24). Mit diesen Worten wird unsere Trägheit gestraft, wenn wir nach gemeiner
Fleischesart alles für zufällig halten, was uns Gutes oder Böses begegnet, und uns weder von
Gottes Wohltaten zu seiner Verehrung ermuntern, noch durch seine Schläge zur Buße leiten lassen.
Aus diesem Grunde schalten ja auch Jeremia und Amos so bitterlich mit den Juden, weil diese meinten,
Gutes wie Böses geschehe ohne Anordnung Gottes (Klgl. 3,38; Amos 3,6). Darauf bezieht sich auch das
Wort des Jesaja: "Ich bin der Gott, der das Licht macht und die Finsternis schafft, ich gebe
Frieden und schaffe das Übel, ich bin der Herr, der solches alles tut" (Jes. 45,7).
I,17,9 Unterdessen wird aber der Fromme die untergeordneten Ursachen (causas
inferiores) nicht außer acht lassen. Er wird nicht etwa aus der Einsicht, daß die, welche ihm wohl
tun, ja Diener der Güte Gottes sind, den Schluss ziehen, er könne sie (mit Undank) übergehen, als
ob sie für ihre Freundlichkeit (humanitas) keinen Dank verdient hätten, sondern er wird sich ihnen
von Herzen verpflichtet fühlen, sich gerne als den Beschenkten bekennen und ihnen nach Fähigkeit
den Dank auch durch die Tat abzustatten sich bemühen. Kurz, er wird gewiss Gott als den vornehmsten
Urheber beim Empfang guter Gaben loben und preisen, aber er wird die Menschen eben als seine Diener
ehren und wird, wie es doch tatsächlich der Fall ist, einsehen, daß er durch Gottes Willen denen
zu Dank verpflichtet ist, durch deren Hand Gott sich hat wohltätig erweisen wollen! Hat er aus
Nachlässigkeit oder Unvorsichtigkeit einen Schaden erlitten, so wird er zwar feststellen, daß dies
aus Gottes Willen ihm zugestoßen sei, aber er wird es doch auch sich selbst zuschreiben! Ist einer
an einer Krankheit gestorben, welchen er zu pflegen verpflichtet war, aber nachlässig behandelt
hat, so wird er zwar durchaus wissen, daß der Betreffende zu dem Ende gekommen sei, dem er nicht
entgehen konnte, aber er wird doch darüber seine Sünde nicht gering achten; im Gegenteil: er hat
gegen jenen Menschen sein Amt nicht treu erfüllt und wird deshalb die Sache so ansehen, als ob er
durch Schuld seiner Nachlässigkeit gestorben wäre. Noch viel weniger wird er bei einem Mord oder
Diebstahl die dabei wirksame Verruchtheit und Bosheit seines Herzens mit dem Vorwand göttlicher
Vorsehung entschuldigen; er wird vielmehr in der gleichen Tat Gottes Gerechtigkeit und des Menschen
Bosheit, wie sie sich beide offenbaren, in ihrer Verschiedenheit betrachten. Und ganz besonders wird
er hinsichtlich der Zukunft auf dergleichen untergeordnete Ursachen Acht haben. Denn er soll es zu
den Segnungen des Herrn rechnen, wenn es ihm nicht an menschlicher Hilfe fehlt, die er zu seinem
Wohlergehen in Anspruch nehmen kann. Aus dem Grunde wird er nicht ablassen, Rat zu suchen, wird auch
nicht träge werden, die Hilfe solcher Menschen anzurufen, die ihn wohl unterstützen können; nein,
er wird bedenken, daß ihm alle Geschöpfe, die ihm hilfreich sein können, von dem Herrn an die
Hand gegeben werden, und deshalb wird er diese als rechte Werkzeuge der göttlichen Vorsehung zu
seinem Besten gebrauchen. Und obwohl er unsicher ist, welchen Erfolg seine Unternehmungen haben
werden – abgesehen davon, daß er weiß: der Herr wird in allem sein Bestes im Auge haben! -, wird
er doch mit Eifer das erstreben, was ihm nützlich erscheint, soweit er es durch Verstand und
Nachdenken schaffen kann. Und doch wird er bei seinen Entschlüssen nicht dem eigenen Sinn verfallen
sein, sondern sich der Weisheit Gottes anbefehlen und sich durch seine Führung zum rechten Ziel
leiten lassen. Auch wird er sein Vertrauen nicht dermaßen an die äußeren Hilfen hängen, daß er
in ihnen sicher ruht, wenn sie vorhanden sind, aber alsbald wie ein Verlorener erzittert, wenn sie
fehlen. Er wird eben sein Herz stets auf Gottes Vorsehung allein richten und sich vom festen Blick
auf sie nicht durch die Betrachtung der jeweiligen Lage abbringen lassen. So wusste auch Joab sehr
wohl, daß der Ausgang der Schlacht in Gottes Hand und Willen stehe; aber er ergab sich darüber
doch nicht der Untätigkeit, sondern führte mit Fleiß aus, was seines Amtes war, überließ
indessen dem Herrn den Ausgang: "Lasset uns stark sein für unser Volk und für die Städte
unseres Gottes; der Herr aber tue, was in seinen Augen gut ist" (2. Sam. 10,12). Wenn wir so
denken, werden wir uns von allem Vorwitz, allem falschen Vertrauen auf uns selbst und jede andere
Kreatur fernhalten und uns immerfort zur Anrufung Gottes getrieben sehen. In dieser Denkweise wird
aber auch unser Herz in guter Zuversicht gestärkt werden, so daß wir ohne Zaudern auf alle
Gefahren, die uns auch umgeben mögen, mutig und tapfer herunterblicken.
I,17,10 Hier aber bewährt sich das unbeschreibliche Glück eines frommen Herzens.
Unzählig sind die Übel, die unser menschliches Leben belagern, stets lauert in ihnen der Tod. Wir
brauchen nicht über uns hinauszugehen: unser Leib ist ein Nest von tausend Krankheiten, und wie
viel Krankheitsursachen trägt und nährt er in sich! Der Mensch kann sich nicht regen, ohne in
vielerlei Gestalt sein Verderben in sich zu tragen, und er führt sein Leben sozusagen stets
verwoben mit dem Tod! Wie soll man es anders ausdrücken – wo er doch ohne Gefahr weder Frost noch
Schweiß erträgt? Und wohin man sich auch wendet: alles, was uns umgibt, ist nicht nur von
zweifelhafter Zuverlässigkeit, sondern steht uns schier mit offener Drohung gegenüber und scheint
uns des Todes Nähe anzukündigen. Steige in ein Schiff – und du bist nur einen Schritt vom Tode!
Setze dich zu Pferd – am Straucheln eines Fußes hängt dein Leben! Gehe durch die Straßen der
Stadt – soviel Ziegel auf den Dächern sind, soviel Gefahren bist du ausgesetzt! Ist eine Waffe in
deiner oder deines Freundes Hand – der Schade lauert auf dich! Wie viel wilde Tiere du siehst – sie
sind gerüstet, dich zu verderben! Und wenn du dich auch in einen ummauerten Garten einschließen
willst, wo nichts als Lieblichkeit dir erscheint – auch da lauert zuweilen eine Schlange! Immerzu
ist dein Haus der Feuersbrunst ausgesetzt, alle Tage kann es dich arm machen, alle Nächte kann es
dich erschlagen! Der Acker ist in Gefahr vor Hagel, Reif, Dürre und anderem Unwetter – und das
bedeutet für dich Mißwuchs und Hunger! Ich übergehe Vergiftungen, Heimtücke, Räuberei, offene
Gewalt, die uns im eigenen Haus oder auch draußen nachstellen! Müsste nicht unter solchen Ängsten
der Mensch ganz elend sein, der sein Lebtag halbtot ist und seinen geängstigten und matten Geist
ärmlich und kränklich erhält, als ob immerzu über seinem Nacken ein Schwert hinge? Du magst
sagen, das alles geschehe immerhin selten oder wenigstens doch nicht immer und nicht allen Leuten,
außerdem doch niemals alles zusammen. Das gebe ich zu; aber das Beispiel anderer lehrt uns, daß es
auch uns zustoßen kann, und unser Leben macht nicht mehr als das ihrige eine Ausnahme; deshalb
müssen auch wir notwendig Furcht und Schrecken empfinden, es könnte auch uns begegnen! Was ist
aber unseliger als solches Zagen? Außerdem würde es doch nicht ohne Verachtung Gottes abgehen,
wenn man sagen wollte, er habe den Menschen, das edelste seiner Geschöpfe, den blinden und
zufälligen Stößen des Schicksals ausgesetzt! Aber ich wollte ja hier bloß vom Elend des Menschen
reden, wie er es empfinden müßte, wenn er der Herrschaft des Zufalls unterworfen wäre.
I,17,11 Aber sobald das Licht der göttlichen Vorsehung einem frommen Menschen
aufgeht, wird er nicht nur von jener furchtbarsten Not und Furcht, die ihn zuvor drückte, sondern
von aller Sorge befreit und erlöst. Denn wie er mit Recht vor dem "Zufall" Schauder
empfindet, so wagt er sich nun Gott in Gewissheit anzuvertrauen. Das ist eben, sage ich, der Trost,
daß er erkennt: der himmlische Vater hält mit seiner Macht alles zusammen, regiert alles mit
seinem Befehl und Wink, ordnet alles mit seiner Weisheit, so daß nichts vorfällt ohne seine
Bestimmung. Das ist der Trost, daß der Glaubende, seinem Schutz übergeben, der Fürsorge der Engel
anvertraut, nun weiß: kein Schaden von Wasser, Feuer oder Schwert kann ihn antasten, als nur soweit
es Gott, der im Regimente sitzt, gefallen hat, ihnen Raum zu geben. So singt doch der Psalm:
"Er errettet dich vom Strick des Jägers und von der schädlichen Pestilenz. Er wird dich mit
seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln; seine Wahrheit ist
Schirm und Schild, daß du nicht erschrecken mögest vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die
des Tages fliegen, vor der Pestilenz, die im Finsteren schleicht, vor der Seuche, die am Mittag
verderbt" (Ps. 91,3ff.). Daher haben die Heiligen solche frohlockende Zuversicht: "Der
Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht, was können mir Menschen tun? Der Herr ist mein
Helfer, warum sollte ich zittern? Wenn sich schon einHeer wider mich legt, wenn ich auch mitten im
Schatten des Todes wandle, so will ich doch nicht aufhören, zu hoffen" (Ps. 118,6; 27,3; 56,5
u.a. St.). Woher haben sie, frage ich, diese unerschütterliche Gewissheit? Daher, daß sie, wo doch
dem Anschein nach die Welt vom Zufall bewegt wird, doch wissen, daß der Herr überall am Werk ist,
und zuversichtlich glauben, sein Werk werde ihnen heilsam sein! Wird ihr Heil vom Teufel oder von
verruchten Menschen bedroht, so mußten sie sogleich zusammensinken, wenn nicht die Erinnerung und
der Gedanke an die Vorsehung sie aufrechterhielte. Aber gewaltigen Trost empfangen sie, wenn sie
daran denken: der Teufel mit der ganzen Rotte der Gottlosen wird ja von allen Seiten von Gottes Hand
wie am Zügel gehalten; er kann deshalb gegen uns gar keine Übeltat beschließen, noch das Geplante
ins Werk setzen, noch mit äußerster Anstrengung auch nur einen Finger rühren, um es
durchzuführen, sofern Gott es nicht erlaubt, ja soweit er es ihm nicht aufgetragen hat; er liegt ja
in seinen Banden gefesselt, wird mit dem Zaum gezwungen, ihm Gehorsam zu leisten! Denn wie es bei
dem Herrn steht, der Wut der Feinde Waffen zu geben, sie zu wenden und zu lenken, wohin er will, so
setzt er auch Maß und Ziel, damit sie nicht nach ihrer Lust ungebändigt losbrechen! Auf dieser
Gewissheit beruht es, wenn Paulus von einer Reise an der einen Stelle sagt, sie sei vom Satan
verhindert worden, und an der anderen, sie sei von Gottes Zulassung abhängig (1. Thess. 2,18; 1.
Kor. 16,7). Hätte er bloß geschrieben, das Hindernis sei vom Satan gewesen, so hätte er scheinbar
dem Satan zuviel Macht beigemessen, als ob es gar in dessen Hand stünde, Gottes Pläne zunichte zu
machen; nun aber stellt er fest, daß Gott der Herrscher ist, von dessen Zulassung alle Wege
abhängen, und zeigt damit: der Satan kann nur auf seinen Wink etwas erreichen, was er auch ins Werk
setzen mag! Ebenso denkt David, wenn er sich angesichts der vielerlei Wechselfälle, von denen das
Menschenleben immerzu gewendet und wie ein Rad gedreht wird, sich auf diese Zuflucht zurückzieht:
"Meine Zeiten stehn in deinen Händen" (Ps. 31,16). Er konnte gewiss auch
"Lebenslauf" sagen oder "Zeit" in der Einzahl setzen; aber mit dem Ausdruck
"Zeiten" wollte er zeigen, daß, wie unbeständig auch die Lage des Menschen sei, aller
Wechsel, der vorkommen mag, doch von Gott her gelenkt wird. Deshalb werden auch Rezin und der König
von Israel, die mit ihren zur Vernichtung Judas verbundenen Streitkräften wie brennende Fackeln
erschienen, das Land zu verderben und zu verzehren, von dem Propheten rauchende Feuerbrände
genannt, die bloß ein wenig Rauch ausstoßen können (Jes. 7,4). So wird gar der Pharao, der doch
durch Macht, Stärke und Heeresgröße allen furchtbar war, mit einem Meerungeheuer und sein Heer
mit Fischen verglichen (Ez. 29,4). Und Gott kündigt an, er werde den Anführer und das Heer mit der
Angel fangen und es ziehen, wohin er wolle. Kurzum, ich will mich nicht länger damit aufhalten; man
kann es leicht durchschauen, wenn man es betrachtet: das schlimmste Elend ist es, die Vorsehung
nicht zu kennen, das höchste Glück aber, von ihr Kunde zu haben.
I,17,12 Über die Vorsehung Gottes ist damit an sich genug gesagt. Freilich nur
soviel, wie es zur sicheren Unterweisung und zum Trost der Gläubigen von Nutzen ist; denn, um die
Neugier eitler Menschen zu befriedigen, kann nichts ausreichen, und es ist auch nicht einmal zu
wünschen, daß es geschähe! – Aber es gibt einige wenige Stellen, die den Eindruck zu erwecken
scheinen, der Ratschluss Gottes sei – gegen das, was wir oben ausführten – doch nicht beständig
fest und unabänderlich, sondern entsprechend den Verhältnissen untergeordneter Dinge
veränderlich. Da wird zunächst zuweilen die Reue Gottes erwähnt. So hat es ihn "gereut, daß
er den Menschen gemacht hatte" (Gen. 6,6), daß er Saul zur Königsherrschaft erhoben hatte (1.
Sam. 15,11). Oder es reute ihn das Übel, das er seinem Volke zuzufügen beschlossen, sobald er bei
ihm irgendwelche Umkehr gewahrte (Jer. 18,8). Ferner hören wir gelegentlich, wie er seine
Beschlüsse ändert. So hatte er durch Jona denNiniviten angedroht, Ninive werde nach Ablauf von
vierzig Tagen zugrunde gehen, ließ sich aber alsbald durch deren Buße zu einem milderen Spruch
bewegen (Jona 3,4.10). So hatte er dem Hiskia durch den Mund des Jesaja den Tod ankündigen lassen;
aber des Königs Tränen und Gebete bewogen ihn dann doch, den Tod hinauszuschieben (Jes. 38,1.5; 2.
Kön. 20,1.5). Von hier aus schließen nun manche, Gott habe gar nicht in ewigem Beschluss die
menschlichen Geschicke bestimmt, sondern er entscheide nach eines jeden Verdienst, oder je, wie er
es für billig und gerecht hält, über die einzelnen Jahre, Tage und Stunden bald so, bald anders!
Was die Reue betrifft, so kann diese Gott ebenso wenig beigelegt werden wie etwa die Unwissenheit,
der Irrtum oder die Machtlosigkeit. Denn es begibt sich keiner mit Wissen und Wollen in die
Notwendigkeit, eine Sache zu bereuen; wir könnten also Gott die Reue nicht beimessen, ohne zugleich
zu sagen, er wisse die Zukunft nicht, oder er könne ihr nicht entgehen, oder er stürze sich aufs
Geratewohl und unbedacht in einen Beschluss hinein, der ihn gleich darauf reue. Das aber liegt vom
Sinn des Heiligen Geistes soweit ab, daß dieser gerade in einem Zusammenhang, wo solche
"Reue" Gottes erwähnt wird (1. Sam. 15,11!), doch leugnet, Gott könne sich von der Reue
leiten lassen, weil er doch nicht ein Mensch ist, den etwas gereue (1. Sam. 15,29). Es ist da zu
beachten, wie in dem gleichen Kapitel beide Aussagen so verbunden sind, daß wir merken, wie hier
ein Vergleich vorliegt, der den Anschein des Widerspruchs ausgezeichnet behebt. Es ist eine
bildliche Darstellung der eingetretenen Veränderung, wenn wir hören, daß es Gott
"reue", den Saul zum König gemacht zu haben. Gleich darauf heißt es dann auch: "Der
Starke in Israel lügt nicht, und ihn bringt nicht Reue von seinem Weg; denn er ist kein Mensch,
daß ihn etwas gereue." In diesen Worten wird offen, ohne Bild, Gottes Unveränderlichkeit
behauptet. So ist also Gottes Anordnung in der Leitung der Menschengeschicke gewiss dauernd und
über alle Reue erhaben. Und damit seine Beständigkeit außer Zweifel stehe, wurden selbst seine
Feinde gezwungen, sie zu bezeugen. Denn Bileam mußte, obwohl wider Willen, in die Worte ausbrechen:
"Denn Gott ist nicht ein Mensch, daß er lüge, noch eines Menschen Kind, daß er sich wandle.
Sollte er etwas sagen und nicht tun? Sollte er etwas reden und nicht halten?" (Num. 23,19;
nicht ganz Luthertext).
I,17,13 Was bedeutet nun also der Ausdruck "Reue"? Sicherlich nichts
anderes als all die anderen Redeformen, die uns Gott nach Menschenweise beschreiben. Weil nämlich
unsere Schwachheit nicht zu seiner Höhe empordringt, so muß die Beschreibung seines Wesens, die
uns zuteil wird, unserer Fassungskraft angepasst sein, um von uns begriffen zu werden. Das geschieht
aber so, daß er sich uns darstellt, nicht wie er an sich selber ist, sondern wie er von uns
erfahren wird. So ist er frei von aller inneren Erschütterung durch Leidenschaft – und bezeugt
doch, daß er den Sündern zürnt! Wenn wir also hören, daß Gott zürnt, so müssen wir uns dabei
nicht eine Erregung in ihm selber vorstellen; wir müssen vielmehr bedenken, daß diese Redeweise
aus unserer Erfahrung genommen ist, weil uns ja Gott dem Anschein nach als Entrüsteter und Zorniger
begegnet, sooft er sein Gericht vollzieht. So dürfen wir auch unter dem Wort "Reue"
nichts anderes verstehen als eine Abänderung seiner Werke und Taten; denn die Menschen bezeugen ja,
indem sie ihre Taten abändern, daß sie ihnen missfallen. Jede Abänderung ist unter Menschen die
Verbesserung einer Sache, die Missfallen erregt; diese Verbesserung aber kommt aus Reue; und so will
der Ausdruck "Reue" besagen: Gott ändert etwas an seinen Werken! Unterdessen aber wird
weder sein Ratschluss noch sein Wille verändert, noch seine Neigung (affectus) verwandelt; sondern
was er von Ewigkeit her vorgesehen, für richtig befunden und beschlossen hat, das führt er in
stetem Gleichmaße durch, so jähen Wechsel der Mensch auch vor Augen haben mag!
I,17,14 Wenn nun die heilige Erzählung (sacra historia) berichtet, wie den
Niniviten der bereits verkündete Untergang erlassen (Jona 3,10) und dem Hiskia sein Leben trotz
erfolgter Ankündigung des Todes noch einmal verlängert worden sei (Jes. 38,5), so behauptet sie
damit nicht, Gottes Beschlüsse seien aufgehoben worden. Wer das meint, der macht sich
Wahnvorstellungen von diesen Drohungen; diese scheinen zwar einfach eine Behauptung zu enthalten,
aber der Ausgang zeigt, daß sie trotzdem eine stillschweigende Bedingung in sich tragen. Denn
weshalb sandte der Herr den Jona zu den Einwohnern von Ninive, damit er ihnen die Zerstörung der
Stadt ankündigte? Weshalb ließ er dem Hiskia durch Jesaja seinen Tod ansagen? Er konnte doch jene
und auch diesen zugrunde richten, ohne das Unheil anzukündigen! Er hatte also etwas anderes im
Auge, als daß diese Menschen von ihrem Tod zuvor wüssten und ihn dann von ferne kommen sahen. Er
wollte eben, daß sie nicht zugrunde gingen, sondern sich besserten, um dem Untergang zu entrinnen!
Wenn also Jona weissagt, die Stadt Ninive werde nach vierzig Tagen zerstört werden, so geschieht
das, damit sie nicht untergehe! Wenn dem Hiskia die Hoffnung auf ein weiteres Leben abgeschnitten
wird, so geschieht das, damit er ein weiteres Leben erlange! Wer sieht denn nicht, daß der Herr
durch solche Drohungen die Menschen, die er schreckte, zur Reue erwecken wollte, damit sie dem
Gericht entgingen, das sie mit ihren Sünden verdient hatten! Wenn es sich so verhält, dann führt
uns die Sache selbst dazu, aus der einfachen Ankündigung eine stillschweigende Bedingung
herauszuhören. Das wird denn auch durch ähnliche Beispiele bestätigt. So wirft der Herr dem
Könige Abimelech vor, er habe dem Abraham sein Weib genommen, und braucht dabei die Worte: "Du
bist des Todes um des Weibes willen, das du genommen hast; denn sie ist eines Mannes Eheweib"
(Gen. 20,3). Nachdem er sich nun aber entschuldigt hat, sagt Gott zu ihm: "Gib dem Manne sein
Weib wieder; denn er ist ein Prophet, und lass ihn für dich bitten, so wirst du lebendig bleiben,
wo du sie aber nicht wiedergibst, so wisse, daß du des Todes sterben mußt und alles, was dein
ist" (Gen. 20,7). Da sieht man, wie er in dem ersten Worte sein Herz heftig erschüttert, um
ihn zur Genugtuung bereit zu machen, aber dann in dem zweiten seinen Willen klar ausspricht! Mit
anderen Stellen verhält es sich ebenso, und deshalb darf man nun nicht meinen, es sei dem früheren
Ratschlüsse des Herrn etwas entzogen, da er nicht durchführte, was er angekündigt hatte. Nein,
der Herr bahnt vielmehr seiner ewigen Anordnung den Weg, wenn er durch Androhung von Strafe Menschen
zur Reue antreibt, die er verschonen will, und zwar, ohne daß er an seinem Willen oder auch nur an
seinem Worte etwas änderte, nur daß er nicht gerade buchstäblich ausdrückt, was doch ganz klar
zu begreifen ist. So muß denn doch das Wort des Jesaja wahr bleiben: "Der Herr der Heerscharen
hat es beschlossen, und wer will es wehren? Seine Hand ist ausgestreckt, und wer will sie
wenden?" (Jes. 14,27).
Gott bedient sich auch der Taten der Gottlosen und lenkt ihre Gedanken, um seine
Gerichte zu vollstrecken; aber er selbst bleibt dabei von jeglichem Vorwurf frei.
I,18,1 Nach anderen Stellen lenkt und zieht Gott selbst den Satan und alle Gottlosen
nach seinem Gutdünken, wohin er will. Hier entsteht nun aber eine noch schwierigere Frage. Wie soll
sich Gott, wenn er doch durch diese handelt, keinerlei Beschmutzung durch ihre Vergehen zuziehen,
wie soll er bei gemeinsamem Werk selbst von aller Schuld frei sein und doch die, die er als Knechte
benutzt, mit Recht verdammen können? Das versteht der Sinn des Fleisches nicht. So ist es denn zu
der Unterscheidung zwischen "Tun" und "Zulassung" (Gottes) gekommen: es scheint
eben vielen Leuten ein unlösbarer Knoten zu sein, wenn es heißt, der Satan und alle Gottlosen
seien derart in Gottes Hand, daß er ihre Bosheit lenke zu dem ihm genehmen Ziel, und daß er ihre
Verbrechen benutze, um seine Gerichte zu vollziehen! Die Bedenklichkeit solcher Leute wäre auch
durchaus verzeihlich, wenn sie bloß der Anschein des Widersinnigen in Schrecken setzte; nur
dürften sie eben nicht verkehrterweise versuchen, Gottes Gerechtigkeit vor dem Vorwurf durch eine
Unwahrheit zu rechtfertigen! Es scheint ihnen widersinnig, daß ein Mensch durch Gottes Willen und
Befehl verblendet wird und dann doch die Strafe für seine Verblendung tragen soll. Also suchen sie
sich durch die Ausflucht zu helfen, das geschehe bloß durch Gottes Zulassung, nicht aber auch durch
seinen Willen! Aber Gott selber macht diese Ausflucht zunichte, wenn er deutlich sagt, er handle!
Daß aber der Mensch ohne Gottes geheimen Befehl nichts ausrichten, noch etwas durch Überlegung
zuwege bringen kann, ohne daß Gott es schon bei sich beschlossen hätte und es in seiner
verborgenen Leitung herbeiführte, das wird durch unzählige klare Schriftzeugnisse belegt, was wir
oben aus dem Psalm anführten: "Gott kann machen, was er will" (Ps. 115,3), das bezieht
sich gewisslich auf alle Taten der Menschen. Ist Gott wirklich, wie es heißt, der untrügliche
Lenker von Krieg und Frieden (Jes. 45,7), und zwar ohne jede Ausnahme, wie kann dann einer zu
behaupten wagen, den Menschen leite sinnlos ein blinder Trieb, ohne Gottes Wissen und Zutun? Aber
besondere Beispiele werden das noch besser beleuchten, wir wissen, wie im ersten Kapitel des
Hiobbuches der Satan sich vor Gott einstellt, um Befehle entgegenzunehmen, genau wie die Engel, die
doch von sich aus gehorchen. Er tut das zwar in ganz anderer Art und zu ganz anderem Zweck, aber
doch so, daß er nichts unternehmen kann ohne Gottes Willen. Nun scheint ja daraufhin eine bloße
Zulassung zu erfolgen, nämlich daß er den heiligen Mann (Hiob) angreife. Aber doch ist dessen
Ausspruch wahr: "Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, wie es dem Herrn gefiel,
so ist es geschehen" (Hiob 1,21). Und deshalb müssen wir schließen, daß diese Versuchung,
als deren Diener der Satan und verruchte Räuber wirksam waren, tatsächlich Gott zum Urheber hatte.
Da versucht der Satan den heiligen Mann durch Verzweiflung in Wut zu bringen, da kommen die Sabäer
herbei, um grausam und gottlos fremdes Gut zu rauben. Aber Hiob erkennt an, daß er von Gott all
seines Besitzes beraubt worden ist, daß er zum armen Mann geworden ist, weil es Gott so gefiel! Was
also auch Menschen oder gar der Satan selbst unternehmen – Gott hat das Ruder in der Hand, um ihre
Unternehmungen zum Vollzug seiner Gerichte zu lenken. Da will Gott, daß der treulose König Ahab in
die Irre geführt werde – der Teufel erbietet dazu seinen Dienst, und er wird mit dem klaren Auftrag
losgeschickt, er solle ein Geist der Lüge im Munde aller Propheten sein! (1. Kön. 22,20.22). Die
Verblendung des Ahab ist Gottes Gericht – und so zergeht jeder Versuch, hier von "bloßer
Zulassung"zu träumen. Denn es wäre ja lächerlich, wenn der Richter bloß
"zuließe" und nicht tatsächlich anordnete, was er geschehen lassen will, und seinen
Dienern den Auftrag zum Vollzug gäbe! Die Juden hatten die Absicht, Christum zu töten, und Pilatus
und seine Kriegsknechte willfahrten ihrer rasenden Mordlust – und trotzdem bekennen die Jünger in
feierlichem Gebet, alle Gottlosen hätten nichts getan, als was Gottes Hand und Rat beschlossen
hätte! (Apg. 4,28). So hatte Petrus ja schon vorher in einer Predigt gesagt, Jesus sei aus
bedachtem Rat und Vorsehung Gottes dahingegeben worden, daß er getötet werde (Apg. 2,23), als
wollte er sagen: Gott, dem von Anfang her nichts verborgen war, hat mit Wissen und Willen
festgesetzt, was die Juden vollführt haben. So wiederholt er es an anderer Stelle: "Gott, was
er durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündigt hat, wie Christus leiden sollte, hat’s
also erfüllt" (Apg. 3,18). Absalom verunreinigte in ehebrecherischem Umgang das Bett seines
Vaters und vollführte damit ein abscheuliches Verbrechen (2. Sam. 16,22). Gott aber verkündigt,
das sei sein Werk: "Du hast es insgeheim getan, ich werde es öffentlich tun, vor der
Sonne!" (2. Sam. 12,12). Und Jeremia spricht es aus, daß alles, was die Chaldäer an
Grausamkeiten in Judäa begehen, Gottes Werk sei (Jer. 50,25; 1,15 und oft). Aus diesem Grunde wird
ja Nebukadnezar Gottes Knecht geheißen! (Jer. 25,9; 27,6). Mehrfach ruft Gott es aus, sein Wink
(Jes. 7,18), seiner Posaune Klang (Hos. 8,1), sein Befehl und Auftrag (Zeph. 2,1) rufe die Gottlosen
zum Kriege auf! Den Assyrer nennt er die Rute seines Zorns (Jes. 10,5) und ein Beil, das er mit
seiner Hand schwingt! Die Zerstörung der heiligen Stadt und die Verwüstung des Tempels heißt er
sein Werk (Jes. 28,21). David will nicht gegen Gott murren, wenn er ausspricht, die Flüche des
Simei kämen aus seinem Geheiß: "Der Herr hat ihn geheißen, daß er fluche" (2. Sam.
16,10). Nein, er erkennt Gott damit als den gerechten Richter an! Öfters wird es in der heiligen
Geschichte wiederholt, es komme von dem Herrn, was auch geschehe, so z.B. der Abfall der zehn
Stämme (1. Kön. 11,31), der Untergang der Söhne des Eli (1. Sam. 2,34) und vieles dieser Art. Wer
einigermaßen in der Schrift zu Hause ist, der sieht, daß ich nur wenige Zeugnisse von vielen
anführe, um mich der Kürze zu befleißigen. Aber aus diesen wird bereits mehr als genug deutlich:
wer an die Stelle der Vorsehung Gottes die bloße Zulassung setzt, der schwatzt und redet unnützes
Zeug! Als ob Gott in ruhiger Betrachtung dasäße und die zufälligen Ereignisse abwartete! Als ob
so seine Gerichte vom Wohlgefallen des Menschen abhingen!
I,18,2 Was nun die geheimen Regungen betrifft, die Gott im Menschen hervorruft, so
gilt das, was Salomo vom Herzen des Königs sagt, sicher für jeden Menschen: Gott neigt es, wohin
er will (Spr. 21,1). Und das bedeutet soviel, als hätte er gesagt: was wir uns auch innerlich
vornehmen, alles wird durch Gottes geheime Leitung zu dem von ihm gesetzten Ziel geführt. Wahrlich,
wenn er nicht im Herzen der Menschen wirksam wäre, so wäre es falsch geredet, er verschließe den
Wahrhaftigen den Mund, er nähme den Alten ihre Klugheit (Hes. 7,26), er nähme den Fürsten der
Erde den Verstand, daß sie auf Abwegen daherirrten! (Ps. 107,40). Dahin gehört es auch, wenn wir
so häufig lesen, die Menschen würden furchtsam, wenn sein Schrecken ihr Herz ergriffe (Lev.
26,36). So konnte David aus dem Lager Sauls unbemerkt entkommen, weil ein Schlaf vom Herrn auf alle
Feinde gefallen war (1. Sam. 26,12). Klareres können wir aber gar nicht verlangen, als daß er so
oft kundtut, er verblende des Menschen Geist (Jes. 29,14), er schlage ihn mit Wahn, er mache ihn
trunken mit einem Geist des Schlafs (Jes. 29,10), gebe ihn in Torheit dahin (Röm. 1,28) und
verhärte die Herzen (Ex. 4,21 und öfters). Auch das beziehen viele auf die "Zulassung":
Gott gebe die Verworfenen auf und ließe es zu, daß sie vom Satan verblendet würden. Aber der
Geist drückt es doch deutlich so aus, nach Gottes gerechtem Urteil verfielen sie in Blindheit und
Torheit (Röm. 1,20ff); jene Erklärung ist also durchaus verkehrt. Es heißt auch, er habe das
Herzdes Pharao verhärtet oder verstockt oder (in seiner Bosheit) versteift (Ex. 8,15). Einige
suchen nun diesen Redeformen durch abgeschmackte Verdrehung einen anderen Sinn zu geben; sie berufen
sich auf eine andere Stelle, wo von dem Pharao selbst gesagt wird, er habe sein Herz verstockt, und
also sein eigener Wille als Ursache der Verhärtung angesehen wird (Ex. 8,11). Und dabei stimmen
diese beiden Behauptungen tadellos zusammen, weil, freilich auf verschiedene Weise, der Mensch, wenn
er von Gott getrieben wird, doch zugleich selbst handelt! Ich richte das, was sie einwenden, gegen
sie selbst: denn wenn "verstocken" (allgemein) eine bloße Zulassung" bedeutet, so
ist auch der Trieb zur Widerspenstigkeit nicht eigentlich in dem Pharao zu suchen! Wie töricht und
unsinnig wäre es aber, die Sache so auszulegen, als ob der Pharao es bloß zugelassen hätte,
verhärtet zu werden! Außerdem nimmt die Schrift derartigen Sophistereien jede Handhabe: "Ich
will sein Herz verstocken", spricht Gott! (Ex. 4,21). So sagt auch Mose von den Einwohnern des
Landes Kanaan, sie seien in den Kampf gezogen, weil Gott ihr Herz verhärtet hätte! (Jos. 11,20).
Auch ein anderer Prophet wiederholt es: "Er verkehrte ihr Herz, daß sie seinem Volke gram
wurden" (Ps. 105,25). Ebenso droht Gott bei Jesaja, er werde über das treulose Volk die
Assyrer senden und ihnen auftragen, den Raub davonzutragen und die Beute auszuteilen (Jes. 10,6).
Das bedeutet nicht, daß er etwa gottlose und halsstarrige Menschen lehren wollte, aus freien
Stücken Gehorsam zu leisten; sondern es will sagen, daß er sie zwingen will, seine Urteile zu
vollstrecken, gleich als wenn ihnen seine Befehle ins Herz gemeißelt wären! Daraus wird deutlich:
sie wurden durch klare Bestimmung Gottes getrieben! Freilich handelt Gott in den Gottlosen oft
derart, daß der Satan als Werkzeug mitwirken muß; aber doch so, daß dieser auf Gottes Antrieb hin
das Seine tut und nur so weit kommt, wie es ihm gegeben ist! Ein böser Geist verwirrt den Saul;
aber es heißt, daß er "von Gott" gewesen sei (1. Sam. 16,14), damit wir wissen, die
Raserei Sauls gehe aus Gottes gerechter Vergeltung hervor. Es heißt weiter, daß der Satan der
Ungläubigen Sinn verblende (2. Kor. 4,4). Woher sollte das aber anders kommen, als daß von Gott
selbst die Kraft des Irrtums herfließt, so daß die, welche sich weigern, der Wahrheit zu
gehorchen, nun Lügen glauben? Im ersten Sinn (vgl. Zeile 29) heißt es: "Wenn ein Prophet
etwas fälschlich redet, so habe ich, Gott, ihn getäuscht" (Ez. 14,9; nicht Luthertext). Und
im zweiten Sinne (vgl. Zeile 30) hören wir, er selbst gebe die Menschen dahin in ihren verkehrten
Sinn und lasse sie dahingehen in ihren bösen Begierden (Röm. 1,28); denn er ist ja der eigentliche
Urheber seiner gerechten Vergeltung, der Satan ist nur Diener! Aber wir müssen, wenn im zweiten
Buche vom freien oder unfreien Willen des Menschen die Rede ist, auf diese Dinge zurückkommen, und
ich glaube, hier in Kürze soviel auseinandergesetzt zu haben, wie das vorliegende Lehrstück (locus)
erforderte. Die Hauptsache muß sein: heißt Gottes Wille die Ursache aller Dinge, so muß auch
notwendig seine Vorsehung in allen Plänen und Taten der Menschen die Führung innehaben, so daß
sie nicht nur in den Gläubigen ihre Kraft erweist, die vom Heiligen Geist regiert werden, sondern
auch die Gottlosen in ihren Gehorsam zwingt.
I,18,3 Bisher habe ich nur ausgeführt, was uns die Schrift klar und unzweideutig
lehrt. Wer sich also nicht scheut, den himmlischen Worten üble Schandmale aufzudrücken, der mag
zusehen, was für ein Urteil er sich anmaßt! Gewiss: man stellt sich unwissend und möchte darüber
gar noch für seine Bescheidenheit gelobt werden – aber was kann denn Hochmütigeres gedacht werden,
als der Autorität Gottes ein Wörtlein entgegenzustellen? "Mir scheint es anders" -
"Das sollte man nicht berühren"! Will man aber (die Wahrheit) unverhohlen lästern, was
hat man denn davon, wenn man den Himmel anspeit? Neu ist dieser freche Mutwille nicht eben; denn es
gab zu allen Zeiten gottlose und gottferne Menschen, die gegen dies Stück der Lehre wie toll
gekläfft haben. Aber sie müssen angesichts der Tatsachen die Wahrheit dessen zugeben, was einst
der Geist durch den Mund Davids verkündete, nämlich daß Gott recht behalte, wenn er gerichtet
werde (Ps. 51,6). Unausgesprochen straft hier David die Torheit der Menschen, die sich in der
zügellosen Frechheit äußert, aus ihrem Schmutz heraus nicht nur mit Gott rechten zu wollen,
sondern sich gar die Macht anzumaßen, ihn zu verdammen! Indessen deutet er kurz an, daß all die
Lästerungen, die man gegen den Himmel ausspeit, Gott nicht erreichen und ihn nicht hindern, alle
Wolken der Schmähungen zu durchbrechen und seine Gerechtigkeit hell hervorleuchten zu lassen. Unser
Glaube aber überwindet, da er in Gottes heiligem Worte begründet ist, die Welt (1. Joh. 5,4) und
schaut deshalb von seiner Höhe auf dergleichen Nebel herab! Der erste Vorwurf lautet: wenn alles
nur mit Willen Gottes geschähe, so gäbe es in ihm zweierlei entgegengesetzten Willen; denn er
beschließe ja in seinem verborgenen Rat, was er in seinem Gesetz verboten habe! Das ist leicht zu
widerlegen. Bevor ich aber antworte, möchte ich die Leser noch einmal daran erinnern, daß sich
diese Sophisterei nicht eigentlich gegen mich, sondern gegen den Heiligen Geist richtet. Der hat
doch gewiss dem heiligen Manne Hiob das Bekenntnis eingegeben: "Wie es Gott gefiel, so ist es
geschehen!" (Hiob 1,21; nicht Luthertext). Und das sagte er, als er von den Räubern
ausgeplündert war und doch in ihrer Ungerechtigkeit und Übeltat Gottes gerechte Schläge
anerkannte! Und was sagt die Schrift sonst? Die Söhne des Eli gehorchten ihrem Vater nicht, weil
Gott sie töten wollte! (1. Sam. 2,25). Auch ruft ja ein anderer Prophet aus: "Unser Gott ist
im Himmel, er kann schaffen, was er will" (Ps. 115,3). Und ich habe doch schon deutlich genug
gezeigt, daß Gott nach der Schrift der Urheber von all dem ist, was nach der Meinung dieser
Kritiker bloß unter seiner müßigen Zulassung geschieht! Er bezeugt von sich, daß er Licht und
Finsternis schafft, das Gute und das Böse macht (Jes. 45,7), daß kein Unheil geschehe, das er
nicht tue (Amos 3,6). Nun soll man mir doch bloß sagen, ob er denn mit oder ohne Willen seine
Gerichte vollstreckt! Mose lehrt doch, wer von ungefähr durch ein herabfallendes Beil ums Leben
komme, der sei von Gott in die Hand des Totschlägers gegeben worden (Dtn. 19,5). Und ebenso spricht
es die ganze Kirche bei Lukas aus, Herodes und Pilatus seien eins geworden, um das zu tun, was doch
Gottes Hand und Ratschluss beschlossen hatte! (Apg. 4,28). Und wahrlich, wäre Christus nicht mit
dem Willen Gottes gekreuzigt worden – woher sollte dann unsere Erlösung kommen? Aber deshalb
streitet Gottes Wille nicht mit sich selbst, verändert sich auch nicht, stellt sich auch nicht, als
ob er nicht wolle, was er doch will; nein, obwohl er an sich einer und derselbe ist, erscheint er
uns doch vielfältig, weil wir in unserer Kurzsichtigkeit nicht begreifen können, wie er auf
verschiedene Weise in der gleichen Sache einerseits will, daß etwas geschieht, und es doch
anderseits nicht will! An der Stelle, wo Paulus davon spricht, die Berufung der Heiden sei ein
verborgenes Geheimnis (Eph. 3,9), fügt er gleich hinzu, in ihr käme die "mannigfaltige"
(polypoikilos) Weisheit Gottes zum Vorschein! (Eph. 3,10). Sollen wir aber, weil uns infolge der
Schwäche unseres Sehvermögens Gottes Weisheit vielfältig – oder auch, wie ein alter Ausleger
übersetzt: "vielgestaltig" – erscheint, etwa träumen, es bestehe in Gott selbst eine
Verschiedenheit, als ob er also seinen Plan änderte oder mit sich selbst uneinig würde? Und wenn
wir nicht fassen können, wie denn Gott wollen kann, daß etwas geschehe, das er doch zu tun
verboten hat, so soll uns unsere Schwachheit ins Gedächtnis kommen, und wir sollen bedenken: das
Licht, in dem er wohnt, wird nicht ohne Grund unzudringlich genannt; denn es ist von Dunkel
eingehüllt! (1. Tim. 6,16). Deshalb werden alle frommen und demütigen Leute gern dem Ausspruch
Augustins zustimmen: "Zuweilen will der Mensch in rechtem Wollen, was doch Gott nicht will; wie
z.B. ein guter Sohn will, daß sein Vater lebe, Gott aber, daß er sterbe. Ebenso kann es vorkommen,
daß ein Mensch in bösem Willen das will, was Gott in gutem Willen will, zum Beispiel wenn ein
böser Sohn will, daß sein Vater sterbe, Gott aber dasselbe will. So will also jener, was Gott
nicht will, dieser aber, was Gott will! Und dennoch stimmt die fromme Gesinnung des einen mehr zum
Willen Gottes, obwohl sie also etwas anderes will – als die Unfrömmigkeit des anderen, obwohl sie
dasselbe will wie Gott! So wichtig ist es, darauf zu achten, was der Mensch nach Gebühr wollen
soll, und was anderseits Gottes gerechter Wille ist, auch was für ein Zweck über dem Willen jedes
Menschen steht, nach welchem er anerkannt oder verworfen wird. Denn Gott, der da recht will,
erfüllt seinen Willen durch den bösen Willen böser Menschen" (Handbüchlein an Laurentius,
101). Kurz vorher führt er aus: die abgefallenen Engel und alle Verworfenen haben, was sie selbst
betrifft, in ihrem Abfall getan, was Gott nicht wollte; aber der Allmacht Gottes gegenüber haben
sie das gar nicht fertiggebracht; denn indem sie gegen Gottes Willen handeln, vollzieht sich an
ihnen eben Gottes Wille! Und deshalb ruft er aus: "Groß sind die Werke Gottes, auserlesen in
allem seinem Wollen (Ps. 111,2; Luthertext anders)! Denn es geschieht eben auf wundersame und
unaussprechliche Weise nicht ohne seinen Willen, was doch gegen seinen Willen geschieht! Es würde
ja gar nicht geschehen, wenn er es nicht erlaubte, auch erlaubt er es ja nicht ohne seinen Willen,
sondern mit ihm, und anderseits würde er, der Gute, gar nichts Böses geschehen lassen, wenn er,
der Allmächtige, nicht wiederum bei dem Bösen es wohl machen könnte!" (Handbüchlein, 100).
I,18,4 Auf diese Weise löst sich, ja verschwindet auch der zweite Einwand. Man
sagt: Wenn Gott nicht nur die Werke der Gottlosen benutzt, sondern gar ihre Pläne und ihre
Gesinnung lenkt, so ist er ja der Urheber aller Schlechtigkeiten! Und so wäre es ja unrecht, daß
man Menschen verdammt, wo sie doch nur durchführen, was Gott verordnet hat, da sie ja seinem Willen
Gehorsam leisten! – Bei solcher Betrachtungsweise wird in verkehrter Weise der Wille Gottes mit
seinem Gebot verwechselt; es ergibt sich aber aus unzähligen Beispielen, daß hier ein gewaltiger
Unterschied zu machen ist. Obwohl nämlich Gott, als Absalom mit den Weibern seines Vaters Ehebruch
trieb (2. Sam. 16,22), durch diese Untat den Ehebruch des David strafen wollte, "hieß" er
doch den ruchlosen Sohn nur in dem Sinne diese Blutschande begehen, als es den Vater betraf, so wie
dieser auch Simeis Schmähungen auffasst. Denn wenn er gesteht, dieser (Simei) fluche auf Gottes
"Geheiß" (2. Sam. 16,10), so will er damit keineswegs dessen Gehorsam preisen, als ob
dieser freche Hund (bewusst) Gottes Befehl gehorchte, sondern er erkennt seine Rede als Geißel
Gottes an und läßt sich geduldig schlagen! So müssen wir festhalten: wenn Gott durch die
Gottlosen ausführt, was er in seinem verborgenen Gericht bestimmt hat, so sind diese nicht
entschuldbar, als ob sie seinem Gebot gehorchten – denn das verletzen sie ja mit aller Kraft, nach
ihrem eigenen Gelüste! Wie das, was Menschen in ihrer Verkehrtheit tun, doch von Gott kommt und von
seinem verborgenen Ratschluss regiert wird, das zeigt als besonders deutliches Beispiel die
Königswahl des Jerobeam (1. Kön. 12,20). Da wird einerseits die Unbesonnenheit und Torheit des
Volkes verdammt, weil es die von Gott gesetzte Ordnung umstieß und vom Hause David treulos abfiel.
Und doch wissen wir anderseits, daß Gott diese Salbung gewollt hat. Von da aus ergibt sich auch der
Schein eines Widerspruchs bei Hosea; denn da erhebt Gott einerseits Klage, daß diese
Königsherrschaft ohne sein Wissen und Wollen aufgerichtet worden sei (Hos. 8,4), und anderseits
spricht er aus, er habe den König Jerobeam gegeben "in seinem Zorn" (Hos. 13,11). Wie
soll das zusammenstimmen – Jerobeam soll ohne Gott König geworden und er soll doch von ihm
eingesetzt worden sein? Auf folgende Weise: Das Volk konnte freilich von dem Hause David nicht
abfallen, ohne das von Gott ihm auferlegte Joch abzuwerfen – aber dadurch war doch Gott selbst nicht
die Freiheit genommen, die Undankbarkeit des Salomo so zu bestrafen! Wir sehen also, wie Gott, der
Treulosigkeit nicht will, dennoch in gerechter Absicht zu einem anderenZweck den Abfall will; so
wird auch Jerobeam wider alles Erwarten durch heilige Salbung zur Herrscherwürde geführt! Auf
solche Weise, sagt die heilige Geschichte, wurde von Gott ein Feind erweckt, der Salomos Sohn eines
Teils der Herrschaft beraubte (1. Kön. 11,23). Da muß der Leser mit Aufmerksamkeit beides
erwägen: Es hatte Gott Wohlgefallen, daß das Volk unter eines Königs Hand regiert werde; daß es
nun in zwei Teile auseinander bricht, das geschieht gegen seinen Willen – und trotzdem nahm das
Zerwürfnis in seinem Willen seinen Ursprung! Denn daß der Prophet dem nichts dergleichen ahnenden
Jerobeam durch sein Wort und durch die in der Salbung liegende Anwartschaft die Hoffnung auf die
Königswürde einflößte, das geschah gewiss weder ohne Wissen, noch ohne den Willen Gottes, der ja
gerade befohlen hatte, es solle so geschehen. Und doch wird der Abfall des Volkes mit Recht
verdammt, weil es sozusagen gegen den Willen Gottes vom Hause David sich abwandte! In diesem Sinne
heißt es später: daß Rehabeam so hochmütig die Bitten des Volkes in den Wind geschlagen habe,
das sei von Gott so geschehen, damit das Wort erfüllt würde, das er durch seinen Knecht Ahia
gesprochen hatte! (1. Kön. 12,15). Man beachte: da wird wider den Willen Gottes die heilige Einheit
zerrissen – und doch trennen sich aus dem gleichen Willen zehn Stämme vom Sohne Salomos! Dazu mag
noch ein anderes, ähnliches Beispiel kommen: Da werden unter Zustimmung, ja unter Mitwirkung des
Volkes die Söhne des Königs Ahab ermordet, und das ganze Geschlecht wird ausgerottet (2. Kön.
10,7). Mit Recht sagt Jehu, es sei keines der Worte Gottes zur Erde gefallen, sondern Gott habe
getan, was er durch seinen Knecht Elia gesagt habe. Und doch straft er nicht ohne Anlass die Bürger
von Samaria, daß sie dazu geholfen hätten: "Seid ihr gerecht? Wenn ich gegen meinen Herrn
mich verschworen habe – wer hat diese dann alle getötet?" (2. Kön. 10,9; nicht Luthertext).
Ich habe schon oben, – wenn ich mich nicht täusche: deutlich – auseinandergesetzt, wie sich in dem
gleichen Werk ebenso das Verbrechen des Menschen wie auch Gottes Gerechtigkeit zeigt. Und
bescheidenen Lesern wird stets die Antwort des Augustin genügen: "Wenn der Vater den Sohn
dahingab und Christus seinen Leib – und Judas den Herrn, wie kann dann in diesem vielfältigen
"Dahingehen" Gott gerecht und der Mensch schuldig sein, wenn nicht eben in der gleichen
Sache, die sie taten, der Grund nicht ein einziger war, aus dem sie handelten!" (Brief 93). Wir
müssen also jetzt sagen: es gibt keine Gemeinsamkeit zwischen Gott und dem Menschen, wenn dieser
auf Gottes gerechten Antrieb hin tut, was er nicht darf! Wer sich darin nicht finden kann, dem soll
ein Ausspruch des gleichen Augustin zu Hilfe kommen: "Wer wird nicht vor jenen Gerichten
erzittern, da Gott in dem Herzen der Bösen wirkt, was er will – und ihnen dann doch vergilt nach
ihrem Verdienst!" (Über die Gnade und den freien Willen 21,42). Und doch wäre es angesichts
der Treulosigkeit des Judas ebenso verkehrt, die Schuld für seine ruchlose Tat Gott zuzuschieben,
weil er doch selbst wollte, daß sein Sohn dahingegeben werde, und ihn doch selbst in den Tod
dahingab – wie es anderseits unrecht wäre, nun dem Judas den Lobpreis für die Erlösung
zuzusprechen! Deshalb ist es sehr richtig, wenn der nämliche Augustin an anderer Stelle daran
mahnt, in dieser Untersuchung frage Gott nicht, was der Mensch gekonnt hätte, auch nicht, was er
getan hätte, sondern, was er gewollt hätte, damit Plan und Wille zur Rechenschaft kämen! Wer das
nun "hart" findet, der soll doch ein wenig bedenken, ob solches Murren verzeihlich sei, wo
er doch eine von klaren Schriftzeugnissen belegte Lehre verachtet, nur weil sie über seinen
Verstand geht, und darüber zürnt, daß Dinge zur Verhandlung kommen, die Gott nie durch seine
Propheten und Apostel hätte lehren lassen, wenn er nicht wüsste, daß sie nützlich zu wissen
sind! Denn unsere Weisheit kann in nichts anderem bestehen als darin, daß wir mit demütiger
Lernbegierde alles – und zwar ohne Ausnahme – annehmen, was in der Heiligen Schrift uns kundgemacht
wird. Wer sich aber mit Frechheit brüstet, der kläfft ja offenkundig gegen Gott und ist einer
längeren Widerlegung nicht wert.
Johannes Calvin: Die echte und die falsche Prädestination.
- Diskurs 100